VwGH 2008/21/0576

VwGH2008/21/057630.8.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Senft, über die Beschwerde des R, vertreten durch Holter - Wildfellner Rechtsanwälte GmbH in 4710 Grieskirchen, Rossmarkt 21, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 3. Juli 2008, Zl. St 112/08, betreffend Erlassung eines befristeten Rückkehrverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 2005 §2 Abs1 Z14;
FrPolG 2005 §1 Abs2;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §62 Abs1;
FrPolG 2005 §62 Abs3;
FrPolG 2005 §66;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
AsylG 2005 §2 Abs1 Z14;
FrPolG 2005 §1 Abs2;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §62 Abs1;
FrPolG 2005 §62 Abs3;
FrPolG 2005 §66;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein aus Inguschetien kommender russischer Staatsangehöriger, reiste am 30. Dezember 2004 zusammen mit seiner Ehefrau und den drei gemeinsamen Kindern (geboren 22. Dezember 1999, 19. Dezember 2000 und 22. Dezember 2001) in das Bundesgebiet ein. Die am nächsten Tag von allen Familienangehörigen gestellten Asylanträge wurden zwar mit den im Instanzenzug ergangenen Bescheiden des unabhängigen Bundesasylsenates vom 23. November 2007 abgewiesen; unter einem wurde jedoch gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 1997 festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers und seiner Familienangehörigen in die Russische Föderation nicht zulässig sei. Demzufolge wurde ihnen eine (vorläufig) bis zum 23. November 2008 befristete Aufenthaltsberechtigung zuerkannt.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen, vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 3. Juli 2008 wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 62 Abs. 1 und 2 iVm § 60 Abs. 2 Z 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG ein mit zehn Jahren befristetes Rückkehrverbot erlassen.

Diese Maßnahme stützte die belangte Behörde auf die strafgerichtliche Verurteilung des Beschwerdeführers durch das Landesgericht Ried im Innkreis vom 29. Mai 2007. Mit diesem Urteil wurde über den Beschwerdeführer wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen Diebstahls nach §§ 127, 130 erster Fall StGB und des Verbrechens der gewerbsmäßigen Hehlerei nach § 164 Abs. 1, 2 und 4 zweiter Fall StGB eine Freiheitsstrafe von zwölf Monaten verhängt, wovon acht Monate bedingt nachgesehen wurden.

In der Begründung des angefochtenen Bescheides erfolgte zunächst eine wörtliche Wiedergabe des Inhalts des erstinstanzlichen Bescheides vom 29. April 2008 und der Berufung vom 19. Mai 2008 sowie eine zusammenfassende Darstellung einer Stellungnahme des Beschwerdeführers vom 1. Juli 2008. Im Anschluss an die Zitierung der maßgeblichen Vorschriften ging die belangte Behörde bei der rechtlichen Beurteilung dann davon aus, "der Tatbestand des § 62 Abs. 1 in Verbindung mit § 62 Abs. 2 FPG und § 60 Abs. 2 Zi. 1 FPG" sei im Hinblick auf die Verurteilung zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe erfüllt. Gegenteiliges sei vom Beschwerdeführer auch nicht behauptet worden.

Die Erlassung des Rückkehrverbotes sei im Sinne des § 66 Abs. 1 FPG dringend erforderlich, weil sich der Beschwerdeführer während seines Aufenthaltes in Österreich "über mehrere Jahre hinweg" strafbar gemacht habe, und zwar angesichts der Verurteilung wegen gewerbsmäßigen Diebstahls bereits in "qualifizierter Form". Hinsichtlich der persönlichen und familiären Verhältnisse habe bereits die Erstbehörde auf den Aufenthalt der Ehefrau und der Kinder des Beschwerdeführers in Österreich sowie auf seine Erwerbstätigkeit hingewiesen und sie sei zutreffend von einem Eingriff in das Familienleben ausgegangen. Die Erlassung eines Rückkehrverbotes stelle aber schon deshalb keine Verletzung des Art. 8 EMRK dar, weil sich der Beschwerdeführer erst seit etwas mehr als drei Jahren in Österreich aufhalte und aufgrund seines Asylantrages nicht habe davon ausgehen dürfen, sich nach Abschluss des Asylverfahrens auch weiterhin in Österreich aufhalten zu können. Daran vermöge auch die Tatsache, dass der Beschwerdeführer bei einem näher genannten Unternehmen arbeite und die Kinder hier eine Schulausbildung absolvierten, nichts zu ändern.

Unter Abwägung dieser Umstände sei im Hinblick auf die für den weiteren Aufenthalt des Beschwerdeführers zu stellende negative Zukunftsprognose davon auszugehen, dass die nachteiligen Folgen einer Abstandnahme von der Erlassung des Rückkehrverbotes wesentlich schwerer wiegen würden als die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers. Das Rückkehrverbot sei daher auch im Sinne des § 66 Abs. 2 FPG zulässig.

Aus den angeführten Gründen sei auch eine Ermessensübung zu Gunsten des Beschwerdeführers nicht vorzunehmen, weil das ihm vorwerfbare (Fehl)Verhalten (Verbrechen im Eigentums- und Vermögensbereich) im Verhältnis zu der von ihm geltend gemachten Integration (Aufenthalt in der Dauer von ca. dreieinhalb Jahren; Erwerbstätigkeit und Aufenthalt der Familie des Beschwerdeführers in Österreich) überwiege und sonst keine besonderen Umstände zu ersehen seien.

Abschließend erachtete die belangte Behörde die von der Erstbehörde festgesetzte Dauer des Rückkehrverbotes nicht für rechtswidrig, weil nach Ablauf dieser Zeit erwartet werden könne, dass sich der Beschwerdeführer wieder an die im Bundesgebiet geltenden Normen halten werde.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen hat:

Gemäß § 62 Abs. 1 FPG (in der hier maßgeblichen Stammfassung) kann gegen einen Asylwerber ein Rückkehrverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein (weiterer) Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z 1) oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft (Z 2). Gemäß § 62 Abs. 2 FPG sind bestimmte Tatsachen im Sinne des Abs. 1 unter anderem jene des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG. Danach hat als bestimmte, die erwähnte Gefährdungsprognose rechtfertigende Tatsache zu gelten, wenn ein Fremder von einem inländischen Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten, zu einer teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe, zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist.

Zunächst ist vorauszuschicken, dass ein Rückkehrverbot nach dem Wortlaut des § 62 Abs. 1 FPG nur gegen Asylwerber - das ist ein Fremder ab Einbringung eines Antrags auf internationalen Schutz bis zum rechtskräftigen Abschluss, bis zur Einstellung oder Gegenstandslosigkeit des Verfahrens (§ 2 Abs. 1 Z 14 AsylG 2005) - erlassen werden kann. § 1 Abs. 2 letzter Satz FPG erweitert diese Möglichkeit jedoch, indem dort normiert wird, dass ein Rückkehrverbot (auch) gegen einen Fremden erlassen werden kann, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde. Dieser dem Beschwerdeführer zukommende Status und die ihm deshalb erteilte Aufenthaltsberechtigung standen daher der Erlassung eines Rückkehrverbotes nicht entgegen (vgl. idS das hg. Erkenntnis vom 19. Mai 2011, Zl. 2008/21/0042).

Die belangte Behörde hat sich aber bei der Begründung der Gefährdungsprognose iSd § 62 Abs. 1 FPG darauf beschränkt, in Bezug auf die hiefür maßgebliche strafgerichtliche Verurteilung des Beschwerdeführers lediglich das Urteilsdatum sowie, die Bezeichnung der Delikte und der Bestimmungen des StGB anzuführen und auf die Verwirklichung der zweiten Alternative des Tatbestandes des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG zu verweisen.

Damit hat sie außer Acht gelassen, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bei der Erstellung der für jedes Rückkehrverbot zu treffenden Gefährlichkeitsprognose - wie im Fall eines Aufenthaltsverbotes - das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen ist, ob und im Hinblick auf welche Umstände die in § 62 Abs. 1 FPG umschriebene Annahme gerechtfertigt ist. Bei dieser Beurteilung kommt es demnach - anders als bei der Frage, ob der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG erfüllt ist - nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zugrundeliegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild an (siehe zum Ganzen zuletzt die Erkenntnisse vom 5. Juli 2011, Zl. 2008/21/0292, betreffend ein Rückkehrverbot, und Zl. 2008/21/0131 zu einem Aufenthaltsverbot, jeweils mwN).

Demzufolge reichen die wiedergegebenen Feststellungen im bekämpften Bescheid zur Verurteilung des Beschwerdeführers, denen keine konkrete Beschreibung der angelasteten Straftaten und der Begleitumstände zu entnehmen ist, nicht für eine nachvollziehbare Darstellung der Gefährdungsannahme der belangten Behörde. Außerdem hat sie es in diesem Zusammenhang - wie in der Beschwerde zutreffend gerügt wird - auch unterlassen, sich mit dem Berufungsvorbringen auseinander zu setzen, im Hinblick auf die nunmehrige Beschäftigung des Beschwerdeführers (seit 31. März 2008) und angesichts seines regelmäßigen Einkommens (von rund 1.000 EUR) sei nicht damit zu rechnen, dass in Bezug auf Vermögensdelikte eine Wiederholungsgefahr bestehe. Vielmehr habe der Beschwerdeführer mit seinem Bemühen, eine Beschäftigung zu finden, gezeigt, dass er sehr wohl gewillt sei, den Lebensunterhalt für sich und seine Familie auf redliche Weise zu verdienen. Das sei insofern relevant, als er die verübten Straftaten hauptsächlich deswegen begangen habe, um daraus Einkommen zu erzielen und dadurch die Lebenshaltungskosten für sich und seine Familie bestreiten zu können, zumal während des Asylverfahrens auch kurzfristig die Grundversorgung entzogen worden sei. Angesichts dieses Vorbringens steht auch die Meinung der belangten Behörde, der Beschwerdeführer habe zur Gefährdungsprognose "Gegenteiliges … nicht behauptet", nicht im Einklang mit der Aktenlage.

In Bezug auf die von der belangten Behörde nach § 62 Abs. 3 iVm § 66 FPG vorgenommene Interessenabwägung bemängelt die Beschwerde überdies im Ergebnis zutreffend, die belangte Behörde habe sich nicht ausreichend mit den Auswirkungen einer zehnjährigen Trennung des Beschwerdeführers von seinen Angehörigen auseinander gesetzt. Insbesondere habe sie nicht auf das Alter der Kinder Bedacht genommen, für die gerade jetzt die Fürsorge und Liebe ihres Vaters wichtig wäre. Da die Ehefrau nicht für den Unterhalt aufkommen könne, sei auch die Zahlung des Mietzinses gefährdet und eine Obdachlosigkeit zu befürchten.

Die erwähnte Interessenabwägung ist bei einem Rückkehrverbot für den - vorläufig hypothetischen - Fall vorzunehmen, dass es nach Erlassung einer (asylrechtlichen) Ausweisung zu einer Aufenthaltsbeendigung kommt. Das setzte im vorliegenden Fall aber zunächst die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten voraus. Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid nicht dargelegt, dass die Aberkennung dieses Status nur bei allen Familienmitgliedern gemeinsam erfolgen könnte. Daher war davon auszugehen, dass auch die Möglichkeit besteht, der Beschwerdeführer werde allein ausgewiesen und es könnte diesfalls zu einer Trennung von seinen Angehörigen kommen (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 24. Februar 2009, Zl. 2008/22/0583).

Vor diesem Hintergrund greift aber der Hinweis der belangten Behörde auf den noch nicht langen Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich und dessen Unsicherheit während des Asylverfahrens zu kurz. Angesichts des zur Gewährung von subsidiärem Schutz führenden Asylantrags ist nämlich die Auffassung der belangten Behörde verfehlt, der Beschwerdeführer habe nicht davon ausgehen können, sich nach Abschluss des Asylverfahrens weiterhin in Österreich aufhalten zu dürfen. Eine darauf gegründete Relativierung der während des Asylverfahrens erlangten Integration ist in einer Konstellation wie der vorliegenden nicht gerechtfertigt. Überdies wäre zu berücksichtigen gewesen, dass den in Österreich - allenfalls - verbleibenden Familienmitgliedern ein Besuch des Beschwerdeführers im Herkunftsstaat nicht möglich wäre, weil sie dort - wie sich aus der subsidiären Schutzgewährung ergibt - gefährdet wären. Somit führte in diesem Fall die Effektuierung des Rückkehrverbotes für dessen Dauer zu einer vollständigen Trennung des Beschwerdeführers von seinen Angehörigen. Es wäre daher zu prüfen gewesen, ob die aus den Straftaten allenfalls abzuleitende Gefährlichkeit des Beschwerdeführers auch einen solch drastischen Eingriff in das Familienleben für die Dauer von zehn Jahren rechtfertigen könnte. Das hat die belangte Behörde aber unterlassen. Auch dazu bedarf es einer Einbeziehung der näheren Umstände der dem Beschwerdeführer zur Last gelegten strafbaren Handlungen.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 30. August 2011

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