VwGH 2008/22/0583

VwGH2008/22/058324.2.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl sowie die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des T, vertreten durch Mag. Werner Thurner, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Sporgasse 2, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom 20. April 2006, Zl. 2 FR 455/2002, betreffend ein befristetes Rückkehrverbot, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §1 Z6 idF 2003/I/101;
AsylG 1997 §10 idF 2003/I/101;
AsylG 2005 §2 Z22;
AsylG 2005 §34;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §62 Abs1;
FrPolG 2005 §62 Abs2;
FrPolG 2005 §62 Abs3;
FrPolG 2005 §66;
EMRK Art8;
StGB §128 Abs1 Z4;
StGB §130;
VwGG §42 Abs2 Z1;
AsylG 1997 §1 Z6 idF 2003/I/101;
AsylG 1997 §10 idF 2003/I/101;
AsylG 2005 §2 Z22;
AsylG 2005 §34;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §62 Abs1;
FrPolG 2005 §62 Abs2;
FrPolG 2005 §62 Abs3;
FrPolG 2005 §66;
EMRK Art8;
StGB §128 Abs1 Z4;
StGB §130;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem zitierten, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen armenischen Staatsangehörigen, gemäß § 62 Abs. 1 und 2 iVm § 60 Abs. 2 Z 1, § 125 Abs. 3, § 63 Abs. 1 und § 66 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG ein auf zehn Jahre befristetes Rückkehrverbot.

Die belangte Behörde stellte fest, dass der Beschwerdeführer am 19. April 2002 nach den §§ 127, 128 Abs. 1 Z 4, 130, 15, 223 Abs. 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Monaten, davon acht Monate bedingt nachgesehen, rechtskräftig verurteilt worden sei. Der Beschwerdeführer habe als Mitglied einer Bande gemeinsam mit weiteren armenischen und aserbaidschanischen Staatsangehörigen im Zeitraum 2001 bis 31. Jänner 2002 Ladendiebstähle gewerbsmäßig begangen. Weiters habe er einen nachgemachten nationalen Führerschein gegenüber Beamten vorgewiesen.

Am 13. November 2003 sei der Beschwerdeführer nach den §§ 15, 127 StGB rechtskräftig zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von einem Monat verurteilt worden. Dieser Verurteilung sei zu Grunde gelegen, dass er am 24. Oktober 2003 Waren im Wert von EUR 144,-- genommen und versteckt habe, um diese an der Supermarktkassa nicht bezahlen zu müssen.

Die belangte Behörde beurteilte den Tatbestand des § 62 Abs. 2 iVm § 60 Abs. 2 Z 1 FPG als gegeben und traf zu Lasten des Beschwerdeführers eine Gefährlichkeitsprognose nach § 62 Abs. 1 FPG.

Weiters wertete sie das Rückkehrverbot als dringend geboten und zulässig im Sinn des § 62 Abs. 3 iVm § 66 Abs. 1 und 2 FPG. Dazu verwies sie auf das große öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit und an der Verhinderung derartiger strafbarer Handlungen eines Asylwerbers. Sie stellte fest, dass der Beschwerdeführer gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin und zwei gemeinsamen Kindern seit dem Jahr 2001 in Österreich lebe. "Aus diesem Grund ist mit der Erlassung des Aufenthaltsverbotes in ihrem Fall ein massiver Eingriff in ihr in Österreich geführtes Privat- und Familienleben verbunden, wobei es jedoch auch für Ihre Lebensgefährtin und Ihre Kinder derzeit nicht feststeht, ob die noch anhängigen Asyl-Berufungsverfahren positiv entschieden werden und daher lediglich ein absoluter Abschiebungsschutz bis zum rechtskräftigen Abschluss der anhängigen Asylverfahren gegeben ist."

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Aktenvorlage seitens der belangten Behörde erwogen:

Gemäß § 62 Abs. 1 FPG kann gegen einen Asylwerber ein Rückkehrverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z 1) oder anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen (diese Konventionsbestimmung nennt die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung, die Verhinderung von strafbaren Handlungen, den Schutz der Gesundheit und der Moral und den Schutz der Rechte und Freiheiten anderer) zuwiderläuft (Z 2).

Gemäß § 62 Abs. 2 FPG sind bestimmte Tatsachen im Sinn des Abs. 1 insbesondere jene des § 60 Abs. 2 Z 1 bis 5, 8 bis 10 und 12 bis 14. Nach Z 1 dieser Bestimmung ist dies der Fall, wenn ein Fremder von einem inländischen Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten, zu einer teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe, zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist.

Wie im Fall eines Aufenthaltsverbotes ist auch bei der Erstellung der für jedes Rückkehrverbot zu treffenden Gefährlichkeitsprognose das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die in § 62 Abs. 1 FPG umschriebene Annahme gerechtfertigt ist. Bei der Entscheidung, ein Rückkehrverbot zu erlassen, ist Ermessen zu üben, wobei die Behörde vor dem Hintergrund der gesamten Rechtsordnung auf alle für und gegen das Rückkehrverbot sprechenden Umstände Bedacht zu nehmen hat (vgl. das hg. Erkenntnis vom 28. Juni 2007, 2007/21/0206).

Angesichts der strafbaren Handlungen des Beschwerdeführers hegt der Gerichtshof keine Zweifel gegen die behördliche Beurteilung, dass die Gefährlichkeitsprognose nach § 62 Abs. 1 FPG gerechtfertigt ist.

Gemäß § 66 Abs. 1 iVm § 62 Abs. 3 FPG ist, würde durch ein Rückkehrverbot in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, diese Maßnahme nur zulässig, wenn sie zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Nach § 66 Abs. 2 iVm § 62 Abs. 3 FPG ist das Rückkehrverbot unzulässig, wenn dessen Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von dessen Erlassung.

Die belangte Behörde stellte fest, dass der Beschwerdeführer mit seiner Lebensgefährtin und den beiden gemeinsamen Kindern am 30. Juni 2001 illegal eingereist sei und alle Familienmitglieder am 2. Juli 2001 einen Asylantrag eingebracht hätten; gegen die abweisenden Asylbescheide sei am 6. März 2002 Berufung erhoben worden.

Die Beschwerde ist mit dem Vorwurf im Recht, dass die belangte Behörde die Auswirkungen des Rückkehrverbotes auf die Familie des Beschwerdeführers unrichtig gewertet habe. Die belangte Behörde beurteilte selbst den mit dem Rückkehrverbot verbundenen Eingriff in das Familienleben als "massiv". Sie erachtete das Rückkehrverbot trotz des damit verbundenen massiven Eingriffs mit der Begründung als zulässig, dass ein positiver Ausgang der Asylverfahren derzeit nicht feststehe.

Es trifft zwar zu, dass der Beschwerdeführer bis zum rechtskräftigen Abschluss seines Asylverfahrens vor einer Abschiebung geschützt ist. Es ist aber eine Konstellation nicht ausgeschlossen, dass der Asylantrag des Beschwerdeführers rechtskräftig abgewiesen, den Asylanträgen der anderen Familienmitglieder jedoch stattgegeben wird. Dies hätte zur Folge, dass ein (gemeinsames) Familienleben in einem anderen Land als Österreich in zumutbarer Weise nicht geführt werden könnte. Es sind nämlich keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass die Familie in einem anderen Land als ihrem Heimatland - von Österreich abgesehen - dauernden Aufenthalt nehmen könnte.

Bei der Beurteilung, ob ein Eingriff nach Art. 8 EMRK zulässig ist, kommt dem Umstand wesentliche Bedeutung zu, ob eine Fortsetzung des Familienlebens außerhalb Österreichs möglich ist. Die aus Asylgründen bedingte Trennung der Familie könnte den Eingriff in das Familienleben als unzulässig werten lassen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. Oktober 2006, 2003/21/0186, 0187). In einem solchen Fall ist der mit einem Aufenthaltsverbot oder einem Rückkehrverbot verbundene Eingriff in das Familienleben zwar nicht jedenfalls unzulässig, es muss dann aber dem öffentlichen Interesse an der Vornahme dieser Maßnahme ein sehr großes Gewicht beizumessen sein. Nun sollen zwar die strafbaren Handlungen des Beschwerdeführers keinesfalls verharmlost werden. Dennoch sind die Verurteilungen zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe von zwölf Monaten und einer zur Gänze bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von einem Monat in Verbindung mit den diesen Verurteilungen zu Grunde liegenden strafbaren Handlungen im Bereich der Eigentumskriminalität wegen des Fehlens von Gewaltanwendung (vgl. zu diesem Gesichtspunkt das Urteil des EGMR vom 23. Juni 2008, "Maslov gg. Österreich", NL 2008, 157) nicht so verwerflich im Sinn einer Beeinträchtigung öffentlicher Interessen, dass sie eine Unterbindung des Familienlebens auf längere Zeit, nämlich auf zehn Jahre, zulässig machen würden.

Nun gewährt zwar die Bestimmung des § 34 Asylgesetz 2005 die Fortsetzung eines bestehenden Familienlebens im Inland, wodurch ein Eingriff in das Familienleben vermieden werden kann. Der mit einem Familienverfahren verbundene Schutz des Familienlebens nach Art. 8 EMRK steht aber nur Familienangehörigen im Sinn des § 2 Z 22 leg. cit. (bzw. § 10 iVm § 1 Z 6 Asylgesetz 1997 idF BGBl. I Nr. 101/2003), somit u.a. Ehepartnern, nicht jedoch Lebensgefährten zur Verfügung. Die Zulässigkeit des mit dem Rückkehrverbot und einem unterschiedlichen Ausgang der Asylverfahren verbundenen Eingriffs in das Familienleben könnte daher auch nicht mit einem Hinweis auf ein Familienverfahren begründet werden. Davon abgesehen ist auf - wie hier - vor dem 1. Mai 2004 gestellte Asylanträge weder § 10 Asylgesetz 1997 idF BGBl. I Nr. 101/2003 noch § 34 Asylgesetz 2005 anzuwenden.

Zusammenfassend könnte somit mit dem Rückkehrverbot ein derart massiver Eingriff in das Familienleben des Beschwerdeführers verbunden sein, dass dieser ein Rückkehrverbot auf die ausgesprochene Dauer von zehn Jahren unzulässig machen würde. Nicht unerwähnt soll bleiben, dass die letzte strafbare Handlung des Beschwerdeführers im Oktober 2003 gesetzt wurde und ihm daher im maßgeblichen Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides ein Wohlverhalten von bereits zweieinhalb Jahren zuzubilligen ist.

Mit der Bejahung der Zulässigkeit eines Rückkehrverbotes trotz offenen Asylverfahrens sämtlicher Angehöriger hat somit die belangte Behörde die Rechtslage verkannt, weshalb der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 24. Februar 2009

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