Normen
EMRK Art8;
NAG 2005 §11 Abs3 idF 2009/I/029;
NAG 2005 §3 Abs1;
NAG 2005 §3 Abs2 idF 2009/I/029;
NAG 2005 §44 Abs4 idF 2009/I/029;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwRallg;
EMRK Art8;
NAG 2005 §11 Abs3 idF 2009/I/029;
NAG 2005 §3 Abs1;
NAG 2005 §3 Abs2 idF 2009/I/029;
NAG 2005 §44 Abs4 idF 2009/I/029;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwRallg;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der 1981 geborene Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, reiste am 30. Mai 2003 nach Österreich ein. Danach stellte er einen Asylantrag, der mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 6. August 2008 im Instanzenzug rechtskräftig abgewiesen wurde, wobei der Beschwerdeführer während des Asylverfahrens über eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung verfügte.
In der Folge stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" gemäß § 44 Abs. 4 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG) idF BGBl. I Nr. 29/2009, der mit dem angefochtenen, im Namen des Landeshauptmannes von Oberösterreich erlassenen Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land (der belangten Behörde) vom 23. September 2009 abgewiesen wurde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten erwogen:
Vorauszuschicken ist zunächst, dass die vorliegende Beschwerde unter dem Gesichtspunkt der Erschöpfung des administrativen Instanzenzuges zulässig ist, weil nach § 3 Abs. 2 zweiter Satz NAG gegen Entscheidungen über Anträge auf Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" gemäß § 44 Abs. 4 NAG eine Berufung nicht zulässig ist.
Weiters ist vorweg zu dem in der Beschwerde vorgetragenen Einwand der Unzuständigkeit des Landeshauptmannes, in dessen Namen die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid erlassen hat, auf § 3 Abs. 1 erster Satz NAG zu verweisen, wonach "Behörde nach diesem Bundesgesetz" der örtlich zuständige Landeshauptmann ist. Der Landeshauptmann ist daher auch dafür zuständig, über Anträge auf Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" nach § 44 Abs. 4 NAG zu entscheiden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. Jänner 2010, Zl. 2009/22/0219). Nach dem zweiten Satz des § 3 Abs. 1 NAG kann der Landeshauptmann im Interesse der Einfachheit, Zweckmäßigkeit oder Sparsamkeit der Verwaltung die Bezirksverwaltungsbehörden mit Verordnung ermächtigen, alle oder bestimmte Fälle in seinem Namen zu entscheiden. Von dieser Ermächtigung wurde mit der Verordnung des Landeshauptmannes von Oberösterreich über die Ermächtigung der Bezirksverwaltungsbehörden zur Entscheidung nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG, LGBl. Nr. 127/2005, in Bezug auf "alle in die Zuständigkeit des Landeshauptmanns fallenden niederlassungs- und aufenthaltsrechtlichen Entscheidungen" Gebrauch gemacht. Die belangte Bezirkshauptmannschaft Linz-Land hat daher über den gegenständlichen Antrag zu Recht "im Namen des Landeshauptmannes von Oberösterreich" entschieden. Dass dabei als Rechtsgrundlage für die erwähnte Entscheidungsermächtigung (offenbar irrtümlich) die Verordnung LGBl. Nr. 47/1993 genannt wurde, führt aber für sich genommen noch nicht zur Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides.
Der gegenständliche Antrag stützt sich auf § 44 Abs. 4 NAG, der in der hier maßgeblichen Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 29/2009 (auszugsweise) lautet:
"Niederlassungsbewilligung - beschränkt
§ 44.
(4) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen kann trotz Vorliegens eines Erteilungshindernisses gemäß § 11 Abs. 1 Z 3, 5 oder 6 in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen auf begründeten Antrag, der bei der örtlich zuständigen Behörde im Inland einzubringen ist, eine quotenfreie 'Niederlassungsbewilligung - beschränkt' erteilt werden, wenn
1. der Drittstaatsangehörige nachweislich seit dem 1. Mai 2004 durchgängig im Bundesgebiet aufhältig ist und
2. mindestens die Hälfte des Zeitraumes des festgestellten durchgängigen Aufenthalts im Bundesgebiet rechtmäßig gewesen ist.
Die Behörde hat dabei den Grad der Integration des Drittstaatsangehörigen, insbesondere die Selbsterhaltungsfähigkeit, die schulische und berufliche Ausbildung, die Beschäftigung und die Kenntnisse der Deutschen Sprache, zu berücksichtigen. Der Nachweis einer oder mehrerer Voraussetzungen des § 11 Abs. 2 Z 2 bis 4 kann auch durch Vorlage einer Patenschaftserklärung (§ 2 Abs. 1 Z 18) erbracht werden. ..."
Die belangte Behörde ging im angefochtenen Bescheid unter Zugrundelegung des eingangs wiedergegebenen Sachverhaltes zunächst davon aus, dass im vorliegenden Fall die in der Z 1 und 2 der zitierten Bestimmung genannten zeitlichen Voraussetzungen gegeben seien und kein zwingender Versagungsgrund iSd § 11 Abs. 1 NAG vorliege. Der Aufenthalt des strafrechtlich unbescholtenen Beschwerdeführers widerstreite auch nicht den öffentlichen Interessen. Der Beschwerdeführer lebe in einer Firmenwohnung der O.-KG; dazu habe er den Mietvertrag vorgelegt. Er verfüge (bis 1. Dezember 2009) auch über einen alle Risiken abdeckenden Krankenversicherungsschutz. Weiters stellte die belangte Behörde fest, der Beschwerdeführer habe "keinen Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt". Die vorgelegte Einstellungsbestätigung der O.-KG werde als Gefälligkeitsschreiben gewertet. Bei dieser Firma seien "so ziemlich alle Verwandte(n) des Herrn O. beschäftigt, auch andere ehemalige Asylwerber", und die Firma werde "immer ins Treffen geführt, wenn es um den Nachweis einer Beschäftigung geht". Auch die Tragfähigkeit der vorgelegten Patenschaftserklärung des Herrn O. werde bezweifelt.
Unter der Überschrift "Bleiberechtskriterien" führte die belangte Behörde dann aus, der lange Aufenthalt von sechs Jahren spreche "für einen weiteren Aufenthalt", zumal dem Beschwerdeführer die Asylverfahrensdauer, die auf Verzögerungen des unabhängigen Bundesasylsenates zurückzuführen sei, nicht angelastet werden könne. Der Beschwerdeführer verfüge über geringe Deutschkenntnisse, jedoch nicht auf A 2-Niveau. Entsprechende Prüfungen seien bis dato nicht abgelegt worden. In Österreich bestünden insofern Bindungen des ledigen Beschwerdeführers, als einige Onkeln in P. und in A. lebten. Die Geschwister und die Eltern befänden sich in der Türkei.
Der Beschwerdeführer habe niederschriftlich am 10. August 2009 eingeräumt, derzeit mangels Bewilligung keiner Beschäftigung nachzugehen und von einem Verwandten mit Geld unterstützt zu werden. In der Türkei, wo seine Eltern und Geschwister lebten, sei er nur fünf Jahre in die Schule gegangen und habe danach in der Gastronomie gearbeitet. Er sei mit einer Österreicherin verlobt, lebe mit ihr aber nicht zusammen. In nächster Zeit sei eine Heirat beabsichtigt. Deutschkurse habe er nie besucht.
Im Rahmen der rechtlichen Würdigung folgerte die belangte Behörde dann, die Beurteilung des Integrationsgrades des Beschwerdeführers sei "negativ", weil er "aufgrund des erhobenen Sachverhaltes" die in § 44 Abs. 4 NAG geforderten Kriterien wie Selbsterhaltungsfähigkeit, Ausbildung, Beschäftigung und die Kenntnisse der deutschen Sprache nicht erfülle. Die Selbsterhaltungsfähigkeit, eine besondere Ausbildung und vor allem Kenntnisse der deutschen Sprache - welche nach einem so langen Aufenthalt im Bundesgebiet vorhanden sein müssten - lägen nicht vor. Somit komme die belangte Behörde "unter Betrachtung des gesamten Sachverhaltes" zu dem Schluss, dass der Antrag abzuweisen sei.
Dem tritt die Beschwerde vor allem mit dem Hinweis darauf entgegen, dass der Beschwerdeführer - durch die Vorlage des Sozialversicherungsdatenauszuges belegt - seit 1. August 2003 bis Ende Mai 2009 bei der O-KG, dem Betrieb seiner Familie, mit einer Beschäftigungsbewilligung als Arbeiter berufstätig gewesen sei und für den Fall der Erteilung einer Niederlassungsbewilligung diese Tätigkeit sofort und zu den gleichen Bedingungen wie bisher wieder aufnehmen könne. Es sei nicht verboten, Asylwerber mit Beschäftigungsbewilligung und in einem Familienbetrieb Familienmitglieder anzustellen. Die darauf gegründete Würdigung der belangten Behörde sei somit nicht nachvollziehbar. Überdies habe die belangte Behörde nicht berücksichtigt, dass der Beschwerdeführer seit längerem mit einer österreichischen Staatsbürgerin verlobt gewesen sei und eine Heiratsabsicht bestanden habe. Zwischenzeitig sei der Beschwerdeführer mit dieser Frau auch tatsächlich verheiratet (mit der Beschwerde wurde die Heiratsurkunde vom 29. August 2009 vorgelegt). Insoweit liege ein wesentlicher Begründungsmangel vor.
Mit diesem Vorbringen ist der Beschwerdeführer im Recht:
Das für die Antragsabweisung auch maßgebliche Argument im angefochtenen Bescheid, das Kriterium der Selbsterhaltungsfähigkeit sei nicht erfüllt, ist nämlich nicht schlüssig begründet. Die Wertung der Wiedereinstellungszusage als bloßes "Gefälligkeitsschreiben" ist vor dem Hintergrund der unbestrittenen Tätigkeit des Beschwerdeführers im Zeitraum August 2003 bis Mitte 2009 nicht nachvollziehbar. Gründe, weshalb eine Weiterbeschäftigung des Beschwerdeführers von der O-KG entgegen der ausgestellten Bestätigung tatsächlich nicht beabsichtigt sei, vermag die belangte Behörde aber nicht aufzuzeigen. Der ins Treffen geführte Umstand, dass bei diesem Unternehmen "so ziemlich alle Verwandten des Herrn O." beschäftigt seien, spricht vielmehr eher für eine Wiedereinstellung des Beschwerdeführers als dagegen. Soweit von der belangten Behörde in diesem Zusammenhang auch auf andere Asylwerber Bezug genommen wird, fehlt aber jede Konkretisierung, die nachvollziehbare Rückschlüsse auf den Fall des Beschwerdeführers zuließen.
Dazu kommt, dass die Zweifel an der Tragfähigkeit der Patenschaftserklärung, die offenbar im Hinblick auf das Fehlen eines aktuellen Einkommens des Beschwerdeführers abgegeben wurde, im angefochtenen Bescheid überhaupt nicht begründet werden.
Außerdem bemängelt die Beschwerde zu Recht, dass die belangte Behörde den (nicht bezweifelten) Umstand der Verlobung und des Bestehens einer aktuellen Heiratsabsicht mit einer österreichischen Staatsbürgerin zwar erwähnt, bei der Beurteilung des Integrationsgrades des Beschwerdeführers jedoch nicht einbezogen hat. Der Verwaltungsgerichtshof hat nämlich klargestellt (siehe das Erkenntnis vom 27. Jänner 2010, Zl. 2009/21/0270), dass die in § 11 Abs. 3 NAG genannten, bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK zu beachtenden Gesichtspunkte auch in die Beantwortung der Frage einfließen können, ob ein "besonders berücksichtigungswürdiger Fall" vorliegt, und zwar in dem Maße, als sie auf den Integrationsgrad des betreffenden Fremden Auswirkungen haben. Soweit die belangte Behörde bei dieser Beurteilung allerdings die familiären Bindungen des Beschwerdeführers zu seinem Heimatstaat für entscheidungswesentlich angesehen hat, ist darauf hinzuweisen, dass diese im vorliegenden Zusammenhang keine Rolle spielen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 29. April 2010, Zl. 2009/21/0255).
Es ist nicht ausgeschlossen, dass die belangte Behörde bei Vermeidung der aufgezeigten Begründungsmängel - trotz fehlender Ausbildung des Beschwerdeführers in Österreich und der für unzureichend angesehenen Deutschkenntnisse - zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am 17. November 2011
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