VwGH 2009/08/0197

VwGH2009/08/01977.9.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Lehofer, Dr. Doblinger und MMag. Maislinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde des H in W, vertreten durch Dr. Martin Foerster, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Stadiongasse 2, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 17. Juli 2009, Zl. 2009-0566-9-001826, betreffend Verlust des Anspruches auf Notstandshilfe, zu Recht erkannt:

Normen

AlVG 1977 §10 Abs3;
AlVG 1977 §10 Abs3;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,10 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde gemäß § 10 iVm § 38 AlVG den Verlust des Anspruches auf Notstandshilfe des Beschwerdeführers für den Zeitraum vom 31. März bis 25. Mai 2009 ausgesprochen und keine Nachsicht gemäß § 10 Abs. 3 leg. cit. gewährt.

In ihrer Bescheidbegründung stellte die belangte Behörde fest, dass der Beschwerdeführer seit Beendigung seines letzten Dienstverhältnisses als Verkaufsleiter am 15. August 2002 - mit kurzen Unterbrechungen von Krankengeldbezug - Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung bezogen habe. Bei allen für die Beantragung dieser Leistungsansprüche vom Beschwerdeführer unterschriebenen bundeseinheitlichen Anträge sei auf Seite vier angeführt gewesen, dass bei Nichtannahme einer vermittelten zumutbaren Beschäftigung das Arbeitslosengeld (Notstandshilfe) entzogen werde. Am 29. Jänner 2009 sei eine Betreuungsvereinbarung geschlossen worden, in der u.a. entsprechend der Kenntnisse und Fähigkeiten des Beschwerdeführers angeführt sei, dass das Arbeitsmarktservice ihn bei der Suche nach einer Stelle als Verkaufsleiter bzw. Verkaufsberater sowie in jedem anderen Bereich gemäß der Notstandshilfebestimmungen unterstützen werde. Am 27. März 2009 sei dem Beschwerdeführer nachweislich vom Dienstgeber I als einem vom Arbeitsmarktservice beauftragten, die Arbeitsvermittlung im Einklang mit den Vorschriften der §§ 2 bis 7 des AMFG durchführenden Dienstleister eine Beschäftigung als Transitarbeitskraft (mit Arbeitsbeginn am 31. März 2009 und einer Entlohnung laut Kollektivvertrag) zugewiesen worden. Das Dienstverhältnis sei nicht zustande gekommen, da der Beschwerdeführer die Aufnahme des Dienstverhältnisses abgelehnt habe. Als Grund dafür habe er auf der ihm vorgelegten Bestätigung über das Angebot eines Dienstverhältnisses angegeben, dass er Bewerbungen laufen hätte. Die Stelle wäre zumindest kollektivvertraglich entlohnt worden, hätte den körperlichen Fähigkeiten des Beschwerdeführers entsprochen und keine Gefährdung seiner Gesundheit und Sittlichkeit dargestellt. Der Beschwerdeführer, der laut ärztlicher Verordnung vom 20. März 2009 eine Sehbeeinträchtigung von +1,75 bzw. +2,00 Dioptrien aufweise, habe bislang kein neues Dienstverhältnis aufgenommen.

Zur Weigerung der Annahme einer Beschäftigung iSd § 10 Abs. 1 AlVG durch den Beschwerdeführer führte die belangte Behörde zunächst neben auszugsweiser Zitierung von § 9 AlVG im Wesentlichen aus, dass die vom Dienstgeber I, der zu den in § 9 leg. cit. genannten Dienstleistern zähle, zugewiesene, nach dem BABE-Kollektivvertrag (Berufsvereinigung der ArbeitgeberInnen privater Bildungseinrichtungen) entlohnte Beschäftigung dem Beschwerdeführer zumutbar gewesen sei, da er als im Notstandhilfebezug Stehender keinen Berufs- und Entgeltschutz mehr habe. Der Beschwerdeführer habe - so die belangte Behörde weiter - ausdrücklich erklärt, die ihm zugewiesene, zumutbare Beschäftigung nicht annehmen zu wollen; dieses Verhalten sei als Arbeitsunwilligkeit zu werten und erfülle somit den Tatbestand der Weigerung iSd § 10 Abs. 1 leg. cit, welches auf Grund eines im Jahr 2006 verhängten Anspruchsverlustes eine Sperrfrist von acht Wochen bedinge. Die Behauptung des Beschwerdeführers, nicht gewusst zu haben, was er unterschreibe, da er seinen Sehbehelf nicht dabei gehabt habe, sei unglaubwürdig, da die Überschrift des Formulars "Bestätigung über das Angebot eines Dienstverhältnisses" in großer Schriftgröße fett gedruckt sei und somit auch von sehbeeinträchtigten Personen ohne Sehbehelf problemlos entziffert werden könne; außerdem hätte er die Angaben des Dienstgebers bestätigt bzw. bei Unklarheiten nachfragen können. Dem weiteren Einwand finanzieller Einbußen durch das Dienstverhältnis wurde entgegengehalten, dass ihm ein kollektivvertraglich entlohntes Dienstverhältnis angeboten worden sei und die ihm neben dem monatlichen Lohn auch zustehenden Sonderzahlungen eine wesentliche Verbesserung seiner finanziellen Situation bewirkt hätten. Sein Vorbringen, nicht über die Folgen einer Ablehnung informiert worden zu sein, gehe ins Leere, da er auf Grund der Dauer seines Leistungsbezuges bereits mehrfach über seine Rechte und Pflichten informiert worden und ihm daher bekannt gewesen sei, dass oberstes Ziel die ehestmögliche Beendigung seiner Arbeitslosigkeit gewesen sei und er jede ihm angebotene zumutbare Beschäftigung annehmen müsse.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, eine Gegenschrift erstattet und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde begehrt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die §§ 9 und 10 AlVG in der im Beschwerdefall maßgebenden Fassung BGBl. I Nr. 104/2007 lauten (auszugsweise) wie folgt:

"§ 9. (1) Arbeitswillig ist, wer bereit ist, eine durch die regionale Geschäftsstelle oder einen vom Arbeitsmarktservice beauftragten, die Arbeitsvermittlung im Einklang mit den Vorschriften der §§ 2 bis 7 des Arbeitsmarktförderungsgesetzes (AMFG), BGBl. Nr. 31/1969, durchführenden Dienstleister vermittelte zumutbare Beschäftigung in einem Arbeitsverhältnis als Dienstnehmer im Sinn des § 4 Abs. 2 ASVG anzunehmen, sich zum Zwecke beruflicher Ausbildung nach- oder umschulen zu lassen, an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt teilzunehmen, von einer sonst sich bietenden Arbeitsmöglichkeit Gebrauch zu machen und von sich aus alle gebotenen Anstrengungen zur Erlangung einer Beschäftigung zu unternehmen, soweit dies entsprechend den persönlichen Fähigkeiten zumutbar ist.

(2) Eine Beschäftigung ist zumutbar, wenn sie den körperlichen Fähigkeiten der arbeitslosen Person angemessen ist, ihre Gesundheit und Sittlichkeit nicht gefährdet, angemessen entlohnt ist, in einem nicht von Streik oder Aussperrung betroffenen Betrieb erfolgen soll, in angemessener Zeit erreichbar ist oder eine entsprechende Unterkunft am Arbeitsort zur Verfügung steht sowie gesetzliche Betreuungsverpflichtungen eingehalten werden können. Als angemessene Entlohnung gilt grundsätzlich eine zumindest den jeweils anzuwendenden Normen der kollektiven Rechtsgestaltung entsprechende Entlohnung. Die zumutbare tägliche Wegzeit für Hin- und Rückweg beträgt jedenfalls eineinhalb Stunden und bei einer Vollzeitbeschäftigung jedenfalls zwei Stunden. Wesentlich darüber liegende Wegzeiten sind nur unter besonderen Umständen, insbesondere wenn am Wohnort lebende Personen üblicher Weise eine längere Wegzeit zum Arbeitsplatz zurückzulegen haben oder besonders günstige Arbeitsbedingungen geboten werden, zumutbar.

...

(7) Als Beschäftigung gilt, unbeschadet der erforderlichen Beurteilung der Zumutbarkeit im Einzelfall, auch ein der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt dienendes Arbeitsverhältnis im Rahmen eines Sozialökonomischen Betriebes (SÖB) oder eines Gemeinnützigen Beschäftigungsprojektes (GBP), soweit dieses den arbeitsrechtlichen Vorschriften und den in den Richtlinien des Verwaltungsrates geregelten Qualitätsstandards entspricht. Im Rahmen dieser Qualitätsstandards ist jedenfalls die gegebenenfalls erforderliche sozialpädagogische Betreuung, die Zielsetzung der mit dem Arbeitsverhältnis verbundenen theoretischen und praktischen Ausbildung sowie im Falle der Arbeitskräfteüberlassung das zulässige Ausmaß überlassungsfreier Zeiten und die Verwendung überlassungsfreier Zeiten zu Ausbildungs- und Betreuungszwecken festzulegen.

...

§ 10. (1) Wenn die arbeitslose Person

1. sich weigert, eine ihr von der regionalen Geschäftsstelle oder einen vom Arbeitsmarktservice beauftragten, die Arbeitsvermittlung im Einklang mit den Vorschriften der §§ 2 bis 7 AMFG durchführenden Dienstleister zugewiesene zumutbare Beschäftigung anzunehmen oder die Annahme einer solchen Beschäftigung vereitelt, ...

so verliert sie für die Dauer der Weigerung, mindestens jedoch für die Dauer der auf die Pflichtverletzung gemäß Z 1 bis 4 folgenden sechs Wochen, den Anspruch auf Arbeitslosengeld. Die Mindestdauer des Anspruchsverlustes erhöht sich mit jeder weiteren Pflichtverletzung gemäß Z 1 bis 4 um weitere zwei Wochen auf acht Wochen. Die Erhöhung der Mindestdauer des Anspruchsverlustes gilt jeweils bis zum Erwerb einer neuen Anwartschaft. Die Zeiten des Anspruchsverlustes verlängern sich um die in ihnen liegenden Zeiträume, während derer Krankengeld bezogen wurde.

...

(3) Der Verlust des Anspruches gemäß Abs. 1 ist in berücksichtigungswürdigen Fällen wie zB bei Aufnahme einer anderen Beschäftigung nach Anhörung des Regionalbeirates ganz oder teilweise nachzusehen."

Gemäß § 38 AlVG sind diese Bestimmungen auf die Notstandshilfe sinngemäß anzuwenden.

In der Beschwerde wird moniert, die belangte Behörde habe zu Unrecht den Tatbestand des § 10 Abs. 1 AlVG als erfüllt angesehen und keine Nachsicht iSv Abs. 3 dieser Bestimmung gewährt.

Soweit der Beschwerdeführer dazu (unter Hinweis auf ältere Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes vor der Rechtslagenänderung zum 1. Jänner 2008) vorbringt, dass ein "Transitarbeitsplatz" keine am allgemeinen Arbeitsmarkt angebotene versicherungspflichtige Beschäftigung darstelle, übersieht er, dass durch die mit BGBl. I Nr. 2007/104 (mit Wirkung vom 1. Jänner 2008) angefügte Zumutbarkeitsregelung in § 9 Abs. 7 AlVG ausdrücklich auch "ein der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt dienendes Arbeitsverhältnis im Rahmen eines Sozialökonomischen Betriebes (SÖB) oder eines Gemeinnützigen Beschäftigungsprojektes (GBP)" als (zumutbare) Beschäftigung erklärt wurde. Da es sich bei der Firma I unbestrittenermaßen um einen im § 9 AlVG genannten Sozialökonomischen Betrieb handelt, kann somit ein Verhalten im Sinne von § 10 Abs. 1 AlVG zum Verlust des Anspruches auf Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe führen.

In der am 29. Jänner 2009 zwischen der regionalen Geschäftsstelle des AMS und dem Beschwerdeführer abgeschlossenen Betreuungsvereinbarung wurde festgehalten, dass vom Beschwerdeführer erwartet werde, dass sich dieser "auf Stellenangebote, die (ihm) das AMS übermittelt" bewerbe. Nach einer Niederschrift vom selben Tag wurde dem Beschwerdeführer vom AMS "im Rahmen eines vom Arbeitsmarktservice geförderten sozialökonomischen Betriebes ein 5wöchiger Workshop mit der Möglichkeit eines anschließenden Dienstverhältnisses" mit Beginn 12. Februar 2009 angeboten. Darin wurde abschließend festgehalten, dass "eine Weigerung oder Vereitelung dieser Maßnahme oder des darauf folgenden Dienstverhältnisses eine Sperre des Leistungsbezuges zur Folge haben kann".

Vor diesem Hintergrund und infolge der einen Arbeitslosen treffenden Verpflichtung zur Aufnahme einer sich bietenden Arbeitsmöglichkeit vermag die Beschwerdeargumentation, wonach der Beschwerdeführer nicht (ausreichend) darüber aufgeklärt worden bzw. im Unklaren gewesen sei, dass es sich bei der am 27. März 2009 bei I angebotenen Dienstverhältnis um eine Beschäftigung iSd § 10 Abs. 1 AIVG gehandelt habe, nicht zu überzeugen. Mit dem bloßen Einwand, dass er zu keinem Zeitpunkt darauf hingewiesen worden sei, dass I sämtliche von § 9 Abs. 7 AIVG geforderten Qualitätsstandards erfülle und daher zuweisungstauglich sei, kann er keine begründeten Zweifel am Vorliegen dieser Erfordernisse aufzeigen.

Das erstmals in der Beschwerde erstattete Vorbringen einer unterkollektivvertraglichen Entlohnung ist der Sache nach eine unzulässige Neuerung (§ 41 Abs. 1 VwGG); soweit der Beschwerdeführer dazu auch einwendet, dass durch das zugewiesene Dienstverhältnis im Umfang von 30 Wochenstunden keine kollektivvertragliche Entlohnung erreicht worden sei, verwechselt er eine (dem Beschäftigungsausmaß entsprechende) aliquote (und daher auch dem Kollektivvertrag entsprechende) Bezahlung mit einer unterkollektivvertraglichen Entlohnung.

Auch der Einwand, dem Beschwerdeführer hätte gemäß § 10 Abs. 3 AlVG Nachsicht erteilt werden müssen, verfängt nicht:

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. das hg. Erkenntnis vom 2. April 2008, Zl. 2007/08/0234) kann ein berücksichtigungswürdiger Fall im Sinne des § 10 Abs. 3 A1VG nur dann vorliegen, wenn der Arbeitslose in der Folge entweder selbst ein Verhalten gesetzt hat, welches den potenziellen Schaden ganz oder teilweise wieder beseitigt (also insbesondere durch alsbaldige tatsächliche Aufnahme einer anderen Beschäftigung), oder wenn ihm sein Verhalten ausnahmsweise aus besonderen (jedenfalls nicht auf Dauer vorliegenden und auch die Verfügbarkeit oder die Arbeitsfähigkeit nicht ausschließenden) Gründen im Einzelfall nicht vorgeworfen werden kann. Es kommt dabei aber nicht auf persönliche finanzielle Umstände an (siehe auch das hg. Erkenntnis vom 19. Jänner 2011, Zl. 2008/08/0020). Weder der von der belangten Behörde festgestellte Sachverhalt noch die vorgelegten Verwaltungsakten (insbesondere auch die Berufung der Beschwerdeführerin) bieten Anhaltspunkte für das Vorliegen von Nachsichtsgründen im Sinne des § 10 Abs. 3 AlVG. Es verfängt somit auch der (bloße) Beschwerdeeinwand einer insoweit angeblich mangelhaften Begründung nicht, wenn die belangte Behörde angesichts dessen die Verwehrung einer Nachsicht darauf stützt, dass der Beschwerdeführer "bis dato" kein neues Dienstverhältnis aufgenommen habe und andere Nachsichtsgründe weder geltend gemacht worden seien noch von Amts wegen festgestellt werden haben können.

Insgesamt begegnet es daher keinen Bedenken, wenn die belangte Behörde auf Grundlage der für eine abschließende rechtliche Beurteilung ausreichenden Feststellungen und ihrer einer nachprüfenden Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof standhaltenden Begründung zum Ergebnis kommt, dass der Beschwerdeführer durch sein Verhalten den Tatbestand des § 10 Abs. 1 Z. 3 AlVG sowohl in objektiver als auch subjektiver Hinsicht erfüllt hat.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung, BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 7. September 2011

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