VwGH 2011/01/0142

VwGH2011/01/014228.6.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel sowie die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Kleiser und Dr. Hofbauer und Hofrätin Mag. Rehak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Jäger, über die Beschwerde des MH in W, geboren 1967, vertreten durch Maga. Nadja Lorenz, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Kirchengasse 19, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 6. Juli 2007, Zl. 255.902/0/4E-VII/43/04, betreffend §§ 7, 8 Abs. 1 und 2 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres),

Normen

AsylG 1997 §8 Abs2;
AVG §45 Abs3;
VwGG §41 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
AsylG 1997 §8 Abs2;
AVG §45 Abs3;
VwGG §41 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

I. zu Recht erkannt:

Der angefochtene Bescheid wird insoweit, als damit gemäß § 8 Abs. 2 AsylG die Ausweisung des Beschwerdeführers verfügt wurde, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

II. den Beschluss gefasst:

Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

Begründung

Der Beschwerdeführer beantragte am 12. Mai 2004 Asyl und gab an, staatenloser Palästinenser zu sein. In seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 13. Mai 2004 brachte er zu seinen Fluchtgründen im Wesentlichen vor, dass er aus einem Dorf nahe Nablus im Westjordanland stamme und sein Heimatland wegen der sehr schwer gewordenen Situation verlassen habe. Als selbständiger Unternehmer habe er in letzter Zeit immer weniger Aufträge erhalten. Die "Israelis" hätten alles so fest in der Hand, dass niemand mehr Geld in Nablus investieren wolle. Im Jahr 2000 habe er persönlich an einer Demonstration teilgenommen und auch ein paar Steine geworfen. Die israelischen Soldaten hätten sich jedoch nicht aufgeregt, sondern nur gelacht und gesagt, sie machten nur ein Theater für die ausländischen Medien. Er habe Angst vor den "Israelis" und fürchte, dass man ihn festnehmen werde.

Das Bundesasylamt wies den Asylantrag mit Bescheid vom 1. Juni 2004 gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab (Spruchpunkt I.), stellte gemäß § 8 Abs. 1 AsylG fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach "Israel/in die besetzten palästinensischen Gebiete" zulässig sei (Spruchpunkt II.) und wies ihn gemäß § 8 Abs. 2 AsylG "aus dem österreichischen Bundesgebiet" aus (Spruchpunkt III.).

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die dagegen erhobene Berufung des Beschwerdeführers "gemäß § 7 iVm § 8 AsylG" mit der Maßgabe ab, dass der Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach "Israel/in die besetzten palästinensischen Gebiete" ausgewiesen wurde. Die belangte Behörde verwies dabei im Wesentlichen auf die Begründung des erstinstanzlichen Bescheides und führte zur Ausweisung des Beschwerdeführers aus, das Bundesasylamt habe die durch Art. 8 Abs. 2 EMRK vorgeschriebene Interessenabwägung mängelfrei vorgenommen. In diesem Zusammenhang sei darauf hinzuweisen, dass der Beschwerdeführer nur auf Grund eines Asylantrages, der sich letztlich als unbegründet erwiesen habe, zum Aufenthalt in Österreich berechtigt gewesen sei. Es fehlten auch sonstige Anhaltspunkte für andere soziale Bindungen in Österreich, weshalb die verfügte Ausweisung "keinen Eingriff in den Art. 8 EMRK" darstelle.

Über die vorliegende - ausdrücklich nur gegen die mit dem angefochtenen Bescheid vorgenommene Bestätigung der Spruchpunkte II. und III. des erstinstanzlichen Bescheides gerichtete - Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach

Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:

Zu I.:

In Bezug auf die verfügte Ausweisung rügt die Beschwerde unterlassene Ermittlungen zum Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers und bringt vor, dass dieser bereits seit Sommer 2006 mit einer in Österreich niedergelassenen slowakischen Staatsbürgerin zusammenlebe; seit 15. Juni 2006 seien sie nach islamischem Recht verheiratet und hätten nunmehr auch eine gemeinsame Tochter. Die belangte Behörde habe sich jedoch mit dem Familienleben des Beschwerdeführers nicht auseinandergesetzt.

Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerde einen relevanten Verfahrensmangel auf. Im Hinblick auf den seit der Vernehmung des Beschwerdeführers vor dem Bundesasylamt am 13. Mai 2004 bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides vergangenen Zeitraum von mehr als drei Jahren (die rechtswirksame Zustellung des Bescheides an den Beschwerdeführer erfolgte im Übrigen erst 2009) konnte die belangte Behörde nicht ohne Weiteres davon ausgehen, dass sich die persönlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers mittlerweile nicht verändert haben. Es wäre daher geboten gewesen, dem Beschwerdeführer Gelegenheit zur allfälligen Geltendmachung von unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK relevanten Umständen zu geben. Da die belangte Behörde dies unterließ, unterliegt das (neue) Vorbringen in der Beschwerde nicht dem Neuerungsverbot im verwaltungsgerichtlichen Verfahren (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 28. April 2010, Zl. 2008/19/0979, mwN).

Es ist nicht auszuschließen, dass die belangte Behörde bei Berücksichtigung der neu vorgebrachten Umstände zu einer anderen - für den Beschwerdeführer günstigeren - Entscheidung gelangen hätte können, weshalb der angefochtene Bescheid insoweit, als damit gemäß § 8 Abs. 2 AsylG die Ausweisung des Beschwerdeführers verfügt wurde, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben war.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Zu II.:

Gemäß Art. 131 Abs. 3 B-VG und § 33a VwGG kann der Verwaltungsgerichtshof die Behandlung einer Beschwerde gegen einen Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates durch Beschluss ablehnen, wenn die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen wird, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die Beschwerde wirft - soweit sie sich gegen die Bestätigung des Spruchpunktes II. des erstinstanzlichen Bescheides richtet - keine für die Entscheidung dieses Falles maßgeblichen Rechtsfragen auf, denen im Sinne der zitierten Bestimmungen grundsätzliche Bedeutung zukäme. Gesichtspunkte, die dessen ungeachtet gegen eine Ablehnung der Beschwerdebehandlung sprechen würden, liegen nicht vor.

Der Verwaltungsgerichtshof hat daher beschlossen, die Behandlung der Beschwerde im Übrigen abzulehnen.

Wien, am 28. Juni 2011

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