VwGH 2009/22/0026

VwGH2009/22/002618.2.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl und die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde der A, vertreten durch Dr. Gerhard Koller, Rechtsanwalt in 1080 Wien, Friedrich Schmidt-Platz 7, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom 1. Dezember 2006, Zl. 146.850/2- III/4/06, betreffend Versagung eines Aufenthaltstitels, zu Recht erkannt:

Normen

32004L0038 Unionsbürger-RL;
ASVG §293;
KBGG 2001;
NAG 2005 §11 Abs2 Z4;
NAG 2005 §11 Abs5;
NAG 2005 §47 Abs1;
NAG 2005 §47 Abs2;
NAG 2005 §57;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
32004L0038 Unionsbürger-RL;
ASVG §293;
KBGG 2001;
NAG 2005 §11 Abs2 Z4;
NAG 2005 §11 Abs5;
NAG 2005 §47 Abs1;
NAG 2005 §47 Abs2;
NAG 2005 §57;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.088,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin, einer ägyptischen Staatsangehörigen, auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Familienangehöriger" gemäß § 11 Abs. 2 Z 4 und Abs. 5 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.

Begründend führte die belangte Behörde aus, die Beschwerdeführerin sei mit dem österreichischen Staatsbürger A verheiratet. Die Höhe der von ihr nachzuweisenden Unterhaltsmittel richte sich nach den Richtsätzen des § 293 ASVG. Dieser betrage für ein Ehepaar, das im gemeinsamen Haushalt lebe, EUR 1.055,99. Das Einkommen des Ehemannes der Beschwerdeführerin erreiche EUR 950,-- monatlich. Weiters sei eine monatliche Mietbelastung von EUR 619,-- zu berücksichtigen. Es sei somit nicht nachgewiesen, dass ausreichende Unterhaltsmittel vorhanden seien. Daher sei es wahrscheinlich, dass der Aufenthalt der Beschwerdeführerin zur finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen werde. Selbst unter Berücksichtigung des Kinderbetreuungsgeldes, welches der Ehemann der Beschwerdeführerin im Ausmaß von EUR 14,53 pro Tag beziehe, sei das Einkommen als zu gering anzusehen. Diese Leistung stelle im Übrigen wegen ihrer Anspruchsgrundlage (Abgeltung zur Betreuung von Kindern) nur für den Anspruchsberechtigten einen Einkommensbestandteil dar, weshalb es sich nicht "auf nachziehende Angehörige beziehen" könne. Im vorliegenden Fall bestehe allerdings der Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld bereits für den Ehemann der Beschwerdeführerin und nicht erst "nach dem legalen Aufenthalt" der Beschwerdeführerin. Die von der Beschwerdeführerin in Aussicht gestellte Möglichkeit, eine Beschäftigung "zu erhalten", stelle "keine taugliche Rechtsgrundlage" dar.

Bei der nach § 11 Abs. 3 NAG vorzunehmenden Abwägung sei - so die belangte Behörde weiter - festzustellen, dass ein Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK bestehe, jedoch führe die deutliche Unterschreitung der in § 293 ASVG vorgesehenen Richtsätze zu einer finanziellen Belastung "der Gebietskörperschaft".

Des Weiteren führte die belangte Behörde aus, ein grenzüberschreitendes Element, welches für die Anwendung der Richtlinie 2004/38/EG gefordert sei, liege nicht vor. Es gebe keinen Hinweis darauf, dass der Ehemann der Beschwerdeführerin sein ihm gemeinschaftsrechtlich zustehendes Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen habe.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass mit Blick auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides, der sich nach dem im Verwaltungsakt erliegenden Zustellnachweis als der 29. Jänner 2007 darstellt, zur Beurteilung des gegenständlichen Falles die Rechtslage des NAG in der Fassung des BGBl. I Nr. 99/2006 maßgeblich ist.

§ 11 Abs. 2 Z 4 und Abs. 5 NAG sowie § 47 Abs. 1 und 2 NAG (in der genannten Fassung) lauten:

"§ 11. ...

(2) Aufenthaltstitel dürfen einem Fremden nur erteilt werden, wenn

...

4. der Aufenthalt des Fremden zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte

...

(5) Der Aufenthalt eines Fremden führt zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft (Abs. 2 Z 4), wenn der Fremde feste und regelmäßige eigene Einkünfte hat, die ihm eine Lebensführung ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaften ermöglichen und der Höhe nach den Richtsätzen des § 293 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955, entsprechen. Bei Nachweis der Unterhaltsmittel durch Unterhaltsansprüche (§ 2 Abs. 4 Z 3) ist zur Berechnung der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten dessen pfändungsfreies Existenzminimum gemäß § 291a der Exekutionsordnung (EO), RGBl. Nr. 79/1896, nicht zu berücksichtigen.

...

§ 47. (1) Zusammenführende im Sinne der Abs. 2 bis 4 sind Österreicher oder EWR-Bürger oder Schweizer Bürger, die in Österreich dauernd wohnhaft sind und denen das Recht auf Freizügigkeit nicht zukommt.

(2) Drittstaatsangehörigen, die Familienangehörige von Zusammenführenden im Sinne des Abs. 1 sind, ist ein Aufenthaltstitel "Familienangehöriger" zu erteilen, wenn sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen. Dieser Aufenthaltstitel ist bei Vorliegen der Voraussetzungen des 1. Teiles einmal um den Zeitraum von zwölf Monaten, danach jeweils um 24 Monate zu verlängern."

Die Beschwerdeführerin behauptet nun nicht, ihr Ehemann habe sein ihm nach gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften zustehendes Recht auf Freizügigkeit in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union in Anspruch genommen. Dafür sind nach der Aktenlage auch keine Hinweise erkennbar. Der - von der Beschwerdeführerin ins Treffen geführte - Aufenthalt ihres die österreichische Staatsbürgerschaft besitzenden Ehemannes in Österreich stellt hingegen keinen über die Grenzen Österreichs hinaus reichenden Sachverhalt, der die Anwendbarkeit des Gemeinschaftsrechts zur Folge hätte, dar. Da der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 16. Dezember 2009, G 244/09 ua, aber auch daran festgehalten hat, dass sich die Bestimmung des § 57 NAG, wonach die die drittstaatszugehörigen Angehörigen von Österreichern begünstigenden Regelungen des NAG nur dann zur Anwendung kommen, wenn der österreichische Staatsbürger sein gemeinschaftsrechtlich zustehendes Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen hat, nicht als verfassungswidrig darstellt, hat die belangte Behörde im Hinblick auf das im Antrag enthaltene Begehren und den damit geltend gemachten Aufenthaltszweck zutreffend das Vorliegen der Voraussetzungen nach § 47 Abs. 2 NAG geprüft.

Nach dieser Bestimmung ist Drittstaatsangehörigen, die Familienangehörige von Zusammenführenden im Sinn des § 47 Abs. 1 NAG sind, ein Aufenthaltstitel "Familienangehöriger" zu erteilen, wenn sie die Voraussetzungen des ersten Teiles erfüllen.

Die belangte Behörde ging nun davon aus, dass im gegenständlichen Fall die Voraussetzung des (im ersten Teil des NAG enthaltenen) § 11 Abs. 2 Z 4 NAG nicht gegeben sei.

Zur Art der Berechnung der notwendigen Unterhaltsmittel im Fall eines (in Aussicht genommenen) gemeinsamen Haushalts hat der Verwaltungsgerichtshof - für die hier maßgebliche Rechtslage - im Erkenntnis vom 3. April 2009, 2008/22/0711, grundlegende Ausführungen gemacht. Gemäß § 43 Abs. 2 VwGG wird insoweit auf die Entscheidungsgründe dieses Erkenntnisses verwiesen.

Ausgehend von den dort angeführten Grundsätzen ist nun zunächst festzuhalten, dass die Ansicht der belangten Behörde, es sei bei der Errechnung des aufzubringenden Einkommens die monatliche Mietbelastung der gemeinsamen Wohnung zu berücksichtigen, nicht dem Gesetz entspricht (es sei aber auch erwähnt, dass sich die von ihr festgestellte monatliche Mietbelastung von EUR 619,-- als aktenwidrig darstellt; dem vorgelegten Mietvertrag ist zu entnehmen, dass es sich bei diesem Betrag um einen Vermerk zum Ausmaß der "Summe der Rechtsgebühren" für den Abschluss des Mietvertrages von ATS 619,--, d.s. EUR 44,98, gehandelt hat und als monatliche Miete inkl. Betriebskosten ATS 1.720,40, d.s. EUR 125,07, vereinbart wurde).

Weiters hat die belangte Behörde ihre Ermittlungspflichten verletzt, wenn sie (als aufzubringendes "Haushaltseinkommen") bloß vom Richtsatz des § 293 ASVG für ein Ehepaar, das im gemeinsamen Haushalt lebt, ausgeht, obwohl zum einen im angefochtenen Bescheid selbst davon die Rede ist, der Ehemann der Beschwerdeführerin beziehe Kinderbetreuungsgeld, zum anderen es infolge der von der Beschwerdeführerin vorgelegten Urkunden (Kopie der Geburtsurkunde betreffend das am 20. August 2006 in Wien geborene Kind sowie Kopie der Mitteilung der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse an den Ehemann der Beschwerdeführerin über den Leistungsanspruch nach dem Kinderbetreuungsgeldgesetz) auch im Verwaltungsakt deutliche Hinweise dafür gibt, dass im gemeinsamen Haushalt zumindest ein unterhaltsberechtigtes Kind lebt. Es sei aber zur Vollständigkeit auch erwähnt, dass die belangte Behörde in ihrem Bescheid von einer Rechtslage des § 293 ASVG ausging (nämlich in der Fassung des BGBl. II Nr. 446/2005), die nicht jener entsprach, die sie im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides - 29. Jänner 2007 - anzuwenden gehabt hätte (§ 293 ASVG idF BGBl. II 532/2006). Da sich die genannten Umstände infolge geringerer als Unterhaltsmittel aufzubringender Beträge nicht zum Nachteil der Beschwerdeführerin ausgewirkt haben, wurde sie dadurch allerdings nicht in Rechten verletzt.

Die Beschwerdeführerin führt in der Beschwerde aus, ihr Ehemann bringe monatlich netto EUR 795,-- (14-mal jährlich) ins Verdienen. Dies entspräche unter Berücksichtigung der Sonderzahlungen einem monatlichen Nettoeinkommen von 12-mal jährlich EUR 927,50 (vgl. zur Berücksichtigung des 13. und 14. Gehaltes Pkt. 5.5. des hg. Erkenntnisses vom 3. April 2009, 2008/22/0711). Die Beurteilung der belangten Behörde, die Unterhaltsmittel lägen nicht im geforderten Ausmaß vor, könnte daher dann nicht als rechtswidrig angesehen werden, wenn ihre Ansicht, das dem Ehemann der Beschwerdeführerin zustehende Kinderbetreuungsgeld von EUR 14,53 pro Tag sei für die Berechnung des "Haushaltseinkommens" nicht zu berücksichtigen, zutreffend wäre.

Dieser Ansicht kann jedoch nicht beigepflichtet werden.

Zunächst ist festzuhalten, dass es sich beim Kinderbetreuungsgeld um keine Sozialhilfeleistung im Sinn des § 11 Abs. 5 NAG handelt.

Zielsetzung des Kinderbetreuungsgeldgesetzes (KBGG) ist die finanzielle Unterstützung der Eltern während der Betreuung ihres Kindes in den ersten Lebensjahren im Sinne einer Abgeltung der Betreuungsleistung oder der Ermöglichung der Inanspruchnahme außerhäuslicher Betreuung. Das Kinderbetreuungsgeld soll dabei nur jenen Eltern(teilen) gewährt werden, die bereit sind, die Berufstätigkeit im Hinblick auf die Kinderbetreuung einzuschränken oder gänzlich aufzugeben (vgl. das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 28. September 2009, G 9/09 ua, mit Hinweis auf das Erkenntnis des VfGH vom 26. Februar 2009, G 128/08 ua.). Durch die mit dem KBGG (gegenüber der früheren Versicherungsleistung des Karenzgeldes) geschaffene Möglichkeit, einen Zuverdienst erwirtschaften zu können, soll eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf erreicht werden (vgl. dazu die Erl. Bem. zur Regierungsvorlage eines Bundesgesetzes, mit dem u. a. ein Kinderbetreuungsgesetz erlassen wird, RV 620 BlgNR 21. GP 53).

In Anbetracht dessen ist nun nicht zu erkennen, weshalb das Kinderbetreuungsgeld ein Einkommensbestandteil sein sollte, der bei der Berechnung des "Haushaltseinkommens" nicht zu berücksichtigen wäre (vgl. in diesem Sinn auch das zum Kärntner Sozialhilfegesetz ergangene hg. Erkenntnis vom 9. September 2009, 2006/10/0260, wonach bei der Berechnung, ob Sozialhilfe zu gewähren ist, auch das Kinderbetreuungsgeld als anzurechnendes Einkommen anzusehen ist; in diesem Sinn auch das hg. Erkenntnis vom 17. April 2009, 2006/03/0110, hinsichtlich der Frage der Zuerkennung einer Zuschussleistung zum Fernsprechentgelt nach dem Fernsprechentgeltzuschussgesetz), zumal das Kinderbetreuungsgeld den wegen der Kinderbetreuung teilweise oder zur Gänze erfolgten Ausfall des Erwerbseinkommens bzw. den mit der Kinderbetreuung verbundenen Mehraufwand mindern soll.

Somit erweist sich die Auffassung der belangten Behörde, das dem Ehemann der Beschwerdeführerin gewährte Kinderbetreuungsgeld sei bei der Feststellung des "Haushaltseinkommens" nicht miteinzubeziehen, als nicht zutreffend. Es ist aber nun im vorliegenden Fall nicht auszuschließen, dass unter Berücksichtigung dieses zusätzlichen Einkommens - dass der Ehemann der Beschwerdeführerin über das im angefochtenen Bescheid angeführte Erwerbseinkommen nicht weiter oder nicht in diesem Ausmaß verfügt bzw. allenfalls in welchem verminderten Ausmaß er über Erwerbseinkommen verfügt, hat die belangte Behörde nicht festgestellt - das "Haushaltseinkommen" das von § 11 Abs. 5 NAG geforderte Ausmaß erreicht. Ausgehend von den von der belangten Behörde festgestellten Beträgen (monatliches Nettoeinkommen von EUR 950,-- aus unselbständigem Erwerb zuzüglich EUR 14,53 täglich, d. s. EUR 435,90 monatlich, an Kinderbetreuungsgeld) stünde nämlich dann ein "Haushaltseinkommen" von EUR 1.385,90 dem in § 293 ASVG (in der hier maßgeblichen Fassung BGBl. II Nr. 532/2006) festgelegten Richtsatz von EUR 1.091,14 (§ 293 Abs. 1 lit. a sublit. aa ASVG) bzw. EUR 1.167,23 (im Falle einer zu berücksichtigenden Richtsatzerhöhung nach § 293 Abs. 1 letzter Satz ASVG) gegenüber.

Der angefochtene Bescheid war sohin gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen - vorrangig wahrzunehmender - Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich - im Rahmen des Begehrens - auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 18. Februar 2010

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