VwGH 2008/21/0362

VwGH2008/21/036225.3.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant und Dr. Sulzbacher als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Stelzl, über die Beschwerden 1. der LJ und 2. des SJ, beide vertreten durch Dr. Peter Lechenauer und Dr. Margrit Swozil, Rechtsanwälte in 5020 Salzburg, Hubert-Sattler-Gasse 10, gegen die Bescheide des Bundesministers für Inneres je vom 27. März 2008, Zlen. 318.097/2-III/4/08 (ad 1.) und 318.097/3-III/4/08 (ad 2.), jeweils betreffend Daueraufenthaltskarte, zu Recht erkannt:

Normen

11997E018 EG Art18;
11997E039 EG Art39;
11997E040 EG Art40;
32004L0038 Unionsbürger-RL;
62008CJ0127 Metock VORAB;
EURallg;
NAG 2005 §52 Z2;
NAG 2005 §54 Abs1;
NAG 2005 §55;
NAG 2005 §56;
NAG 2005 §57;
VwGG §42 Abs2 Z1;
11997E018 EG Art18;
11997E039 EG Art39;
11997E040 EG Art40;
32004L0038 Unionsbürger-RL;
62008CJ0127 Metock VORAB;
EURallg;
NAG 2005 §52 Z2;
NAG 2005 §54 Abs1;
NAG 2005 §55;
NAG 2005 §56;
NAG 2005 §57;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von jeweils EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die 1969 und 1992 geborenen Beschwerdeführer (Mutter und ihr Sohn) sind serbische Staatsangehörige und beantragten unter Bezugnahme auf ihre 1949 geborene Mutter bzw. Großmutter, eine österreichische Staatsbürgerin, am 22. Juni 2007 die Ausstellung einer Daueraufenthaltskarte. Mit den angefochtenen, jeweils im Instanzenzug ergangenen Bescheiden vom 27. März 2008 wies der Bundesminister für Inneres (die belangte Behörde) diese Anträge gemäß § 54 Abs. 1 iVm § 52 Z 1 bis 3 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG ab. Die Beschwerdeführer hätten - so die belangte Behörde begründend - bereits 2006 einen Erstantrag auf Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - Angehöriger" gestellt, der rechtskräftig abgewiesen worden sei. Vom 1. Juni bis 30. Juni 2007 hätten sie dann über ein von der Österreichischen Botschaft Belgrad ausgestelltes Visum verfügt. Sie seien damit nach Deutschland zu ihrer Mutter/Großmutter gereist, die sich dort am 14. Dezember 2006 an einer näher genannten Adresse angemeldet habe. Am 1. Juni 2007 seien die Beschwerdeführer an dieser deutschen Adresse als Besucher angemeldet worden, bereits am 6. Juni 2007 sei es zu einer gemeinsamen Abmeldung (mit der Mutter/Großmutter) in Deutschland und dann am 8. Juni 2007 zu einer Anmeldung in Österreich gekommen.

Diesen Sachverhalt beurteilte die belangte Behörde wie folgt:

"Kriterien für das Vorliegen eines Freizügigkeitssachverhaltes sind zum einen das Vorliegen eines grenzüberschreitenden Bezugs, der in Ihrem Fall gegeben ist, und zum anderen muss die schon zuvor bestehende Familieneinheit aufrechterhalten werden. Eine Neuschaffung der Familieneinheit führt nicht zu einem Freizügigkeitssachverhalt. In Ihrem konkreten Fall sind Sie mit einem österreichischen Einreisetitel, der zu touristischen und Besuchszwecken dient, als Gast zu Ihrer Mutter/Großmutter nach Deutschland gereist. Dort haben Sie keinen Wohnsitz begründet, sondern waren nur 6 Tage lang als Gast gemeldet. Sie haben sich auch nicht einem Verfahren der deutschen Behörden hinsichtlich eines Einreise- oder Aufenthaltstitels unterzogen, sondern sich einen österreichischen Einreisetitel beschafft. Da Ihre Mutter/Großmutter zum Zeitpunkt Ihres Visumantrages schon mehrere Monate den Hauptwohnsitz in Deutschland hatte, ist natürlich zu hinterfragen, wie es zu einer Einladung nach Österreich kommen kann. Daher wurde Ihr Visum-Antrag bei der Österreichischen Botschaft Belgrad angefordert. Daraus ist ersichtlich, dass Sie angegeben haben, dass Sie Ihren Bruder/Onkel M., der in ... wohnt, besuchen wollen. Ihr Bruder/Onkel hat auch eine elektronische Verpflichtungserklärung für Sie abgegeben. Dabei hat er ausgesagt, dass Sie nach dem beantragten Besuch wieder ins Heimatland zurückkehren möchten.

All dies dient dazu, um einen Freizügigkeitssachverhalt und insbesondere die Aufrechterhaltung der Familieneinheit vorzutäuschen. In Wirklichkeit handelt es sich aber um die Neugründung der Familieneinheit in Österreich, die ja schon ca. 1 Jahr zuvor mit dem Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung versucht wurde.

Da in Ihrem Fall kein Freizügigkeitssachverhalt sondern eine Neugründung der Familieneinheit vorliegt, war Ihre Berufung abzuweisen."

Bezüglich des Zweitbeschwerdeführers sei die Berufung - so die belangte Behörde insoweit abschließend - auch deshalb abzuweisen, da § 54 Abs. 1 iVm § 52 Z 1 bis 3 NAG die Ausstellung von Daueraufenthaltskarten für Enkelkinder nicht vorsehe.

Über die gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerden hat der Verwaltungsgerichtshof - nach ihrer Verbindung zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung - nach Aktenvorlage in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Die belangte Behörde vertrat erkennbar die Auffassung, dass die österreichische Mutter/Großmutter der Beschwerdeführer ihr Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen habe. Die im Verwaltungsverfahren aufgestellte Behauptung, dass sie den Beschwerdeführern (Natural-) Unterhalt - insbesondere durch Gestatten des Mitgebrauchs ihrer Wohnung - gewähre, stellte sie nicht in Abrede. Sie wies die Anträge auf Ausstellung von Daueraufenthaltskarten jedoch - ersichtlich unter Bezugnahme auf das in § 52 NAG angeführte Tatbestandsmerkmal "begleiten oder zu ihm nachziehen" - deshalb ab, weil die von ihr im Hinblick darauf für erforderlich erachtete "Aufrechterhaltung der Familieneinheit" nur vorgetäuscht sei und es sich "in Wirklichkeit" um die "Neugründung der Familieneinheit in Österreich" handle; eine derartige Neuschaffung führe jedoch nicht zu einem "Freizügigkeitssachverhalt".

Von daher gleicht der vorliegende Fall in den entscheidungswesentlichen Gesichtspunkten jenem, der dem hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2008/21/0342, zu Grunde liegt. Gemäß § 43 Abs. 2 VwGG wird daher des Näheren auf die Begründung dieses Erkenntnisses verwiesen. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass den "Missbrauchsüberlegungen" der belangten Behörde, soweit sie sich über das von ihr angenommene Vortäuschen der Familieneinheit hinaus auf die Ausübung der Freizügigkeit durch die österreichische Mutter/Großmutter der Beschwerdeführer beziehen sollten, vor dem Hintergrund des im Wege des § 57 NAG auch für die vorliegende Konstellation maßgeblichen Gemeinschaftsrechts keine Relevanz zukommen kann (vgl. das Urteil des EuGH vom 23. September 2003, C-109/01 , Akrich, Randnr. 55 ff.).

Aus den im zitierten Erkenntnis angeführten Gründen sind auch die vorliegenden Bescheide mit Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes behaftet - der den Zweitbeschwerdeführer betreffende Bescheid überdies deshalb, weil Enkelkinder entgegen der Ansicht der belangten Behörde dem Personenkreis des § 52 Z 2 NAG unterfallen (vgl. zur insoweit identen Umschreibung der Begünstigten in § 47 Abs. 3 Z 2 Fremdengesetz 1997 etwa das hg. Erkenntnis vom 13. März 2007, Zl. 2006/18/0010; zur gebotenen Auslegung vor dem Hintergrund der "Unionsbürgerrichtlinie" vgl. auch das hg. Erkenntnis vom 13. Dezember 2007, Zl. 2007/09/0228) -, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben waren.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 25. März 2010

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