VwGH 2011/22/0313

VwGH2011/22/031319.1.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok und die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder sowie die Hofrätinnen Mag. Merl und Dr. Julcher als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Zöchling, über die Beschwerde des MD in S, vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom 6. Dezember 2010, Zl. 156.120/2- III/4/10, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Normen

12010E020 AEUV Art20;
21970A1123(01) ZusProt AssAbk Türkei Art41 Abs1;
62011CJ0256 Dereci VORAB;
ARB1/80 Art13;
EURallg;
FrG 1997 §47 Abs2;
FrG 1997 §47 Abs3 Z1;
FrG 1997 §47 Abs3;
FrG 1997 §49 Abs1;
NAG 2005 §11 Abs2 Z4;
NAG 2005 §11 Abs5;
NAG 2005 §21 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
12010E020 AEUV Art20;
21970A1123(01) ZusProt AssAbk Türkei Art41 Abs1;
62011CJ0256 Dereci VORAB;
ARB1/80 Art13;
EURallg;
FrG 1997 §47 Abs2;
FrG 1997 §47 Abs3 Z1;
FrG 1997 §47 Abs3;
FrG 1997 §49 Abs1;
NAG 2005 §11 Abs2 Z4;
NAG 2005 §11 Abs5;
NAG 2005 §21 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Einleitend ist anzumerken, dass der Verwaltungsgerichtshof den hier gegenständlichen Fall dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens unterbreitet hat.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in diesem Vorabentscheidungsersuchen vom 5. Mai 2011, EU 2011/0004 bis 0008, zu dem hier relevanten Sachverhalt und dem Gang des Verwaltungsverfahrens Folgendes ausgeführt:

"Herr D(...) ist Staatsangehöriger der Türkei und kam im November 2001 unrechtmäßig nach Österreich. Hier stellte er einen Asylantrag, dem in erster Instanz keine Folge gegeben wurde. Dagegen erhob er Berufung. Am 12. August 2003 zog er den Asylantrag zurück. Der erstinstanzliche Asylbescheid wurde daraufhin von der Berufungsbehörde mit Erkenntnis vom 14. August 2003 ersatzlos behoben.

Am 24. Juli 2003 heiratete Herr D(...) eine österreichische Staatsbürgerin und stellte am 24. Juni 2004 einen Erstantrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung nach den damals geltenden Vorschriften des (am 31. Dezember 2005 außer Kraft getretenen) Fremdengesetzes 1997 (FrG). Nach den damals geltenden Vorschriften des FrG war er infolge seiner Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin berechtigt, den Antrag auf Erteilung der Niederlassungsbewilligung im Inland zu stellen und auch die Erledigung im Inland abzuwarten. Wäre über den Antrag noch vor Ablauf des 31. Dezember 2005 entschieden worden, so wären zu dessen Beurteilung - nach den damaligen innerstaatlichen Vorschriften ungeachtet dessen, ob ein unionsrechtlich relevanter grenzüberschreitender Sachverhalt vorgelegen wäre - dieselben Maßstäbe heranzuziehen gewesen, wie sie bei Angehörigen anderer Unionsbürger (in Umsetzung der unionsrechtlichen - damals: gemeinschaftsrechtlichen - Vorgaben) anzulegen waren.

In weiterer Folge wurde gegen Herrn D(...) ein Verfahren zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes eingeleitet und ein solches auch im Instanzenzug von der dafür zuständigen Verwaltungsbehörde erlassen. Dieses Aufenthaltsverbot wurde allerdings vom Verwaltungsgerichtshof infolge einer von Herrn D(...) dagegen erhobenen Beschwerde aufgehoben. Der Verwaltungsgerichtshof führte aus, die Verwaltungsbehörde habe nicht näher dargelegt, auf Grund welchen konkreten Verhaltens sie von einer durch Herrn D(...) hervorgerufenen Gefährdung ausgehe. Der bloße Hinweis, dass er im Jahr 1998 in der Türkei an einer strafbaren Handlung beteiligt gewesen und deswegen auch verurteilt worden sei, reiche nicht aus, um das Bestehen einer vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefährdung beurteilen zu können.

Daraufhin sahen die Verwaltungsbehörden von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen Herrn D(...) ab und führten seinen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels einer Erledigung zu. Seinem Antrag - mittlerweile hat Herr D(...) mit seiner Ehefrau drei gemeinsame in Österreich (im Jänner 2006, Mai 2007 und Juni 2008) geborene minderjährige Kinder, die ebenso wie die Ehefrau des Herrn D(...) österreichische Staatsbürger sind - wurde in erster Instanz keine Folge gegeben. Gleichzeitig wurde die Ausweisung des Herrn D(...) aus Österreich angeordnet, wobei seiner Berufung gegen den die Ausweisung aussprechenden Bescheid die aufschiebende Wirkung aberkannt wurde.

Gegen beide Entscheidungen erhob der Beschwerdeführer Berufung, wobei nach der österreichischen Rechtslage zur Entscheidung darüber unterschiedliche Behörden berufen sind. Mit dem nunmehr beim Verwaltungsgerichtshof in Beschwerde gezogenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Herrn D(...) hinsichtlich der Versagung eines Aufenthaltstitels ab. Eine Entscheidung über die Berufung gegen den Ausweisungsbescheid steht zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch aus.

In ihrer Begründung zur Versagung des Aufenthaltstitels stellte die belangte Behörde darauf ab, dass Herr D(...) zwar nach der im Zeitpunkt der Einbringung des Antrages geltenden Rechtslage den Antrag im Inland habe stellen und auch die Entscheidung im Inland hätte abwarten dürfen. Jedoch habe sich mit 1. Jänner 2006 - dem Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG) - die Rechtslage maßgeblich geändert. Ein den Beschwerdeführer begünstigender unionsrechtlich relevanter Sachverhalt liege nicht vor. Nach den nunmehr geltenden und daher anzuwendenden Bestimmungen des NAG hätte Herr D(...) ungeachtet dessen, dass er mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet sei, jedenfalls zumindest ab 1. Jänner 2006 die Erledigung seines Antrages im Ausland abwarten müssen. Er erfülle - insbesondere in Anbetracht seines unrechtmäßigen Aufenthaltes in Österreich - auch keinen Tatbestand, wonach es ihm ausnahmsweise erlaubt gewesen wäre, die Entscheidung im Inland abzuwarten. Da er auch nach dem 1. Jänner 2006 in Österreich geblieben sei, habe er entgegen den Bestimmungen des NAG die Entscheidung über seinen Antrag in Österreich abgewartet. Dies stehe der Erteilung des Aufenthaltstitels entgegen. Des Weiteren bezweifelte die belangte Behörde, dass Herr D(...) über ausreichende Mittel zur Bestreitung seines Unterhalts verfüge. Auf Grund der Geburt des dritten Kindes des Beschwerdeführers erhalte seine Ehefrau zwar Kinderbetreuungsgeld. Auch sei verzeichnet, dass sie Arbeitslosengeld erhalte. Ihr Einkommen reiche aber nicht aus, um zusätzlich zur Deckung ihrer eigenen Bedürfnisse und jener der Kinder auch noch die Unterhaltsmittel für ihren Ehemann, Herrn D(...), bereitzustellen. Auch werde das Kinderbetreuungsgeld demnächst wegfallen. Soweit Herr D(...) vorbringe, er könne im Falle der Erteilung eines Aufenthaltstitels eine Beschäftigung aufnehmen oder selbständig tätig sein, sei dies nicht durch entsprechend beweiskräftige Unterlagen nachgewiesen worden. Aber selbst wenn man das von ihm bekanntgegebene voraussichtlich künftig von ihm zu erwirtschaftende Einkommen berücksichtige, erreiche das nach den Vorschriften des NAG für die gesamte Familie, also unter Berücksichtigung seines Zuzuges, aufzubringende Familieneinkommen nicht den gesetzlich geforderten Betrag.

Zwar habe Herr D(...) - so die belangte Behörde abschließend in ihrer Beurteilung - geltend gemacht, dass es, auch wenn er nicht alle Voraussetzungen zur Erteilung des Aufenthaltstitels erfülle, infolge Art. 8 EMRK geboten sei, ihm einen Aufenthaltstitel zu erteilen. Jedoch erachte die belangte Behörde dies in seinem Fall als nicht zutreffend. Er sei im November 2001 unrechtmäßig in Österreich eingereist und habe sich anschließend bis August 2003 nur während seines Asylverfahrens auf Grund einer ihm deswegen gewährten vorläufigen Aufenthaltsberechtigung in Österreich aufhalten dürfen. Seit dem (infolge der Zurückziehung des Asylantrages eingetretenen) Abschluss des Asylverfahrens sei sein Aufenthalt unrechtmäßig. Sein Aufenthaltsstatus sei daher immer als unsicher anzusehen gewesen. Sein Familienleben sei während dieser Zeit des unsicheren Aufenthaltsstatus begründet worden. Sowohl er als auch seine Familienangehörigen hätten von dieser Unsicherheit auszugehen gehabt. Auch die Geburt der Kinder sei zu einer Zeit erfolgt, als der Beschwerdeführer unrechtmäßig in Österreich aufhältig gewesen sei, sohin sei auch dies in einer Zeit des unsicheren Aufenthaltsstatus gelegen. Der Beschwerdeführer verfüge aber auch über Familienangehörige in der Türkei, sodass er in seinem Heimatland Bindungen aufweise. Das Verhalten des Beschwerdeführers, nämlich nach unrechtmäßiger Einreise einen Asylantrag zu stellen, um sich einen vorläufigen rechtmäßigen Aufenthalt zu verschaffen und nach Abschluss des Asylverfahrens unrechtmäßig im Inland zu verbleiben, gefährde in massiver Weise das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung hinsichtlich der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens. Da die Begründung der familiären Beziehungen sohin zu einer Zeit erfolgt sei, zu der der Beschwerdeführer nicht mit einem Verbleib in Österreich habe rechnen können und seine Handlungsweise eine Umgehung von Einwanderungsbestimmungen darstelle, sei bei der nach Art. 8 EMRK gebotenen Abwägung dem öffentlichen Interesse Vorrang einzuräumen. Es sei kein ausreichender Grund erkennbar, dem Beschwerdeführer die Einwanderung ohne Einhaltung der entsprechenden gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren."

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegenständliche Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde, einem an den EuGH gerichteten Ersuchen um Vorabentscheidung, Ergehen des diesbezüglichen Urteils des EuGH vom 15. November 2011, C-256/11 , sowie Erstattung einer ergänzenden Stellungnahme durch den Beschwerdeführer erwogen:

Der EuGH hat die an ihn gerichteten Fragen des Verwaltungsgerichtshofes wie folgt beantwortet:

"1. Das Unionsrecht und insbesondere dessen Bestimmungen über die Unionsbürgerschaft sind dahin auszulegen, dass sie es einem Mitgliedstaat nicht verwehren, einem Drittstaatsangehörigen den Aufenthalt in seinem Hoheitsgebiet zu verweigern, wenn dieser Drittstaatsangehörige dort zusammen mit einem Familienangehörigen wohnen möchte, der Unionsbürger ist, sich in diesem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, aufhält und nie von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat, sofern eine solche Weigerung nicht dazu führt, dass dem betreffenden Unionsbürger der tatsächliche Genuss des Kernbestands der Rechte, die der Unionsbürgerstatus verleiht, verwehrt wird; dies zu prüfen, ist Sache des vorlegenden Gerichts.

2. Art. 41 Abs. 1 des am 23. November 1970 in Brüssel unterzeichneten und durch die Verordnung (EWG) Nr. 2760/72 des Rates vom 19. Dezember 1972 im Namen der Gemeinschaft geschlossenen, gebilligten und bestätigten Zusatzprotokolls ist dahin auszulegen, dass der Erlass einer Neuregelung, die restriktiver ist als die Vorgängerregelung, mit der ihrerseits eine frühere Regelung gelockert wurde, die die Bedingungen für die Ausübung der Niederlassungsfreiheit türkischer Staatsangehöriger zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Zusatzprotokolls im Hoheitsgebiet des fraglichen Mitgliedstaats betraf, als 'neue Beschränkung' im Sinne dieses Artikels anzusehen ist."

Unter Bedachtnahme auf dieses Urteil des EuGH erweist sich der angefochtene Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhalts behaftet.

Die belangte Behörde hätte nämlich bei ihrer Entscheidung diese - vom EuGH nunmehr klargestellte - Rechtslage zu beachten und zunächst Feststellungen dahingehend zu treffen gehabt, die eine Beurteilung ermöglicht hätten, ob eine Weigerung, dem Beschwerdeführer einen Aufenthaltstitel in Österreich zu erteilen, dazu führen würde, dass seiner die österreichische Staatsbürgerschaft besitzenden Ehefrau oder seinen Kindern, die ebenfalls österreichische Staatsbürger sind, der tatsächliche Genuss des Kernbestands der Rechte, die der Unionsbürgerstatus verleiht, verwehrt wird (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. Dezember 2011, 2009/22/0054). Dieses Kriterium der Verwehrung des Kernbestands der Rechte, die der Unionsbürgerstatus verleiht, bezieht sich dem genannten Urteil des EuGH zufolge auf Sachverhalte, die dadurch gekennzeichnet sind, dass sich der Unionsbürger de facto gezwungen sieht, nicht nur das Gebiet des Mitgliedstaates, dem er angehört, zu verlassen, sondern das Gebiet der Union als Ganzes (Randnr. 66 des Urteiles). Die bloße Tatsache, dass es für einen Staatsbürger eines Mitgliedstaates aus wirtschaftlichen Gründen oder zur Aufrechterhaltung der Familiengemeinschaft im Gebiet der Union wünschenswert erscheinen könnte, dass Familienangehörige, die nicht die Staatsbürgerschaft eines Mitgliedstaats besitzen, sich mit ihm zusammen im Gebiet der Union aufhalten können, rechtfertigt für sich genommen allerdings nicht die Annahme, dass der Unionsbürger gezwungen wäre, das Gebiet der Union zu verlassen, wenn dem Familienangehörigen kein Aufenthaltsrecht gewährt würde (Randnr. 68 des EuGH-Urteiles).

Da der Schutz der Rechte aus dem Unionsbürgerstatus mit dem Recht auf Achtung des Familienlebens nach Art. 8 EMRK nicht gleichzusetzen ist, sondern eine andere Zielrichtung aufweist und daher bisher nicht Gegenstand des behördlichen Verfahrens war, wird die belangte Behörde im fortzusetzenden Verfahren dem Beschwerdeführer Gelegenheit zu geben haben, dazu relevante Umstände vorzubringen, sowie Feststellungen zu treffen haben, die eine Beurteilung im oben angeführten Sinn ermöglichen.

Darüber hinaus stellt sich im vorliegenden Fall - insbesondere für den Fall, dass der Beschwerdeführer aus Art. 20 AEUV keine Rechte ableiten könnte - als relevant dar, dass der Beschwerdeführer türkischer Staatsangehöriger ist. Wie der EuGH in seinem oben angeführten Urteil vom 15. November 2011 des Weiteren näher dargelegt hat, ist es auf Grund der auf den Beschwerdeführer - er strebt (neben der Familienzusammenführung auch) den Zugang zu einer Erwerbstätigkeit in Österreich an - anwendbaren "Stillhalteklauseln" nicht mit diesen vereinbar, seinen Fall einer restriktiveren Regelung zu unterwerfen, als sie eine frühere Rechtslage vorgesehen hat, mit denen solche Regelungen bereits gelockert worden waren.

Im vorliegenden Fall ist nun mit Blick auf § 49 Abs. 1 FrG davon auszugehen, dass sich mit dem In-Kraft-Treten des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG) am 1. Jänner 2006 die Bedingungen (auch) für türkische Staatsangehörige, die Angehörige von Österreichern sind, zum Zweck (auch) einer Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet Aufenthalt nehmen zu dürfen, verschärft haben. Gemäß § 49 Abs. 1 FrG - unter Berücksichtigung der vor dem FrG geltenden Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes und des Fremdengesetzes 1992 stellt sich diese Bestimmung in ihrer Gesamtheit für einen Fall, wie er hier vorliegt, als die günstigste dar - genossen Angehörige von Österreichern gemäß § 47 Abs. 3 FrG, die Staatsangehörige eines Drittstaates sind, Niederlassungsfreiheit. Nach § 47 Abs. 3 Z 1 FrG gilt als Angehöriger eines Österreichers im Sinn des § 49 Abs. 1 FrG sein Ehegatte. Für Ehegatten von Österreichern galten, sofern das FrG nichts anderes anordnete, gemäß § 49 Abs. 1 FrG die Bestimmungen für begünstigte Drittstaatsangehörige nach dem ersten Abschnitt des vierten Hauptstückes des FrG. Ihnen war nach § 49 Abs. 1 iVm § 47 Abs. 2 eine Niederlassungsbewilligung auszustellen, wenn ihr Aufenthalt nicht die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet. Nach dieser Bestimmung waren somit - weitergehende - Voraussetzungen, wie sie § 11 Abs. 2 Z 4 iVm Abs. 5 NAG (bezugnehmend auf Unterhaltsmittel) festlegt, nicht angeordnet. Vielmehr war selbst bei geringen Unterhaltsmitteln zu beurteilen, ob im Sinn der genannten Bestimmungen des FrG eine Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit - gemessen an den für unionsrechtlich begünstigte Fremde festgelegten Maßstäben (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 31. Mai 2000, Zl. 99/18/0399, Pkt. 2.1.1., mwN) - vorliegt, die es rechtfertigt, die Erteilung der Niederlassungsbewilligung zu versagen. Des Weiteren durften die von § 49 Abs. 1 FrG erfassten Fremden jedenfalls - anders als es seit 1. Jänner 2006 § 21 Abs. 1 NAG vorsieht - auch den Antrag auf erstmalige Erteilung eines Aufenthaltstitels im Inland stellen und die Entscheidung über diesen Antrag hier abwarten. Die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit war Inhabern eines nach § 49 Abs. 1 FrG ausgestellten Aufenthaltstitels im Übrigen nicht verwehrt.

Die hier relevante Rechtslage des NAG erweist sich somit gegenüber der früheren Rechtslage der hier in Betracht zu ziehenden Bestimmungen des FrG als verschärft. Diese Verschärfung stellt für eine Konstellation, wie sie hier vorliegt, eine neue Beschränkung der Möglichkeit der Aufenthaltsnahme und sohin auch der Möglichkeit, eine Erwerbstätigkeit in Österreich aufzunehmen, für türkische Staatsangehörige dar. Nach dem oben genannten Urteil des EuGH ist eine solche Verschärfung aber nicht mit den unionsrechtlichen Vorgaben, die sich aus den den türkischen Staatsangehörigen zugutekommenden Stillhalteklauseln ergeben, vereinbar (vgl. Randnr. 95 ff).

Somit hätte die belangte Behörde die Voraussetzungen zur Erteilung eines Aufenthaltstitels nicht anhand der Bestimmungen des NAG, sondern anhand der (für den Beschwerdeführer günstigeren) Bestimmungen des FrG - ungeachtet dessen mittlerweile erfolgten Außer-Kraft-Tretens - zu messen gehabt (vgl. zum Ganzen auch das eine Ausweisung nach § 54 Fremdenpolizeigesetz 2005 zum Gegenstand habende hg. Erkenntnis vom 15. Dezember 2011, 2007/18/0430).

Der angefochtene Bescheid ist sohin mit Rechtswidrigkeit seines Inhalts belastet, weshalb er aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Das auf Ersatz von Aufwendungen wegen der Teilnahme an der Verhandlung vor dem EuGH im Verfahren wegen Vorabentscheidung abzielende Mehrbegehren nach dem RATG war abzuweisen, weil der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zufolge die Normen des VwGG dafür keine Grundlage bieten (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 24. Juni 2009, 2008/05/0277, mwN). Von dieser Judikatur abzuweichen sieht der Gerichtshof auch unter Bedachtnahme auf die Ausführungen des Beschwerdeführers keinen Anlass.

Wien, am 19. Jänner 2012

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