VwGH 2009/16/0325

VwGH2009/16/032513.12.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Steiner und die Hofräte Dr. Mairinger, Dr. Köller, Dr. Thoma und Dr. Zehetner als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Wagner, über die Beschwerde der M in W, vertreten durch Mag. Peter Zivic, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Weihburggasse 20, gegen den Bescheid des Unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Wien, vom 17. November 2009, Zl. RV/1295-W/08, betreffend Gewährung von (erhöhter) Familienbeihilfe, zu Recht erkannt:

Normen

BAO §177;
FamLAG 1967 §2 Abs1 litc;
FamLAG 1967 §8 Abs6;
BAO §177;
FamLAG 1967 §2 Abs1 litc;
FamLAG 1967 §8 Abs6;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin beantragte mit Schreiben vom 10. August 2007 durch ihren rechtsfreundlichen Vertreter die Gewährung der (erhöhten) Familienbeihilfe für ihren 1973 geborenen Sohn Z für den Zeitraum ab April 2007.

Mit Bescheid vom 20. August 2007 wies das Finanzamt diesen Antrag unter Hinweis auf § 2 Abs. 1 lit. c Familienlastenausgleichsgesetz (FLAG) ab.

In ihrer dagegen erhobenen Berufung brachte die Beschwerdeführerin vor, in dem vom Finanzamt in Auftrag gegebenen Sachverständigengutachten vom 7. Februar 2007 sei für ihren Sohn der Gesamtgrad der Behinderung im Ausmaß von 70 % voraussichtlich für mehr als drei Jahre festgestellt worden. Es liege ein Dauerzustand vor. Es bestehe der Anspruch auf erhöhte Familienbeihilfe für den Sohn der Beschwerdeführerin daher zu Recht.

Am 19. Oktober 2007 wurde der Sohn der Beschwerdeführerin am Bundessozialamt Wien untersucht. In dem betreffenden Gutachten wurde - zusammengefasst - festgestellt, dass dieser im Alter von 20 Jahren während eines Urlaubs in seinem Heimatland Bosnien eine aufgefundene Handgranate zur Explosion gebracht und dadurch Granatsplitterverletzungen im Gesicht, am rechten Unterarm sowie am Rücken mit ausgeprägtem Weichteildefekt erlitten habe. Während eines sechsmonatigen Krankenhausaufenthalts in den USA sei er mehrmals operiert worden. Nunmehr sei die rechte Hand (Gebrauchshand) völlig gebrauchsunfähig (gleichzusetzen mit Verlust). Das Gesicht weise nach Granatsplitterverletzungen Narben auf. Eine Nachuntersuchung sei nicht erforderlich (Dauerzustand). Die rückwirkende Anerkennung der Einschätzung des Grades der Behinderung sei ab dem 1. Oktober 2007 auf Grund der vorgelegten relevanten Befunde möglich. Der Untersuchte sei voraussichtlich nicht dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Das Finanzamt stützte seine abweisenden Berufungsvorentscheidung vom 21. Februar 2008 im Wesentlichen auf diese Bescheinigung.

In ihrem (nicht in den Verwaltungsakten enthaltenen) Vorlageantrag wandte sich die Beschwerdeführerin - den Ausführungen im angefochtenen Bescheid zufolge - gegen das Sachverständigengutachten des Bundessozialamtes mit dem Vorbringen, dass die Untersuchung des Sohnes am 19. Oktober 2007 - wie auch die vorangegangene Untersuchung am 7. Februar 2007 - ohne Beiziehung eines amtlichen Dolmetschers für die bosnische Sprache erfolgt sei. Auch die ihn begleitende Mutter spreche nur unzureichend Deutsch. Da der Sohn seit der Granatsplitterverletzung im Jahre 1993 im Ausmaß von 70 % behindert sei und dies ein Dauerzustand sei, stehe die Feststellung der Erwerbsfähigkeit nicht mit der praktischen Lebenserfahrung im Einklang. Der Sohn besitze lediglich einen Hauptschulabschluss aus dem ehemaligen Jugoslawien, sei der deutschen Sprache kaum mächtig und müsse wegen seiner Behinderung bei seinen Eltern in Österreich leben. Er habe keine Berufsausbildung erfahren und bislang trotz dahingehender Bemühungen niemals eine Erwerbstätigkeit ausgeübt. Eine Beschäftigung des Sohnes sei von verschiedenen Arbeitgebern im Hinblick auf dessen Behinderung und die dadurch zu erwartenden Krankenständen immer wieder abgelehnt worden.

Der steuerliche Vertreter der Beschwerdeführerin beantragte die ergänzende Einholung eines arbeitsmedizinischen Gutachtens und im Rahmen dessen die Untersuchung des Sohnes unter Beiziehung eines gerichtlich beeideten Dolmetschers für die bosnische Sprache.

Mit Schreiben vom 30. September 2008 übermittelte die Beschwerdeführerin eine beglaubigte Übersetzung (aus der serbischen Sprache) eines Befundes einer Klinik in B, Bosnien, vom 30. Juli 2008, in welcher eine "ästhetische Verunstaltung mit Funktionslosigkeit beider Hände, was für eine selbständige Erwerbstätigkeit nicht ausreicht", attestiert wurde.

Ein von der Beschwerdeführerin weiters vorgelegter undatierter "Orthopädischer Befundbericht" eines in Wien niedergelassenen Facharztes für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie, bei dem sich der Sohn der Beschwerdeführerin seit Jänner 2009 in Behandlung befinde, kommt zum Schluss, dass die beschriebenen Beschwerden als chronisch einzuschätzen und therapieresistent seien. Die Arbeitsfähigkeit des Patienten sei infolge seiner gesundheitlichen Problematik sehr beeinträchtigt und stark reduziert. Es sei mit weiteren Behandlungen zu rechnen. Aus rein orthopädischer Sicht sei festzustellen, dass auf Dauer völlige "Funktion- und Gebrauchsunfähigkeit (gleichzusetzen mit Verlust der rechten oberen Extremität)" bestehe, was für eine selbständige Erwerbstätigkeit nicht ausreiche.

Mit Schreiben vom 27. November 2008 übermittelte die belangte Behörde dem Bundessozialamt Wien bereits früher von diesem erstellte Sachverständigengutachten aufgrund von Untersuchungen am 11. Februar 2004, 7. Februar 2007 und 19. Oktober 2007 zur Berücksichtigung bei der neuerlich in Auftrag gegebenen Gutachtenserstellung. Dabei wies die belangte Behörde darauf hin, dass auf Basis einer Untersuchung am 11. Februar 2004 die Ärztin festgehalten habe, dass der Untersuchte voraussichtlich nicht dauernd außerstande sei, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Dem habe die leitende Ärztin nicht zugestimmt und eine Änderung des Gutachtens insofern vorgenommen, als dem Untersuchten voraussichtlich eine dauernde Erwerbsunfähigkeit bescheinigt worden sei. Da dieser Vermerk im Gutachten nicht näher begründet werde, sei er auch nicht nachvollziehbar und nicht geeignet, als Beweismittel zu dienen. Es werde daher gebeten, die Gründe bekannt zu geben, die zur Annahme einer voraussichtlichen dauernden Erwerbsunfähigkeit auf Basis der Untersuchung vom 11. Februar 2004 geführt hätte. Gleichermaßen sei auch nicht erkennbar, aus welchen Gründen das Bundessozialamt im Ergebnis bei den nachfolgenden Untersuchungen am 15. Februar 2007 und am 12. November 2007 angesichts der feststehenden 70 %igen Behinderung eine nicht dauernde Erwerbsunfähigkeit angenommen habe.

Mit einem weiteren Schreiben vom 30. April 2009 übermittelte die belangte Behörde dem Bundessozialamt die beiden von der Beschwerdeführerin vorgelegten Befunde mit dem Ersuchen, mitzuteilen, ob diese Befunde Änderungen der Ergebnisse der Gutachten herbeiführen würden.

Das Bundessozialamt übermittelte in der Folge der belangten

Behörde nachfolgendes Gutachten:

"OB.: …… Begutachtung im BASB am:03.06.2009

Name: (…) Z ….. von 9:50 bis

Identität nachgewiesen durch: Reisepass Bosnien (…), kommt

mit Mutter

whft.: (…)

ausgeübter Beruf: derzeit ohne Beschäftigung Orthop.-fachärztliches- Sachverständigengutachten

Anamnese:

Bekannte Anamnese siehe FLAG-Gutachten vom 7.2.2007 (Abl. 5).

Seither sind folgende Änderungen eingetreten:

zwischenzeitlich keine Operationen, es hätten physikalische

Therapien stattgefunden.

Jetzige Beschwerden:

Er hätte laut Angaben seiner Mutter (da er angeblich nicht deutsch spricht) immer wieder Kopfschmerzen, tränende Augen, kalte Hände und kalte Füße. Weiters "hätte er Stress und könne daher in der Nacht nicht schlafen". Weiters hätte er Probleme mit den Zähnen. Medikamente: 0

Orthopädischer Status:

Der AW kann sich ohne Hilfe ent- und ankleiden. Normaler Allgemein- und Ernährungszustand, 157 cm, 56 kg Haut und sichtbare Schleimhäute: blande Narbe re. Unterarm,

Weichteildefekt rechter Unterarm, Narben im Gesicht besonders an der Nase

Wirbelsäule - Beweglichkeit:

HWS: Kinn-Jugulum-Abstand 1 cm, alle übrigen Ebenen frei

beweglich

BWS: gerade

LWS: Seitneigen nach links bis 40 Grad möglich, nach rechts

bis 40 Grad möglich

FBA: 10 cm

Obere Extremitäten:

Rechts: Schultergelenk: Abduktion bis 150 Grad möglich,

Ellbogengelenk: Extensionsdefizit 20 Grad , Flexionsdefizit

20 Grad

Handgelenk: nur Wackelbewegungen, Pro- und Supination

eingeschränkt

Finger: in Flexionsstellung im MCP-Gelenk I-V

Links: Schultergelenk: Abduktion bis 150 Grad möglich,

Ellbogengelenk: Extension frei, Flexionsdefizit 20 Grad

Handgelenk: frei Finger: o.B.

Kraft und Faustschluß: rechts herabgesetzt, links frei

Kreuzgriff: bds, frei, Nackengriff: bds. endlagig eingeschränkt Untere Extremitäten:

Rechts: Hüftgelenk: S 0-0-150, F 70-0-70, R 60-0-60,

Kniegelenk: S 0-0-160, kein Erguß, bandstabil

OSG: frei

Links: Hüftgelenk: S 0-0-150, F 70-0-70, R 60-0-60,

Kniegelenk: S 0-0-160, kein Erguß, bandstabil

OSG: frei

Keine Varizen

Füße: bds.o.B.

Zehen- und Fersenstand: bds. möglich

Gang: unauffällig

Keine Gehbehelfe

Einschätzung:

1. Zustand nach Granatsplitterverletzung rechte Hand und Unterarm (Gebrauchsarm)

60 60%

2. Zustand nach Granatsplitterverletzung im Gesicht 702 20%, + NS = 30%, Zeile 2 rechts

Unterer Rahmensatz dieser Pos. unter Berücksichtigung des Nachsatzes, da blande Narben und kosmetisch störend.

3. Zustand nach Granatsplitterverletzung im Bereich des linken Rückens und Oberarmes

702 0%, Zeile 1 links

Der Gesamt-GdB beträgt 70%, da das führende Leiden 1 durch das Leiden 2 um 1 Stufe erhöht wird, da dieses eine relevante Zusatzbehinderung darstellt. Keine weitere Erhöhung durch das Leiden 3, da das Ausmaß der dauernden Gesundheitsschädigung keine weitere Erhöhung rechtfertigt.

Dauerzustand

Der Untersuchte ist voraussichtlich nicht dauernd außerstande

sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Die neu vorgelegten Befunde (Abl. 13-20) beschreiben teilweise nicht die reale Situation. Die auf Abt. 20 angeführte 'Funktionslosigkeit beider Hände' liegt wie aus dem heute erstellten orthopädischen Status ersichtlich ist, keineswegs vor, da die linke Hand keineswegs in ihrer Funktion eingeschränkt ist.

Dass die rechte obere Extremität nahezu gebrauchsunfähig ist, heißt nicht, dass der AW nicht einer Tätigkeit auf einem geschützten Arbeitsplatz unter Verwendung der linken Hand nachgehen kann.

Somit ist er nicht dauernd außerstande sich selbst den Unterhalt zu verschaffen."

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung als unbegründet ab. Begründend führte sie nach Wiedergabe des Verfahrensganges aus, dass der Sohn der Beschwerdeführerin in Folge einer Granatsplitterverletzung in Bosnien Herzegowina im Gesamtausmaß von 70 % behindert, jedoch nach einer durch ein ärztliches Gutachten vom Bundessozialamt ausgestellten Bescheinigung vom 15. Juni 2009 nicht dauernd erwerbsunfähig sei. Laut dem Gutachten liege die in den von der Beschwerdeführerin übermittelten ärztlichen Befunden attestierte "Funktionslosigkeit beider Hände" keineswegs vor, weil die linke Hand nicht in ihrer Funktion eingeschränkt sei. Dass die rechte obere Extremität nahezu gebrauchsunfähig ist, bedeute nicht, dass der Sohn der Beschwerdeführerin nicht einer Tätigkeit auf einem geschützten Arbeitsplatz unter Verwendung der linken Hand nachgehen könne, weshalb er nicht dauernd außerstande sei, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Die belangte Behörde erachte die Ausführungen zum Vorliegen einer Erwerbsfähigkeit als schlüssig.

Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Familienbeihilfe eines volljährigen Kindes seien nach § 2 Abs. 1 lit. c FLAG zu prüfen. Der Grad der Behinderung lasse für sich allein keine zwingenden Rückschlüsse auf eine mögliche dauernde Erwerbsunfähigkeit zu. Vielmehr sehe der Gesetzgeber in § 8 Abs. 6 FLAG als einzigen zulässigen Nachweis für eine voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens vor. Das Bundessozialamt habe in diese Beurteilung auch die kürzlich von der Beschwerdeführerin an den unabhängigen Finanzsenat übermittelten ärztlichen Befunde ihres Sohnes vom 30. Juli 2008 und vom 17. April 2009 miteinbezogen und dabei die Art und das Ausmaß des Leidens und auch die konkreten Auswirkungen der Behinderung auf die Erwerbsfähigkeit in schlüssiger und nachvollziehbarer Weise dargestellt. Aus der gutachterlichen Bestätigung einer fehlenden dauernden Erwerbsunfähigkeit des Sohnes der Beschwerdeführerin folge somit, dass die Anspruchsvoraussetzungen für den Erhalt einer Familienbeihilfe nach § 2 Abs. 1 lit. c FLAG nicht erfüllt seien und deshalb auch in weiterer Folge kein Anspruch auf erhöhte Familienbeihilfe aus der Bestimmung des § 8 Abs. 5 FLAG abgeleitet werden könne.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit welcher die Beschwerdeführerin Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend macht. Die Beschwerdeführerin erachtet sich in ihrem Recht auf (erhöhte) Familienbeihilfe für ihren Sohn ab April 2007 verletzt.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in welcher sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 2 Abs. 1 lit. c Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG) haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, Anspruch auf Familienbeihilfe für volljährige Kinder, die wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 27. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außer Stande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Nach § 8 Abs. 6 FLAG ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.

Die Beschwerdeführerin erachtet es als "rechtsstaatlich doch sehr bedenklich", "dass das Bundessozialamt … in zweiter Instanz das von ihm in erster Instanz erstellte Sachverständigengutachten überprüft" und regt deswegen an, der Verwaltungsgerichtshof möge in Bezug auf § 8 Abs. 6 FLAG einen Normprüfungsantrag stellen.

Zunächst ist festzuhalten, dass auch die Gutachten der Ärzte des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen (in der Folge:

Bundessozialamt; vgl. § 1 Abs. 1 des Bundessozialamtsgesetzes - BSAG, BGBl. I Nr. 150/2002) den an ärztliche Sachverständigengutachten zu stellenden Anforderungen an ihre Nachvollziehbarkeit zu entsprechen haben. Sie dürfen sich daher insbesondere nicht widersprechen oder in bloßen Behauptungen erschöpfen. Die Behörden des Verwaltungsverfahrens sind daher verpflichtet, die Beweiskraft der Gutachten des Bundessozialamtes zu prüfen und erforderlichenfalls für deren Ergänzung zu sorgen (vgl. in diesem Sinn etwa das hg. Erkenntnis vom 25. November 2010, 2010/16/0068, mwN).

§ 8 Abs. 6 FLAG ordnet nicht ausdrücklich die Einholung eines Sachverständigengutachtens durch die Berufungsbehörde an. Wurde nämlich von der Abgabenbehörde erster Instanz bereits ein solches Sachverständigengutachten des Bundessozialamtes eingeholt, erweist sich dieses als schlüssig und vollständig und wendet der Berufungswerber nichts Substantiiertes ein, besteht für die Abgabenbehörde zweiter Instanz kein Grund, neuerlich ein Sachverständigengutachten einzuholen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. Mai 2011, 2011/16/0059).

Die Entscheidung darüber, ob ein Gutachten unschlüssig oder ergänzungsbedürftig ist, obliegt in jedem Fall der Beihilfenbehörde und zwar unabhängig davon, ob diese als erste Instanz oder im Berufungswege über den Anspruch auf Familienbeihilfe entscheidet. Sowohl eine Gutachtensergänzung als auch ein neues Gutachten stellen lediglich Beweismittel dar, deren Richtigkeit und Schlüssigkeit von der antragstellenden Partei bekämpft werden kann. Auch die Berufungsbehörde ist nicht verpflichtet, solche Gutachten in jedem Fall ihrer Entscheidung über den geltend gemachten Familienbeihilfenanspruch zugrunde zu legen. Nach dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 10. Dezember 2007, Zl. B 700/07, kann von solchen Gutachten nach entsprechend qualifizierter Auseinandersetzung auch abgegangen werden. Der Verwaltungsgerichtshof sieht sich daher nicht veranlasst, aufgrund des Beschwerdevorbringens einen Normprüfungsantrag an den Verfassungsgerichtshof zu stellen, zumal auch dieser in dem genannten Erkenntnis keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Regelung des § 8 Abs. 6 FLAG geäußert hat.

Im Beschwerdefall hat die belangte Behörde das vom Finanzamt eingeholte Gutachten vom 7. Februar 2007 offensichtlich für ungenügend erachtet und unter ausdrücklicher Bezugnahme auf bereits erfolgte Untersuchungen (vom 11. Februar 2004, 7. Februar und 19. Oktober 2007) und darauf beruhenden Gutachten die Erstellung eines weiteren Gutachtens in Auftrag gegeben. In der Folge hat sie ihre Entscheidung auf das darauf hin erstattete Gutachten des Bundessozialamtes über die Untersuchung am 3. Juni 2009 gestützt. Aus diesem geht hervor, dass der Sohn der Beschwerdeführerin zwar im Ausmaß von 70 % behindert, aber nicht dauerhaft außerstande sei, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, weil die nahezu völlige Gebrauchsunfähigkeit der rechten oberen Extremität nicht heiße, dass er nicht einer Tätigkeit auf einem geschützten Arbeitsplatz unter Verwendung der linken Hand nachgehen könne.

Die Beschwerde wendet sich gegen diese Beurteilung mit dem Vorbringen, dass bei der Beurteilung der Selbsterhaltungsfähigkeit nach § 2 Abs. 1 lit. c FLAG nicht auf einen geschützten Arbeitsplatz (geschützte Werkstätte etc.) abzustellen sei, sondern auf einen "normalen" Arbeitsplatz auf dem sog. allgemeinen Arbeitsmarkt.

Damit ist die Beschwerdeführerin insofern im Recht, als nach § 2 Abs. 1 lit. c FLAG entscheidungswesentlich ist, ob die betreffende Person in der Lage ist, sich den Unterhalt zu verschaffen. Würde eine Person etwa nur bei Vorliegen von im Wesentlichen caritativen Motiven eines Arbeitsgebers oder zu therapeutischen Zwecken beschäftigt werden, ohne dass der Arbeitgeber realistischerweise eine Arbeitsleistung erwarten könnte und würde der Beschäftigte dabei lediglich eine Art Taschengeld erhalten, so reichte dies noch nicht aus, um von der Selbsterhaltungsfähigkeit dieser Person auszugehen (vgl. diesbezüglich auch das hg. Erkenntnis vom 21. Dezember 1999, 94/14/0125). Andererseits ist auch bei einer Behinderung von 100 % nicht ausgeschlossen, dass der Betreffende imstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 5. April 2011, 2010/16/0220).

Es kommt daher neben dem Grad auf die Art der Behinderung und die trotz Behinderung verrichtbaren Tätigkeiten an.

Im Beschwerdefall hat die belangte Behörde unter Hinweis auf das Gutachten des Bundessozialamtes vom Juni 2009 die Selbsterhaltungsfähigkeit des Sohnes der Beschwerdeführerin im Wesentlichen damit bejaht, dass dieser einer Tätigkeit auf einem geschützten Arbeitsplatz unter Verwendung der linken Hand nachgehen könne.

Aus dieser auch vom Bundessozialamt nicht näher begründeten Einschränkung ergibt sich aber weder die Fähigkeit noch die Unfähigkeit des Sohnes der Beschwerdeführerin, sich selbst zu erhalten. Aus dem Gutachten ist nicht ersichtlich, welchen konkreten Tätigkeiten der Sohn der Beschwerdeführerin nach Auffassung des Bundesozialamtes nachgehen könnte. Die belangte Behörde hätte sich daher nicht auf die bloße Übernahme dieser Feststellung beschränken dürfen, sondern zunächst - allenfalls unter neuerlicher Konsultation des Bundessozialamtes - feststellen müssen, was in diesem Zusammenhang unter einer "Tätigkeit auf einem geschützten Arbeitsplatz" zu verstehen ist (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 26. März 2007, 2002/14/0064).

Da die oben angeführten Feststellungen fehlen, ist der angefochtene Bescheid mit einem wesentlichen Begründungsmangel belastet. Er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte aus den Gründen des § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 13. Dezember 2012

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