Normen
ASVG §293;
FrPolG 2005 §54 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
MRK Art8;
NAG 2005 §11 Abs2 Z3;
NAG 2005 §11 Abs2 Z4;
NAG 2005 §11 Abs5;
NAG 2005 §20 Abs1;
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2011:2009220260.X00
Spruch:
Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von je EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit den im Instanzenzug ergangenen Bescheiden vom 26. August 2009 wies die belangte Behörde die beschwerdeführenden Parteien, ein Ehepaar und deren minderjährigen Sohn serbischer Staatsangehörigkeit, gemäß § 54 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG aus.
Diese Maßnahme begründete sie in den angefochtenen Bescheiden nahezu gleichlautend damit, dass die Erstbeschwerdeführerin einen Erstantrag auf Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung" für den Zweck "Ausbildung" gestellt habe und ihr ein Aufenthaltstitel vom 2. März 2004 bis 30. November 2004 erteilt worden sei. Der Zweitbeschwerdeführer habe einen Erstantrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zweck "Familiengemeinschaft mit Ausbildung" gestellt und es sei ihm ein Aufenthaltstitel vom 18. Juni 2004 bis 30. November 2004 erteilt worden. In der Folge habe sich die Familie im Bundesgebiet niedergelassen und sei seit 22. März 2004 (der Drittbeschwerdeführer seit 14. Juni 2004) im Bundesgebiet amtlich gemeldet. Zuletzt seien den beschwerdeführenden Parteien Aufenthaltstitel bis 30. April 2007 erteilt worden. Am 23. April 2007 hätten sie Anträge auf Verlängerung der Aufenthaltstitel eingebracht. Der Aufenthaltsakt sei der Bundespolizeidirektion S mit einem Antrag auf Einleitung eines aufenthaltsbeendenden Verfahrens übermittelt worden, weil die Erstbeschwerdeführerin nach den maßgeblichen studienrechtlichen Vorschriften keinen Studienerfolg nachweisen könne, sie, ihr Ehemann und ihr Sohn nicht versichert seien und die Haftungserklärung des Vaters der Erstbeschwerdeführerin als nicht ausreichend gedeckt qualifiziert werde.
Die belangte Behörde stelle fest, dass die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer seit Mai 2009 über keine Krankenversicherung verfügten. Das Fehlen dieser allgemeinen Voraussetzung gemäß § 11 Abs. 2 Z. 3 NAG stelle einen Grund für die Ausweisung nach § 54 Abs. 1 FPG dar. Seit der Aufnahme ihres Studiums habe die Beschwerdeführerin lediglich zwei Lehrveranstaltungszeugnisse vorlegen können, und zwar im Sommersemester 2004 für "Deutsch als Fremdsprache" mit der Beurteilung "Genügend" und im Sommersemester 2006 für "Spanisch Grammatik I" mit der Beurteilung "Nicht genügend". Diese zwei Zeugnisse seien nicht geeignet, um einerseits einen positiven Studienerfolg zu bestätigen und andererseits die ernsthafte Aufnahme und Verfolgung des Studiums, für dessen Zweck die Erstbeschwerdeführerin in Österreich eingereist sei, nachzuweisen. Die Erstbeschwerdeführerin habe nicht glaubhaft machen können, dass es ihr in den fünf Jahren unmöglich gewesen wäre, einen Betreuungsplatz für ihren Sohn zu organisieren.
Die Erstbeschwerdeführerin habe Bestätigungen über Bareinzahlungen auf ein näher genanntes Konto in der Höhe von insgesamt EUR 29.000,-- sowie die Ablichtung eines Sparbuches mit einer einmaligen Einzahlung von EUR 3.000,-- vorgelegt. Ihr Vater und ihr Bruder verdienten insgesamt EUR 2.834,05 monatlich. Der Bruder habe eine Haftungserklärung für die beschwerdeführenden Parteien abgegeben. Mittlerweile sei auch die Mutter der Erstbeschwerdeführerin nach S nachgezogen und lebe beim Vater. Insgesamt müssten Vater und Bruder gemäß den Richtsätzen des § 293 ASVG EUR 3.556,23 verdienen (Vater und Mutter benötigten EUR 1.158,08, der Bruder als Einzelperson EUR 772,40 und die Erstbeschwerdeführerin mit ihrer Familie EUR 1.625,75). Somit fehle den Haftungserklärungen des Vaters und des Bruders die finanzielle Deckungskraft.
Die Herkunft der Spareinlagen von insgesamt EUR 19.000,-- sei nicht belegt. Es falle auf, dass die Sparbücher nach mehrmaligem Ersuchen um Fristerstreckung für die Abgabe einer Stellungnahme zur beabsichtigten Einleitung eines fremdenpolizeilichen Verfahrens lediglich neun Tage vor Abgabe der Stellungnahme eröffnet worden seien.
Die beschwerdeführenden Parteien seien in der Zeit vom 31. Mai 2006 bis 5. Februar 2007 nicht krankenversichert gewesen.
Der Eingabe vom 6. Juli 2009 sei zu entnehmen, dass Erstbeschwerdeführerin und Zweitbeschwerdeführer seit Mai 2009 neuerlich nicht über eine gesetzliche Krankenversicherung verfügten. Gemäß § 54 Abs. 1 FPG könnten die beschwerdeführenden Parteien mit Bescheid ausgewiesen werden, weil sie gemäß § 11 Abs. 2 Z. 3 NAG nicht über einen alle Risken abdeckenden Krankenversicherungsschutz verfügten und gemäß § 11 Abs. 2 Z. 4 NAG ihr Aufenthalt zu einer finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte.
Zur Interessenabwägung nach § 66 FPG führt die belangte Behörde aus, dass Erstbeschwerdeführerin und Zweitbeschwerdeführer am 30. März 2002 in Serbien geheiratet hätten und dieser Ehe der am 18. November 2002 geborene Drittbeschwerdeführer entstamme. In Österreich lebten Vater und Bruder sowie seit April 2009 auch die Mutter der Erstbeschwerdeführerin, jedoch lebten die beschwerdeführenden Parteien in einem eigenen Haushalt. Zweit- und Drittbeschwerdeführer könnten einen Aufenthaltstitel lediglich von der Erstbeschwerdeführerin ableiten.
Die Befolgung der den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften durch die Normadressaten komme aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und der geordneten Abwicklung des Fremdenwesens ein sehr hoher Stellenwert zu. Der Eingriff nach Art. 8 EMRK sei statthaft, weil die fremdenpolizeiliche Maßnahme unbedingt erforderlich sei, "um die öffentliche Ordnung auf dem Gebiet der strikten Vollziehung der fremdenpolizeilichen Vorschriften sicherzustellen" und die privaten Interessen der beschwerdeführenden Parteien an einem Verbleib in Österreich hinter das maßgebliche Interesse an einem geordneten Fremdenwesen zurückzutreten hätten.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerden nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde und deren Verbindung zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung erwogen:
Gemäß § 54 Abs. 1 FPG können Fremde, die sich auf Grund eines Aufenthaltstitels oder während eines Verlängerungsverfahrens im Bundesgebiet aufhalten, mit Bescheid unter anderem dann ausgewiesen werden, wenn der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund entgegen steht (Z 2).
Ein derartiger "Versagungsgrund" im Sinn einer fehlenden Voraussetzung für die Erteilung eines Aufenthaltstitels liegt gemäß § 11 Abs. 2 dann vor, wenn der Fremde nicht über einen alle Risken abdeckenden Krankenversicherungsschutz verfügt und diese Versicherung in Österreich auch leistungspflichtig ist (Z. 3), der Aufenthalt des Fremden zu einer finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte (Z 4) oder der Aufenthalt des Fremden öffentlichen Interessen widerstreitet (Z 1).
Festzuhalten ist, dass die belangte Behörde zwar festgestellt hat, dass die Beschwerdeführerin keinen Studienerfolg erbracht habe; sie hat aber daraus nicht das Fehlen der Erteilungsvoraussetzung des § 11 Abs. 2 Z 1 NAG abgeleitet.
Soweit die belangte Behörde auf das Fehlen von Unterhaltsmitteln abstellt, hat sie einem Bedarf von EUR 3.556,23 monatlich ein verfügbares Einkommen von EUR 2.834,05 monatlich gegenüber gestellt. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass der Unterhalt grundsätzlich auch durch Sparguthaben gedeckt werden darf (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 9. September 2010, 2008/22/0470). Diese Guthaben dürfen zwar nicht aus illegalen Quellen stammen; dies hat die belangte Behörde aber auch nicht festgestellt, sondern nur ausgeführt, dass die Herkunft des Geldes unbekannt sei. Das allein reicht nicht aus, diesen Beträgen die Eigenschaft abzusprechen, zum Unterhalt der beschwerdeführenden Parteien herangezogen werden zu können. Mit den Sparbeträgen kann für die Gültigkeitsdauer der Aufenthaltstitel von einem Jahr (§ 20 Abs. 1 NAG) die fehlende Differenz für den Unterhaltsbedarf der beschwerdeführenden Parteien beglichen werden.
Somit hätte die belangte Behörde diese Erteilungsvoraussetzung fallbezogen (für alle beschwerdeführenden Parteien) nicht verneinen dürfen.
Hinsichtlich des fehlenden Krankenversicherungsschutzes bestreiten zwar die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer nicht, dass sie über diese Erteilungsvoraussetzung nicht verfügen. Die belangte Behörde stellte aber ausdrücklich fest, dass nur diese Personen nicht krankenversichert seien, erstreckt aber in unzulässiger Weise das Fehlen der genannten Erteilungsvoraussetzung auch auf den Drittbeschwerdeführer. Dieser ist nach dem Beschwerdevorbringen versichert; entgegenstehende Feststellungen der belangten Behörde gibt es - wie bereits ausgeführt - nicht.
Daher ist die Ausweisung des Drittbeschwerdeführers rechtswidrig.
Dies führt auch zur Rechtswidrigkeit der Ausweisungsbescheide gegenüber seinen Eltern.
Gemäß § 66 Abs. 1 FPG ist, würde dadurch in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, die Ausweisung nur zulässig, wenn diese Maßnahme zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
Da der Drittbeschwerdeführer seit dem Alter von zwei Jahren in Österreich aufgewachsen und hier rechtmäßig niedergelassen ist sowie bereits die Volksschule besucht, würde ein Verlassen Österreichs einen sehr schwerwiegenden Eingriff in sein Privatleben zur Folge haben. Da sich die gesamte Familie über Jahre hindurch rechtmäßig in Österreich aufgehalten hat, der Drittbeschwerdeführer auf die Obsorge durch die Erstbeschwerdeführerin und den Zweitbeschwerdeführer angewiesen ist und die Ausweisungen lediglich mit einem fehlenden Krankenversicherungsschutz der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers begründet werden könnten, stellt die Ausweisung auch der Eltern einen so starken Eingriff in das Familienleben aller Beschwerdeführer in Österreich dar, dass dieser Ausweisung § 66 FPG entgegen steht.
Aus diesem Grund waren die angefochtenen Bescheide gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am 31. Mai 2011
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