VwGH 2008/21/0373

VwGH2008/21/037319.5.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Senft, über die Beschwerde des A, vertreten durch Mag. Thomas Riedler, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/7, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 3. März 2008, Zl. St 57/08, betreffend Versagung eines Fremdenpasses, zu Recht erkannt:

Normen

32004L0083 IntSchutz Staatenlose Flüchtlinge RL Art25Abs2;
EURallg;
FrPolG 2005 §88 Abs1 Z6;
FrPolG 2005 §88 Abs1;
FrPolG 2005 §88 Abs2 Z2 idF 2009/I/122;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
32004L0083 IntSchutz Staatenlose Flüchtlinge RL Art25Abs2;
EURallg;
FrPolG 2005 §88 Abs1 Z6;
FrPolG 2005 §88 Abs1;
FrPolG 2005 §88 Abs2 Z2 idF 2009/I/122;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer ist armenischer Staatsangehöriger und reiste im Jänner 2002 nach Österreich ein. Er stellte hier einen Asylantrag, der gemäß § 7 Asylgesetz 1997 abgewiesen wurde. Es erging aber letztlich die Feststellung, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Armenien gemäß § 8 Asylgesetz 1997 nicht zulässig sei. Im Hinblick darauf wurden dem Beschwerdeführer befristete Aufenthaltsberechtigungen zuerkannt, zuletzt solche als subsidiär Schutzberechtigter.

Am 13. September 2007 beantragte der Beschwerdeführer die Ausstellung eines Fremdenpasses, was er damit begründete, dass er seine schwer kranke, in den USA lebende Cousine "ein letztes Mal" besuchen wolle. Diesem Antrag schloss er die Bestätigung einer amerikanischen Klinik vom 4. September 2007 an, der zufolge die vom Beschwerdeführer genannte Person, seine Cousine, an Lymphdrüsenkrebs leide und mit Chemotherapien behandelt worden sei. Außerdem legte er eine Verpflichtungserklärung bei, in der die Tochter der Cousine erklärte, den Beschwerdeführer zu einer kurzen Reise in die USA und zum Besuch ihrer Mutter einzuladen, die ein schweres Krebsleiden habe; sie werde in der Zeit seines Aufenthalts in den USA für Unterkunft und Verpflegung sorgen.

Mit dem nunmehr bekämpften, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 3. März 2008 wies die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich (die belangte Behörde) diesen Antrag gemäß § 88 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG ab. Sie nahm auf den subsidiär Schutzberechtigte erfassenden Tatbestand der Z 6 der genannten Bestimmung Bezug und führte aus, dass damit Art. 25 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (im Folgenden: RL) umgesetzt worden sei. Sie führte dann - im Folgenden wörtlich - aus:

"Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland OÖ muss sich jedoch auch dahingehend den Ausführungen der BPD Linz anschließen, als keine humanitären Gründe im Sinne der vorgenannten Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004 sowie der Bestimmung des § 88 Abs. 1 Zi. 6 FPG 2005 vorliegen, lässt sich doch aus den von Ihnen vorgelegten Beweismitteln lediglich ersehen, dass Sie in die USA reisen wollen, um eine angebliche Cousine von Ihnen, welche an Lymphdrüsenkrebs erkrankt sei, zu besuchen, wobei die Behörde lediglich auf Vermutungen angewiesen ist, da die von Ihnen vorgelegten Beweismittel nicht geeignet sind - wie etwa amtliche Dokumente - hinreichend glaubwürdig darzutun, dass es sich bei der oben bezeichneten Person um Ihre Cousine handelt.

Darüber hinaus kommt es nach ständiger Judikatur des VwGH in den Fällen, in denen nach Maßgabe der einschlägigen Bestimmungen Fremdenpässe ausgestellt werden können, nicht bloß darauf an, dass die Ausstellung des Fremdenpasses im Interesse des Betroffenen gelegen ist, sondern es muss auch ein positives Interesse der Republik Österreich an der Ausstellung eines Fremdenpasses für diesen Fremden bestehen. … Bei dem Umstand, der Fremdenpass werde benötigt, damit der Fremde reisen könne, handelt es sich für sich genommen um keinen Grund, der ein öffentliches Interesse im Sinne des § 88 Abs. 1 FPG 2005 dartun könnte …"

Die belangte Behörde hielt dann letztlich "als Ergebnis" fest, dass beim Beschwerdeführer keine humanitären Gründe im Sinn des § 88 Abs. 1 Z 6 FPG vorliegen würden und dass der Wunsch, einen näheren Verwandten im Ausland besuchen zu wollen, ausschließlich im eigenen Interesse des Beschwerdeführers liege, nicht jedoch auch im Interesse der Republik Österreich.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

Die belangte Behörde hat den Antrag des Beschwerdeführers auf Ausstellung eines Fremdenpasses zutreffend vor dem Hintergrund des § 88 Abs. 1 Z 6 FPG beurteilt. Diese Bestimmung lautete - in der hier noch anzuwendenden Fassung vor dem Fremdenrechtsänderungsgesetz 2009 - wie folgt:

"Ausstellung von Fremdenpässen

§ 88. (1) Fremdenpässe können, sofern dies im Hinblick auf die Person des Betroffenen im Interesse der Republik gelegen ist, auf Antrag ausgestellt werden für

6. Fremde, denen der Status des subsidiär Schutzberechtigten zukommt, wenn humanitäre Gründe deren Anwesenheit in einem anderen Staat erfordern, es sei denn, dies wäre aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit nicht geboten.

…"

Der bekämpfte Bescheid ist im Ergebnis so zu deuten, dass weder die nach dem Gesetzeswortlaut alle Fälle des § 88 Abs. 1 FPG erfassende Voraussetzung, die Ausstellung eines Fremdenpasses sei im Hinblick auf die Person des Betroffenen im Interesse der Republik gelegen, noch das spezifisch im Fall des Z 6 angesprochene Erfordernis, dass humanitäre Gründe die Anwesenheit des Fremden in einem anderen Staat erfordern, erfüllt seien.

Was zunächst die einleitende, auch auf die Z 6 zu beziehende Einschränkung des § 88 Abs. 1 FPG, den Fremdenpass nur auszustellen, sofern dies im Hinblick auf die Person des Betroffenen im Interesse der Republik gelegen ist, anlangt, so hat die belangte Behörde allerdings übersehen, dass diese Einschränkung in Ansehung des hinreichend bestimmten, ein subjektives Recht einräumenden Art. 25 Abs. 2 der RL, der eine derartige Einschränkung nicht vorsieht und bereits bis zum 10. Oktober 2006 umzusetzen war, gemeinschaftsrechtswidrig (nunmehr unionrechtswidrig) ist und daher in den Fällen des § 88 Abs. 1 Z 6 FPG unangewendet zu bleiben hat (vgl. das Erkenntnis vom 29. Jänner 2008, Zl. 2007/18/0601; vgl. nunmehr in diesem Sinn ausdrücklich § 88 Abs. 2 Z 2 FPG in der Fassung des Fremdenrechtsänderungsgesetzes 2009).

Die von der belangten Behörde konstatierte Umsetzung der genannten Richtlinienbestimmung ist insofern nicht ordnungsgemäß erfolgt.

Bezüglich der in § 88 Abs. 1 Z 6 FPG angesprochenen humanitären Gründe brachte die belangte Behörde einerseits zum Ausdruck, dass sie das vom Beschwerdeführer hiezu erstattete Vorbringen, er wolle seine kranke Cousine in den USA besuchen, nicht als ausreichend belegt erachte; mit den vorgelegten Beweismitteln - es fehlten "amtliche Dokumente" - sei es dem Beschwerdeführer nicht gelungen, "hinreichend glaubwürdig darzutun", dass es sich bei der in der Bestätigung der amerikanischen Klinik genannten Person um seine Cousine handle.

Mit diesen Ausführungen verkennt die belangte Behörde, dass das behauptete Verwandtschaftsverhältnis nicht nur durch "amtliche Dokumente" unter Beweis gestellt werden kann. Ihre allein auf das Fehlen derartiger Dokumente gegründete "Beweiswürdigung" erweist sich mithin als unschlüssig. Es kann ihr aber andererseits - wäre der bekämpfte Bescheid in diesem Sinn zu lesen - auch nicht darin gefolgt werden, dass der Wunsch, einen schwer kranken Verwandten im Ausland besuchen zu wollen, für sich betrachtet von vornherein keinen "humanitären Grund" im Sinn des § 88 Abs. 1 Z 6 FPG darstelle. Dass insofern "humanitäre Gründe" gegeben sein können, hat der Verwaltungsgerichtshof zwar bisher nur in Fällen zum Ausdruck gebracht, in denen es um den beabsichtigten Besuch der erkrankten Mutter ging (vgl. neben dem bereits genannten Erkenntnis vom 29. Jänner 2008 die hg. Erkenntnisse vom 27. Mai 2009, Zl. 2007/21/0050, und vom 15. September 2010, Zl. 2008/18/0457). Auch der Wunsch, einen anderen erkrankten Verwandten zu besuchen, kann aber letztlich - jedenfalls bei entsprechend intensivem Naheverhältnis - ebenfalls einem humanitären Bedürfnis entspringen, das im Sinn des § 88 Abs. 1 Z 6 FPG die Ausstellung eines Fremdenpasses rechtfertigt. Der angefochtene Bescheid kann daher auch von daher keinen Bestand haben und war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen der (prävalierenden) Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 19. Mai 2011

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