VwGH 2008/22/0127

VwGH2008/22/012710.12.2008

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl und die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde der LG in W, vertreten durch Dr. Christof Dunst, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Rathausstraße 19, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 11. Dezember 2007, Zl. 314.829/2-III/4/2007, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Normen

FremdenG 1997;
NAG 2005 §21 Abs2 Z1;
NAG 2005 §21 Abs4;
FremdenG 1997;
NAG 2005 §21 Abs2 Z1;
NAG 2005 §21 Abs4;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 51,50 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wurden drei Anträge der Beschwerdeführerin, einer serbischen Staatsangehörigen, auf Erteilung von Erstniederlassungsbewilligungen gemäß § 21 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG abgewiesen.

Begründend führte die belangte Behörde aus, die Beschwerdeführerin habe am 18. Dezember 2000, 26. Juli 2003 und am 29. Oktober 2004 "über ihren jeweiligen rechtsfreundlichen Vertreter" Anträge auf Erteilung von Erstniederlassungsbewilligungen gestellt. Die Verfahren über diese (noch während der Geltung des am 31. Dezember 2005 außer Kraft getretenen Fremdengesetzes 1997 - FrG gestellten) Anträge seien gemäß § 81 Abs. 1 NAG nach den Bestimmungen des NAG zu Ende zu führen gewesen. Erstanträge seien nach § 21 Abs. 1 NAG vor der Einreise in das Bundesgebiet bei der örtlich zuständigen Berufsvertretungsbehörde im Ausland einzubringen und die Entscheidung darüber sei im Ausland abzuwarten. Die Beschwerdeführerin sei seit ihrer im Jahre 2002 auf Grund eines Visums C erfolgten Einreise im Bundesgebiet aufhältig. Sie habe nach Ablauf des (nach der Aktenlage für einen 90-tägigen Aufenthalt berechtigenden) Visums das Bundesgebiet nicht verlassen. Am 9. Jänner 2003 - zu diesem Zeitpunkt sei das Visum bereits abgelaufen gewesen - habe sie einen österreichischen Staatsbürger geheiratet. Die Ehe sei bereits am 27. Juli 2004 wieder geschieden worden. Es lägen zahlreiche Ermittlungsberichte vor, wonach die Ehe allein dazu eingegangen worden sei, um der Beschwerdeführerin in Österreich einen legalen Aufenthalt zu verschaffen. Infolge der zwischenzeitig erfolgten Ehescheidung habe das Ehenichtigkeitsverfahren nicht zum Abschluss gebracht werden können. Der Bewilligung der von der Beschwerdeführerin gestellten Anträge stehe - so die belangte Behörde in ihren rechtlichen Ausführungen - § 21 Abs. 1 NAG entgegen, weil sie sich sowohl im Zeitpunkt der Antragstellungen als auch im Zeitpunkt der Entscheidung über ihre Anträge nicht rechtmäßig im Inland aufgehalten habe. Auf Art. 8 EMRK könne sie sich nicht berufen, weil infolge der "vorgetäuschten Ehe" kein Familienleben gegeben gewesen sei. Als besonders berücksichtigungswürdige Gründe im Sinne des § 72 NAG könnten allein die "nunmehr geschiedene Ehe mit dem österreichischen Staatsbürger" sowie der langjährige Aufenthalt im Bundesgebiet angeführt werden. Diese Gründe würden allerdings unter Berücksichtigung der Einreise mit einem Visum zu touristischen Zwecken und der Tatsache, dass die Beschwerdeführerin im Anschluss eine nur zum Zwecke der Beschaffung eines Aufenthaltstitels geschlossene Ehe eingegangen sei, nicht als humanitärer Grund im Sinne des § 72 NAG anerkannt werden. Die Inlandsantragstellung wurde daher von der belangten Behörde nicht von Amts wegen gemäß § 74 NAG zugelassen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Vorlage der Akten durch die belangte Behörde erwogen:

Gemäß § 81 Abs. 1 NAG sind Verfahren auf Erteilung von Aufenthalts- und Niederlassungsberechtigungen, die bei In-Kraft-Treten dieses Bundesgesetzes (das war der 1. Jänner 2006) anhängig sind, nach den Bestimmungen des NAG zu Ende zu führen. Da die verfahrensgegenständlichen Anträge noch vor In-Kraft-Treten des NAG gestellt wurden, über diese Anträge aber bis dahin nicht entschieden worden war, zog die belangte Behörde bei ihrer Entscheidung zutreffend die Bestimmungen des NAG heran.

In der Beschwerde wird nicht bestritten, dass es sich bei den gegenständlichen Anträgen um Erstanträge handelt, die - mit Ausnahme des zeitlich ersten - im Inland gestellt wurden und deren Erledigung im Inland abgewartet wurde. Die diesbezügliche Beurteilung der belangten Behörde begegnet auch sonst keinen Bedenken.

Gemäß § 21 Abs. 1 NAG sind Erstanträge vor der Einreise in das Bundesgebiet bei der örtlich zuständigen Berufsvertretungsbehörde im Ausland einzubringen. Die Entscheidung ist im Ausland abzuwarten. Abweichend von dieser Bestimmung sind gemäß § 21 Abs. 2 Z 1 NAG (andere Fälle des Abs. 2 scheiden fallbezogen hier von vornherein aus) Familienangehörige von Österreichern, EWR-Bürgern und Schweizer Bürgern, die in Österreich dauernd wohnhaft sind und denen das Recht auf Freizügigkeit nicht zukommt, nach rechtmäßiger Einreise und während ihres rechtmäßigen Aufenthalts zur Antragstellung im Inland berechtigt. Eine Inlandsantragstellung nach § 21 Abs. 2 Z 1 NAG schafft aber kein über den erlaubten sichtvermerksfreien Aufenthalt hinausgehendes Bleiberecht (§ 21 Abs. 4 NAG).

Mit Blick auf § 21 Abs. 2 Z 1 NAG bringt die Beschwerdeführerin vor, sie sei - soweit relevant - im Zeitpunkt der Antragstellungen rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig gewesen. Ihrer Ansicht nach sei dies daraus abzuleiten, dass sie ihre Anträge "ungehindert" bei den ursprünglich (nach dem FrG) zuständigen Behörden habe einbringen können und sie zu keinem Zeitpunkt darauf hingewiesen worden sei, dass eine solche Antragstellung unrechtmäßig gewesen wäre oder auf Grund einer (vorzunehmenden) Gesetzesänderung diese Antragslegitimation in den Folgejahren rückwirkend wegfallen würde. Für die Beschwerdeführerin sei nicht ersichtlich gewesen, dass die Bestimmung des § 21 NAG rückwirkend zur Beseitigung der Antragslegitimation führen werde.

Dem ist - ungeachtet dessen, dass lediglich ihr Antrag vom 26. Juli 2003 während aufrechter Ehe mit einem österreichischen Staatsbürger gestellt wurde - zu entgegnen, dass sich daraus - selbst bezogen auf den Zeitpunkt der nach ihrer Einreise erfolgten Antragstellungen - kein rechtmäßiger Aufenthalt der Beschwerdeführerin ergibt. Ihren Ausführungen ist nämlich kein Hinweis zu entnehmen, wonach im Zeitpunkt dieser Antragstellungen - selbst unter Anwendung der Vorschriften des FrG - die Voraussetzungen für einen rechtmäßigen Aufenthalt erfüllt gewesen wären. Soweit sie darauf hinweist, dass sie jenen Antrag, den sie während der aufrechten Ehe mit einem österreichischen Staatsbürger gestellt hat, im Zeitpunkt der Antragseinbringung im Inland habe stellen dürfen, ändert auch dies nichts daran, dass ihr Aufenthalt während dieser Zeit nicht rechtmäßig war, zumal kein Umstand ersichtlich ist, wonach zu dieser Zeit einer der Tatbestände des § 31 FrG erfüllt gewesen wäre. Die Eheschließung mit einem österreichischen Staatsbürger und das Stellen eines Antrages auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung aus diesem Grund führten für sich genommen auch nach dem FrG vor Erteilung des begehrten Aufenthaltstitels nicht zur Rechtmäßigkeit des Aufenthalts (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. September 2007, 2007/18/0283). Anhaltspunkte für einen sich unmittelbar aus dem Gemeinschaftsrecht ergebenden rechtmäßigen Aufenthalt liegen nicht vor.

Wenn die Beschwerdeführerin - offenbar verfassungsrechtliche -

Bedenken im Zusammenhang mit der Vorhersehbarkeit der Änderung der Rechtslage hinsichtlich der Zulässigkeit der Inlandsantragstellung ins Treffen führt, so ist für sie schon deshalb nichts gewonnen, weil die belangte Behörde - zutreffend - darauf verwiesen hat, dass sie entgegen § 21 Abs. 1 NAG die Entscheidung über ihre Anträge im Inland abgewartet hat, wozu sie jedenfalls ab In-Kraft-Treten des NAG nicht berechtigt war. Allein schon deshalb stand - auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten - § 21 Abs. 1 NAG der Bewilligung aller verfahrensgegenständlichen Anträge (sohin auch jenem, der noch vor ihrer Einreise gestellt wurde) entgegen.

Weiters bringt die Beschwerdeführerin vor, die belangte Behörde hätte "eine detaillierte Prüfung im Sinne des § 73 NAG" (gemeint offenkundig: zum Vorliegen humanitärer Gründe) durchführen müssen, wobei auch die privaten und familiären Interessen der Beschwerdeführerin nach Art. 8 EMRK zu berücksichtigen gewesen wären.

Gemäß § 74 NAG kann die Behörde von Amts wegen die Inlandsantragstellung auf Erteilung eines Aufenthaltstitels oder die Heilung von sonstigen Verfahrensmängeln zulassen, wenn die Voraussetzungen des § 72 NAG erfüllt werden. Nach § 72 Abs. 1 NAG kann im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen trotz Vorliegens eines Erteilungshindernisses (§ 11 Abs. 1 NAG), ausgenommen bei Vorliegen eines Aufenthaltsverbotes (§ 11 Abs. 1 Z 1 und 2 NAG), in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen aus humanitären Gründen von Amts wegen eine Aufenthaltsbewilligung erteilt werden. § 73 NAG, der seinerseits auf das Vorliegen der Voraussetzungen des § 72 NAG abstellt, regelt die Möglichkeit der Erlangung einer Niederlassungsbewilligung aus humanitären Gründen.

Liegen die Voraussetzungen des § 72 NAG vor, so ist ungeachtet des Wortlautes des Gesetzes ("kann") die in § 74 NAG ausnahmsweise vorgesehene Antragstellung im Inland zuzulassen, wobei diese Zulassung im Rechtsweg erzwungen werden kann. § 72 NAG stellt auf mit besonderen Gefährdungen bzw. Notlagen verbundene Lebensumstände eines Fremden ab, die dazu Anlass geben, diesem aus humanitären Gründen eine Aufenthaltsbewilligung zukommen zu lassen. Weiters liegen besonders berücksichtigungswürdige Fälle im Sinne dieser Bestimmung dann vor, wenn - ausnahmsweise - ein aus Art. 8 EMRK direkt abzuleitender Anspruch besteht (vgl. zum Ganzen das hg. Erkenntnis vom 4. November 2008, 2008/22/0044, mwH).

Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin ist die im angefochtenen Bescheid vertretene Auffassung, es lägen fallbezogen keine besonders berücksichtigungswürdigen Gründe vor, nicht zu beanstanden. Der bisherige (etwa fünfeinhalbjährige) Aufenthalt im Bundesgebiet und der Umstand, dass die Beschwerdeführerin stets auf die Bewilligung der von ihr beantragten Aufenthaltstitel vertraut habe, stellen entgegen ihrer Ansicht keine derartigen Gründe dar, zumal ihr Aufenthalt seit Ablauf ihres Visums unrechtmäßig und ihr Aufenthaltsstatus ab dieser Zeit stets unsicher war, die Ehe mit einem österreichischen Staatsbürger in rechtlich verpönter Weise allein deshalb geschlossen wurde, um dadurch einen Aufenthaltstitel zu erlangen (in der Beschwerde wurde der diesbezüglichen - sich anhand der Aktenlage als nachvollziehbar darstellenden - Annahme der belangten Behörde nicht entgegen getreten) und sie sohin im Zeitpunkt der Eheschließung auch nicht begründet auf einen Verbleib im Bundesgebiet hoffen durfte. Schon im Hinblick darauf reichen die von der Beschwerdeführerin zu ihren Gunsten geltend gemachten Umstände nicht aus, dass unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK hätte akzeptiert werden müssen, dass sie mit ihrem nach Ablauf ihres Visums erfolgten Verbleib im Bundesgebiet versucht, vollendete Tatsachen ("fait accompli") zu schaffen (vgl. das zu einer Ausweisung ergangene, aber diesbezüglich sinngemäß auch für Aufenthaltstitelverfahren relevante hg. Erkenntnis vom 20. November 2008, 2008/21/0188).

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 10. Dezember 2008

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