VwGH 2010/16/0033

VwGH2010/16/003324.6.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Steiner und die Hofräte Dr. Mairinger und Dr. Köller als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Wagner, über die Beschwerden des Mag. C P, W, gegen die Bescheide des Unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Wien, jeweils vom 12. Jänner 2010, Zlen. RV/3487-W/09 (protokolliert zur hg. Zl. 2010/16/0033), RV/3496-W/09 (protokolliert zur hg. Zl. 2010/16/0034), RV/3498-W/09 (protokolliert zur hg. Zl. 2010/16/0035), Zl. RV/3486-W/09 (protokolliert zur hg. Zl. 2010/16/0036), RV/3495-W/09 (protokolliert zur hg. Zl. 2010/16/0037) und RV/3497-W/09 (protokolliert zur hg. Zl. 2010/16/0038), jeweils betreffend Zurückweisung der Berufung als verspätet in einer Angelegenheit des Gebührengesetzes, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §39 Abs2;
AVG §45 Abs3;
AVG §63 Abs5;
AVG §66 Abs4;
BAO §115 Abs1;
BAO §115 Abs2;
BAO §245 Abs1;
BAO §273 Abs1 litb;
VwGG §41 Abs1;
VwGG §42 Abs2;
AVG §39 Abs2;
AVG §45 Abs3;
AVG §63 Abs5;
AVG §66 Abs4;
BAO §115 Abs1;
BAO §115 Abs2;
BAO §245 Abs1;
BAO §273 Abs1 litb;
VwGG §41 Abs1;
VwGG §42 Abs2;

 

Spruch:

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von insgesamt EUR 7.958,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Die Mehrbegehren werden abgewiesen.

Begründung

Mit den im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheiden hat die belangte Behörde sechs Berufungen des Beschwerdeführers in einer Angelegenheit des Gebührengesetzes als verspätet zurückgewiesen.

In den gleichlautenden Begründungen ging die belangten Behörde von Zustellungen der erstinstanzlichen Bescheide an den Beschwerdeführer jeweils am 19. August 2009 aus. Da das Ende der einmonatigen Berufungsfrist - so die belangte Behörde - auf einen Samstag gefallen sei, habe die Frist zur Erhebung der Berufungen am Montag, dem 21. September 2009, geendet. Auf den Kuverts, in denen die Berufungen beim Postamt überreicht worden seien, befänden sich die Zeitangaben "22SEP09-21:12". Damit stehe fest, dass die Berufungen am 22. September 2009 beim Postamt X und demnach verspätet aufgegeben worden seien. Um 19:08 Uhr desselben Tages seien die Berufungen mittels Telefax dem Finanzamt für Gebühren und Verkehrsteuern Wien übersendet worden. Dies ergebe sich aus den auf den Telekopien aufscheinenden Vermerken. Auch die Berufungen mittels Telefax am 22. September 2009 seien verspätet.

Gegen diese Bescheide richten sich die vorliegenden Beschwerden wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Der Beschwerdeführer erachtet sich jeweils in seinem Recht auf eine Sachentscheidung verletzt.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und Gegenschriften erstattet, in denen sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerden beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat die Beschwerden wegen ihres persönlichen und sachlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Entscheidung verbunden und darüber in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Der Beschwerdeführer bringt in den gleichlautenden Beschwerden vor, er habe die Berufungen bereits am 21. September 2009 mittels Telefax der belangten Behörde übermittelt, wo diese um 20:02 Uhr eingelangt seien. Dies habe die belangte Behörde unberücksichtigt gelassen. Zum Nachweis schloss der Beschwerdeführer den Beschwerdeschriftsätzen Faxübermittlungsbestätigungen vom 21. September 2009 an.

Bei diesem Vorbringen des Beschwerdeführers handelt es sich um eine Neuerung, die grundsätzlich im Zuge des Verfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof unzulässig wäre. Wurde allerdings eine Berufung als verspätet zurückgewiesen, so ist ein die Rechtzeitigkeit behauptendes Vorbringen, das noch nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens war, nicht als unzulässige Neuerung zu betrachten (vgl. die bei Dolp, die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, zu § 41 VwGG auf Seite 552 ff wiedergegebene Rechtsprechung).

In diesem Sinne hat der Beschwerdeführer in zulässiger Weise in seiner Beschwerde behauptet, er habe die Berufungen bereits am 21. September 2009 mittels Telefax und damit rechtzeitig eingebracht, zumal ihm im Berufungsverfahren keine Gelegenheit gegeben wurde, zur Rechtzeitigkeit der Berufungen Stellung zu nehmen. Der letztgenannte Umstand führt aus folgenden Gründen auch zur Aufhebung der angefochtenen Bescheide:

Gemäß § 273 Abs. 1 lit. b BAO hat die Abgabenbehörde die Berufung durch Bescheid zurückzuweisen, wenn die Berufung nicht fristgerecht eingebracht wurde.

Nach ständiger Rechtsprechung zu dieser Bestimmung hat die Rechtsmittelbehörde das Risiko einer Bescheidaufhebung zu tragen, wenn sie von der Versäumung der Berufungsfrist ausgeht, diese Feststellung aber dem Rechtsmittelwerber vor ihrer Entscheidung nicht vorgehalten hat. Daher hat die Behörde vor Zurückweisung der Berufung als verspätet entweder von Amts wegen zu prüfen, ob ein Zustellmangel unterlaufen ist, wenn nämlich Umstände auf einen solchen hinweisen, oder dem Rechtsmittelwerber die offenbare Verspätung des Rechtsmittels vorzuhalten; unterlässt sie dies, so kann der Rechtsmittelwerber ohne Verstoß gegen das Neuerungsverbot die zu einem späteren Zeitpunkt erfolgte Zustellung des angefochtenen Bescheides in seiner Beschwerde dartun (vgl. das Erkenntnis vom 20. April 2006, Zl. 2006/15/0097, mwN).

Die belangte Behörde ist in den vorliegenden Fällen ihrer Verpflichtung zum Vorhalt der offenbaren Verspätung der Berufungen nicht nachgekommen. Angesichts des Vorbringens des Beschwerdeführers hätte die belangte Behörde bei Einhaltung dieser Verpflichtung zu anderen Bescheiden kommen können.

Die angefochtenen Bescheide waren daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Vor der Durchführung einer Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG abgesehen werden.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung BGBl. II Nr. 455/2008. Das Mehrbegehren auf Ersatz der Umsatzsteuer war abzuweisen, weil diese schon in den pauschalierten Aufwandersätzen enthalten ist.

Wien, am 24. Juni 2010

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