VwGH 2011/09/0021

VwGH2011/09/002128.2.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok und die Hofräte Dr. Rosenmayr, Dr. Bachler, Dr. Strohmayer und Dr. Doblinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Senft, über die Beschwerde des WL in S, vertreten durch Dr. Franz Lima, Rechtsanwalt in 2320 Schwechat, Himbergerstraße 1, gegen den Bescheid der Disziplinaroberkommission beim Bundeskanzleramt vom 8. September 2010, Zl. 25/13 - DOK/10, betreffend Zurückweisung einer Berufung in einer Angelegenheit des Beamten-Dienstrechtsgesetzes 1979, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §37;
AVG §45 Abs2;
AVG §52;
AVG §9;
ZustG §13 Abs1;
AVG §37;
AVG §45 Abs2;
AVG §52;
AVG §9;
ZustG §13 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Der im Jahr 1963 geborene Beschwerdeführer war bis zu seiner Entlassung als Revierinspektor der Bundespolizeidirektion Wien in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund. Mit Bescheid vom 11. Juni 2002 wurde über den Beschwerdeführer gemäß § 92 Abs. 1 Z. 4 des Beamten-Dienstrechtsgesetzes 1979 (BDG 1979) die Disziplinarstrafe der Entlassung verhängt, und zwar wegen der Vorwürfe er sei schuldig, 1. am 5. Oktober 2001 im Rahmen einer Abschiebung von Schubhäftlingen am Flughafen Wien Schwechat - das Tragen von Zivilkleidung ist vorgeschrieben - mangelhaft adjustiert gewesen zu sein, da die Dienstpistole bzw. die Tragplatte der Dienstwaffe sichtbar gewesen ist, 2. seine Dienstpistole in der Folge in einer Sporttasche verwahrt und diese unbeaufsichtigt am Gehsteig stehen gelassen zu haben, 3. den Kollegen Rev.Insp. U. ordinärst beschimpft zu haben mit den Worten wie "willst a Watschn, bist ein Kollege oder ein Arschloch" (Anonymisierungen durch den Verwaltungsgerichtshof). Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer durch persönliche Übergabe am 28. Juni 2002 zugestellt. Eine Berufung hat der Beschwerdeführer sodann nicht erhoben. In den Akten des Verwaltungsverfahrens findet sich ein Aktenvermerk vom 24. Juni 2002, wonach der Beschwerdeführer am 23. Juni 2002 durch Chefinspektor B telefonisch erreicht werden konnte und auf die Frage, warum er nicht gegen das Disziplinarerkenntnis Berufung erhoben habe, angegeben habe: "Er möchte dazu nichts sagen".

Mit Beschluss des Bezirksgerichtes Schwechat vom 18. Jänner 2010 wurde für den Beschwerdeführer gemäß § 268 Abs. 3 Z. 2 ABGB für folgende Angelegenheiten ein Sachwalter bestellt:

"Vertretung vor Gerichten, Behörden und Sozialversicherungsträgern, Verwaltung von Einkünften, Vermögen und Verbindlichkeiten; Vertretung bei Rechtsgeschäften, die über Geschäfte des täglichen Lebens hinausgehen; Personensorge" und von einem dazu befugten Verein Dr. H. H. mit der Wahrnehmung der Sachwalterschaft für den Beschwerdeführer betraut.

Mit Schriftsatz vom 16. März 2010 erhob Dr. H. H. namens des

Beschwerdeführers gegen das Disziplinarerkenntnis der

Disziplinarkommission vom 11. Juni 2002, mit welchem gegen den

Beschwerdeführer die Disziplinarstrafe der Entlassung verhängt

worden war, Berufung und führte aus, dass schon in diesem Bescheid

der Beschwerdeführer wie folgt beschrieben worden sei: Er sei "oft

geistig abwesend gewesen ... sein Verhalten war von Einfältigkeit,

Naivität und Sorglosigkeit, sowie von Unwilligkeit, Unvermögen,

mangelhaftem Auftreten geprägt gewesen". Er sei "offensichtlich

unfähig, sich in eine Gruppe oder Gemeinschaft zu integrieren,

stelle jede dienstliche Anordnung in Frage ... und ist als

unberechenbarer und uneinsichtiger Beamter einzustufen". Diese beschriebenen Verhaltensweisen ließen nur den Schluss zu, dass der Beschwerdeführer schon damals massiv unter einer psychiatrischen Erkrankung gelitten habe, die mangels Schuldfähigkeit nicht zu einer Entlassung, sondern zu einer Pensionierung hätte führen müssen. Sogar zwei damalige Kollegen des Beschwerdeführers, die als Zustellorgane für die Ladung zur Verhandlung im Disziplinarverfahren eingesetzt gewesen seien, hätten erhebliche Bedenken an der psychischen Gesundheit des Beschuldigten geäußert (und dies in einem Bericht vom 6. März 2002 festgehalten, in diesem Bericht ist nach der Aktenlage darauf hingewiesen, dass der Beschwerdeführer eine schriftliche Vorladung zum polizeilichen Chefarzt nicht unterschriftlich bestätigen habe wollen, sondern dies erst nach mehrmaliger Nachfrage getan habe. Die Art der Gesprächsführung wurde von diesem Kontrollteam insoferne als ungewöhnlich bewertet, als es als unwahrscheinlich erscheine, dass der Beschwerdeführer allgemein anerkannte Verhaltensnormen, wie sie das Zusammenleben von "Durchschnittsmenschen" verlange, einhalten könne. Es erscheine nach der laienhaften Ansicht der Beamten erforderlich, die Exekutivdienstfähigkeit des Beschwerdeführers auch unter Beiziehung von Fachleuten aus dem psychologischen, evtl. sogar psychiatrischen, Bereich zu überprüfen, das Kontrollteam gehe derzeit nicht davon aus, dass der SWB Kontakt mit Bürgern, noch dazu mit Dienstwaffe und eventuell in Ausnahmesituationen, ausgesetzt werden sollte. Dem Erfordernis der Zuverlässigkeit sei schon im Zustand seiner Wohnung, soweit wahrnehmbar, wohl nicht Genüge getan).

In der Berufung wurde weiters ausgeführt, dass diese Bedenken zu keiner entsprechenden Untersuchung durch einschlägige Ärzte, sondern nur zu einer Untersuchung im Hinblick auf eine vom Beschwerdeführer damals behauptete Meniskusverletzung geführt hätten. Der Beschwerdeführer sei zur mündlichen Verhandlung vor der Behörde erster Instanz nicht erschienen und es habe den Anschein, als wäre der Senatsvorsitzende persönlich beleidigt gewesen, und erst dies habe zur Entlassung geführt. Zur Rechtzeitigkeit der Berufung wurde vorgebracht, dass der Beschwerdeführer bereits im Jahre 2002 offensichtlich geschäftsunfähig gewesen sei, weswegen eine wirksame Zustellung des angefochtenen Bescheides an ihn nicht möglich gewesen sei. Dem im Akt einliegenden Sachverständigengutachten des Dr. M. sei zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer unter einer Schizophrenie, paranoiden Subtyps leide und auf Grund der Symptomatik sei davon auszugehen, dass diese Erkrankung bereits im Jahr 2002 und davor bestanden habe.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung keine Folge. Die belangte Behörde begründete ihre Entscheidung im Wesentlichen wie folgt:

"Unbestritten ist, dass das in Berufung gezogene Disziplinarerkenntnis vom 11. Juni 2002 dem Beschuldigten am 28. Juni 2002 um 13.00 Uhr durch persönliche Übergabe überreicht und dies vom Beschuldigten mittels Unterschrift bestätigt wurde (GZ 80-DK/11/2001, an AS 309 angeheftet). Unbestritten ist auch, dass vom Beschuldigten in der daran anschließenden 2wöchigen Berufungsfrist kein Rechtsmittel gegen dieses Disziplinarerkennis eingebracht wurde. Bestritten wird allerdings, dass es sich bei dieser Übergabe des Disziplinarerkenntnisses an den Beschuldigten um eine rechtsgültige Zustellung gehandelt hat, da 'der Beschuldigte bereits im Jahre 2002 offensichtlich geschäftsunfähig war, weswegen eine wirksame Zustellung des angefochtenen Bescheides an ihn nicht möglich war'. Auf Grund der Symptomatik sei davon auszugehen, 'dass diese Erkrankung bereits im Jahre 2002 und davor bestanden hat'.

Das vom Mitte Jänner 2010 bestellten Sachwalter, Dr. H. H., mitübermittelte psychiatrisch-neurologische Gutachten vom 15. Oktober 2009 trifft zwar nähere Aussagen zum damaligen Krankheitsbild des Beschuldigten, enthält jedoch keine Angaben dazu, wie ein derartiger Befund für Mitte des Jahres 2002 lauten würde. Aus den Gutachtensausführungen, dass die beim Untersuchten vorgefundene schizophrene Entwicklung einen 'deutlichen Leistungsknick' zeigt sowie daraus, dass sich in den Auffälligkeiten seines Verhaltens und Denkens 'eine deutlich ausgeprägte Minussymptomatik' findet, ergibt sich jedoch, dass der Gutachter Univ.-Doz. Dr. K. M., Facharzt für Psychiatrie und Neurologie, nicht von einem seit nahezu einem Jahrzehnt gleichgebliebenen Krankheitsbild ausgegangen ist, sondern dass sich dieses im Laufe der Zeit vor der Gutachtenserstellung deutlich verschlechtert hat ('deutlicher Leistungsknick', 'deutliche Minussymptomatik'). Es kann daher nicht die Rede davon sein, dass 'aufgrund der Symptomatik' diese Erkrankung bereits 2002 (und davor) bestanden hat, sondern es unterliegt auch ein schizophrenes Krankheitsbild einer zeitlichen Entwicklung, die von einem Zustand der Gesundheit über den Krankheitsbeginn und ein anschließendes leichtes und dann mittleres Stadium zu einem derartigen Stadium fortschreitet, ab welchem die Bestellung eines Sachwalters erforderlich ist.

Indem der Anfang 2010 auf Grund dieses Gutachtens bestellte Sachwalter geltend macht, die Mitte 2002 erfolgte Zustellung sei infolge Geschäftsunfähigkeit unwirksam gewesen, wird von diesem mangelnde Prozessfähigkeit behauptet. Entscheidend für die Frage des Vorliegens oder Nichtvorliegens der Prozessfähigkeit des Beschuldigten ist, ob dieser zum damaligen Zeitpunkt noch oder nicht mehr in der Lage war, Bedeutung und Tragweite des Verfahrens und der sich in diesem ereignenden prozessualen Vorgänge zu erkennen, zu verstehen und sich den Anforderungen eines derartigen Verfahrens entsprechend zu verhalten. Dies wird vom Sachwalter des Beschuldigten unter Bezugnahme auf die Übergabe des Disziplinarerkenntnisses vom 11. Juni am 28. Juni 2002 dahingehend bestritten, dass der Beschuldigte bereits zum damaligen Zeitpunkt nicht mehr in der Lage gewesen sei zu erkennen, dass mit dieser Übergabe und deren Bestätigung die Rechtswirkungen der Zustellung, nämlich der Beginn des Laufes seiner Berufungsfrist, ausgelöst worden sind und der Beschuldigte somit in Unverständnis der Rechtsfolge des Rechtskrafteintrittes nach Ablauf der Berufungsfrist kein Rechtsmittel gegen die über ihn verhängte Disziplinarstrafe der Entlassung erhoben hat.

Diesem Vorbringen vermag der erkennende Senat der DOK jedoch aus mehreren Gründen nicht zu folgen:

Abgesehen davon, dass das in Berufung gezogene Disziplinarerkenntnis auf Seite 29 eine korrekte Rechtsmittelbelehrung beinhaltet, hat der Beschuldigte im Wintersemester 1992 ein Studium der Rechtswissenschaften inskribiert, dessen ersten Studienabschnitt er mit der Gesamtnote 'bestanden' am 3. März 1995 erfolgreich beendet hat, woraufhin er den 2. Studienabschnitt - wenn auch weniger erfolgreich als den ersten - in Angriff genommen und dort am 5. Juni 2001 die schriftliche Diplomprüfung aus Strafrecht mit der Note 'genügend' und am 22. November 2001 die mündliche Diplomprüfung aus Strafrecht mit der Note 'befriedigend' abgelegt hat. Sein Antritt bei der Diplomarbeit aus Strafrecht am 8. Juni 2002, also 11 Tage nach der mündlichen Disziplinarverhandlung in seiner Causa sowie 20 Tage vor Zustellung seines Disziplinarerkenntnisses, war allerdings von weniger Erfolg gekrönt, dort lautete seine Benotung auf 'nicht genügend'. Soweit dem vorgelegten Ausdruck der zweiten Diplomprüfungskommission für das Studium der Rechtswissenschaften zu entnehmen ist, war dies der letzte Prüfungsantritt des Beschuldigten in diesem Studium.

Des Weiteren hat der Beschuldigte im Jahre 1993 an der kath.- theol. Fakultät der Universität Wien inskribiert und dort ebenfalls den ersten Studienabschnitt absolviert sowie im

2. Studienabschnitt einige Prüfungen erfolgreich absolviert und zwar 3mal mit der Note 'gut', einmal 'sehr gut' und einmal 'befriedigend', wobei alle Noten 'gut' im Jahre 2002 erzielt wurden, nämlich im April, im Juni (nämlich am 28. Juni!) sowie im November. Im Jahre 2003 hat der Beschuldigte weitere Prüfungen an der kath.-theol. Fakultät der Universität Wien abgelegt, und zwar in den Monaten Jänner, März und Juni, und dabei 4mal die Note 'sehr gut' und einmal die Note 'gut' erhalten.

Bei entsprechender Würdigung dieses vor allem in Theologie beachtlichen Studienerfolges sowie seines auch in den Rechtswissenschaften, nämlich in Verfassungsrecht und in Strafrecht, positiven Studienerfolges vermag der erkennende Senat der DOK vor diesem Hintergrund dem Argument des Sachwalters, der Beschuldigte habe die Bedeutung des Rechtsvorganges der Zustellung seines Disziplinarerkenntnisses an ihn zu einem Zeitpunkt, zu dem er bereits zwei juristische Kernfächer erfolgreich absolviert hatte und gerade eine Prüfung aus Theologie erfolgreich mit 'gut' bestanden hat, nicht zu folgen.

Der erkennende Senat der DOK übersieht in diesem Zusammenhang nicht, dass der Beschuldigte gelegentlich verhaltenskreativ auffällig geworden ist und im Hinblick darauf sowie allfällige Dienstpflichtverletzungen mehrmals einer chefärztlichen Kontrolle unterzogen wurde. Diese Untersuchungen haben jedoch keinerlei Hinweise dahingehend erbracht, dass der Beschuldigte Mitte 2002 (oder bereits davor) prozessunfähig gewesen wäre.

So hat die chefärztliche Untersuchung am 20. Dezember 1989 ergeben, dass für eine echte psychische Erkrankung weder die Vorgeschichte noch der Eindruck aus dem Gespräch mit dem Chefarzt sprechen (Chefarzt-Stellvertreter Dr. med. L.H.). Am 30. April 1990 wurde von Dr. L.H. festgestellt, dass keine psychischen Auffälligkeiten zu erkennen sind. Nach einem neuerlichen Vorfall fahrlässiger Waffenhandhabung (der Beschuldigte hatte einem Kollegen, den er vom fallweisen Konsum von Pornofilmen und als Erzähler obszöner Witze relativ gut kannte, das Sturmgewehr von hinten zwischen die Beine geschoben, sodass dieser es beim Händewaschen sehen musste und mit einer Erektion assoziieren konnte) wurde von Dr. L.H. am 16. Jänner 1991 eine Untersuchung des Beschuldigten an der Psychiatrischen Universitätsklinik veranlasst, welches Gutachten vom 3. Februar 1991 ergeben hat, dass der Beschuldigte bewusstseinsklar, sein Auffassungsvermögen und seine Merkfähigkeit intakt, seine Intelligenzleistung durchschnittlich sowie Konzentrations- und Aufmerksamkeitsleistung ohne Auffälligkeiten gewesen sind. Betreffend seine Arbeitssituation wurde festgehalten, dass er eine 'Neigung zur großzügigen Auslegung von Dienstvorschriften' hatte und es wurden 'geringfügige Bagatellisierungstendenzen' festgestellt. Festgehalten wurde weiters ein IQ von 108, dass seine Gedächtnisleistung sehr gut gewesen ist sowie dass sich der Beschuldigte damals im dritten Schuljahr einer Abendschule befunden hat. Auf Basis dieses Gutachtens hielt Dr. L.H. am 2. April 1991 fest, dass der Beschuldigte keine psychotischen Erkrankungen aufweist und erklärte ihn voll exekutivdienstfähig zum Dienst mit der Waffe.

Nachdem beim Beschuldigten Mitte des Jahres 1996 seltsame Verhaltensweisen festgestellt wurden (er hatte während des Nachtdienstes um ca. 22.00 Uhr eine Sonnenbrille getragen und sei einmal voll adjustiert im Waschraum hinter dem Duschvorhang die Wand anstarrend angetroffen worden) und der Verdacht auf eine psychische Erkrankung nicht ausgeschlossen werden konnte, wurde der Beschuldigte am 9. Oktober 1996 erneut - diesmal von Chefarzt OMR HR Dr. K. S. - polizeichefärztlich untersucht, wobei die gemeldeten Vorfälle ausführlich besprochen wurden und der Beschuldigte für alle Vorkommnisse eine plausible Erklärung abgab. In beiden inskribierten Studienrichtungen - Rechtswissenschaften und Theologie - hatte der Beschuldigte zu diesem Zeitpunkt bereits die jeweils ersten Studienabschnitte erfolgreich absolviert. Er gab damals auch an, mit seiner Stellung im Polizeidienst durchaus zufrieden zu sein, da sie ihm die Gelegenheit gab, seiner geisteswissenschaftlichen Neigung nachzugehen. Der Beschuldigte hatte zwar eine introvertierte Persönlichkeit, ist jedoch dienstfähig und nicht psychisch krank gewesen.

Im Zusammenhang mit der Prioritätensetzung des Beschuldigten ist auf den Aktenvermerk von Mj. A. vom 3. August 2001 hinzuweisen, worin festgehalten wurde, dass beim Gefertigten der Eindruck entstanden ist, dass dem Beschuldigten sein Studium wichtiger sei als sein Beruf, der Beschuldigte habe den Eindruck vermittelt, nicht ganz bei der Sache zu sein und dass der Dienstbetrieb nebensächlich sei. Für ihn sei wichtig, eine Dienststelle zu finden, wo er sich ausschließlich seinem Studium widmen könne und durch seine polizeiliche Tätigkeit an diesem nicht gehindert werde.

Zum gleichen Ergebnis wie der Befund und das Gutachten vom 9. Oktober 1996 kommt exakt 5 Jahre danach der polizeichefärztliche Befund und das Gutachten vom 9. Oktober 2001, anlässlich welchen die in weiterer Folge zur Disziplinarstrafe der Entlassung geführt habenden Vorkommnisse am Schwechater Flughafen ausführlich besprochen wurden und festgestellt wurde, dass der Beschuldigte zeitlich und räumlich orientiert und sein Gedankenlauf geordnet ist. Hinweise auf Konzentrationsstörungen oder eine psychische Erkrankung lagen ebenfalls nicht vor, sodass der Beschuldigte weiterhin als ohne Einschränkungen dienstfähig beurteilt wurde.

Ein mit dem AV vom 3. August 2001 übereinstimmender Inhalt findet sich in der formlosen Dienstbeschreibung des Beschuldigten vom 21. März 2002, worin u.a. festgehalten wurde, dass der Beschuldigte während seiner Zuteilung wenig Interesse für seinen Dienst gezeigt habe und von seinen Kollegen aufgrund seines Desinteresses als Belastung empfunden worden sei. Sein Verhalten sei einfältig, naiv, sorglos und unwillig gewesen, sein Auftreten und Verhalten mangelhaft. Selbiges lässt sich dem Bericht des Kontrollteams entnehmen, das den Beschuldigten am 6. März 2002 an seiner Wohnadresse aufgesucht hat.

Auf Grund der Wahrnehmungen des Kontrollteams wurde der Beschuldigte am 7. März 2002 erneut polizeichefärztlich untersucht und begutachtet, wobei der Beschuldigte als zeitlich und räumlich orientiert, manchmal einen etwas abweisenden Eindruck machend und sprunghaft in seinen Gedankengängen diagnostiziert und sein Krankenstand als gerechtfertigt befundet wurde. Bei einer neuerlichen Untersuchung am 20. März 2002 wurde der Beschuldigte als zeitlich und räumlich voll orientiert und ruhig befundet, im Gedankengang war er stets nachvollziehbar und er machte einen motivierten Eindruck, bei ihm handle es sich sicherlich um eine eigenständige Persönlichkeit. Der Beschuldigte wurde daher am 21. März 2002 dienstfähig geschrieben.

Auf Grund all' dieser Untersuchungen und Begutachtungen des Beschuldigten vermag der erkennende Senat der DOK dem Berufungsvorbringen, das erstinstanzliche Verfahren sei mangelhaft geblieben, weil die durchaus indizierte Überprüfung der geistigen Gesundheit des Beschuldigten unterblieben sei, nicht zu folgen, denn tatsächlich haben sich die erstinstanzliche Disziplinarkommission sowie der Dienstgeber über einen mehrjährigen Zeitraum hinweg sehr intensiv mit der geistigen Gesundheit des Beschuldigten auseinandergesetzt und im Gegensatz zum Sachwalter des Beschuldigten keine Hinweise auf die von diesem behauptete Prozessunfähigkeit gefunden. Im Übrigen geht auch der Sachwalter des Beschuldigten davon aus, dass der Beschuldigte damals zumindest nicht dienstunfähig war, wenn er in seinem Berufungsschriftsatz ausführt, dass eine Nachschulung und/oder eine Versetzung des Beschuldigten zu einem anderen Dienstposten (Innendienst) oä. ausgereicht hätte, diesen von weiteren Dienstpflichtverletzungen abzuhalten.

Am 27. März 2002 wurde in einer weiteren formlosen Dienstbeschreibung des Beschuldigten festgehalten, dass dieser offensichtlich unfähig ist, sich in einer Gruppe oder Gemeinschaft zu integrieren. Der Beschuldigte hat jede dienstliche Anordnung in Frage gestellt und musste mehrmals wegen vorschriftswidriger Adjustierung beanstandet werden. Der Beschuldigte war zu keiner positiven Verhaltensänderung bereit und zeigte sich uneinsichtig. Er wurde als unberechenbarer, uneinsichtiger Beamter, der offensichtlich nicht gewillt ist, die gültigen Rechtsnormen zur Erfüllung seiner dienstlichen Obliegenheiten zu beachten, eingestuft. Infolge seines beruflichen Desinteresses wurde er dem PAZ zur weiteren Dienstleistung zugewiesen.

Aus all diesen Ausführungen lässt sich für einen Zeitraum von mehreren Jahren entnehmen, dass der Beschuldigte zwar auffällig und an seiner Diensterbringung in erheblichem Ausmaß desinteressiert war, wobei er gleichzeitig zwei Studienrichtungen über mehrere Jahre durchaus erfolgversprechend studiert hat; nicht entnehmen lässt sich diesem Lebensentwurf jedoch, dass er irrational gewesen wäre. Im Gegenteil, aus dem Akteninhalt lässt sich das zweckrationale Vorgehen erkennen, seinen Studien in einem Ausmaß Vorrang vor der Dienstleistungserbringung einzuräumen, welche Prioritätensetzung ihn allerdings nahezu zwingend in Widerspruch zu seinen dienstlichen Pflichten bringen musste, ohne dass er deshalb diese Prioritätensetzung jedoch geändert hätte.

Dass der Beschuldigte bereits im Juni 2002 prozessunfähig gewesen wäre, lässt sich diesem Akteninhalt nicht entnehmen, vielmehr hat der Beschuldigte dem gegen ihn laufenden Disziplinarverfahren nur die Aufmerksamkeit geschenkt, die ihm neben seinen prioritären Studien sein berufliches Schicksal wert erschienen ist, also relativ wenig Aufmerksamkeit. Hingegen hat der Beschuldigte zum Zeitpunkt seiner bevorstehenden Disziplinarverhandlung einen - wenn auch erfolglosen - Antritt zur Diplomarbeit aus Strafrecht absolviert (8. Juni 2002) und am Tag der Übergabe des Disziplinarerkenntnisses an ihn - am 28. Juni 2002 - die Theologieprüfung 'Exegese des Alten Testaments' mit der Note 'gut' absolviert. Daraus lässt sich nicht erkennen, dass der Beschuldigte zum damaligen Zeitpunkt nicht mehr in der Lage war, Bedeutung und Tragweite der Zustellung des über ihn die Disziplinarstrafe der Entlassung aussprechenden Disziplinarerkenntnisses zu erkennen und zu verstehen und dagegen allenfalls das Rechtsmittel der Berufung einzubringen.

Im Gegenteil, es besteht kein Zweifel daran, dass der Beschuldigte zum damaligen Zeitpunkt (noch) in der Lage war, dieses Verfahrensgeschehen zu begreifen und dass der Beschuldigte es auch hier aus Desinteresse an seinem dienstlichen Fortkommen unterlassen hat, gegen das ihn entlassende Disziplinarerkenntnis das Rechtsmittel der Berufung zu ergreifen. Mag (auch) die Entlassung des Beschuldigten in weiterer Folge zu den von Dr. M. diagnostizierten Verschlechterungen ('deutlicher Leistungsknick', 'deutliche Minussymptomatik') geführt haben, so war der Beschuldigte - entgegen dem Vorbringen seines Sachwalters - Mitte des Jahres 2002 noch prozessfähig.

Der erkennende Senat der DOK ist auf Grund dieser Erwägungen zu dem Ergebnis gelangt, dass die Zustellung des Disziplinarerkenntnisses an den Beschuldigten am 28. Juni 2002 ungeachtet dessen behaupteter Prozessunfähigkeit zustande gekommen ist, und es sich bei der Übergabe an den Beschuldigten um eine rechtskonforme Zustellung gehandelt hat. Daher ist die nunmehr von seinem Sachwalter eingebrachte Berufung als verspätet zurückzuweisen, ohne dass ein ergänzendes Gutachten aus dem Fachgebiet der Psychiatrie eingeholt werden muss. Ein Eingehen auf das weitere Berufungsvorbringen zur Strafbemessung erübrigt sich mithin."

Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde über die Beschwerde erwogen:

Der Beschwerdeführer hält den angefochtenen Bescheid deswegen für rechtswidrig, weil es die belangte Behörde unterlassen habe, den Sachverhalt amtswegig zu erheben und vollständig zu ermitteln. Sie hätte insbesondere eine zusätzliche Beweisaufnahme durch Einholung eines Gutachtens aus dem Fachgebiet der Psychiatrie und Neurologie einholen müssen. Sie habe sich jedoch lediglich darauf beschränkt, dass chefärztliche Begutachtungen keinerlei Hinweis auf eine Geschäftunfähigkeit ergeben hätten, und dass der Beschwerdeführer auch deswegen nicht geschäftsunfähig gewesen sein habe können, weil er zum Zeitpunkt der Entlassung ja noch Theologie und Jus studiert habe und positive Prüfungsergebnisse erzielt habe. Bei einer vollständigen Ermittlung der entscheidungswesentlichen Tatsachen wäre die belangte Behörde aber zu dem Ergebnis gekommen, dass der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt seiner Entlassung geschäftsunfähig gewesen sei und eine ordnungsgemäße Zustellung an ihn nicht erfolgen habe können.

Für die prozessuale Handlungsfähigkeit (Prozessfähigkeit) ist entscheidend, ob die Partei im Zeitpunkt der betreffenden Verfahrensabschnitte in der Lage war, Bedeutung und Tragweite des Verfahrens und der sich aus ihm ereignenden prozessualen Vorgänge zu erkennen, zu verstehen und sich den Anforderungen eines derartigen Verfahrens entsprechend zu verhalten (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 16. April 1984, Slg. Nr. 11.410/A, nur Rechtssatz). Das Fehlen der Prozessfähigkeit ist in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen wahrzunehmen. Für die Frage der Wirksamkeit einer Zustellung kommt es darauf an, ob der Zustellungsempfänger handlungsfähig war, und nicht darauf, ob für ihn bereits ein Sachwalter bestellt worden ist (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 24. November 1987, Slg. Nr. 12.579/A, und zum Ganzen das hg. Erkenntnis vom 19. September 2000, Zl. 2000/05/0012).

Die belangte Behörde hat dies zutreffend erkannt und sich daher zutreffend dem wesentlichen Beweisthema gewidmet, ob die Prozessfähigkeit gegeben und daher eine wirksame Zustellung des Erkenntnisses der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres vom 11. Juni 2002 erfolgt war.

Die Aufnahme eines Sachverständigenbeweises ist erforderlich, wenn zum Zweck der Ermittlung des beweisbedürftigen und maßgeblichen Sachverhalts Fragen zu klären sind, deren Beantwortung nicht schon auf Grund der allgemeinen Lebenserfahrung, sondern nur auf Grund besonderer Fachkenntnisse und Erfahrungen möglich ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. April 2003, Zl. 2001/12/0195) oder wenn die Lösung der entscheidungserheblichen Tatfragen ein besonderes Fachwissen erfordert, über das die Verwaltungsorgane selbst nicht verfügen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 21. Dezember 1999, Zl. 97/19/0787).

Den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen der belangten Behörde, wonach sich die erstinstanzliche Disziplinarkommission sowie der Dienstgeber über einen mehrjährigen Zeitraum hinweg intensiv mit der geistigen Gesundheit des Beschwerdeführers auseinander gesetzt haben und er letztlich als dienstfähig befunden worden sei (zB mit dem chefärztlichen Gutachten vom 9. Oktober 2001), tritt der Beschwerdeführer nicht entgegen. Er bestreitet auch nicht, dass er in der verfahrensgegenständlichen Zeit sowohl ein Jusstudium als auch ein Theologiestudium betrieben und auch in den Jahren 2002 und 2003 Prüfungen erfolgreich abgelegt hat.

Die belangte Behörde hat wesentliche Gesichtspunkte aufgezeigt, die für die Prozessfähigkeit des Beschwerdeführers zum Zeitpunkt der Zustellung des Entlassungsbescheides sprechen.

Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdeführer weder aufgezeigt, dass entscheidungswesentliche Umstände nicht berücksichtigt worden seien, noch dargelegt, auf Grund welcher Umstände das Gutachten eines Sachverständigen auf dem Gebiet der Psychiatrie und Neurologie zu einer weiteren Klärung der Frage der Prozessfähigkeit des Beschwerdeführers zu einem acht Jahre in der Vergangenheit liegenden Zeitpunkt führen hätte können.

Die belangte Behörde hat daher den maßgeblichen Sachverhalt ausreichend festgestellt und sie ist - ohne den Beschwerdeführer in seinen subjektiv-öffentlichen Rechten zu verletzen - zu dem Ergebnis gelangt, dass eine Prozessfähigkeit des Beschwerdeführers zum Zeitpunkt der Zustellung des Disziplinarerkenntnisses nicht zu verneinen war.

Nach dem Gesagten war die Beschwerde daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Wien, am 28. Februar 2012

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte