VwGH 2008/21/0393

VwGH2008/21/03935.7.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant und Dr. Sulzbacher als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Senft, über die Beschwerde des K, vertreten durch Dr. Peter Lechenauer und Dr. Margrit Swozil, Rechtsanwälte in 5020 Salzburg, Hubert-Sattler-Gasse 10, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 23. Mai 2008, Zl. 318.129/2-III/4/08, betreffend Daueraufenthaltskarte, zu Recht erkannt:

Normen

11997E018 EG Art18;
11997E039 EG Art39;
11997E040 EG Art40;
62008CJ0127 Metock VORAB;
NAG 2005 §52 Z2;
NAG 2005 §54 Abs1;
NAG 2005 §55;
NAG 2005 §56;
NAG 2005 §57;
VwGG §42 Abs2 Z1;
11997E018 EG Art18;
11997E039 EG Art39;
11997E040 EG Art40;
62008CJ0127 Metock VORAB;
NAG 2005 §52 Z2;
NAG 2005 §54 Abs1;
NAG 2005 §55;
NAG 2005 §56;
NAG 2005 §57;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Vater des Beschwerdeführers ist österreichischer Staatsbürger. Dieser hatte im Zeitraum 1. März 2007 bis 5. November 2007 seinen Wohnsitz in Regensburg in der Bundesrepublik Deutschland. Diesbezüglich wurde dem Vater des Beschwerdeführers vom Bürgerzentrum der Stadt Regensburg auch eine sogenannte "Freizügigkeitsbescheinigung" ausgestellt.

Der Beschwerdeführer, ein 1983 geborener bosnischer Staatsangehöriger, reiste mit einem von der österreichischen Botschaft in Sarajewo ausgestellten, vom 24. Oktober bis 12. November 2007 gültigen Visum C zu seinem Vater und wohnte ab 31. Oktober 2007 bei ihm in Regensburg. Am 5. November 2007 zogen beide nach Österreich, wo sie sich am nächsten Tag unter einer Adresse in Frankenmarkt anmeldeten. Dort lebt der Beschwerdeführer seither gemeinsam mit seinem Vater, der - seinen Angaben zufolge - für den Unterhalt des Beschwerdeführers aufkommt.

Am 12. November 2007 stellte der Beschwerdeführer bei der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck einen Antrag auf Erteilung einer Daueraufenthaltskarte gemäß § 54 Abs. 1 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG).

Diesen Antrag wies die genannte Bezirkshauptmannschaft mit dem im Namen des Landeshauptmannes von Oberösterreich erlassenen Bescheid vom 7. Jänner 2008 ab. Die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung wurde mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid des Bundesministers für Inneres (der belangten Behörde) vom 23. Mai 2008 gemäß § 66 Abs. 4 AVG iVm § 54 Abs. 1 NAG abgewiesen.

Die belangte Behörde führte rechtlich aus, gemäß § 54 Abs. 1 NAG seien Angehörige von freizügigkeitsberechtigten EWR-Bürgern, die nicht EWR-Bürger seien und die die in § 52 Z 1 bis 3 NAG genannten Voraussetzungen erfüllen, zur Niederlassung berechtigt.

In der weiteren Begründung ging die belangte Behörde dann ausdrücklich davon aus, dass der Vater des Beschwerdeführers gemäß der Richtlinie 2004/38/EG sein Recht auf Freizügigkeit in Deutschland in Anspruch genommen (an anderer Stelle: ausgeübt) habe. Trotzdem mangle es im konkreten Fall "am Element des vom EU-Bürger abgeleiteten rechtmäßigen und zur Niederlassung berechtigten Aufenthaltes in Deutschland". Der kurzfristige fünftägige Aufenthalt des Beschwerdeführers in Deutschland sei (nämlich) "schon aus Definitionsgründen" nicht geeignet sei, seinen "rechtmäßigen Aufenthalt - abgeleitet vom Recht vom EU-Bürger - zu belegen". In Anlehnung an Art. 7 der genannten Richtlinie werde für die Ausübung des Freizügigkeitsrechtes ein Aufenthalt von mehr als drei Monaten verlangt. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes - so führte die belangte Behörde noch unter Bezugnahme auf das Erkenntnis vom 13. Oktober 2007, B 1462/06, aus - sei dem Angehörigen eines Österreichers (nur) dann eine Daueraufenthaltskarte gemäß §§ 57 iVm § 54 NAG auszustellen, wenn der Österreicher bei der Ausübung seines Freizügigkeitsrechtes im EWR-Raum eine familiäre Beziehung begründet hat und mit seinem drittstaatszugehörigen Angehörigen nach Österreich zurückkehrt.

Im Fall des Beschwerdeführers wäre daher ein Aufenthaltstitel "Familienangehöriger" vom Ausland aus zu beantragen und die Entscheidung darüber dort abzuwarten gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Vorauszuschicken ist, dass im vorliegenden Fall die Bestimmungen des NAG noch in der nachfolgend wiedergegebenen Stammfassung maßgeblich sind.

Gemäß § 54 Abs. 1 NAG sind Angehörige von "freizügigkeitsberechtigten" EWR-Bürgern, die nicht EWR-Bürger sind und die die in § 52 Z 1 bis 3 NAG genannten Voraussetzungen erfüllen, zur Niederlassung berechtigt. Ihnen ist auf Antrag eine Daueraufenthaltskarte für die Dauer von zehn Jahren auszustellen. Die Voraussetzungen des § 52 Z 2 NAG erfüllen Angehörige, die Verwandte des EWR-Bürgers oder seines Ehegatten in gerader absteigender Linie bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres und darüber hinaus sind, sofern ihnen von diesen Unterhalt tatsächlich gewährt wird, wenn sie den freizügigkeitsberechtigten EWR-Bürger begleiten oder zu ihm nachziehen. Gemäß § 57 NAG finden die Bestimmungen der §§ 51 bis 56 NAG u. a. auch auf Angehörige von Österreichern Anwendung, sofern diese ihr Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen haben.

Die belangte Behörde wies den Antrag auf Ausstellung einer Daueraufenthaltskarte erkennbar deshalb ab, weil im Hinblick auf den bloß fünftägigen Aufenthalt des Beschwerdeführers in Deutschland die Voraussetzung nicht erfüllt sei, dass der Österreicher die familiäre Beziehung bei der Ausübung seines Freizügigkeitsrechtes im EWR-Raum begründet hat und mit seinem drittstaatszugehörigen Angehörigen nach Österreich zurückgekehrt ist. Die Begründung läuft somit ersichtlich darauf hinaus, dass es nach Auffassung der belangten Behörde an dem in § 52 NAG angeführten Tatbestandsmerkmal "begleiten oder zu ihm nachziehen" fehlt.

Der Verfassungsgerichtshof hat allerdings in diesem Zusammenhang (insbesondere mit Hinweis auf das Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union vom 25. Juli 2008, C-127/08 , Metock, und den Beschluss des Gerichtshofes der Europäischen Union vom 19. Dezember 2008, C-551/07 , Sahin) in seinem Erkenntnis vom 16. Dezember 2009, G 244/09 u.a., unter Punkt II.2.8. der Entscheidungsgründe Folgendes festgehalten:

"Wird jedoch ein Angehörigenverhältnis zwischen einem Drittstaatsangehörigen und einem Österreicher begründet, ist für das Aufenthaltsrecht des Drittstaatsangehörigen ausschlaggebend, ob der Österreicher von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat, indem er eines seiner Rechte gemäß Art. 18 und 39 ff. EG im EWR-Raum außerhalb Österreichs ausübt oder ausgeübt hat (...). Hat der Österreicher von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht, genießt sein Angehöriger gemäß §§ 54 - 57 NAG ein Aufenthaltsrecht in Österreich, wobei es keine Rolle spielt, wie der Drittstaatsangehörige in das Bundesgebiet gelangt ist oder wann das Angehörigenverhältnis begründet wurde."

Spielt es aber keine Rolle, wie der Drittstaatsangehörige in das Bundesgebiet gelangt ist oder wann das Angehörigenverhältnis "begründet" wurde, so erweisen sich die für die Antragsabweisung maßgeblichen Erwägungen der belangten Behörde jedenfalls als verfehlt (vgl. zum Ganzen das hg. Erkenntnis vom 25. März 2010, Zl. 2008/21/0342, und daran anschließend das Erkenntnis vom selben Tag, Zlen. 2008/21/0362, 0363).

Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Wien, am 5. Juli 2011

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