VwGH 2010/13/0176

VwGH2010/13/017618.9.2013

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fuchs und die Hofräte Dr. Nowakowski, Mag. Novak und Dr. Sutter sowie die Hofrätin Dr. Reinbacher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ebner, über die Beschwerde der V AG in W, vertreten durch die Arnold Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Wipplingerstraße 10, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Wien, vom 29. Dezember 2009, Zl. RV/3272-W/08, betreffend Kapitalertragsteuer für die Monate Juli bis Dezember 1998, Jänner bis Dezember 1999, Jänner 2000 sowie März bis November 2000, zu Recht erkannt:

Normen

EStG §93;
EStG §95;
EStG §93;
EStG §95;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von 610,60 EUR binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Gestützt auf die Niederschrift einer Betriebsprüfung bei der beschwerdeführenden Bank erließ das Finanzamt am 30. Oktober 2001 "Haftungs- und Abgabenbescheid(e)" betreffend die Kapitalertragsteuer für die Monate Juli bis Dezember 1998, Jänner bis Dezember 1999, Jänner 2000 sowie März bis November 2000. In der Niederschrift vom 30. Oktober 2001, auf welche in der Begründung dieser Bescheide verwiesen wurde, wurde ausgeführt, dass für die Berechnung der Stückzinsen für bestimmte hochverzinste und langfristige Nullkuponanleihen und für die daraus abgeleiteten Kapitalertragsteuergutschriften die lineare Berechnungsmethode nicht anwendbar sei. Begründend wurde ausgeführt, dass die so ermittelten rechnerischen Zinsen im Ergebnis unverhältnismäßig hoch von den tatsächlichen wirtschaftlichen Zinsen abweichen würden (zwischen 64% und 98% gegenüber der finanzmathematischen Ermittlung), sodass die vereinfachende Ermittlung gemäß Punkt 5.1. des Erlasses des BMF vom 12. Februar 1993, Z 14 0602/1/1-IV/14/93, nicht in Betracht komme. Darüber hinaus müssten bei der körperlichen Entnahme von Wertpapieren die zum Zeitpunkt der Entnahme im Wert des Papiers enthaltenen Stückzinsen der Kapitalertragsteuer unterzogen werden. Die körperliche Entnahme dieser Papiere beende durch den Wegfall der kuponauszahlenden Stelle gemäß § 93 ff EStG 1988 die Abzugspflicht für die Kapitalertragsteuer und gelte demgemäß als Veräußerung. Weiters seien die - in den beiliegenden Berechnungen gesondert ausgewiesenen - Überträge von Wertpapieren von ursprünglich kapitalertragsteuerpflichtigen Depots bei einem anderen Geldinstitut auf zwei kapitalertragsteuerfreie Depots beim geprüften Unternehmen als Meldung des Eintritts von Umständen, die die Abzugspflicht beenden (im Sinne des § 95 EStG 1988), und demnach ebenfalls als Veräußerung anzusehen. Die von der Beschwerdeführerin ermittelten und geltend gemachten Kapitalertragsteuergutschriften bzw. -zahlungen seien daher - im näher aufgeschlüsselten Ausmaß - nicht anzuerkennen.

Gegen diese Bescheide erhob die Beschwerdeführerin Berufung.

Mit Berufungsvorentscheidung vom 27. Mai 2002 wies das Finanzamt die Berufung als unbegründet ab.

Die Beschwerdeführerin beantragte die Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz.

Die belangte Behörde wies mit Bescheid vom 23. Oktober 2003, Zl. RV/3813-W/2002, die Berufung hinsichtlich der Monate Juli 1998 bis Juli 1999, September 1999 bis Jänner 2000, März bis August 2000 sowie Oktober und November 2000 als unbegründet ab. Hinsichtlich der Monate August 1999 und September 2000 gab sie der Berufung teilweise statt und führte aus, dass bei einem Depotwechsel zwischen zwei inländischen Banken ein allfälliger Kapitalertragsteuerabzug von der das Wertpapier übertragenden und nicht von der übernehmenden Bank zu erfolgen habe.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der die Beschwerde mit Erkenntnis vom 16. Dezember 2004, B 1575/03, VfSlg. 17426, abwies.

Aufgrund einer Sukzessivbeschwerde wurde der Bescheid der belangten Behörde mit hg. Erkenntnis vom 1. Oktober 2008, 2005/13/0026, unter Verweis auf das hg. Erkenntnis vom 19. Dezember 2007, 2005/13/0075, VwSlg. 8299/F, wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufgehoben.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung hinsichtlich der Monate Juli 1998 bis Juli 1999, September 1999 bis Jänner 2000, März bis August 2000 sowie Oktober und November 2000 (erneut) als unbegründet ab. Hinsichtlich der Monate August 1999 und September 2000 gab sie der Berufung (erneut) teilweise statt.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der die Behandlung der Beschwerde mit Beschluss vom 20. September 2010, B 235/10-3, abgelehnt und mit Beschluss vom 29. Oktober 2010 die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten hat.

Begründend führte der Verfassungsgerichtshof unter anderem aus, soweit die Beschwerde insofern verfassungsrechtliche Fragen berühre, als die Verfassungswidrigkeit der den angefochtenen Bescheid tragenden Rechtsvorschriften behauptet werde, lasse ihr Vorbringen vor dem Hintergrund der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zur Zulässigkeit rückwirkender Reaktionen des Gesetzgebers auf höchstgerichtliche Rechtsprechung zwecks Wiederherstellung des bisherigen Rechtszustandes und angesichts der Vertretbarkeit der bisherigen - den beteiligten Kreisen bekannten - Rechtsauffassung der Finanzverwaltung die behauptete Rechtsverletzung, die Verletzung eines anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes oder die Verletzung in einem sonstigen Recht wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes als so wenig wahrscheinlich erkennen, dass die Beschwerde keine hinreichende Aussicht auf Erfolg habe.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die für das verwaltungsgerichtliche Verfahren ergänzte Beschwerde nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde sowie einem ergänzenden Vorbringen durch die Beschwerdeführerin erwogen:

Der vorliegende Beschwerdefall gleicht in Sachverhalt und Rechtsfrage weitgehend jenen Fällen, die vom Verwaltungsgerichtshof mit den Erkenntnissen vom 25. Juli 2013, 2010/15/0012, und 2010/15/0011, entschieden wurden, sodass gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG in der Hauptsache auf die Gründe dieser Erkenntnisse - insbesondere auch zur wirtschaftlichen "Widersinnigkeit" einer linearen Berechnungsmethode von zeitanteiligen Kapitalerträgen - verwiesen werden kann.

Wenn die Beschwerdeführerin die Bescheidqualität der vom Finanzamt unter Verwendung des Formblatts "L20" erstellten erstinstanzlichen Haftungsbescheide in Frage stellt, so genügt ein Verweis auf das hg. Erkenntnis vom 24. Mai 2012, 2009/15/0182, mwN (vgl. allgemein zur Zulässigkeit von Begründungsverweisen in Bescheiden sowie zu den unverzichtbaren Elementen eines Bescheids Ritz, BAO4, § 93 Tz 15 und Tz 22 ff).

Auch kann dem Vorbringen der Beschwerdeführerin, wonach der angefochtene Bescheid die hier in Rede stehenden Abgabenansprüche "erstmalig geltend" mache, weil sich dieser auf den Normbestand der (rückwirkend in Kraft gesetzten) Novelle BGBl. I Nr. 65/2008 stütze, nicht gefolgt werden. In diesem Zusammenhang rügt die Beschwerde auch, dass der angefochtene Bescheid in zweiter Instanz rechtswidriger Weise den Rechtsgrund der Haftung austausche. Die belangte Behörde habe unzulässiger Weise die "Sache" (§ 289 BAO) ausgewechselt, indem sie erstmals in zweiter Instanz neue gesetzliche Bestimmungen, die erst im Jahr 2008 erlassen wurden, angewendet habe. Dagegen ist einzuwenden, dass schon die Haftungsbescheide des Finanzamts vom 30. Oktober 2001 auf dem Haftungstatbestand des § 95 Abs. 2 EStG 1988 beruhten, wonach der zum Abzug der Kapitalertragsteuer Verpflichtete dem Bund für die Einbehaltung und Abfuhr der Kapitalertragsteuer haftet. Dass die Tatbestände, die eine Kapitalertragsteuerpflicht auslösen, rückwirkend eine gesetzliche Änderung erfahren haben, ändert nichts daran, dass der Haftungstatbestand derselbe geblieben ist (vgl. in diesem Zusammenhang auch nochmals das hg. Erkenntnis vom 24. Mai 2012, 2009/15/0182). Hinsichtlich des Einwands der absoluten Verjährung ist auf § 209a Abs. 1 in Verbindung mit § 238 Abs. 1 letzter Satz BAO zu verweisen (vgl. Ritz, aaO, § 209a Tz 3 und § 238 Tz 29).

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich bereits im verwiesenen Erkenntnis vom 25. Juli 2013, 2010/15/0012, mit der Frage der Unionsrechtskonformität der Besteuerung im Zusammenhang mit Depotentnahmen auseinander gesetzt, sodass insoweit zu dem dazu im Wesentlichen auch nur allgemein gehaltenen Beschwerdevorbringen auf die dortigen Ausführungen zur Freiheit des Kapital- und Zahlungsverkehrs verwiesen werden kann.

Die Wiedergabe einer Kommentarstelle zum Umgründungssteuergesetz, wonach eine sofortige "Exit-Besteuerung" umgründungsbedingt verlagerter stiller Reserven gegen die Niederlassungsfreiheit verstoße, zeigt nicht auf, worin im Fall der Besteuerung von Depotentnahmen ein Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit zu erblicken sei, die von der Beschwerdeführerin letztlich auch nicht konkret behauptet wird.

Der Verwaltungsgerichtshof sieht sich auch aus der Sicht des vorliegenden Beschwerdefalls nicht veranlasst, der Anregung, beim Verfassungsgerichtshof ein Gesetzesprüfungsverfahren gemäß Art. 140 B-VG einzuleiten, näher zu treten (vgl. nochmals die Ausführungen im hg. Erkenntnis vom 25. Juli 2013, 2010/15/0012).

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 18. September 2013

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