VwGH 2010/22/0165

VwGH2010/22/01659.11.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok und die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder sowie die Hofrätinnen Mag. Merl und Dr. Julcher als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Henk, über die Beschwerde des A E in S, vertreten durch die Weh Rechtsanwalt GmbH in 6900 Bregenz, Wolfeggstraße 1, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol vom 6. Mai 2010, Zl. E1/12953/09, betreffend Aufhebung eines Rückkehrverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

FrG 1997 §36;
FrPolG 2005 §125 Abs3;
FrPolG 2005 §65 Abs1;
NAG 2005 §44 Abs3;
NAG 2005 §44b Abs3 idF 2009/I/122;
NAG 2005 §44b Abs3;
FrG 1997 §36;
FrPolG 2005 §125 Abs3;
FrPolG 2005 §65 Abs1;
NAG 2005 §44 Abs3;
NAG 2005 §44b Abs3 idF 2009/I/122;
NAG 2005 §44b Abs3;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, reiste zufolge den unbestrittenen Feststellungen im angefochtenen Bescheid erstmals 1992 in das Bundesgebiet ein. Im Jahr 1997 wurde gegen ihn nach dem Fremdengesetz (1992) ein auf fünf Jahre befristetes Aufenthaltsverbot im Hinblick auf rechtskräftige gerichtliche Verurteilungen wegen strafbarer Handlungen gegen fremdes Vermögen erlassen.

Im Juni 2002 reiste er mithilfe eines Schleppers erneut illegal in das Bundesgebiet ein und ging sodann - wie von der belangten Behörde ebenfalls unbestritten festgestellt wurde - entgegen den Bestimmungen des Ausländerbeschäftigungsgesetzes einer Beschäftigung nach. Mit in Rechtskraft erwachsenem Bescheid vom 8. Juli 2002 erließ die Bezirkshauptmannschaft S gegen ihn nach dem Fremdengesetz 1997 ein auf zehn Jahre befristetes Aufenthaltsverbot, weil sein weiterer Aufenthalt die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährde. Am gleichen Tag wurde der Beschwerdeführer in Schubhaft genommen.

Am 15. Juli 2002 stellte er einen Asylantrag; in der Folge wurde er aus der Schubhaft entlassen.

Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 7. Februar 2003 wurde er wegen des zwischen 16. September 2002 und 15. Oktober 2002 begangenen Verbrechens des teils versuchten, teils vollendeten gewerbsmäßigen Diebstahls durch Einbruch nach den §§ 15, 127, 129 Z 1, 130 zweiter Satz zweiter Fall Strafgesetzbuch zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten, davon zehn Monate bedingt, verurteilt.

Im November 2004 reisten die Ehefrau des Beschwerdeführers und die zwei gemeinsamen Kinder nach Österreich und beantragten ebenfalls Asyl. 2005 und 2008 wurden zwei weitere Kinder in Österreich geboren.

Mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 2. März 2009 wurden die Asylanträge aller Familienmitglieder abgewiesen und die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Türkei für zulässig erklärt. In der Folge wurden die Ehefrau und die Kinder des Beschwerdeführers mit Bescheid der belangten Behörde vom 23. Juni 2009 rechtskräftig ausgewiesen.

Am 10. Dezember 2009 beantragte der Beschwerdeführer - ebenso wie seine Ehefrau und seine Kinder - die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung gemäß dem damaligen § 44 Abs. 3 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG.

Mit Eingabe vom 17. Februar 2010 beantragte er schließlich nach dem § 65 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG die Aufhebung des Aufenthaltsverbotes vom 8. Juli 2002. Diesen Antrag wies die belangte Behörde mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid ab.

Begründend führte sie nach Darstellung des Sachverhalts und der Rechtslage aus, dass die Gründe, die zur Erlassung des Aufenthaltsverbotes gegen den Beschwerdeführer geführt hätten, nämlich die Gefährlichkeit des Beschwerdeführers für die öffentliche Ordnung und Sicherheit, nicht weggefallen seien. Der Beschwerdeführer sei sogar nach Erlassung des Aufenthaltsverbotes straffällig geworden und wegen gewerbsmäßigen Einbruchsdiebstahls rechtskräftig verurteilt worden. Dazu kämen seine rechtsmissbräuchliche Asylantragstellung im Jahr 2002 und der Umstand, dass er nach rechtskräftigem Abschluss seines Asylverfahrens im März 2009 das Bundesgebiet nicht verlassen habe. Eine Gefährlichkeitsprognose, dass die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbotes erforderlich sei, um eine vom Beschwerdeführer ausgehende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit abzuwenden, sei daher weiterhin zu treffen.

Die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbotes sei auch im Grunde des § 66 FPG zulässig: Ein relevanter Eingriff in das "Privat- oder Familienleben" liege vor, mache die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbotes aber angesichts des Gesamtfehlverhaltens des Beschwerdeführers nicht unzulässig. Ein Familienleben des Beschwerdeführers bestehe mit seiner Ehefrau und vier minderjährigen Kindern. Ein Eingriff in das Familienleben erfolge durch die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbots aber nicht, weil auch die Ehefrau und die Kinder des Beschwerdeführers rechtskräftig ausgewiesen worden seien. Durch den fünfjährigen Voraufenthalt und den jetzt wieder achtjährigen Aufenthalt sei zwar eine Schutzwürdigkeit des Privatlebens des Beschwerdeführers gegeben. Der Beschwerdeführer sei allerdings am Arbeitsmarkt nicht intensiv integriert, er habe seit 2002 nur insgesamt neun Monate gearbeitet und verfüge derzeit über kein eigenes Einkommen und Vermögen. In der Türkei lebe nur noch ein Bruder des Beschwerdeführers, der Beschwerdeführer lebe aber noch nicht so lange außerhalb seines Heimatlandes, dass er sich dort nicht mehr zurechtfinden könnte. Dazu komme noch, dass das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers zu einer Zeit entstanden sei, als er sich seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein hätte müssen.

Die für den Beschwerdeführer und seine Familie durch die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbotes entstehenden Unannehmlichkeiten müssten im öffentlichen Interesse in Kauf genommen werden. Auch im Rahmen des Ermessens könne von der Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbotes nicht Abstand genommen werden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen hat:

Das über den Beschwerdeführer noch nach dem Fremdengesetz 1997 verhängte Aufenthaltsverbot galt mit dem Inkrafttreten des FPG am 1. Jänner 2006 gemäß dessen § 125 Abs. 3 letzter Satz als Rückkehrverbot weiter, weil er zu diesem Zeitpunkt unstrittig Asylwerber war. Dass gegen den Beschwerdeführer eine Ausweisung erlassen wurde, wodurch sich das Rückkehrverbot wieder in ein Aufenthaltsverbot gewandelt hätte (vgl. zB das hg. Erkenntnis vom 8. September 2009, Zl. 2007/21/0064, mwN), wurde von der belangten Behörde nicht festgestellt und ergibt sich auch nicht aus den vorgelegten Verwaltungsakten. Der Antrag auf Aufhebung des Aufenthaltsverbotes war daher als auf Aufhebung des Rückkehrverbotes gerichtet zu deuten. Durch die unrichtige Bezeichnung als Aufenthaltsverbot im angefochtenen Bescheid wurde der Beschwerdeführer aber nicht in Rechten verletzt, weil sich die Voraussetzungen für die Aufhebung eines Rückkehrverbotes nicht von jenen für die Aufhebung eines Aufenthaltsverbotes unterscheiden.

Gemäß § 65 Abs. 1 FPG (in der Stammfassung) ist ein Aufenthaltsverbot oder Rückkehrverbot auf Antrag oder von Amts wegen aufzuheben, wenn die Gründe, die zu seiner Erlassung geführt haben, weggefallen sind. Ein darauf abzielender Antrag kann nur dann zum Erfolg führen, wenn sich seit der Erlassung der Maßnahme die dafür maßgebenden Umstände zu Gunsten des Fremden geändert haben, wobei im Rahmen der Entscheidung über einen solchen Antrag auch auf die nach der Verhängung des Aufenthaltsverbotes oder Rückkehrverbotes eingetretenen und gegen die Aufhebung dieser Maßnahme sprechenden Umstände Bedacht zu nehmen ist. Da bei der Entscheidung über die Aufhebung eines Aufenthaltsverbotes oder Rückkehrverbotes die Rechtmäßigkeit des Bescheides, mit dem die Maßnahme erlassen wurde, nicht mehr überprüft werden kann, ist für den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides über den Aufhebungsantrag zu beurteilen, ob die Voraussetzungen für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes bzw. Rückkehrverbotes wegen einer Änderung der Umstände zu Gunsten des Fremden weggefallen sind (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 3. April 2009, Zl. 2008/22/0598).

Der Beschwerdeführer wendet sich zunächst gegen die Gefährdungsprognose der belangten Behörde. Er bringt vor, dass er als junger Erwachsener zweimal straffällig geworden sei, wobei die angeführten Taten dem Bereich der Kleinkriminalität zuzuordnen seien. Die zuletzt vorgeworfene Tat sei im Jahr 2002 gesetzt worden, seitdem habe sich der Beschwerdeführer "absolut klaglos" verhalten.

Dem ist zu entgegnen, dass der Beschwerdeführer, wie die belangte Behörde zu Recht ausgeführt hat, nach Erlassung des Aufenthaltsverbotes im Jahr 2002 (erneut) straffällig geworden ist. Ein solcher Umstand ist ein besonders starkes Indiz für die Annahme, dass der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 19. Februar 2009, Zl. 2006/18/0164, mwN). Schon angesichts der (die Straftaten als Verbrechen mit einer Mindeststrafdrohung von einem Jahr Freiheitsstrafe qualifizierenden) Gewerbsmäßigkeit der Begehung kann entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers auch nicht von "Kleinkriminalität" bzw. "Bagatelldelikten" gesprochen werden. Der Beschwerdeführer war - in seinem 30. Lebensjahr - auch nicht mehr in einem jugendlichen Alter.

Dazu kommt, dass sich der Beschwerdeführer seit der im März 2009 ergangenen rechtskräftigen Abweisung seines Asylantrages unrechtmäßig in Österreich aufhält. Von einem Wohlverhalten im fremdenrechtlichen Sinn kann daher nicht gesprochen werden. Ein wesentlicher Bestandteil der öffentlichen Ordnung im Bereich des Fremdenwesens ist nämlich, dass abgelehnte Asylwerber nach Abschluss des Asylverfahrens durch ihre Ausreise den rechtmäßigen Zustand herstellen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 18. März 2010, Zl. 2010/22/0013), dies umso mehr dann, wenn wie im Beschwerdefall vorher ein Aufenthaltsverbot erlassen worden ist.

Auch die Antragstellung nach § 44 Abs. 3 NAG - die im Übrigen erst im Dezember 2009 erfolgt ist - hat dem Beschwerdeführer entgegen seiner Ansicht kein Aufenthaltsrecht verschafft (vgl. § 44b Abs. 3 NAG). Zur Rechtslage vor Inkrafttreten der Novelle BGBl. I Nr. 122/2009 hat der Verwaltungsgerichtshof zwar judiziert, dass Antragsteller während des Verfahrens zur Erteilung eines humanitären Aufenthaltstitels grundsätzlich - wenn der Antrag nicht als unzulässig zurückzuweisen ist - nicht abgeschoben werden dürfen (vgl. grundlegend das hg. Erkenntnis vom 22. Oktober 2009, Zl. 2009/21/0293). Ab dem 1. Jänner 2010 war aber § 44b Abs. 3 NAG in der Fassung BGBl. I Nr. 122/2009 anzuwenden, der bestimmt, dass (u.a.) Anträge nach § 44 Abs. 3 NAG der Erlassung und Durchführung fremdenpolizeilicher Maßnahmen nicht entgegenstehen und im fremdenpolizeilichen Verfahren keine aufschiebende Wirkung entfalten.

Hinsichtlich des vom Beschwerdeführer ins Treffen geführten Arguments, die Verwaltungsstrafe wegen illegaler Beschäftigung im Jahr 2002 sei getilgt, ist darauf hinzuweisen, dass die belangte Behörde ein solches Delikt - das nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz nicht vom Beschwerdeführer, sondern nur von seinem Arbeitgeber begangen werden konnte - ohnedies nicht ihrer Beurteilung zugrunde gelegt hat. Im Übrigen stünde aber auch die eingetretene Tilgung einer Berücksichtigung der einer Bestrafung zugrunde liegenden Taten im Rahmen der Beurteilung des Gesamt(fehl)verhaltens des Fremden im Sinne des § 60 Abs. 1 bzw. des § 62 Abs. 1 FPG grundsätzlich nicht entgegen (vgl. etwa hg Erkenntnis vom 17. März 2009, Zl. 2007/21/0259).

Insgesamt kann der belangten Behörde daher nicht entgegengetreten werden, wenn sie davon ausgeht, dass der weitere Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet - bezogen auf den Bescheiderlassungszeitpunkt - nach wie vor im Sinn des § 62 Abs. 1 Z 1 FPG die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährde.

Die Aufrechterhaltung des Rückkehrverbots war auch im Grunde des § 62 Abs. 3 iVm § 66 FPG zulässig:

Die belangte Behörde hat einerseits zu Recht darauf hingewiesen, dass ein Eingriff in das Familienleben des Beschwerdeführers nicht anzunehmen war, weil zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung rechtskräftige Ausweisungen gegenüber der Ehefrau und den Kindern des Beschwerdeführers vorlagen, sodass davon auszugehen war, das gemeinsame Familienleben werde in der Türkei fortgesetzt werden. Andererseits ist der belangten Behörde auch darin Recht zu geben, dass der - vorhandene - Eingriff in das in Österreich geführte Privatleben des Beschwerdeführers dadurch relativiert ist, dass dieses im Wesentlichen zu einer Zeit entstanden ist, als er sich - auf Grund des zuvor erlassenen Aufenthaltsverbotes und sodann der erstinstanzlichen Abweisung seines Asylantrags bereits im August 2002 - seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste und nicht mit einem Verbleib in Österreich rechnen durfte. Insgesamt kann die Ansicht der belangten Behörde, dass die persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Bundesgebiet nicht schwerer wiegen als das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung des Rückkehrverbotes, daher nicht als rechtswidrig angesehen werden.

Die vom Beschwerdeführer ins Treffen geführten Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte und des Verfassungsgerichtshofes betreffen Konstellationen, die nicht mit dem Beschwerdefall vergleichbar sind, und lassen schon deswegen nicht die vom Beschwerdeführer fallbezogen daraus gezogenen Schlüsse zu.

Da sich die Beschwerde somit insgesamt als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Von der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Wien, am 9. November 2011

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte