VwGH 2009/22/0339

VwGH2009/22/033919.9.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger und die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des H, vertreten durch die Rechtsanwaltsgemeinschaft Mory & Schellhorn OEG in 5020 Salzburg, Wolf-Dietrich-Straße 19, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Salzburg vom 20. Oktober 2009, Zl. E1/778/2/2009, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Normen

12010E020 AEUV Art20;
62011CJ0256 Dereci VORAB;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66;
12010E020 AEUV Art20;
62011CJ0256 Dereci VORAB;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 53 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) aus dem Bundesgebiet aus.

Zur Begründung verwies sie - auf das Wesentliche zusammengefasst - darauf, dass sich der Beschwerdeführer seit Februar 2003 in Österreich aufhalte. Er habe am 17. Februar 2003 einen Asylantrag gestellt. Sein Asylverfahren sei im Jänner 2009 rechtskräftig "negativ abgeschlossen" worden. Seitdem halte er sich rechtswidrig im Bundesgebiet auf.

Seit März 2008 lebe der Beschwerdeführer mit einer österreichischen Staatsbürgerin in Lebensgemeinschaft. Er habe mit dieser ein gemeinsames Kind, das ebenfalls Österreicher sei. Es bestehe zwischen den genannten Personen ein Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK.

Im Zuge der Interessenabwägung nach § 66 FPG gelangte die belangte Behörde zum Ergebnis, dass die Ausweisung des Beschwerdeführers zur Durchsetzung öffentlicher Interessen zulässig sei.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde in einem nach § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat im Urteil vom 15. November 2011, C-256/11 , "Dereci ua.", ausgesprochen, dass

Artikel 20 AEUV nationalen Maßnahmen entgegensteht, die bewirken, dass den Unionsbürgern (hier betreffend die Angehörigeneigenschaft: dem die österreichische Staatsbürgerschaft besitzenden Kind des Beschwerdeführers) der tatsächliche Genuss des Kernbestands der Rechte, die ihnen dieser Status verleiht, verwehrt wird. Das Kriterium der Verwehrung des Kernbestands der Rechte, die der Unionsbürgerstatus verleiht, bezieht sich auf Sachverhalte, die dadurch gekennzeichnet sind, dass sich der Unionsbürger de facto gezwungen sieht, nicht nur das Gebiet des Mitgliedstaats, dem er angehört, sondern das Gebiet der Union als Ganzes zu verlassen. Sollten derartige Gründe - der bloße Wunsch nach Aufrechterhaltung der Familiengemeinschaft im Gebiet der Union reicht allerdings nicht aus - bestehen, würde die gegenüber einem Fremden ausgesprochene Anordnung, das Bundesgebiet wegen des unrechtmäßigen Aufenthalts zu verlassen, dem Unionsrecht widersprechen und daher nicht zulässig sein (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. Dezember 2011, Zl. 2009/22/0054, sowie etwa jenes vom 23. Februar 2012, Zl. 2009/22/0158).

Die Behörde wird daher im fortzusetzenden Verfahren nach Einräumung von Parteiengehör - diese Frage ist nicht mit der Beurteilung nach Art. 8 EMRK gleichzusetzen und war bisher nicht Gegenstand des behördlichen Verfahrens - entsprechende Feststellungen zu treffen haben (so erliegt etwa in den Verwaltungsakten ein Schreiben der Lebensgefährtin des Beschwerdeführers, in dem diese ausführt, sie und der gemeinsame Sohn müssten in die Türkei auswandern, falls der Beschwerdeführer dorthin abgeschoben würde, und sie stünden diesfalls "ohne alles da").

Der angefochtene Bescheid war somit - ohne das Ergebnis der behördlichen Interessenabwägung im Blick auf Art. 8 EMRK einer Prüfung unterziehen zu müssen - gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008

Wien, am 19. September 2012

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