VwGH 2011/01/0102

VwGH2011/01/010228.6.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel sowie Hofrat Dr. Blaschek und Hofrätin Mag. Rehak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Jäger, über die Beschwerde der OFI in S, geboren 1969, vertreten durch Mag. Dr. Bernhard Rosenkranz, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Plainstraße 23, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 18. Jänner 2008, Zl. 254.588/0/6E-XV/54/04, betreffend §§ 7, 8 Abs. 1 und 2 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine nigerianische Staatsangehörige, reiste am 11. Juli 2004 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 13. Juli 2004 Asyl. In ihren Einvernahmen vor dem Bundesasylamt gab sie zu ihren Fluchtgründen im Wesentlichen an, im Jahr 1993 nach Lagos zu einem Onkel gezogen zu sein. Danach habe sie zwei Kinder von einem Mann bekommen, mit dem sie nicht verheiratet sei. Im Jahr 2002 sei sie zu einem anderen Onkel in Lagos gezogen, der Politiker und Mitglied einer Geheimgesellschaft sei und der im Februar 2004 vor den Lokalwahlen Geld von "Chief Aloko" für seinen Wahlkampf genommen hätte. Im Mai 2004 habe dieser Onkel von der Beschwerdeführerin verlangt, dass auch sie eine Frau von "Chief Aloko" werde, was sie abgelehnt habe. Ihr Onkel habe seit dem Tod ihres Vaters in ihrer Familie sehr großen Einfluss. Was der Onkel bestimme, müsse auch geschehen und alle Familienmitglieder seien auf seiner Seite gewesen. Am 30. Mai 2004 habe "Chief Aloko" Männer geschickt, um die Beschwerdeführerin abzuholen, welcher jedoch die Flucht gelungen sei. Am Abend sei sie wieder zurückgekommen und ihr Onkel habe ihr bis am nächsten Morgen Zeit gegeben, sich für eine Heirat mit diesem Mann zu entscheiden, und ihr gedroht, sie andernfalls umzubringen. Noch vor Ablauf der Bedenkzeit sei ihr die Flucht aus dem Haus gelungen und sie habe sich zu einer Freundin nach Warri begeben, wo sie sich von 1. bis 22. Juni 2004 aufgehalten habe. Am 20. Juni 2004 habe ihr Onkel Leute zum Haus ihrer Freundin geschickt, die die Beschwerdeführerin dort jedoch nicht angetroffen hätten. An diesem Tag habe sie sich entschlossen, ihre Heimat zu verlassen.

Mit Bescheid vom 21. Oktober 2004 wies das Bundesasylamt den Antrag der Beschwerdeführerin gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab, stellte gemäß § 8 Abs. 1 AsylG fest, dass deren Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Nigeria zulässig sei und wies sie gemäß § 8 Abs. 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet aus.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die dagegen erhobene Berufung nach Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung gemäß § 7 AsylG ab, stellte fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Nigeria zulässig sei und wies sie gemäß § 8 Abs. 2 AsylG dorthin aus. Begründend führte die belangte Behörde aus, das Fluchtvorbringen der Beschwerdeführerin sei unglaubwürdig. Im Hinblick auf die Behauptung der Beschwerdeführerin, ihr Onkel, mit dem es im Jahr 2004 zu den Flucht auslösenden Problemen gekommen sei, habe nach dem Tod ihres Vaters bestimmt, was die Familie zu tun habe, sei nicht nachvollziehbar, dass die Beschwerdeführerin entgegen den Vorgaben dieses Onkels nach ihrer Ankunft in Lagos zunächst bei einem anderen Onkel untergekommen sei und dort ein unbehelligtes Dasein habe führen können. Berücksichtige man, dass die Beschwerdeführerin in den Jahren 1998 und 2000 Kinder geboren habe und im Jahr 2002 "scheinbar aus freiwilligen Stücken" zu dem besagten Onkel gegangen sei, stehe "diese Vorgangsweise außer Relation" zu ihren Angaben, "dass der Onkel einer Geheimgesellschaft angehöre und daher 'sehr, sehr gefährlich' sei". Die Beschwerdeführerin habe nicht zu erklären vermocht, "aus welchen Beweggründen sie sich daher freiwillig zu dem Onkel begeben habe, obgleich ihr wohl andere Optionen offen gestanden wären". Es sei nicht erklärbar, warum sich die Beschwerdeführerin nicht in ihr Heimatdorf zu ihrer Mutter, wo auch ihre Kinder lebten, begeben habe, wenn sie der Meinung gewesen sei, nicht allein leben zu können. Zudem sei die Beschwerdeführerin nicht imstande gewesen, zu erklären, warum ihr Onkel sie ausgerechnet im Jahr 2004, als sie schon über zehn Jahre in derselben Stadt aufhältig gewesen sei und schon zwei Jahre bei ihm gelebt habe, plötzlich im Alter von 30 Jahren und als Mutter zweier Kinder zwangsweise habe verheiraten wollen. Im Hinblick auf das Vorbringen der Beschwerdeführerin, wonach es für diese Vorgangsweise ihres Onkels Zeugen gebe und wonach sie sich zum Dorfältesten begeben und diesem von ihren Problemen berichtet habe, sei nicht nachvollziehbar, warum sie nicht schutzsuchend in diesem Dorf geblieben, sondern wieder zu ihrem Onkel zurückgegangen sei. Zudem habe sie "dieses Sachverhaltselement erstmals in der mündlichen Berufungsverhandlung ins Spiel gebracht". Die Beschwerdeführerin habe weiters nicht erklären können, "wie es dem Onkel denn möglich gewesen sei, ihren Aufenthalt in einem anderen Bundesstaat, unzählige Kilometer von Lagos entfernt, innerhalb weniger Stunden ausfindig zu machen". Abschließend bemerkte die belangte Behörde, dass die Mutter und die Kinder der Beschwerdeführerin offenkundig bis dato ein völlig unbehelligtes Dasein führen würden und keine Probleme mit dem Onkel hätten. Würde die von der Beschwerdeführerin behauptete Bedrohung ihrer Person den Tatsachen entsprechen, wäre es nahe liegend, dass nunmehr die engsten Angehörigen der Beschwerdeführerin auf Grund deren Flucht Schwierigkeiten hätten. Selbst wenn man vom Wahrgehalt der Angaben der Beschwerdeführerin ausginge, ändere dies nichts "an der Beurteilung der fehlenden Asylrelevanz", zumal ihre behaupteten Probleme im Zusammenhang mit Privatpersonen stünden und eine fehlende staatliche Schutzfähigkeit oder Schutzwilligkeit nicht erkannt werden könne. Die Beschwerdeführerin habe zugegeben, sich nach der behaupteten Morddrohung ihres Onkels nicht an die Polizei gewandt zu haben und aus den Länderfeststellungen würden sich keine Hinweise darauf ergeben, dass ein solches Unterfangen von vornherein aussichtslos gewesen wäre. Zudem bestünden in Nigeria zwischenzeitlich zahlreiche Hilfsorganisationen, die sich um in Not geratene Frauen kümmern würden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Nach dem gemäß § 67 AVG auch im Berufungsverfahren anzuwendenden § 60 AVG sind in der Begründung des Berufungsbescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Demnach muss in der Bescheidbegründung in einer eindeutigen, die Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichenden und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugänglichen Weise dargetan werden, welcher Sachverhalt der Entscheidung zu Grunde gelegt wurde, aus welchen Erwägungen die Behörde zu der Ansicht gelangte, dass gerade dieser Sachverhalt vorliege und weshalb sie die Subsumtion dieses Sachverhaltes unter einen bestimmten Tatbestand als zutreffend erachtete (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 26. Mai 2004, Zl. 2001/20/0550, mwN).

Diesen Anforderungen wird der angefochtene Bescheid nicht gerecht. Zunächst lassen sich dem angefochtenen Bescheid schon keine ausdrücklichen Feststellungen zum Fluchtvorbringen der Beschwerdeführerin entnehmen.

Darüber hinaus stützt sich die belangte Behörde in ihren beweiswürdigenden Ausführungen im Wesentlichen darauf, dass das Vorbringen der Beschwerdeführerin nicht nachvollziehbar sei, ohne sich mit den von ihr dazu erstatteten Erklärungsversuchen auseinander zu setzen. So hatte die Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung dargelegt, dass es ihr im Jahr 1993, als sie nach Lagos gezogen war, nicht gut gegangen sei und ihr Onkel ihr daher auf ihre Bitte hin erlaubt habe, woanders zu wohnen. Abgesehen davon, dass sich die Annahme der belangten Behörde, die Beschwerdeführerin habe entgegen den Vorgaben des Onkels zunächst bei einem anderen Onkel gewohnt, mit diesem Vorbringen nicht in Einklang bringen lässt, erscheint auch nicht nachvollziehbar, warum die Beschwerdeführerin von diesem Onkel hätte behelligt werden sollen.

Die Beschwerdeführerin hat zu ihren Beweggründen, warum sie in der Folge doch zu diesem Onkel gezogen sei, angegeben, dass sie nach dem Tod des Onkels, bei dem sie zunächst gewohnt habe, keine andere Wahl gehabt habe, weil sie als alleinstehende Frau in Lagos nicht allein hätte leben können. Sie habe zwar gewusst, dass ihr Onkel einer Geheimgesellschaft angehöre, man werde aber nicht bedroht, wenn man keine Probleme mit diesen Leuten habe. Bei ihrer Mutter im Dorf hätte sie nicht leben können, weil diese nur ein Zimmer und nicht genug Platz für sie alle habe. Die Beschwerdeführerin habe als Krankenschwester in einem Krankenhaus gearbeitet und ihre Mutter gelegentlich finanziell unterstützt; im Dorf habe es nichts zu tun gegeben. Warum diese von der Beschwerdeführerin geschilderten Umstände ihren Aufenthalt beim Onkel nicht zu erklären vermochten, hat die belangte Behörde nicht dargelegt und sich mit diesen Erklärungsversuchen der Beschwerdeführerin auch nicht auseinander gesetzt.

Weiters hat die belangte Behörde nicht dargelegt, warum die Beschwerdeführerin wissen müsse, aus welchen Gründen der Onkel sie nunmehr zu einer Heirat mit einem Parteifreund habe zwingen wollen, und die von der Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung dazu angestellten Vermutungen - wonach der Onkel wahrscheinlich gedacht habe, dass sie selbst keinen Mann finden würde - und Erklärungen - wonach das Alter bei einer Verheiratung keine Rolle spiele - nicht berücksichtigt. Zudem handelt es sich bei der diesen Ausführungen offenbar zugrunde liegenden Annahme der belangten Behörde, in Nigeria würde eine Frau, die über 30 Jahre alt ist und zwei Kinder hat, nicht mehr zwangsweise verheiratet werden, um eine durch kein Berichtsmaterial belegte Mutmaßung. Dies gilt auch für die Annahme der belangten Behörde, die Mutter und die Kinder der Beschwerdeführerin müssten wegen ihrer Flucht Schwierigkeiten mit dem Onkel haben.

Die Ausführungen der belangten Behörde zur mangelnden Nachvollziehbarkeit der von der Beschwerdeführerin aufgestellten Behauptung, innerhalb weniger Stunden von den Leuten ihres Onkels in Warri ausfindig gemacht worden zu sein, erweisen sich insofern als aktenwidrig, als die Beschwerdeführerin in ihrer Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 15. Juli 2004 angegeben hatte, sich ab 1. Juni 2004 in Warri aufgehalten zu haben und (erst) am 20. Juni 2004 gefunden worden zu sein.

Der im Übrigen in der Beweiswürdigung angeführte Umstand, die Beschwerdeführerin habe erstmals in der mündlichen Verhandlung angegeben, dass sie dem Dorfältesten von ihren Problemen berichtet und danach wieder zu ihrem Onkel zurückgegangen sei, vermag den von der belangten Behörde gezogenen Schluss, das Vorbringen der Beschwerdeführerin sei unglaubwürdig, nicht zu tragen.

Insgesamt erweist sich die Beweiswürdigung der belangten Behörde zu der von ihr angenommenen Unglaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens der Beschwerdeführerin somit als unschlüssig.

Aber auch die Hilfsbegründung des angefochtenen Bescheides vermag diesen nicht zu tragen. Die belangte Behörde hat alternativ die Auffassung vertreten, dass selbst bei Zutreffen der von der Beschwerdeführerin behaupteten Verfolgungsgefahr, die geschilderten Probleme im Zusammenhang mit Privatpersonen stünden und eine fehlende staatliche Schutzfähigkeit oder -willigkeit nicht erkannt werden könne.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden Verfolgung nur dann Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hinanzuhalten (vgl. das hg. Erkenntnis vom 28. Oktober 2009, Zl. 2006/01/0793). Die Beschwerdeführerin hatte im Verfahren vorgebracht, dass sie sich deshalb nicht an die Polizei gewandt habe, weil sich diese nur um Leute kümmere, die Geld hätten, und weil sie einen Stammesälteren bei der Polizei nicht hätte anzeigen können. Die belangte Behörde hat dem entgegen gehalten, dass sich "aus den Länderfeststellungen" keine Hinweise darauf ergeben würden, dass das Bemühen um polizeilichen Schutz von vornherein aussichtslos gewesen wäre, und dass in Nigeria zahlreiche Hilfsorganisationen für in Not geratene Frauen bestünden, ohne jedoch tatsächlich Feststellungen zur Frage der Schutzfähigkeit und -willigkeit der nigerianischen Behörden in Bezug auf die geltend gemachte Bedrohung durch Zwangsheirat oder zu allenfalls bestehenden Hilfsorganisationen getroffen zu haben. Hinsichtlich der nicht als Bestandteil des angefochtenen Bescheides anzusehenden englischsprachigen Textpassagen wird gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf das hg. Erkenntnis vom 3. Dezember 2008, Zlen. 2008/19/0990 bis 0993, verwiesen.

Die Hilfsbegründung der belangten Behörde erweist sich demnach ebenfalls als unzureichend.

Es erscheint nicht ausgeschlossen, dass bei Einhaltung der Verfahrensvorschriften ein anderes Verfahrensergebnis möglich gewesen wäre, weshalb der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben war.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 28. Juni 2011

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