VwGH 2010/17/0065

VwGH2010/17/00651.4.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Holeschofsky und Dr. Köhler als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Gold, über die Beschwerde des J Z (geboren 1994) und vertreten durch die Eltern S Z und S F-Z, alle in N, die letzteren vertreten durch Dr. Markus Skarics, Rechtsanwalt in 6460 Imst, Dr. Pfeiffenberger-Straße 16, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Imst vom 8. März 2010, Zl. SI-430-2009, betreffend erkennungsdienstliche Behandlung, zu Recht erkannt:

Normen

Novellen BGBl2007/I/114 Art1;
SPG 1991 §65 Abs1 idF 2007/I/114;
Novellen BGBl2007/I/114 Art1;
SPG 1991 §65 Abs1 idF 2007/I/114;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Aus der Beschwerde und der mit ihr vorgelegten Ausfertigung des angefochtenen Bescheides ergibt sich nachstehender Sachverhalt:

Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 8. März 2010 wurde der Beschwerdeführer verpflichtet, sich erkennungsdienstlich behandeln zu lassen. Die belangte Behörde stützte diese Entscheidung auf § 65 Abs. 4 in Verbindung mit § 77 Abs. 2 Sicherheitspolizeigesetz 1991 "in der geltenden Fassung". Begründend führte die belangte Behörde entscheidungswesentlich aus, dass die erkennungsdienstliche Behandlung notwendig sei, weil der Beschwerdeführer im Verdacht stehe, bisher insgesamt vier Vergehen nach dem StGB begangen zu haben. Gegen ihn sei von der Polizeiinspektion Imst Anzeige wegen des Verdachtes strafbarer Handlungen gegen fremdes Vermögen (Sachbeschädigung) sowie der Verleumdung und weiters Anzeige wegen des Verdachtes des räuberischen Diebstahls an die Staatsanwaltschaft Innsbruck erstattet worden. Bei den angezeigten Straftaten handle es sich um vorsätzlich mit Strafe bedrohte Handlungen, welche keine Privatanklagedelikte seien, sowie um gefährliche Angriffe nach § 16 Abs. 2 SPG. Die Notwendigkeit zur Durchführung der erkennungsdienstlichen Behandlung liege in der Art der jeweils begangenen Delikte einerseits, sowie in den konkreten Umständen der Tatausführung andererseits begründet. Bei den verübten Straftaten handle es sich um Delikte, welche bereits von sich aus die Gefahr begründeten, dass der Beschwerdeführer auch in Zukunft weitere gefährliche Angriffe begehen könnte. Als konkrete Umstände bei den jeweiligen Tatausführungen werde angeführt, dass im Falle der Sachbeschädigung zu einer näher angeführten Geschäftszahl die Rücksichtslosigkeit, kein Geständnis und keine Schadensgutmachung, im Falle einer weiteren Sachbeschädigung zu einer näher angeführten Geschäftszahl die Rücksichtslosigkeit und kein Geständnis, im Falle der Verleumdung das wissentliche Handeln und kein Geständnis und im Falle des räuberischen Diebstahls die Gewaltanwendung bei der Tatausführung, die Verweigerung der Angaben sowie die Ablegung eines Geständnisses erst nach Vorhalt des Überwachungsvideos heranzuziehen seien.

Die Behörde erachte somit die erkennungsdienstliche Behandlung hinsichtlich der Eignung zur Wiedererkennung des Beschwerdeführers unter Hinblick auf die Zukunftsprognose als notwenig und verhältnismäßig. Zudem stehe die erkennungsdienstliche Maßnahme zur möglichen Gefahr der Begehung weiterer Straftaten nicht außer Verhältnis zu der möglichen Rückfallgefahr oder der zu erwartenden Aufklärungswahrscheinlichkeit.

Der Beschwerdeführer bekämpft diesen Bescheid vor dem Verwaltungsgerichtshof wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde in dem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Der Beschwerdeführer bringt vor dem Verwaltungsgerichtshof vor, dass bei der ersten Sachbeschädigung das Strafverfahren mit Beschluss des Bezirksgerichtes Imst gemäß § 203 StPO unter Bestimmung einer Probezeit von zwei Jahren vorläufig eingestellt worden sei; darüber hinaus sei der Beschwerdeführer für sein Verhalten eingestanden und sei von ihm auch der Schaden wieder gut gemacht worden.

In den Fällen der (weiteren) Sachbeschädigung und Verleumdung sei die Staatsanwaltschaft Innsbruck gemäß § 201 Abs. 5 StPO (nach erbrachter gemeinnütziger Leistung im Ausmaß von 40 Stunden im Altersheim) endgültig von der Verfolgung zurückgetreten. Darüber hinaus habe der Beschwerdeführer die Verleumdung nicht begangen. Des weiteren sei auch im Zusammenhang mit diesem Strafverfahren der Schaden vom Beschwerdeführer wieder gut gemacht worden und dieser auch geständig gewesen.

Im Falle des Diebstahls, der von der Staatsanwaltschaft rechtlich im Sinne des § 127 StGB (und nicht des § 131 StGB) qualifiziert worden sei, sei dieses Strafverfahren auf Grund des Strafaufhebungsgrundes der tätigen Reue nach § 167 StGB eingestellt worden. Hinsichtlich des § 105 StGB sei in der Verhandlung vom 2. März 2010 erstinstanzlich ein Freispruch erfolgt.

Die amtswegige Vornahme einer erkennungsdienstlichen Behandlung nach § 65 Abs. 1 SPG - so die Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof weiter - komme hinsichtlich der Vorbeugung weiterer gefährlicher Angriffe nur dann in Betracht, wenn sich die Behörde mit den unter Bedachtnahme auf die Persönlichkeit des Beschwerdeführers zu ziehenden Schlüssen hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit, dass dieser gefährliche Angriffe begehen werde und mit der Frage des daraus abzuleitenden Erfordernisses einer Vorbeugung durch eine erkennungsdienstliche Behandlung auseinandergesetzt habe. Diesbezüglich sei auf die spezifische Notwendigkeit der erkennungsdienstlichen Behandlung zur Verhinderung weiterer gefährlicher Angriffe durch das Wissen um die Möglichkeit einer Wiedererkennung abzustellen. Die Behörde habe nach ständiger Rechtsprechung (des Verwaltungsgerichtshofes) bei der Prüfung der Erforderlichkeit einer erkennungsdienstlichen Behandlung eine konkrete fallbezogene Prognose zu treffen, bei der sie sich mit den Einzelheiten des von ihr im Sinne der ersten Voraussetzungen des § 65 Abs. 1 SPG angenommenen Verdachtes, mit der Art des dadurch verwirklichten Deliktes, mit den daraus unter Bedachtnahme auf die Persönlichkeit des Betroffenen zu ziehenden Schlüssen hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit, dass er in Zukunft gefährliche Angriffe begehen werde, und mit der Frage des daraus abzuleitenden Erfordernisses einer durch die erkennungsdienstliche Behandlung bewirkten Vorbeugung im erwähnten Sinn auseinanderzusetzen habe (Hinweis auf die hg. Erkenntnisse vom 24. Oktober 2007, Zl. 2007/21/0341 und vom 27. Februar 2007, Zl. 2005/01/0803).

Die Begründung des angefochtenen Bescheides entspreche diesen Anforderungen schon deshalb nicht, da nur vier Tathandlungen angeführt worden seien, ohne deren Einzelheiten näher zu prüfen, was in der Beschwerde weiter erläutert wird. Zusammenfassend kommt die Beschwerde zur Ansicht, dass eine konkrete und fallbezogene Prognose anhand der im bekämpften Bescheid angeführten Angaben nicht möglich sei.

Schließlich verweist die Beschwerde noch darauf, dass ein vorläufiger Rücktritt von der Verfolgung (Diversion) gerade dann erfolge, wenn eine Bestrafung nicht geboten erscheine, um den Beschuldigten von der Begehung strafbarer Handlungen abzuhalten. Demgemäß liege hier ein Widerspruch vor, wenn einerseits die Staatsanwaltschaft von der Verfolgung zurücktrete, andererseits jedoch eine erkennungsdienstliche Behandlung zur Vorbeugung weiterer gefährlicher Angriffe erforderlich sein solle.

§ 65 des Bundesgesetzes über die Organisation der Sicherheitsverwaltung und die Ausführung der Sicherheitspolizei (Sicherheitspolizeigesetz - SPG), BGBl. Nr. 566/1991, in der im Beschwerdefall anzuwenden Fassung durch die Novelle BGBl. I Nr. 114/2007 regelt die erkennungsdienstliche Behandlung wie folgt (auszugsweise):

"(1) Die Sicherheitsbehörden sind ermächtigt, einen Menschen, der im Verdacht steht, eine mit Strafe bedrohte Handlung begangen zu haben, erkennungsdienstlich zu behandeln, wenn er im Rahmen einer kriminellen Verbindung tätig wurde oder dies wegen der Art oder Ausführung der Tat oder der Persönlichkeit des Betroffenen zur Vorbeugung weiterer gefährlicher Angriffe erforderlich scheint.

...

(4) Wer erkennungsdienstlich zu behandeln ist, hat an den dafür erforderlichen Handlungen mitzuwirken.

..."

Nach § 77 Abs. 1 SPG (in der Stammfassung) hat die Behörde einen Menschen, den sie einer erkennungsdienstlichen Behandlung zu unterziehen hat, unter Bekanntgabe des maßgeblichen Grundes formlos hiezu aufzufordern. Kommt der Betroffene der Aufforderung gemäß Abs. 1 nicht nach, so ist ihm gemäß Abs. 2 leg. cit. die Verpflichtung gemäß § 65 Abs. 4 SPG bescheidmäßig aufzuerlegen; dagegen ist eine Berufung nicht zulässig.

Wurde wegen des für die erkennungsdienstliche Behandlung maßgeblichen Verdachtes eine Anzeige an die Staatsanwaltschaft erstattet, so gelten die im Dienste der Strafjustiz geführten Erhebungen gemäß § 77 Abs. 3 SPG als Ermittlungsverfahren (§ 39 AVG) zur Erlassung des Bescheides. Dieser kann in solchen Fällen mit einer Ladung (§ 19 AVG) zur erkennungsdienstlichen Behandlung verbunden werden.

Nach der Definition des § 16 Abs. 2 Z. 1 SPG ist ein gefährlicher Angriff die Bedrohung eines Rechtsgutes durch die rechtswidrige Verwirklichung des Tatbestandes einer gerichtlich strafbaren Handlung, die vorsätzlich begangen und nicht bloß auf Begehren der Beteiligten verfolgt wird, sofern es sich um einen Straftatbestand nach dem Strafgesetzbuch, ausgenommen die Tatbestände nach den §§ 278, 278a und 278b StGB handelt.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 18. Mai 2009, Zl. 2009/17/0053, näher dargelegt hat, vermag er im Hinblick auf den geänderten Gesetzestext und die damit verfolgte Absicht des Gesetzgebers, seine bisherige, zur früheren Rechtslage ergangene Rechtsprechung nicht aufrecht zu erhalten; der Verwaltungsgerichtshof geht daher davon aus, dass im zweiten Fall des § 65 Abs. 1 SPG bereits eine abstrakte Form von Wahrscheinlichkeit, die an der verwirklichten Tat anknüpft, für die Annahme ausreicht, die erkennungsdienstliche Behandlung sei zur Vorbeugung weiterer gefährlicher Angriffe erforderlich. Eine derartige Annahme lässt sich im Beschwerdefall der Begründung des angefochtenen Bescheides (gerade noch) plausibel entnehmen.

Auch unter Berücksichtigung des Vorbringens des Beschwerdeführers vor dem Verwaltungsgerichtshof ist davon auszugehen, dass dieser (zumindest) in den Fällen der Sachbeschädigung hinsichtlich des Vorliegens eines Straftatbestandes nach dem Strafgesetzbuch im Sinne eines gefährlichen Angriffes gemäß § 16 Abs. 2 Z. 1 SPG geständig war. Unbestritten ließ der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang die Annahme der belangten Behörde, er sei bei der Tatausführung (besonders) rücksichtslos vorgegangen. Der Verwaltungsgerichtshof kann daher der belangten Behörde nicht entgegentreten, wenn sie daraus abgeleitet hat, die erkennungsdienstliche Behandlung sei zur Vorbeugung weiterer gefährlicher Angriffe erforderlich. Lässt sich doch aus dem (besonders) rücksichtslosen Vorgehen bei den Tatausführungen auf eine Persönlichkeitsstruktur schließen, die jedenfalls eine abstrakte Form von Wahrscheinlichkeit für eine solche Annahme indiziert.

Diese Entscheidung hatte die belangte Behörde - unter Berücksichtigung des Maßstabes des § 65 SPG - unabhängig von der Entscheidung des Gerichtes oder der Staatsanwaltschaft zu treffen.

Da somit bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen lässt, dass die vom Beschwerdeführer behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.

Es wird darauf hingewiesen, dass die Beendigung des Beschwerdefahrens, für dessen Dauer die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung beantragt wurde, einen Abspruch über diesen Antrag entbehrlich macht.

Wien, am 1. April 2010

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