VwGH 2010/10/0009

VwGH2010/10/000924.10.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Mizner und die Hofräte Dr. Stöberl, Dr. Rigler, Dr. Lukasser und Dr. Fasching als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Uhlir, über die Beschwerde der Umweltanwältin des Landes Steiermark in 8010 Graz, Stempfergasse 7, gegen den Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 14. Dezember 2009, Zl. FA13C-54K-185/2009-9, betreffend naturschutzrechtliche Bewilligung (mitbeteiligte Partei: MW in F, vertreten durch Eisenberger & Herzog Rechtsanwalts GmbH in 8010 Graz, Hilmgasse 10), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §37;
AVG §45 Abs3;
AVG §52;
VwGG §42 Abs2 Z3;
AVG §37;
AVG §45 Abs3;
AVG §52;
VwGG §42 Abs2 Z3;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Begründung

Mit Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 14. Dezember 2009 wurde der mitbeteiligten Partei die naturschutzrechtliche Bewilligung zur Errichtung eines Wohngebäudes und eines Wirtschaftstraktes in der KG S. im Landschaftsschutzgebiet Nr. 35, zugleich Europaschutzgebiet Nr. 16, nach Maßgabe der Projektunterlagen und bei Einhaltung einer Auflage erteilt. Begründend wurde nach Darstellung des Verfahrensganges und der angewendeten Rechtsvorschriften im Wesentlichen ausgeführt, der von der Behörde beigezogene Amtssachverständige für bautechnischen Naturschutz sei in seinem Gutachten zum Ergebnis gelangt, das Bauvorhaben der mitbeteiligten Partei würde zu einer Verunstaltung des siedlungsräumlichen Bildes der geschützten Kulturlandschaft führen. Die mitbeteiligte Partei habe hiezu ein Gegengutachten vorgelegt, das zum Ergebnis gelangt sei, das charakteristische Gesamtensemble um die Kirche des Ortes K. werde durch das Bauvorhaben der mitbeteiligten Partei nicht verfremdet oder gestört. Eine Fotodokumentation und eigene Wahrnehmungen der Behörde anlässlich von durchgeführten Begehungen hätten die Darlegungen in dem von der mitbeteiligten Partei vorgelegten Gutachten bestätigt. Die Behörde folge daher diesen Darlegungen, nicht jedoch jenen des Amtssachverständigen, die zu allgemein seien und auf die konkrete Situation und Ausgestaltung des Gebäudes keine Rücksicht nähmen.

Betreffend die "Unerlässlichkeit" des Bauvorhabens für die land- und forstwirtschaftliche Bewirtschaftung und damit Bewilligungsfreiheit gemäß § 6 Abs. 2 lit. c Stmk NSchG folge die Behörde jedoch dem von der Bauaufsichtsbehörde eingeholten Gutachten und nicht dem von der mitbeteiligten Partei vorgelegten. Die "Unerlässlichkeit" des Bauvorhabens im dargelegten Sinne werde daher verneint, die naturschutzrechtliche Bewilligungspflicht sei gegeben.

Schutzgüter des Europaschutzgebietes Nr. 16 könnten durch das Bauvorhaben der mitbeteiligten Partei nicht beeinträchtigt werden. Da eine Beeinträchtigung der Schutzzwecke des Landschaftsschutzgebietes - wie dargelegt - nicht zu erwarten sei, sei der mitbeteiligten Partei die beantragte Bewilligung zu erteilen gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die von der Umweltanwältin des Landes Steiermark gemäß § 6 Abs. 2 des Gesetzes über Einrichtungen zum Schutz der Umwelt, LGBl. Nr. 78/1988, erhobene Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragte. Auch die mitbeteiligte Partei erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die im Beschwerdefall maßgeblichen Bestimmungen des Stmk. Naturschutzgesetzes 1976, LGBl. Nr. 65/1976 idF LGBl. Nr. 71/2007, (Stmk NSchG) lauten auszugsweise wie folgt:

"§ 2

Schutz der Natur und Landschaft

(1) Bei allen Vorhaben, durch die nachhaltige Auswirkungen auf Natur und Landschaft zu erwarten sind, ist zur Vermeidung von die Natur schädigenden, das Landschaftsbild verunstaltenden oder den Naturgenuss störenden Änderungen

  1. a) auf die Erhaltung des ökologischen Gleichgewichtes der Natur,
  2. b) auf die Erhaltung und Gestaltung der Landschaft in ihrer Eigenart (Landschaftscharakter) sowie in ihrer Erholungswirkung (Wohlfahrtsfunktion) Bedacht zu nehmen und

    c) für die Behebung von entstehenden Schäden Vorsorge zu treffen.

    ...

    § 6

    Landschaftsschutzgebiete

    ...

(3) In Landschaftsschutzgebieten sind alle Handlungen zu unterlassen, die den Bestimmungen des § 2 Abs. 1 widersprechen; außerdem ist für nachstehende Vorhaben die Bewilligung der nach Abs. 4 zuständigen Behörde einzuholen:

...

c) Errichtung von Bauten und Anlagen, die nicht unter lit. b fallen und außerhalb eines geschlossenen bebauten Gebietes liegen, für das weder Bebauungspläne noch Bebauungsrichtlinien auf Grund von raumordnungsrechtlichen Bestimmungen erlassen wurden; Bauten und Anlagen, die für die land und forstwirtschaftliche Bewirtschaftung unerlässlich sind, bedürfen jedenfalls keiner Bewilligung;

...

4) Für Bewilligungen nach Abs. 3 sind zuständig:

a) die Landesregierung für Vorhaben innerhalb von Europaschutzgebieten und

b) die Bezirksverwaltungsbehörde für Vorhaben außerhalb von Europaschutzgebieten.

...

6) Eine Bewilligung gemäß Abs. 3 ist zu erteilen, wenn die Ausführung des Vorhabens keine Auswirkungen im Sinne des § 2 Abs. 1 zur Folge hat.

...

§ 13b

Verträglichkeitsprüfung

(1) Pläne und Projekte innerhalb und außerhalb von Europaschutzgebieten, die einzeln oder im Zusammenwirken mit anderen Plänen oder Projekten zu einer erheblichen Beeinträchtigung des Schutzzwecks eines Europaschutzgebietes führen können, sind auf Antrag von der Landesregierung auf ihre Verträglichkeit mit dem Schutzzweck zu prüfen.

...

(6) Die Durchführung des Verträglichkeitsprüfungsverfahrens ersetzt das Bewilligungsverfahren nach den Bestimmungen der §§ 5 bis 12, soweit der auf Grund dieser Bestimmungen verfolgte Schutzzweck vom Schutzzweck des Europaschutzgebietes umfasst ist.

..."

Zwischen den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens steht die Lage des Bauvorhabens der mitbeteiligten Partei im Landschaftsschutzgebiet Nr. 35 ("Südweststeirisches Weinland", LGBl. Nr. 12/2001) sowie im Europaschutzgebiet Nr. 16 ("Demmerkogel-Südhänge, Wellinggraben mit Sulm-, Saggau- und Laßnitzabschnitten und Pößnitzbach", LGBl. Nr. 19/2007 idF LGBl. Nr. 92/2007) unbestritten fest.

Dem angefochtenen Bescheid liegt weiters die Auffassung zu Grunde, das Bauvorhaben der mitbeteiligten Partei bedürfe keiner Verträglichkeitsprüfung iSd § 13b Abs. 1 Stmk NSchG, weil es Schutzgüter des Europaschutzgebietes Nr. 16 nicht beeinträchtigen könne, wohl aber einer Bewilligung gemäß § 6 Abs. 3 Stmk NSchG. Diese Bewilligung sei der mitbeteiligten Partei zu erteilen gewesen, weil nach dem von ihr vorgelegten Gutachten die Ausführung des Vorhabens keine Auswirkungen auf das Landschaftsbild iSd § 2 Abs. 1 Stmk NSchG erwarten lasse, die dieses verunstalteten.

Die beschwerdeführende Partei hält dagegen, das Bauvorhaben werde durch seine Situierung und Größe nachhaltige Auswirkungen auf das Landschaftsbild haben, wie das vom beigezogenen Amtssachverständigen auch dargelegt worden sei. Hätte die belangte Behörde das Amtsgutachten "gehörig gewertet", hätte sie zu einer Versagung der naturschutzrechtlichen Bewilligung gelangen müssen.

Die Beschwerde ist im Ergebnis berechtigt:

Eine Bewilligung im Sinne des § 6 Abs. 6 Stmk NSchG ist zu erteilen, wenn nicht das Vorhaben einen Eingriff in das ökologische Gleichgewicht der Natur, den Landschaftscharakter oder die Wohlfahrtsfunktion darstellt, durch den die Natur geschädigt, das Landschaftsbild verunstaltet oder der Naturgenuss gestört wird (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 31. März 2011, Zl. 2009/10/0141, und die dort zitierte Vorjudikatur).

Ob ein Vorhaben das Landschaftsbild verunstaltende oder den Naturgenuss schädigende Auswirkungen nach sich zieht, ist Gegenstand des Beweises durch Sachverständige, die darüber auf Grund ihres Fachwissens ihr Urteil abzugeben haben (vgl. nochmals das zitierte Erkenntnis vom 31. März 2011 und die dort zitierte Vorjudikatur).

Wird die Aufnahme eines Beweises durch Sachverständige notwendig, sind gemäß § 52 Abs. 1 AVG die der Behörde beigegebenen oder zur Verfügung stehenden amtlichen Sachverständigen (Amtssachverständige) beizuziehen. Wenn Amtssachverständige nicht zur Verfügung stehen oder es mit Rücksicht auf die Besonderheit des Falles geboten ist, kann die Behörde gemäß § 52 Abs. 2 AVG ausnahmsweise andere geeignete Personen als Sachverständige (nichtamtliche Sachverständige) heranziehen. Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, so kann die Behörde gemäß § 52 Abs. 3 AVG dennoch nichtamtliche Sachverständige heranziehen, wenn davon eine wesentliche Beschleunigung des Verfahrens zu erwarten ist.

Werden nicht nach Maßgabe des § 52 AVG Amtssachverständige oder von der Behörde bestellte sonstige Sachverständige (nichtamtliche Sachverständige) herangezogen, sondern andere Sachverständige ("Privatgutachter"), deren Aussagen von einer Partei des Verfahrens vorgelegt wurden, so sind diese Aussagen, wie der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen hat (vgl. nochmals das zitierte Erkenntnis vom 31. März 2011 und die dort zitierte Vorjudikatur), einer Überprüfung durch Sachverständige iSd § 52 AVG zu unterziehen; gegebenenfalls ist dann aber nicht noch ein (zusätzliches) Gutachten eines Sachverständigen iSd § 52 AVG notwendig.

Die belangte Behörde hat die Ausführungen des beigezogenen Amtssachverständigen als zu allgemein erachtet; diese nähmen auf die konkrete Situation und Ausgestaltung des Gebäudes der mitbeteiligten Partei keine Rücksicht. Entsprechende Ausführungen enthalte jedoch das von der mitbeteiligten Partei vorgelegte Privatgutachten, das sich überdies mit den "eigenen Wahrnehmungen" der Behörde decke; dieses sei daher der Entscheidung zu Grunde zu legen.

Nun ist die belangte Behörde zwar zu Recht der Auffassung, dass ein - gegebenenfalls - mangelhaftes Gutachten eines Amtssachverständigen keine ausreichende Entscheidungsgrundlage für die Beurteilung darstellt, ob ein bestimmtes Tatbestandsmerkmal erfüllt ist. In einem solchen Fall ist es allerdings erforderlich, zur Klärung der unzureichend beantworteten Fachfragen die sachverständigen Entscheidungsgrundlagen zu ergänzen und gegebenenfalls ein weiteres Gutachten eines Sachverständigen iSd § 52 AVG einzuholen.

Dies hat die belangte Behörde nicht getan. Vielmehr ist sie auf Grund des von der mitbeteiligten Partei vorgelegten Privatgutachtens ohne weitere Befassung von Sachverständigen iSd § 52 AVG zur Auffassung gelangt, das Bauvorhaben der mitbeteiligten Partei werde "das Landschaftsbild im betroffenen wahrnehmbaren Ausschnitt nicht so verändern, dass dieses hässlich oder unansehnlich wird".

Der in dieser Frage ausschließlich auf das von der mitbeteiligten Partei vorgelegte Privatgutachten gestützten Begründung des angefochtenen Bescheides - konkrete "eigene Wahrnehmungen" der Behörde und daraus fachkundig gewonnene Ergebnisse sind weder dem angefochtenen Bescheid noch den vorgelegten Verwaltungsakten zu entnehmen - fehlt daher ein wesentlicher Ermittlungsschritt für die Beurteilung, in Ansehung einer Beeinträchtigung des Landschaftsbildes lägen keine Versagungsgründe vor.

Diese Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit, die gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG zu seiner Aufhebung zu führen hatte, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass die belangte Behörde, hätte sie die zur Beurteilung einer Beeinträchtigung des Landschaftsbildes erforderlichen Ermittlungsschritte gesetzt und im gebotenen Ausmaß Sachverständige iSd § 52 AVG beigezogen, zu einem anderen Bescheid gelangt wäre.

Wien, am 24. Oktober 2011

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