Normen
AsylG 2005 §7;
AsylG 2005 §8;
AsylG 2005 §9;
AVG §71 Abs1;
AVG §71 Abs6;
FrPolG 2005 §39;
FrPolG 2005 §76 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
AsylG 2005 §7;
AsylG 2005 §8;
AsylG 2005 §9;
AVG §71 Abs1;
AVG §71 Abs6;
FrPolG 2005 §39;
FrPolG 2005 §76 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, der behauptet, ein libyscher Staatsangehöriger zu sein, reiste am 2. April 2008 illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid vom 27. April 2010 (zugestellt am selben Tag) wies das Bundesasylamt diesen Antrag ab und den Beschwerdeführer - auf Grund des Ergebnisses einer Sprachanalyse - nach Algerien aus. Die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde gegen diesen Bescheid wurde nicht ausgesprochen.
Mit in Rechtskraft erwachsenem Bescheid vom 13. Juli 2009 hatte die Bundespolizeidirektion Wien gegen den Beschwerdeführer gemäß § 62 Abs. 1 und 2 in Verbindung mit § 60 Abs. 2 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Rückkehrverbot erlassen, das mit der Verurteilung des Beschwerdeführers durch das Landesgericht für Strafsachen Wien am 27. Mai 2009 wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen Diebstahls nach §§ 127, 130 erster Fall StGB zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von acht Monaten begründet worden war.
Am 21. Juni 2010 um 11:30 Uhr wurde der Beschwerdeführer, als er seiner Meldeverpflichtung gemäß § 15 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 nachkommen wollte, festgenommen. Nach Überstellung in das Polizeianhaltezentrum und Einvernahme durch Organe der Bundespolizeidirektion Wien, bei der der Beschwerdeführer unter anderem angab, gegen den erstinstanzlichen Asylbescheid Berufung erhoben zu haben, ordnete die Bundespolizeidirektion Wien um 14:30 Uhr gemäß § 76 Abs. 1 FPG die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung an.
Der Schubhaftbescheid wurde im Wesentlichen damit begründet, dass der Beschwerdeführer im Bundesgebiet ohne Unterstand angetroffen worden sei, gegen ihn eine durchsetzbare asylrechtliche Ausweisung vorliege und er seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen sei. Die Verhängung der Schubhaft zur Sicherung "des bzw. der fremdenpolizeilichen Verfahren" sei notwendig, weil zu befürchten sei, dass er sich "dem weiteren fremdenpolizeilichen Verfahren bzw. Maßnahmen" zu entziehen trachten werde. Die Anordnung eines gelinderen Mittels gemäß § 77 FPG sei nicht in Betracht gekommen; die Behörde habe nämlich keinen Grund zur Annahme gehabt, dass der Zweck der Schubhaft auch durch dessen Anwendung erreicht werden könne, da der Beschwerdeführer trotz behördlicher Obdachlosenmeldung nicht angeben habe können bzw. wollen, wo er tatsächlich Unterkunft nehme.
Gegen diesen Bescheid sowie die Festnahme und die Anhaltung in Schubhaft erhob der Beschwerdeführer am 23. Juni 2010 Beschwerde gemäß § 82 FPG. Er führte darin unter anderem aus, dass er gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 27. April 2010 durch seinen Vertreter am 14. Mai 2010 Beschwerde an den Asylgerichtshof erhoben habe. Mit Schreiben vom 2. Juni 2010 sei ihm mitgeteilt worden, dass die Beschwerde verspätet sei, weshalb er am 16. Juni 2010 den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt habe. Zudem habe er beantragt, das Bundesasylamt möge dem Wiedereinsetzungsantrag gemäß § 71 Abs. 6 AVG die aufschiebende Wirkung zuerkennen. Nachdem der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers von der Verhängung der Schubhaft Kenntnis erlangt habe, habe er der Bundespolizeidirektion Wien mit E-Mail vom 21. Juni 2010 (dem Tag der Inschubhaftnahme) mitgeteilt, dass auf Grund des Wiedereinsetzungsantrages sowie des Antrages, diesem gemäß § 71 Abs. 6 AVG die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, die Abschiebung des Beschwerdeführers bis zum Abschluss des Wiedereinsetzungsverfahrens nicht zulässig sei. Aus der bisherigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes sei erkennbar, dass wegen des sonst eintretenden unverhältnismäßigen Nachteiles für den Asylwerber das Bundesasylamt zur Gewährung der aufschiebenden Wirkung in der Wiedereinsetzungssache verpflichtet sei. Angesichts dessen sei die derzeitige Haft unverhältnismäßig.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 28. Juni 2010 wies die belangte Behörde die Administrativbeschwerde gemäß § 83 FPG kostenpflichtig als unbegründet ab. Unter einem sprach sie aus, dass im Entscheidungszeitpunkt die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen.
In ihrer rechtlichen Beurteilung erklärte die belangte Behörde zunächst, dass sich die Festnahme des Beschwerdeführers "gemäß § 39" als rechtmäßig erweise, weil gegen ihn "eine Ausweisung vorliegt".
Hinsichtlich der Anordnung der Schubhaft führte sie aus, dass "gegen den Beschwerdeführer eine zur Zeit rechtskräftige Ausweisung mit Bescheid des Bundesasylamtes seit 12.05.2010" bestehe. Der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers habe gegen den Bescheid des Bundesasylamtes das Rechtsmittel der "Berufung" verspätet eingebracht und einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt, verbunden mit dem Antrag, "der Berufung" die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen. Das bedeute im vorliegenden Fall, dass sich der auf § 76 Abs. 1 FPG gestützte Schubhaftbescheid der Bundespolizeidirektion Wien sowie die darauf basierende Schubhaft als "grundsätzlich richtig" erwiesen.
Hinsichtlich des Sicherungsbedarfs folgen im angefochtenen Bescheid Ausführungen zu den Schubhafttatbeständen des § 76 Abs. 2 FPG. Fallbezogen bejahte die belangte Behörde den Sicherungsbedarf (für die gemäß § 76 Abs. 1 FPG verhängte Schubhaft) im Wesentlichen mit der Begründung, dass der Beschwerdeführers keine "wie immer geartete Integration im Bundesgebiet" aufweise und seit seiner Haftentlassung über keine Wohnsitzmeldung, sondern nur über eine Obdachlosenmeldung verfüge. Nicht von entscheidungsrelevanter Bedeutung, aber der Vollständigkeit halber zu erwähnen sei, dass der Beschwerdeführer bereits kurze Zeit nach seiner illegalen Einreise in das Bundesgebiet straffällig geworden sei. Die Anwendung gelinderer Mittel im Sinne des § 77 FPG sei nicht geeignet, der konkreten Gefahr des Untertauchens wirksam zu begegnen.
Als "unerheblich hinsichtlich gegenständlicher Entscheidung" erachtete die belangte Behörde den vom Rechtsvertreter des Beschwerdeführers eingebrachten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Asylverfahren, verbunden mit dem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung. Wörtlich führte die belangte Behörde dazu aus: "Dies betrifft, so auch der Berufungsantrag, das durch Bescheid bereits abgeschlossene Asylverfahren, mit welchem auch die Ausweisung verfügt worden war. Der Ausgang dieses Verfahrens ist ungewiss und derzeit für die Anhaltung in Schubhaft nicht maßgeblich."
Zum Entscheidungszeitpunkt lägen auch die für eine Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vor.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:
Der Beschwerdeführer hat schon im Verwaltungsverfahren ausgeführt, dass seinem Antrag, dem Wiedereinsetzungsantrag gemäß § 71 Abs. 6 AVG die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, stattzugeben gewesen wäre und dies auch für die Verhältnismäßigkeit der Schubhaft maßgeblich sei.
Die belangte Behörde hat demgegenüber, wie oben wiedergegeben, die Auffassung vertreten, dass der Wiedereinsetzungsantrag "unerheblich hinsichtlich gegenständlicher Entscheidung" sei und dass der Ausgang des Asylverfahrens "ungewiss und derzeit für die Anhaltung in Schubhaft nicht maßgeblich" sei.
Richtig ist, dass das den Beschwerdeführer betreffende Asylverfahren mit Eintritt der Rechtskraft des Bescheides des Bundesasylamtes vom 27. April 2010 als abgeschlossen anzusehen war. Daran vermochten das Stellen eines Wiedereinsetzungsantrages und die damit verbundene Erhebung einer Beschwerde gegen die in erster Instanz erfolgte Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz noch nichts zu ändern. Dass dem Wiedereinsetzungsantrag durch das Bundesasylamt im hier relevanten Zeitraum gemäß § 71 Abs. 6 AVG aufschiebende Wirkung schon zuerkannt worden war, hat auch der Beschwerdeführer nicht behauptet. Ausgehend davon kam ihm während dieses Zeitraumes weder (wieder) die Stellung als Asylwerber noch die eines Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hatte, im Sinn des § 76 Abs. 2 FPG zu. Die Schubhaft des Beschwerdeführers konnte daher ungeachtet des Wiedereinsetzungsantrages grundsätzlich auf § 76 Abs. 1 FPG gestützt werden.
Die belangte Behörde hat aber außer Acht gelassen, dass der Stellung eines Wiedereinsetzungsantrages gegen die Versäumung der Rechtsmittelfrist zur Bekämpfung eines verfahrensbeendenden Asylbescheides im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Schubhaft Bedeutung zukommen kann (vgl. das auch in der Schubhaftbeschwerde zitierte hg. Erkenntnis vom 8. Juli 2009, Zl. 2007/21/0022; siehe zur grundsätzlich gebotenen Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung im Wiedereinsetzungsverfahren aus der ständigen Rechtsprechung des Asylgerichtshofes zB die Beschlüsse vom 23. Dezember 2008, Zl. C8 313520-2/2008, und vom 2. März 2011, Zl. D6 241009-4/2011). Offenbar ausgehend von einer anderen Rechtsansicht hat die belangte Behörde aber jede Auseinandersetzung mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers unter diesem Gesichtspunkt unterlassen.
Was im Übrigen den Ausspruch über die Festnahme betrifft, so kann er schon deswegen keinen Bestand haben, weil der bloße Hinweis auf "§ 39" (FPG) ohne Nennung eines konkreten Tatbestandes und Subsumtion unter diesen nicht ausreicht, um die Rechtmäßigkeit der Festnahme zu begründen.
Der angefochtene Bescheid war daher schon deshalb zur Gänze gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am 16. Mai 2012
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