Normen
12010M006 EUV Art06;
12010P/TXT Grundrechte Charta Art47 Abs2;
12010P/TXT Grundrechte Charta Art47;
12010P/TXT Grundrechte Charta Art51 Abs1;
12010P/TXT Grundrechte Charta;
62007CJ0555 Kücükdeveci VORAB;
62008CJ0201 Plantanol VORAB;
62009CO0457 Chartry VORAB;
62010CJ0188 Melki und Abdeli VORAB;
BAO §284;
BAO §91;
BAO §97 Abs1;
MRK Art6 Abs1;
MRK Art6;
UStG 1994;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
ZustG;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer ist im Firmenbuch als Einzelunternehmer mit einer Firma eingetragen gewesen, die aus einem Phantasie-Namen "(I-Tech)" und dem Zusatz "Schneiden & Schweissen" sowie dem Hinweis auf das Einzelunternehmen "e.U." besteht.
Im Zug einer Umsatzsteuerprüfung traf der Prüfer die Feststellung, der Beschwerdeführer habe zu Unrecht aus der Rechnung der Handels-GmbH L vom 5. Juni 2009 einen Vorsteuerabzug von 16.866,67 EUR vorgenommen. Diese Rechnung sei über die Lieferung eines Kfz ausgestellt worden; eben dieses Kfz habe der Beschwerdeführer sodann mit Rechnung vom 30. Juni 2009 um einen um 1.000 EUR höheren Nettopreis an die Raiffeisen-Leasing Mobilien und KFZ GmbH weiterverrechnet. Nach Ansicht des Prüfers komme dem Beschwerdeführer der Vorsteuerabzug nicht zu. Die Rechnung vom 5. Juni 2009 weise nämlich folgende formelle Mängel auf: Der Name des Empfängers sei falsch angegeben, ebenso der Tag der Lieferung. Zudem sei das umsatzsteuerliche Entgelt (der Nettobetrag) nicht angeführt.
Der Beschwerdeführer sei vom Prüfer am 13. Oktober 2009 zur Fahrzeuglieferung befragt worden. Aufgrund der Aussage des Beschwerdeführers sei anzunehmen, dass er nie über dieses Kfz verfügt habe, eine Lieferung an ihn demnach tatsächlich nicht erfolgt sei.
Der Ansicht des Prüfers folgend setzte das Finanzamt die Umsatzsteuer für Juni 2009 fest.
Der Beschwerdeführer erhob durch seinen steuerlichen Vertreter Berufung. Er beantragte, den Bescheid aufzuheben bzw. abzuändern. Zugleich beantragte er gemäß § 284 BAO, eine mündliche Verhandlung vor der Berufungsbehörde abzuhalten. In der Berufungsbegründung führte er aus, die Eingangsrechnung der Handels-GmbH L benenne den Empfänger mit "(I-Tech) Handel & Service" unter Anführung der richtigen Adresse (Z-Berg 2 in P) und der richtigen österreichischen UID (des Beschwerdeführers). Im Firmenbuch sei unter FN xxx die Firma "(I-Tech) Schneiden & Schweissen e.U." mit eben dieser Adresse (Z-Berg 2 in P) sowie dem Geschäftszweig Handel mit Metallzubehör eingetragen. Es könne keinen Zweifel daran geben, dass die Bezeichnung auf der Rechnung die genaue Bestimmung des Empfängers zulasse, eine Verwechslung mit anderen Empfängern also unmöglich sei.
Die Rechnung enthalte den Vermerk "Das Fahrzeug wurde am 5.6.2009 geliefert und übernommen". Die Finanzverwaltung könne nicht darstellen, warum dieser Vermerk und somit der Tag der Lieferung unrichtig sein sollte. Zudem seien die Geldbeträge so dargestellt, dass die Steuerbemessungsgrundlage ermittelt werden könne.
Die belangte Behörde richtete den Vorhalt vom 4. August 2010 an den Beschwerdeführer.
In der vom steuerlichen Vertreter des Beschwerdeführers eingebrachten Vorhaltsbeantwortung wird eingangs betont, dass der Antrag auf mündliche Berufungsverhandlung aufrecht bleibe. Sodann wurde ausgeführt, dass es an der Adresse (Z-Berg 2 in P) nur ein Unternehmen mit dem handelsrechtlich zulässigen Phantasie-Namen (I-Tech) gebe; zudem sei im Firmenbuch als Geschäftszweck "Handel mit Metallzubehör" eingetragen. Eine eindeutige Bestimmung dieses Unternehmens sei somit möglich. Es gebe keinerlei Verwechslungsmöglichkeit mit anderen Unternehmen. Dem Beschwerdeführer sei am 5. Juni 2009 eine Rechnung übergeben worden, welche den Vermerk enthalte: "Das Fahrzeug wurde am 5.6.2009 geliefert und übernommen." Die Übergabsarten, die zivilrechtlich zum Erwerb des Eigentums und Besitzes ausreichten, würden auch umsatzsteuerlich zur Verschaffung der Verfügungsmacht ausreichen. Das Besitzkonstitut sei im gegenständlichen Fall die zur Anwendung gebrachte Übergabsart.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung ab. In der Bescheidbegründung wird ausgeführt, zur mündlichen Berufungsverhandlung vom 5. Oktober 2010 sei weder der Beschwerdeführer noch sein Vertreter erschienen. Die Zustellung der Ladung sei durch Hinterlegung ausgewiesen. Erschienen sei nur der Vertreter des Finanzamtes.
Im gegenständlichen Fall sei in der in Rede stehenden Rechnung der Leistungsempfänger als "(I-Tech) Handel & Service", Z-Berg 2, in P bezeichnet. "Diese juristische Person gibt/gab es nicht." Es gebe aber eine "(I-Tech) Handel & Service" an einer anderen Adresse in einem anderen Ort. An der Adresse Z-Berg 2 in P sei im Juni 2009 das Unternehmen des Beschwerdeführers gemeldet gewesen. Aus den Rechnungsangaben sei es nicht möglich festzustellen, ob Abnehmer der Lieferung das eine oder das andere Unternehmen gewesen sei. Die Rechnungsdaten seien daher nicht geeignet, eine eindeutige Feststellung des Namens und der Anschrift des Abnehmers der Lieferung zu ermöglichen.
Der Vorsteuerabzug nach § 12 Abs. 1 UStG 1994 sei wegen der Angabe einer falschen Adresse bzw. eines falschen Namens des Abnehmers in der Rechnung nicht zulässig.
Zudem weise die Rechnung nicht den richtigen Leistungszeitpunkt aus. Die Rechnung benenne das Lieferdatum mit 5. Juni 2009. Diese Angabe sei nach Ansicht der belangten Behörde falsch. Der Aussage des Beschwerdeführers vom 13. Oktober 2009 entnehme die belangte Behörde, dass am 5. Juni 2009 die Lieferung nicht stattgefunden habe.
Die Abgabenbehörde habe gemäß § 167 Abs. 2 BAO unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Abgabenverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen sei oder nicht. Der Beschwerdeführer habe den "Verkaufsvorgang" anlässlich seiner Einvernahme vom 13. Oktober 2009 gegenüber dem Betriebsprüfer geschildert. Aus dieser Aussage leite die belangte Behörde ab, dass der Beschwerdeführer das Kfz körperlich nie übernommen habe. Die Nutzungsmöglichkeit an dem Fahrzeug sei nie übergegangen. Die Verfügungsmacht sei zu keinem Zeitpunkt beim Beschwerdeführer gewesen. Es sei somit keine Lieferung bewirkt worden.
Dazu komme noch, dass der Geschäftszweig des Beschwerdeführers im Handel mit Metallzubehör bestehe. Daher sei auszuschließen, dass das Kfz (ein Cabriolet) für Zwecke des Unternehmens angeschafft worden sei. Auch aus diesem Grund sei der Vorsteuerabzug ausgeschlossen.
Gegen diesen Bescheid wendet sich die Beschwerde. Der Beschwerdeführer erachtet sich im Recht auf Vorsteuerabzug für das in Rede stehende Kfz und im Recht auf mündliche Verhandlung verletzt.
In der Beschwerde wird vorgebracht, in der Rechnung sei der Name des Leistungsempfängers mit "(I-Tech) Handel & Service" statt mit "(I-Tech) Schneiden und Schweißen e.U" angegeben; der Fehler bestehe sohin bloß in einer geringfügigen Abänderung des Namenszusatzes. Die Bezeichnung reiche aber für die eindeutige Feststellung des Empfängers aus, zumal auch die Adresse und die UID des Empfängers unstrittig richtig angegeben seien. Daher sei den Voraussetzungen des § 11 Abs. 3 UStG 1994 entsprochen.
In Bezug auf das Lieferdatum wird in der Beschwerde vorgebracht, auf der Rechnung befinde sich folgender Vermerk: "Das Fahrzeug wurde am 5.6.2009 geliefert und übernommen." Die belangte Behörde könne nicht dartun, warum diese Datumsangabe nicht richtig sei. Der Beschwerdeführer habe die Verfügungsmacht am Kfz im Wege des Besitzkonstitutes erworben. Die belangte Behörde habe lediglich aus einer früheren (im Rahmen des Prüfungsverfahrens getätigten) Aussage des Beschwerdeführers, wonach er sich nicht mehr an den Zeitpunkt der ersten Zahlung habe erinnern können, abgeleitet, dass die Lieferung nicht an diesem Tag erfolgt sei. Der Beschwerdeführer habe das Fahrzeug in Wiederholungsabsicht in Bezug auf den Handel mit weiteren Kfz gekauft und erfülle alle Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug. Die belangte Behörde habe es unterlassen, den Sachverhalt umfassend zu ermitteln.
In der Beschwerde wird weiters vorgebracht, der Beschwerdeführer habe eine mündliche Berufungsverhandlung beantragt. Die belangte Behörde habe zwar am 5. Oktober 2010 die mündliche Verhandlung durchgeführt, die Ladung für diese Verhandlung sei dem Beschwerdeführer aber erst nach dem Tag der Verhandlung wirksam zugestellt worden, weshalb er auch im Recht auf mündliche Verhandlung verletzt sei. Die Ladung zur mündlichen Verhandlung sei an die Wohnadresse des Beschwerdeführers gesandt worden (Zustellversuch am 23. September 2010), er habe sich aber vom 21. September 2010 bis zum 5. Oktober 2010 an einem anderen (konkret genannten) Ort aufgehalten und sei erst am 5. Oktober 2010 abends an seinen Wohnort zurückgekehrt. Erst am folgenden Tag habe er daher von der Ladung bzw. von der mündlichen Verhandlung Kenntnis erlangt. Gemäß § 17 Abs. 3 ZustellG sei die Zustellung an dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag, somit am 6. Oktober 2010, wirksam geworden.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Aus dem Verwaltungsakt ist zu ersehen, dass die an den Beschwerdeführer gerichtete Ladung zu der für den 5. Oktober 2010, 9 Uhr, angesetzten mündlichen Berufungsverhandlung - nach einem Zustellversuch am 23. September 2010 - am 24. September 2010 beim Postamt hinterlegt worden ist. Die belangte Behörde zieht in ihrer Gegenschrift die Beschwerdeausführungen, wonach der Beschwerdeführer wegen seiner "Abwesenheit von der Abgabestelle" iSd § 17 Abs. 3 ZustellG von der an ihn gerichteten Ladung nicht rechtzeitig, sondern erst nach Durchführung der Verhandlung habe Kenntnis erlangen können, nicht in Zweifel. Es ist somit davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer zur mündlichen Verhandlung vom 5. Oktober 2010 nicht geladen war.
2.1. Am 1. Dezember 2009 ist der Vertrag von Lissabon in Kraft getreten; durch dessen Artikel 1 wurde der bisherige EU-Vertrag in einer Reihe von Bestimmungen geändert (siehe die nichtamtliche Konsolidierung des EUV in ABl. 2008/C 115/01). In Nr. 17 der Erklärungen zur Schlussakte der Regierungskonferenz von Lissabon (ABl. 2007/ C 306 S. 234 und ABl. 2010/C 83 S. 344) wird ausdrücklich - der ständigen Rechtsprechung des EuGH, des EuG und der innerstaatlichen Gerichte entsprechend - festgehalten, dass dem Unionsrecht unmittelbare Wirkung und Anwendungsvorrang zukommt.
Art. 6 EUV lautet:
"(1) Die Union erkennt die Rechte, Freiheiten und Grundsätze an, die in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom 7. Dezember 2000 in der am 12. Dezember 2007 in Straßburg angepassten Fassung niedergelegt sind; die Charta der Grundrechte und die Verträge sind rechtlich gleichrangig.
Durch die Bestimmungen der Charta werden die in den Verträgen festgelegten Zuständigkeiten der Union in keiner Weise erweitert.
Die in der Charta niedergelegten Rechte, Freiheiten und Grundsätze werden gemäß den allgemeinen Bestimmungen des Titels VII der Charta, der ihre Auslegung und Anwendung regelt, und unter gebührender Berücksichtigung der in der Charta angeführten Erläuterungen, in denen die Quellen dieser Bestimmungen angegeben sind, ausgelegt.
(2) …
(3) Die Grundrechte, wie sie in der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten gewährleistet sind und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergeben, sind als allgemeine Grundsätze Teil des Unionsrechts."
2.2. Seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon am 1. Dezember 2009 ist die Grundrechte?Charta (ABl. 2007/C 303/01, konsolidierte Fassung ABl. 2010/C 83 S. 389ff, im Folgenden GRC) durch Art. 6 Abs. 1 EUV den Verträgen rechtlich gleichrangig gestellt und daher Teil des Primärrechts der EU (vgl. EuGH vom 19. Jänner 2010, C?555/07, Kücükdeveci, Slg. 2010, I?365, Rn 22).
Die GRC legt ihren Anwendungsbereich in Art. 51 fest; daraus ergibt sich für die Mitgliedstaaten die unmittelbare Anwendbarkeit bei der "Durchführung des Rechts der Union".
Die Anwendbarkeit der GRC auf Akte der Organe der Mitgliedstaaten setzt somit voraus, dass diese in "Durchführung des Rechts der Europäischen Union" handeln. Es muss also eine Konstellation vorliegen, die in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fällt. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist der Anwendungsbereich des Unionsrechts weit zu verstehen. Die Vollziehung von durch die Mitgliedstaaten in innerstaatliches Recht umgesetztem Richtlinienrecht gehört jedenfalls und ohne jeden Zweifel zum zentralen Teil des Anwendungsbereichs des Unionsrechts (vgl. beispielsweise EuGH vom 10. September 2009, C- 201/08 , Plantanol, Slg. 2009, I-8343, Rn 43 ff, und vom 1. März 2011, C-457/09 , Chartry, Slg. 2011 I-819, Rn 25, sowie das hg. Erkenntnis vom 21. Dezember 2012, 2012/03/0038).
2.3. Durch das Unionsrecht ist jedes Gericht eines Mitgliedstaats der Europäischen Union, also auch der Verwaltungsgerichtshof, verpflichtet, uneingeschränkt die Wahrung der unionsrechtlichen Grundrechte, insbesondere der Grundrechte der GRC, sicherzustellen (siehe hiezu auch EuGH vom 22. Juni 2010, C-188/10 und C-189/10 , Melki, Slg. 2010, I-5667, Rn 43).
2.4. Art. 47 GRC lautet:
"Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht
Jede Person, deren durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden sind, hat das Recht, nach Maßgabe der in diesem Artikel vorgesehenen Bedingungen bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen.
Jede Person hat ein Recht darauf, dass ihre Sache von einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. Jede Person kann sich beraten, verteidigen und vertreten lassen.
Personen, die nicht über ausreichende Mittel verfügen, wird Prozesskostenhilfe bewilligt, soweit diese Hilfe erforderlich ist, um den Zugang zu den Gerichten wirksam zu gewährleisten."
Die Erläuterungen führen zu Art. 47 Abs. 2 GRC aus (ABl. 2007/C 303, S. 30):
"Absatz 2 entspricht Artikel 6 Absatz 1 EMRK, (…)
Im Unionsrecht gilt das Recht auf ein Gerichtsverfahren nicht nur für Streitigkeiten im Zusammenhang mit zivilrechtlichen Ansprüchen und Verpflichtungen. Dies ist eine der Folgen der Tatsache, dass die Union eine Rechtsgemeinschaft ist, wie der Gerichtshof in der Rechtssache 294/83, 'Les Verts' gegen Europäisches Parlament (Urteil vom 23. April 1986, Slg. 1986, 1339) festgestellt hat. Mit Ausnahme ihres Anwendungsbereichs gelten die Garantien der EMRK jedoch in der Union entsprechend."
Art. 52 Abs. 3 GRC legt fest:
"Soweit diese Charta Rechte enthält, die den durch die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten garantierten Rechten entsprechen, haben sie die gleiche Bedeutung und Tragweite, wie sie ihnen in der genannten Konvention verliehen wird. Diese Bestimmung steht dem nicht entgegen, dass das Recht der Union einen weiter gehenden Schutz gewährt."
Für die Auslegung und Anwendung der GRC ist die Rechtsprechung des EuGH maßgebend. Der EuGH berücksichtigt wiederum die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (vgl. das Erkenntnis des VfGH vom 14. März 2012, U 466/11 und U 1836/11, Punkt II. 5.7).
Nach Art. 6 Abs. 1 EMRK hat jedermann in Verfahren über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen Anspruch darauf, dass seine Sache in billiger Weise öffentlich gehört wird. Daraus ist abzuleiten, dass jedenfalls dann, wenn eine Verhandlung beantragt wird, ein Anspruch auf Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung besteht (vgl. EGMR 28. Mai 1997, Fall Pauger v. Austria, Appl. 16.717/90, Z 60).
Im Anwendungsbereich von Art. 6 EMRK hat Art. 47 Abs. 2 GRC die gleiche Tragweite und Bedeutung wie jener. Jenseits dessen gelten die Garantien des Art. 6 EMRK für den Anwendungsbereich des Art. 47 Abs. 2 GRC entsprechend (vgl. die Erläuterungen zur GRC, ABl. 2007 C 303, S 30, das zitierte Erkenntnis des VfGH vom 14. März 2012, Punkt II.7.2. und das hg. Erkenntnis vom 14. Juni 2012, 2011/21/0278).
3. Gemäß § 12 Abs. 1 Z 1 UStG 1994 kann der Unternehmer, der die in dieser Gesetzesstelle angeführten Erfordernisse erfüllt, die von anderen Unternehmern in einer Rechnung (§ 11) an ihn gesondert ausgewiesene Steuer für Lieferungen oder sonstige Leistungen, die im Inland für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuer abziehen.
Das Recht auf Vorsteuerabzug regelt die Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem in den Art. 167 ff.
Art. 6 Abs. 1 EMRK betrifft neben strafrechtlichen Anklagen "civil rights", nicht hingegen an den Staat zu entrichtende Abgaben (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 16. Dezember 2008, 2006/16/0107, und vom 18. Dezember 2008, 2006/15/0158). Umsatzsteuerverfahren fallen in den Anwendungsbereich des Unionsrechts; jedenfalls für solche Abgabenverfahren ergibt sich daher - seit 1. Dezember 2009 - aus Art. 47 Abs. 2 GRC das Recht auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Mit der Vollziehung des UStG 1994 wird augenscheinlich in "Durchführung des Rechts der Union" im Sinn des Art. 51 Abs. 1 GRC gehandelt, weshalb auch auf die Verbürgung der Grundrechte der GRC Bedacht zu nehmen ist.
4. Das nationale Verfahrensrecht räumt das Recht auf eine mündliche Berufungsverhandlung in § 284 BAO ein.
Die Beschwerde erweist sich schon deshalb als begründet, weil die belangte Behörde dem Beschwerdeführer trotz des von ihm nach § 284 Abs. 1 BAO gestellten Antrags auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung die Möglichkeit der Teilnahme an der Verhandlung nicht verschafft hat.
Durch Art 47 Abs. 2 GRC ist dem Beschwerdeführer das Recht auf eine mündliche Berufungsverhandlung und die Teilnahme an dieser Berufungsverhandlung unionsrechtlich eingeräumt.
Im Allgemeinen führt eine Verletzung von Verfahrensvorschriften nach § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG nur dann zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides, wenn die belangte Behörde bei deren Einhaltung zu einem anders lautenden Bescheid hätte kommen können, also nur dann, wenn dieser Verfahrensmangel relevant im Sinne eines möglichen Einflusses auf den angefochtenen Bescheid sein könnte, wobei es Sache eines Beschwerdeführers ist, eine solche Relevanz aufzuzeigen. Außerhalb des Anwendungsbereiches des Art. 47 GRC bzw. des Art. 6 EMRK entspricht dies auch der hg. Rechtsprechung zum Verfahrensmangel der unterbliebenen mündlichen Verhandlung (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 27. Februar 2002, 97/13/0201, Slg. 7.684 F, vom 29. Juli 2010, 2006/15/0215, oder etwa zur Umsatzsteuer bei vor dem 1. Dezember 2009 erlassenen Berufungsentscheidungen das hg. Erkenntnis vom 4. März 2009, 2006/15/0175).
Die Rechtsprechung des EGMR zum Erfordernis der mündlichen Verhandlung nach Art. 6 MRK sieht allerdings eine solche Relevanzprüfung nicht vor: Unterbleibt die mündliche Verhandlung, ohne dass die gesetzlichen Voraussetzungen dafür vorliegen, liegt eine zur Bescheidaufhebung führende Rechtsverletzung vor (vgl. Bumberger, Der Verwaltungsgerichtshof und die "europäischen Gerichtshöfe" EGMR und EuGH, in Matscher/Pernthaler/Raffeiner (Hrsg.), Festschrift Klecatsky, 2010, 117, und die hg. Erkenntnisse vom 26. Jänner 2012, 2009/07/0039, und vom 12. August 2010, 2008/10/0315). Diese zu Art. 6 MRK entwickelte Rechtsprechung findet in gleicher Weise für das auf Art. 47 GRC gestützte Recht auf mündliche Verhandlung Anwendung.
Dem rechtswidrigen Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung ist es gleichzuhalten, wenn zwar - wie im gegenständlichen Fall - eine Verhandlung durchgeführt worden ist, der Partei aber die Ladung zur Verhandlung erst nach Durchführung der Verhandlung wirksam zugestellt wird.
Nach der Rechtsprechung des EGMR (vgl. die Entscheidung vom 5. September 2002, Fall SPEIL v. Austria, Appl. 42057/98) kann das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung zwar dann ausnahmsweise als mit der EMRK vereinbar angesehen werden, wenn besondere Umstände ein Absehen von einer solchen Verhandlung rechtfertigen (vgl. hiezu etwa das hg. Erkenntnis vom 17. September 2009, 2008/07/0015). Solche besonderen Umstände nimmt der EGMR an, wenn das Vorbringen des Beschwerdeführers nicht geeignet ist, irgendeine Tatsachen- oder Rechtsfrage aufzuwerfen, die eine mündliche Verhandlung erforderlich machen könnte ("where the facts are not disputed and a tribunal is only called upon to decide on questions of law of no particular complexity, an oral hearing may not be required under Article 6 § 1"). Im gegenständlichen Fall hat die belangte Behörde aber nicht nach § 284 Abs. 3 BAO von einer mündlichen Verhandlung abgesehen und wären die Voraussetzungen für ein Absehen nach § 284 Abs. 3 BAO auch keinesfalls erfüllt.
5. Das Verwaltungsverfahren ist sohin im gegenständlichen Fall mit einem wesentlichen Mangel belastet, der gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides führt.
Von der Durchführung der beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.
Für das fortzusetzende Verfahren sei darauf verwiesen, dass der Beschwerdeführer keine juristische Person ist und auch keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass er durch die Verwendung der Bezeichnung (I-Tech) den Eindruck einer juristischen Person erwecken wollte, wie dies die belangte Behörde auf Seite 8 ihrer Berufungsentscheidung zum Ausdruck zu bringen scheint. Vielmehr ist der Beschwerdeführer ein Unternehmer, der über eine Firma iSd §§ 17 ff UGB (der im Firmenbuch eingetragene Name eines Unternehmers, unter dem er seine Geschäfte betreibt und die Unterschrift abgibt) verfügt hat. Gemäß § 11 Abs. 3 UStG 1994 ist u. a. für den in der Rechnung anzuführenden Namen des Leistungsempfängers jede Bezeichnung ausreichend, die eine eindeutige Feststellung des Abnehmers ermöglicht. Es wird daher insbesondere auch in konkreter Weise zu prüfen sein, ob den Vorgaben des § 11 Abs. 3 UStG 1994 entsprochen ist.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am 23. Jänner 2013
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