VwGH 2008/19/0979

VwGH2008/19/097928.4.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Händschke sowie den Hofrat Mag. Nedwed und die Hofrätin Mag. Rehak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. S. Giendl, über die Beschwerde des I, vertreten durch Mag. Wilfried Embacher, Mag. Dr. Roland Kier, Dr. Thomas Neugschwendtner, Univ.-Prof. Dr. Richard Soyer und Dr. Alexia Stuefer, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Kärntner Ring 6, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 20. Mai 2008, Zl. 261.194/0/1E-VIII/22/05, betreffend §§ 7, 8 Abs. 1 und 2 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres),

Normen

AsylG 1997 §8 Abs2;
AVG §45 Abs3;
EMRK Art8;
VwGG §41 Abs1;
AsylG 1997 §8 Abs2;
AVG §45 Abs3;
EMRK Art8;
VwGG §41 Abs1;

 

Spruch:

I. zu Recht erkannt:

Der angefochtene Bescheid wird insoweit, als damit die Ausweisung des Beschwerdeführers gemäß § 8 Abs. 2 Asylgesetz 1997 verfügt wurde, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

II. den Beschluss gefasst:

Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Republik Moldau, reiste am 15. September 2003 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 5. November 2003 Asyl. Zu seinem Fluchtgrund gab der Beschwerdeführer in seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt an, dass seine Eltern verstorben wären und er bis zu seinem 11. Lebensjahr bei seiner Großmutter gewohnt hätte. Nach deren Tod sei er in ein Waisenhaus gekommen. Dort hätten sie ihn auf die Straße geschickt, um um Essen zu betteln. Sonst habe er keine Gründe.

Das Bundesasylamt wies den Asylantrag des Beschwerdeführers mit Bescheid vom 23. Mai 2005 gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab (Spruchpunkt I.), stellte fest, dass dessen Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Moldau gemäß § 8 Abs. 1 AsylG zulässig sei (Spruchpunkt II.) und wies ihn gemäß § 8 Abs. 2 AsylG "aus dem österreichischen Bundesgebiet" aus (Spruchpunkt III.). Begründend führte das Bundesasylamt im Wesentlichen aus, dass dem Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers - aus näher dargestellten Gründen - kein Glauben zu schenken sei. Vom Vorliegen einer Gefahr im Sinne des § 57 FrG könne nicht ausgegangen werden. Der Beschwerdeführer habe keine familiären Bindungen in Österreich, er sei illegal in das Bundesgebiet eingereist, nicht zu einem sonstigen, legalen Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt, und es gebe keine Anhaltspunkte für eine sonstige Integration, weshalb seine Ausweisung zulässig sei.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die dagegen erhobene Berufung des Beschwerdeführers gemäß §§ 7, 8 AsylG ab und änderte Spruchpunkt III. des erstinstanzlichen Bescheides in eine zielstaatsbezogene Ausweisung - "nach Moldawien" - ab. Die belangte Behörde schloss sich in der Begründung ihrer Entscheidung der Beurteilung des Bundesasylamtes an.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Zu I.:

In Bezug auf die verfügte Ausweisung rügt die Beschwerde unterlassene Erhebungen zum Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers und bringt vor, dass dieser mittlerweile über ausgezeichnete Deutschkenntnisse verfüge, die Hauptschule besucht und im Juni 2006 erfolgreich abgeschlossen habe, seit August 2006 eine Lehre zum Informationstechnologen absolviere und einen auf 3,5 Jahre befristeten Lehrvertrag abgeschlossen habe. Der Beschwerdeführer verfüge über ein regelmäßiges Einkommen und sichere sich damit seinen Lebensunterhalt. Sein Arbeitgeber sei mit seiner Tätigkeit äußerst zufrieden und schätze ihn als zuverlässigen, engagierten Lehrling, der begabt sei und durch seine Sprachkenntnisse wertvolle Arbeit für das Unternehmen leisten könne. Der Beschwerdeführer habe seinen gesamten Freundes- und Bekanntenkreis in Österreich, lebe seit mehreren Monaten in einer festen Beziehung zu seiner österreichischen Freundin und habe auch zu deren Eltern intensiven, regelmäßigen Kontakt. Im Jahr 2005 sei er in das Projekt "connecting people" aufgenommen worden, welches Partnerschaften für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge vermittle, und er sei im Jahr 2005 von einer österreichischen Familie die Patenschaft für ihn übernommen worden. Zu dieser Familie habe sich im Laufe der Zeit ein äußerst enges Verhältnis entwickelt. Er erhalte von ihr nicht nur Unterstützung im schulischen Bereich, sondern verbringe auch viel Freizeit mit ihr; zum Sohn der Patenfamilie habe sich eine intensive Freundschaft entwickelt. Insbesondere sei auch der nunmehr rund fünfjährige Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet zu berücksichtigen; er habe eine besonders prägende Zeit im Bundesgebiet verbracht und sich zudem bislang nichts zu schulden kommen lassen. Zum Beweis seines Vorbringens legte der Beschwerdeführer zahlreiche Unterlagen vor.

Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerde einen relevanten Verfahrensmangel auf. Im Hinblick auf den seit der Vernehmung des Beschwerdeführers vor dem Bundesasylamt am 17. März 2004 bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides vergangenen Zeitraum von mehr als vier Jahren konnte die belangte Behörde nicht ohne Weiteres davon ausgehen, dass sich die persönlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers mittlerweile nicht verändert haben. Es wäre daher geboten gewesen, dem Beschwerdeführer Gelegenheit zur allfälligen Geltendmachung von unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK relevanten Umständen zu geben. Da die belangte Behörde dies unterließ, unterliegt das (neue) Vorbringen in der Beschwerde nicht dem Neuerungsverbot im verwaltungsgerichtlichen Verfahren (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 15. Oktober 2009, Zl. 2006/20/0746, vom 19. Dezember 2007, Zl. 2006/20/0425, vom 5. Oktober 2007, Zl. 2007/20/1043, und vom 26. März 2007, Zl. 2006/01/0595).

Es ist nicht auszuschließen, dass die belangte Behörde bei Berücksichtigung der neu vorgebrachten Umstände zu einer anderen - für den Beschwerdeführer günstigeren - Entscheidung hätte gelangen können, weshalb der angefochtene Bescheid insoweit, als damit gemäß § 8 Abs. 2 AsylG die Ausweisung des Beschwerdeführers verfügt wurde, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben war.

Von der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG Abstand genommen werden.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Zu II.:

Gemäß Art. 131 Abs. 3 B-VG und § 33a VwGG in Verbindung mit Art. 129c Abs. 1 B-VG kann der Verwaltungsgerichtshof die Behandlung einer Beschwerde gegen einen Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates durch Beschluss ablehnen, wenn die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen wird, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die Beschwerde wirft - soweit sie sich auf die mit dem angefochtenen Bescheid bestätigten Spruchpunkte I. und II. des erstinstanzlichen Bescheides bezieht - keine für die Entscheidung dieses Falles maßgeblichen Rechtsfragen auf, denen im Sinne der zitierten Bestimmungen grundsätzliche Bedeutung zukäme. Gesichtspunkte, die dessen ungeachtet gegen eine Ablehnung der Beschwerdebehandlung sprechen würden, liegen nicht vor.

Der Verwaltungsgerichtshof hat daher beschlossen, die Behandlung der Beschwerde - soweit sie sich gegen die Bestätigung der Spruchpunkte I. und II. des erstinstanzlichen Bescheides richtet - abzulehnen.

Wien, am 28. April 2010

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