VwGH 2012/04/0154

VwGH2012/04/015421.1.2015

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek, die Hofräte Dr. Kleiser und Dr. Mayr, die Hofrätin Mag. Hainz-Sator und den Hofrat Dr. Pürgy als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde 1. der Sozialversicherungsanstalt der Bauern (SVB) in Wien, 2. der Versicherungsanstalt für Eisenbahnen und Bergbau (VAEB) in Wien, 3. der Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter (BVA) in Wien, 4. der Burgenländischen Gebietskrankenkasse (BGKK) in Eisenstadt und

5. der Krankenfürsorgeanstalt der Bediensteten der Stadt Wien (KFA) in Wien, alle vertreten durch die CMS Reich-Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Gauermanngasse 2, gegen den Bescheid des Bundesvergabeamtes vom 5. November 2012, Zl. N/0090-BVA/12/2012-18, betreffend vergaberechtliche Nachprüfung (weitere Partei: Bundesminister für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft; mitbeteiligte Partei: N GmbH in Wien, vertreten durch die Wolf Theiss Rechtsanwälte GmbH & Co KG in 1010 Wien, Schubertring 6), zu Recht erkannt:

Normen

BVergG §2 Z16 lita sublitaa;
BVergG §322 Abs1 Z5;
BVergG §325 Abs1 Z1;
BVergG §90;
VwGG §42 Abs2 Z1;
BVergG §2 Z16 lita sublitaa;
BVergG §322 Abs1 Z5;
BVergG §325 Abs1 Z1;
BVergG §90;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat den beschwerdeführenden Parteien insgesamt Aufwendungen in Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1. Die Beschwerdeführerinnen führten ein Vergabeverfahren betreffend "Rahmenvereinbarungen über die Lieferung von Sonden- und Trinknahrung inklusive Applikationsgeräte und Zubehör" als offenes Verfahren im Oberschwellenbereich. Die Bekanntmachung der vorgesehenen Vergabe von insgesamt zehn Losen erfolgte europaweit am 21. August 2012.

Die mitbeteiligte Partei stellte am 24. September 2012 den Antrag, die Ausschreibung für nichtig zu erklären, und begründete diesen Antrag - kurz zusammengefasst - mit dem Vorliegen eines diskriminierenden "Mengenvordersatzes", eines Verstoßes gegen den Wettbewerbs- und Gleichbehandlungsgrundsatz und eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Vergleichbarkeit der Angebote, sowie dem Vorliegen eines unklaren Ausschreibungsgegenstandes.

Am 26. Oktober 2012 versendeten die Beschwerdeführerinnen an alle bis dahin bekannten Interessenten die "5. Nachsendung zu den Ausschreibungsunterlagen Lieferung von Sonden- und Trinknahrung inkl. Applikationsgeräte und Zubehör" (fünfte Berichtigung). In dieser lautete es auszugsweise:

"2. Zu den angegebenen Mengen im Anhang 1 (Produktkatalog):

Nach dem derzeit vorliegenden Anhang 1 wird der Positionspreis für jede Position durch die Multiplikation des Jahresbedarfs in Liter dividiert durch die Verrechnungseinheit multipliziert mit dem Preis pro Verrechnungseinheit gebildet.

Dagegen wurde von Bewerberseite eingewendet, dass dabei ein unterschiedlicher Kaloriengehalt unberücksichtigt bleibt und zudem die Bieter nicht die zu erwartende Menge exakt kalkulieren können, weil die Litermenge nicht mit der Information verknüpft ist, welches oder welche Produkte mit jeweils welchem Kaloriengehalt zur Bildung dieser Literangaben herangezogen wurden.

Die Auftraggeber haben nunmehr an Hand der im Jahr 2011 verschriebenen und gelieferten Produkte und Mengen die insgesamt verbrauchten Kalorien aller verbrauchten Produkte je Position (Sonden- und Trinknahrung) errechnet und auf ein Produkt mit dem in der jeweiligen Position festgelegten Mindestenergiegehalt rückgerechnet. Naturgemäß erhöht sich der dabei errechnete Jahresbedarf in Litern. Diese neuen Literangaben wurden in den beiliegenden Anhang 1 neu eingearbeitet. Damit ersehen die Bewerber den konkreten Bedarf auf Basis eines Produkts mit Mindestenergiegehalt und können den Bedarf jedes Produktes mit höherem Energiegehalt leicht errechnen.

Zudem wird die Ausschreibung dahingehend berichtigt, dass der Positionspreis durch Multiplikation des Jahresbedarfs in Liter (eines Produktes mit Mindestenergiedichte) multipliziert mit der Mindestenergiedichte dividiert durch die Energiedichte des konkret angebotenen Produkts multipliziert mit dem Preis pro Liter gebildet wird."

Diese Berichtigung betreffend wurde bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides am 5. November 2012 kein Nachprüfungsantrag gestellt.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesvergabeamt am 30. Oktober 2012 brachte die mitbeteiligte Partei unter anderem vor, durch die Berichtigungen seien die Ausschreibungsunterlagen wesentlich geändert worden. Durch die fünfte Berichtigung sei jedenfalls das zulässige Ausmaß einer Berichtigung überschritten worden, weshalb mit einem Widerruf der Ausschreibung und einer allfälligen Neuausschreibung vorzugehen gewesen wäre. Durch die nunmehrige Berichtigung wäre die Formel betreffend den "Mengenvordersatz" nicht mehr anwendbar, wenn der Bieter mehrere Produkte unterschiedlicher Energiedichte anbiete.

2. Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde den Anträgen der mitbeteiligten Partei, die Ausschreibung für nichtig zu erklären (Spruchpunkt 1) sowie auf Ersatz der Pauschalgebühren (Spruchpunkt 2), jeweils statt.

Begründend führte die belangte Behörde aus, eine Berichtigung der Ausschreibung sei nur insoweit zulässig, als es dadurch nicht zu einer inhaltlich wesentlich anderen Ausschreibung komme. Andernfalls sei das Vergabeverfahren wegen Vorliegens zwingender Gründe zu widerrufen. Fallbezogen seien aufgrund der seit der Veröffentlichung der Ausschreibung erfolgten Änderungen, insbesondere aber durch die fünfte Nachsendung, die eine umfassend berichtigte Version der Ausschreibungsunterlagen beinhalte, die Grenzen einer Berichtigung im gegenständlichen Vergabeverfahren bei weitem überschritten. So habe sich bereits der Ausschreibungsgegenstand durch die letzte Berichtigung im Verhältnis zur ursprünglichen Ausschreibung insofern geändert, als das "Zubehör" und die Schulungsleistungen nicht mehr Teile des Leistungsgegenstandes seien. Noch schwerer würden die Änderungen aber im Zusammenhang mit dem Zuschlagskriterium "Preis" wiegen, mit welchen Einwänden der mitbeteiligten Partei Rechnung getragen werden sollte. In dieser Änderung liege das indirekte Zugeständnis, die Ausschreibung sei ursprünglich nicht mit der notwendigen Sorgfalt erstellt worden. Zudem komme es durch diese Neuerung zu einer gänzlich anderen Kalkulationsgrundlage, weshalb ein zwingender Widerrufsgrund vorliege, sodass nicht mit einer Berichtigung hätte vorgegangen werden dürfen.

Selbst wenn man davon ausginge, dass diese Erwägungen nicht ausreichten, um einen zwingenden Widerruf zu begründen, entspreche die Neuregelung der Bewertung im Zusammenhang mit dem Zuschlagskriterium "Preis" nicht den Erfordernissen der Transparenz im Sinne des Bundesvergabegesetzes, sondern räume den Auftraggeberinnen einen Bewertungsspielraum ein, der zu sachlich nicht gerechtfertigten Ergebnissen führen könne.

Die Stattgebung betreffend das Nachprüfungsbegehren rechtfertige den Zuspruch des Ersatzes der entrichteten Pauschalgebühren.

3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde der Auftraggeberinnen mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und/oder Rechtswidrigkeit des Inhalts aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und beantragte in ihrer Gegenschrift - ebenso wie die mitbeteiligte Partei - die Abweisung der Beschwerde. Dazu erstatteten die Beschwerdeführerinnen eine Replik.

4. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

4.1. Gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG idF BGBl. I Nr. 122/2013 sind, soweit durch das Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz (VwGbk-ÜG) nicht anderes bestimmt ist, in den mit Ablauf des 31. Dezember 2013 beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Beschwerdeverfahren die bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Bestimmungen weiter anzuwenden. Dies trifft auf den vorliegenden Fall zu.

4.2. Die relevanten Bestimmungen des Bundesvergabegesetzes 2006 (BVergG 2006), in der hier maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 10/2012, lauten auszugsweise wie folgt:

"Begriffsbestimmungen

§ 2. Im Geltungsbereich dieses Bundesgesetzes sind folgende Begriffsbestimmungen maßgebend:

(...)

16. Entscheidung ist jede Festlegung eines Auftraggebers im Vergabeverfahren.

a) Gesondert anfechtbar sind folgende, nach außen in Erscheinung tretende Entscheidungen:

aa) im offenen Verfahren: die Ausschreibung; sonstige Festlegungen während der Angebotsfrist; das Ausscheiden eines Angebotes; die Widerrufsentscheidung; die Zuschlagsentscheidung;

bb) (...)

(...)

Berichtigung der Ausschreibung

§ 90. (1) Werden während der Angebotsfrist Änderungen der Ausschreibung erforderlich, so sind die Ausschreibungsunterlagen und erforderlichenfalls auch die Bekanntmachung zu berichtigen und die Angebotsfrist erforderlichenfalls entsprechend zu verlängern.

(2) Ist eine Berichtigung der Ausschreibungsunterlagen erforderlich, so ist allen Bewerbern oder Bietern die Berichtigung nachweislich zu übermitteln. Ist dies nicht möglich, so ist die Berichtigung in gleicher Weise wie die Ausschreibung bekannt zu machen.

(...)

Fristen für Nachprüfungsanträge

§ 321. (1) Anträge auf Nachprüfung einer gesondert anfechtbaren Entscheidung sind bei einer Übermittlung der Entscheidung auf elektronischem Weg oder mittels Telefax sowie bei einer Bekanntmachung der Entscheidung binnen zehn Tagen einzubringen, bei einer Übermittlung auf brieflichem Weg binnen 15 Tagen. Die Frist beginnt mit der Absendung der Entscheidung bzw. mit der erstmaligen Verfügbarkeit der Bekanntmachung.

(...)

Nichtigerklärung von Entscheidungen des Auftraggebers

§ 325. (1) Das Bundesvergabeamt hat eine im Zuge eines Vergabeverfahrens ergangene gesondert anfechtbare Entscheidung eines Auftraggebers mit Bescheid für nichtig zu erklären, wenn

1. sie oder eine ihr vorangegangene nicht gesondert anfechtbare Entscheidung den Antragsteller in dem von ihm nach § 322 Abs. 1 Z 5 geltenden gemachten Recht verletzt, und

2. die Rechtswidrigkeit für den Ausgang des Vergabeverfahrens von wesentlichem Einfluss ist.

(...)"

4.3. Die belangte Behörde sieht die eine Nichtigerklärung der angefochtenen Ausschreibung rechtfertigende Rechtswidrigkeit einerseits in der mit der fünften Berichtigung erfolgten Überschreitung der Grenze des zulässigen Umfangs einer Berichtigung gemäß § 90 iVm § 138 BVergG 2006, andererseits in der durch diese Berichtigung der Ausschreibungsbedingungen herbeigeführten Intransparenz des Zuschlagskriteriums "Preis". Damit stützt die belangte Behörde die tragenden Gründe für die Nichtigerklärung der Ausschreibung jeweils auf den Inhalt der fünften Berichtigung vom 26. Oktober 2012.

Die Beschwerde bringt zusammengefasst vor, die belangte Behörde habe zu Unrecht die Überprüfung der Rechtskonformität der Berichtigung in das Nachprüfungsverfahren betreffend die Anfechtung der Ausschreibung miteinbezogen.

4.3.1. Dieser Argumentation ist im Ergebnis zu folgen: Dem Wortlaut des § 325 Abs. 1 Z. 1 BVergG 2006 zufolge hat das Bundesvergabeamt eine ergangene gesondert anfechtbare Entscheidung eines Auftraggebers mit Bescheid für nichtig zu erklären, wenn sie oder eine ihr vorangegangene nicht gesondert anfechtbare Entscheidung den Antragsteller in dem von ihm nach § 322 Abs. 1 Z. 5 BVergG 2006 geltend gemachten Recht verletzt. Die von der belangten Behörde als tragende Begründung für die Nichtigerklärung herangezogene fünfte Berichtigung stellt eine zeitlich nach der in Prüfung gezogenen Ausschreibung ergangene Entscheidung dar. Die Heranziehung der von der mitbeteiligten Partei vorgebrachten Rechtswidrigkeit der fünften Berichtigung zur Begründung der Nichtigerklärung der dieser Entscheidung zeitlich vorgelagerten Ausschreibung widersprach daher der Tatbestandsvoraussetzung des § 325 Abs. 1 Z. 1 BVergG 2006 (vgl. das hg. Erkenntnis vom 15. Dezember 2014, Zl. 2013/04/0119).

Die Berichtigung einer Ausschreibung stellt eine sonstige Festlegung während der Angebotsfrist gemäß § 2 Z. 16 lit. a sublit. aa BVergG 2006 und somit eine - eigenständige - gesondert anfechtbare Entscheidung dar (vgl. das hg. Erkenntnis vom 12. September 2013, Zl. 2010/04/0119, mit Verweis auf Thienel in Schramm/Aicher/Fruhmann/Thienel, Bundesvergabegesetz 2006 - Kommentar, 2. Lfg. (2012) § 312 Rz 156/1). Dass die Berichtigung der Ausschreibung im Fall der Nichtanfechtung - oder auch im Fall einer erfolglosen Anfechtung - bestandsfest wird und damit die Ausschreibung insoweit unanfechtbar modifiziert, ändert nichts daran, dass Rechtswidrigkeiten der Berichtigung nicht zum Gegenstand des die früher ergangene Ausschreibung betreffenden Nachprüfungsverfahrens gemacht werden dürfen, zumal diese jeweils gesondert anfechtbaren Entscheidungen voneinander abgrenzbar sind (vgl. zur Abgrenzbarkeit die hg. Erkenntnisse vom 17. Juni 2014, Zl. 2013/04/0029, und vom 12. September 2013, Zl. 2010/04/0119). Vielmehr können diese Rechtswidrigkeiten - auch wenn sie auf dem Inhalt der berichtigten Ausschreibungsbedingungen gründen - nur im Rahmen einer gesonderten Anfechtung der Berichtigung geltend gemacht werden. Prüfgegenstand eines die Ausschreibung betreffenden Nachprüfungsverfahrens ist demgegenüber die Ausschreibung unter Ausklammerung allfälliger Berichtigungen.

4.3.2. Die belangte Behörde war sohin nicht befugt, die vorgebrachten Rechtswidrigkeiten der Berichtigung im Rahmen der Nachprüfung der Ausschreibung aufzugreifen. Indem diese aber die Nichtigerklärung der Ausschreibung ausschließlich auf Rechtswidrigkeiten, die allenfalls die Berichtigung betreffen, stützte, hat sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhalts belastet.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Von der Durchführung der von den beschwerdeführenden Auftraggebern beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 4 VwGG abgesehen werden.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht (gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG sowie § 3 Z. 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013 idF BGBl. II Nr. 8/2014) auf den §§ 47 ff VwGG iVm § 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 21. Jänner 2015

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