VwGH 2011/22/0099

VwGH2011/22/009913.11.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger und die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des E, vertreten durch Maga. Doris Einwallner, Rechtsanwältin in 1050 Wien, Schönbrunnerstraße 26/3, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom 6. Dezember 2010, Zl. 156.398/3-III/4/10, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Normen

12010E020 AEUV Art20;
62011CJ0256 Dereci VORAB;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66;
12010E020 AEUV Art20;
62011CJ0256 Dereci VORAB;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den am 24. September 2009 bei der österreichischen Botschaft in Abuja eingebrachten Antrag des Beschwerdeführers, eines nigerianischen Staatsangehörigen, auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Familienangehöriger" gemäß § 47 Abs. 2, § 11 Abs. 2 Z 4 und § 11 Abs. 5 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.

Zur Begründung führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer sei am 4. November 2003 illegal in das Bundesgebiet eingereist und habe einen Asylantrag eingebracht. Nach Abweisung des Asylantrages habe der Beschwerdeführer das Bundesgebiet verlassen. Letztmalig sei er in Österreich bis 15. Juni 2009 gemeldet gewesen. Am 14. Juli 2009 habe er in Nigeria eine österreichische Staatsbürgerin geheiratet.

Gemäß § 11 Abs. 2 Z 4 NAG dürften Aufenthaltstitel einem Fremden nur erteilt werden, wenn der Aufenthalt des Fremden zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte. Nach den Richtsätzen des § 293 ASVG hätte der Antragsteller Unterhaltsmittel für ein im gemeinsamen Haushalt lebendes Ehepaar von EUR 1.175,45 und für ein minderjähriges Kind von EUR 120,96 nachweisen müssen. Die Ehefrau des Beschwerdeführers müsste demnach (unter Berücksichtigung von EUR 150,-- für Miete zuzüglich EUR 235,-- für eine monatliche Kreditrate abzüglich EUR 250,50 als Wert der freien Station) über ein monatliches Nettoeinkommen von EUR 1.430,91 verfügen. Die Ehefrau des Beschwerdeführers sei seit 1. Jänner 2005 selbständig erwerbstätig und weiters seit 15. Juni 2010 Angestellte im Unternehmen ihres Sohnes. Das durchschnittliche Nettomonatseinkommen aus der unselbständigen Beschäftigung betrage EUR 754,59. Das Einkommen der Ehefrau des Beschwerdeführers aus der selbständigen Tätigkeit betrage laut Einkommensteuerbescheid 2008 lediglich EUR 3.964,77 im Jahr. Den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2009 habe sie nicht vorgelegt. Es sei nur eine Bestätigung der Steuerberaterin vorgelegt worden, aus der hervorgehe, dass die Ehefrau des Beschwerdeführers monatlich EUR 1.400,-- "aus der Geschäftskasse entnehme". Somit liege das Einkommen unter den sich aus § 293 ASVG ergebenden Richtsätzen.

In der weiteren Begründung nahm die belangte Behörde eine Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK zu Lasten des Beschwerdeführers vor.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde - in einem nach § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat - erwogen:

Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat im Urteil vom 15. November 2011, C-256/11 "Dereci u.a.", ausgesprochen, dass Art. 20 AEUV nationalen Maßnahmen entgegensteht, die bewirken, dass den Unionsbürgern der tatsächliche Genuss des Kernbestands der Rechte, die ihnen dieser Status verleiht, verwehrt wird. Das Kriterium der Verwehrung des Kernbestands der Rechte, die der Unionsbürgerstatus verleiht, bezieht sich auf Sachverhalte, die dadurch gekennzeichnet sind, dass sich der Unionsbürger de facto gezwungen sieht, nicht nur das Gebiet des Mitgliedstaats, dem er angehört, sondern das Gebiet der Union als Ganzes zu verlassen. Sollten derartige Gründe - der bloße Wunsch nach Aufrechterhaltung der Familiengemeinschaft im Gebiet der Union reicht allerdings nicht aus - bestehen, würden sowohl die gegenüber einem Fremden ausgesprochene Anordnung, das Bundesgebiet wegen des unrechtmäßigen Aufenthalts zu verlassen, als auch die Verweigerung eines Aufenthaltstitels gegenüber dem Angehörigen des Unionsbürgers dem Unionsrecht widersprechen und daher nicht zulässig sein (vgl. für viele die hg. Erkenntnisse vom 19. Jänner 2012, 2011/22/0309, und vom 19. September 2012, 2009/22/0339).

Die Behörde wird daher im fortzusetzenden Verfahren nach Einräumung von Parteiengehör - diese Frage ist nicht mit der Beurteilung nach Art. 8 EMRK gleichzusetzen und war bisher nicht Gegenstand des behördlichen Verfahrens - entsprechende Feststellungen zu treffen haben.

Der angefochtene Bescheid war somit nach dem oben Gesagten - ohne das Ergebnis der behördlichen Interessenabwägung im Blick auf Art. 8 EMRK einer Prüfung zu unterziehen - gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 13. November 2012

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