VwGH 2011/06/0164

VwGH2011/06/01647.8.2013

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch und die Hofrätin Dr. Bayjones, den Hofrat Dr. Moritz, die Hofrätin Mag. Merl sowie den Hofrat Mag. Haunold als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Kalanj, über die Beschwerde der Steiermärkischen Landesregierung als Landesstraßenverwaltung gegen den Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 11. August 2011, Zl. FA18E- 80.30-906/2009-40, betreffend Versagung einer Baubewilligung (mitbeteiligte Partei: M S in K), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §68 Abs3;
LStVwG Stmk 1964 §47;
VwRallg;
AVG §68 Abs3;
LStVwG Stmk 1964 §47;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Antrag der belangten Behörde auf Zuspruch von Aufwandersatz wird abgewiesen.

Begründung

Namens des Landes Steiermark beantragte die Landesstraßenverwaltung mit Eingabe vom 12. August 2009 eine Genehmigung zum Ausbau der Landesstraße Nr. 381, Groß-Sulzstraße betreffend das Baulos "Verlegung der L 381 von der B 67 bis zur Unterführung Südbahn" auf einer Länge von 519,45 m, sowie die Einlösung der in Anspruch zu nehmenden Grundflächen, Baulichkeiten und sonstigen Anlagen.

Die Mitbeteiligte ist Anrainerin des Straßenvorhabens und wandte sich gegen die Errichtung dieser Straße. Dies begründete sie unter anderem mit der Feinstaubproblematik; diesbezüglich "ersuchte" sie um "Übermittlung eines Gutachtens eines allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen im Fachbereich Medizin (nicht aus der Steiermark), welches nachweislich bestätigt, dass keine erhöhte Feinstaubbelastung durch die neue Landesstraße entsteht".

Im Rahmen des Ermittlungsverfahrens holte die belangte Behörde ein immissionstechnisches Gutachten der Sachverständigen Dr. P. und Dr. Ö ein. Diese führten in ihrem Gutachten vom 25. Mai 2010 aus, dass der Standort in der Maßnahmenverordnung (LGBl. 131/2006) nach dem Immissionsschutzgesetz-Luft (IG-L) als Sanierungsgebiet nach § 8 Abs. 2 Z 4 IG-L ausgewiesen worden sei, weil bereits Grenzwertüberschreitungen hinsichtlich der im IG-L für Feinstaub festgelegten Grenzwerte aufgetreten seien und zusätzliche Emissionen die Wahrscheinlichkeit des Überschreitens von Grenzwerten erhöhten. In diesen Gebieten könnten nur dann Maßnahmen durchgeführt und Projekte umgesetzt werden, wenn die Immissionszusatzbelastung unter der Geringfügigkeitsschwelle liege. Im vorliegenden Fall betrage die PM10-Zusatzbelastung im Bereich der nächsten Nachbarn im Jahresmittel 1,2 µg/m3 und liege somit im Bereich der Irrelevanzgrenze für Infrastrukturprojekte. Werde auch eine irrelevante Zusatzbelastung hinsichtlich des Tagesmittelwertes gefordert, so ergebe sich ein sehr großes Gebiet, das alle umgebenden Siedlungsgebiete einschließe.

Der Sachverständige Dr. G führte im ärztlichen Gutachten aus, das projektgegenständliche Untersuchungsgebiet sei bereits als Sanierungsgebiet wegen vorbestehender Schadstoffbelastung durch PM10 ausgewiesen, daher müssten bei neuen Projekten sehr strenge Maßstäbe angelegt werden. Der medizinische Sachverständige stellte ausführlich die gesundheitlich nachteiligen Effekte von Feinstaub und insbesondere der Schadstoffbelastung von Straßen unter Zitierung zahlreicher österreichischer und internationaler Studien dar. Zusammenfassend kam er zu dem Ergebnis, dass es durch das Verkehrsprojekt L 381 Neu zu näher beschriebenen signifikanten gesundheitsgefährdenden Auswirkungen auf die nächstgelegene Nachbarschaft - auch die Mitbeteiligte - komme.

Im Rahmen des Parteiengehörs äußerte sich die Beschwerdeführerin in ihrer Stellungnahme vom 23. März 2011 überhaupt nicht zu den Aussagen des medizinischen Sachverständigen in Hinblick auf die Auswirkungen des Straßenbauvorhabens auf die Anrainer durch die zu erwartende PM10-Belastung. Den Schlussfolgerungen dieses Sachverständigen, bei Ausführung des Vorhabens der Beschwerdeführerin werde es zu "extremen gesundheitsgefährdenden Auswirkungen" kommen, wurde nicht entgegengetreten.

Die Mitbeteiligte äußerte sich in ihrer Stellungnahme vom 21. März 2011 zustimmend zu den Aussagen insbesondere des medizinischen Gutachters.

Mit dem angefochtenen Bescheid (vom 11. August 2011) wies die belangte Behörde den Antrag der Landesstraßenverwaltung auf Erteilung der straßenrechtlichen Bewilligung für das Bauvorhaben "L 381 Groß-Sulzstraße", Verlegung der L 381 von der B 67 bis zur Unterführung Südbahn, Länge 519,45 m, wegen erheblicher, den öffentlichen Interessen an der Errichtung widersprechender Interessen von Beteiligten ab. In ihrer Begründung verwies die Behörde im Wesentlichen auf die Aussagen des medizinischen Amtssachverständigen, der in seinem Gutachten signifikante gesundheitsgefährdende Auswirkungen des Projektes "Verlegung der L 381" auf die nächstgelegene Nachbarschaft, insbesondere auf die Mitbeteiligte, festgestellt habe. Eine Interessenabwägung zu Gunsten des Straßenbaus trotz festgestellter entscheidender gesundheitsgefährdender Auswirkungen für die Beteiligten werde durch die belangte Behörde nicht vorgenommen. Der Versuch der Beschwerdeführerin, das starke öffentliche Interesse an der Verlegung der Straße zu dokumentieren, sei nur teilweise gelungen. Auf dem gegenständlichen Straßenstück sei bereits derzeit sowohl eine Höhenbegrenzung als auch eine Tonnenbegrenzung gegeben. Gemäß § 47 LStVG könne die Bewilligung nicht erteilt werden, wenn wesentliche Interessen der Beteiligten, denen auch durch Bedingungen nicht entsprochen werden könne, den öffentlichen Interessen entgegenstünden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wird.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde. Auch die Mitbeteiligte beantragte die Beschwerdeabweisung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 47 des Steiermärkischen Landes-Straßenverwaltungsgesetzes 1964 (LStVG 1964), in der Fassung LGBl. Nr. 60/2008, lautet:

"§ 47.

Ermittlungsverfahren und Bescheid

(1) Vor Neuanlage, Verlegung oder Umbau der im § 7 unter Z. 1, 2, 3 und 4 genannten Straßen hat die im Abs. 3 genannte Behörde den beabsichtigten Straßenbau in den in Betracht kommenden Gemeinden kundzumachen. Überdies sind hievon die bekannten Anrainer und sonstigen Beteiligten durch besondere Mitteilung zu verständigen. In diesen Verständigungen ist auch zugleich eine mündliche Verhandlung auf einen Zeitpunkt binnen zwei bis vier Wochen anzuberaumen. Von der Anberaumung der Verhandlung ist auch die Militärbehörde zu verständigen. Kommen auch Grundstücke in Betracht, die Zwecken des öffentlichen Eisenbahn- oder Luftverkehrs dienen, so ist auch die Eisenbahn oder Luftfahrtbehörde zu benachrichtigen. Die Beteiligten sind aufzufordern, die zum Nachweis ihrer Vertretungsbefugnis nötigen Vollmachten und sonst zur Begründung ihrer Ansprüche nötigen Urkunden, Pläne u. dgl. bei der mündlichen Verhandlung vorzuweisen.

(2) Bei Bauvorhaben von geringfügigem Umfang kann von der in Abs. 1 vorgeschriebenen Verhandlung abgesehen werden, wenn dies ohne Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses und des Interesses der Beteiligten geschehen kann.

(3) Auf Grund der Ergebnisse dieser mündlichen Verhandlung hat bei Straßen gemäß § 7 Abs. 1 Z. 1, 2, 3, und 4 lit. b die Landesregierung, sonst die Gemeinde mit Bescheid die Bedingungen festzusetzen, welche bei der Ausführung der beabsichtigten Straßenbauten vom Standpunkt des öffentlichen Interesses und der mit diesem nicht in Widerspruch stehenden Interessen der Beteiligten zu erfüllen sind. Der Bescheid hat sich auch auf die künftige Bestimmung und die Erhaltung jener Straßenteile zu erstrecken, welche durch den Straßenbau ihrer ursprünglichen Verkehrswidmung unmittelbar entzogen werden. Weitere Bedingungen können nachträglichen Verfügungen vorbehalten werden, insofern sich solche bei der Durchführung des Straßenbaues als notwendig erweisen. Für die Ausführung des Straßenbaues kann eine Frist bestimmt werden, die aus rücksichtswürdigen Gründen verlängert werden kann."

Die belangte Behörde begründete ihre abweisende Entscheidung im Wesentlichen damit, dass der medizinische Gutachter von signifikanten gesundheitsgefährdenden Auswirkungen des Verkehrsprojektes L 381 Neu durch PM10-Immissionen auf die nächstgelegene Nachbarschaft ausging. Diesen Aussagen trat die Beschwerdeführerin nicht entgegen.

Gemäß § 68 Abs. 3 AVG kann die Behörde, die den Bescheid in letzter Instanz erlassen hat bzw. ein unabhängiger Verwaltungssenat oder die sachlich in Betracht kommende Oberbehörde einen Bescheid in Wahrung des öffentlichen Wohles insoweit abändern, als dies zur Beseitigung von das Leben oder die Gesundheit von Menschen gefährdenden Missständen oder zur Abwehr schwerer volkswirtschaftlicher Schädigungen notwendig und unvermeidlich ist. Bei verfassungskonformer Interpretation dieser Bestimmung ergibt sich, dass die Behörde mit der Beseitigung von das Leben oder die Gesundheit gefährdenden Missständen nicht bis zum Eintritt der formellen Rechtskraft des den Missstand bewirkenden Bescheides zuwarten muss (vgl. die bei Hengstschläger/Leeb, Kommentar zum AVG, Rz. 94 zitierte hg. Judikatur). Daraus lässt sich auch für den Anwendungsbereich des LStVG der Grundsatz ableiten, dass Bescheide nicht zu einer Gefährdung des Lebens oder der Gesundheit von Menschen führen dürfen (vgl. in diesem Sinn das hg. Erkenntnis vom 14. Juli 2011, Zl. 2010/10/0092, ergangen zu § 17 Forstgesetz, sowie die hg. Erkenntnisse vom 14. Oktober 2003, Zl. 2001/05/1171, und vom 20. Dezember 2005, Zl. 2003/05/0098, beide ergangen zum Oberösterreichischen Landesstraßengesetz 1991).

Im Hinblick darauf kann die Ansicht der belangten Behörde, dass im Rahmen der gemäß § 47 Abs. 3 LStVG vorzunehmenden Interessenabwägung wesentliche Interessen der Beteiligten der Erteilung der beantragten Bewilligung entgegenstünden, wobei sie sich im Wesentlichen auf die Ausführungen des medizinischen Gutachters Dr. G bezog, wonach von dem Verkehrsprojekt L 381 Neu auf Grund der Vorbelastung und der zu erwartenden Zusatzbelastung durch PM10-Immissionen signifikante gesundheitsgefährdende Auswirkungen auf die nächstgelegene Nachbarschaft ausgingen, nicht als rechtswidrig erkannt werden. Im Übrigen bestreitet die Beschwerdeführerin auch in der Beschwerde die festgestellten gesundheitsgefährdenden Auswirkungen des beschwerdegegenständlichen Straßenbauvorhabens nicht.

Ausgehend von den insoweit in einem mängelfreien Verfahren festgestellten gesundheitsgefährdenden Auswirkungen des Straßenvorhabens der Beschwerdeführerin erweisen sich die in der Beschwerde behaupteten Mängel des immissionstechnischen Sachverständigengutachtens als nicht entscheidungsrelevant. Auf die diesbezüglichen Beschwerdeausführungen war daher nicht mehr näher einzugehen.

Der Antrag der belangten Behörde auf Zuspruch von Kosten war abzuweisen, weil sie funktionell für das Land tätig wurde. Es erscheint gedanklich ausgeschlossen, dass ein und derselbe Rechtsträger sich selbst Kosten ersetzen kann. § 47 VwGG setzt zwei verschiedene Rechtsträger der obsiegenden und der unterlegenen Partei voraus, da nur unter dieser Voraussetzung einem solchen Rechtsträger Aufwandersatz "zufließen" kann (§ 47 Abs. 5 letzter Satz VwGG). Ein Kostenersatz, der auf eine bloße Umschichtung innerhalb des Rechenwerks desselben Rechtsträgers (wenn auch zwischen verschiedenen Budgetansätzen) hinausläuft, kann diesem Rechtsträger (hier: dem Land Steiermark) nicht "zufließen". Im Falle der Identität des Rechtsträgers, dem der Kostenersatz aufzuerlegen wäre, mit jenem Rechtsträger, dem er zuzusprechen wäre, kommt der Zuspruch von Kostenersatz daher nicht in Betracht (vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. Februar 2011, Zl. 2009/07/0043, mwN, betreffend den Bund).

Wien,am 7. August 2013

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