VwGH 2008/18/0457

VwGH2008/18/045715.9.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok, den Hofrat Dr. Enzenhofer, die Hofrätin Mag. Merl und die Hofräte Dr. Lukasser und Mag. Haunold als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Schmidl, über die Beschwerde des NA in S, vertreten durch Dr. Susanne Fuchsbauer, Rechtsanwältin in 3100 St. Pölten, Josefstraße 13, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 15. Jänner 2008, Zl. E1/13372/2007, betreffend Versagung eines Fremdenpasses, zu Recht erkannt:

Normen

32004L0083 IntSchutz Staatenlose Flüchtlinge RL Art25 Abs2;
EURallg;
FrPolG 2005 §88 Abs1 Z6;
FrPolG 2005 §88 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
32004L0083 IntSchutz Staatenlose Flüchtlinge RL Art25 Abs2;
EURallg;
FrPolG 2005 §88 Abs1 Z6;
FrPolG 2005 §88 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich (der belangten Behörde) vom 15. Jänner 2008 wurde der Antrag des Beschwerdeführers, eines afghanischen Staatsangehörigen, vom Juni 2007 auf Ausstellung eines Fremdenpasses gemäß § 88 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, abgewiesen.

Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, die Bundespolizeidirektion St. Pölten habe den Antrag des Beschwerdeführers auf Ausstellung eines Fremdenpasses mit Bescheid vom 22. August 2007 abgewiesen und dies damit begründet, dass kein Interesse der Republik Österreich an der Ausstellung eines Fremdenpasses vorliege.

Der Asylantrag des Beschwerdeführers vom 30. November 2002 sei mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 24. April 2003 rechtskräftig abgewiesen worden. Gemäß § 8 Asylgesetz 1997 sei festgestellt worden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan nicht zulässig sei. Durch das Bundesasylamt sei festgestellt worden, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers hinsichtlich der "Konvertierung" zum Christentum nicht glaubhaft sei; er habe nicht glaubhaft darlegen können, einer relevanten Verfolgungsgefahr in Afghanistan im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention ausgesetzt zu sein, sodass ihm in Österreich kein Asyl habe gewährt werden können. Gemäß § 8 AsylG sei ihm Abschiebeschutz auf Grund der allgemein schlechten Versorgungslage in Afghanistan gewährt worden. Zuletzt sei dem Beschwerdeführer mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 16. April 2007 gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis 30. April 2008 erteilt worden. In diesem Bescheid sei neuerlich explizit angeführt worden, dass die Unzulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan einzig und allein in der dortigen allgemeinen Situation und Lage begründet sei.

Im Juni 2007 habe der Beschwerdeführer einen Antrag auf Ausstellung eines Fremdenpasses gestellt und diesen im Wesentlichen damit begründet, dass er seine kranke Mutter besuchen wolle. Dem Antrag sei u.a. eine Bestätigung eines Hospitals beigelegen, aus der sich ergebe, dass F.A. seit 16. Mai 2007 dort wegen "Carcinoma Eosephaguose" behandelt werde.

Mit Schreiben der Bundespolizeidirektion St. Pölten vom 26. Juli 2007 sei dem Beschwerdeführer zur Kenntnis gebracht worden, dass eine Abweisung seines Antrages auf Ausstellung eines Fremdenpasses beabsichtigt sei, weil kein - wie vom Gesetz gefordert - Interesse der Republik an der Ausstellung eines Fremdenpasses für den Beschwerdeführer vorhanden sei. In seiner Stellungnahme habe der Beschwerdeführer im Wesentlichen angeführt, in Österreich integriert und der deutschen Sprache mächtig zu sein. Das Kriterium "im Interesse der Republik" müsse weit interpretiert werden, um die gegenständliche Norm nicht unerfüllbar und daher zwecklos erscheinen zu lassen. Das Interesse der Republik an der Ausstellung des Fremdenpasses liege wohl auch in der Tatsache, dass "es" zeige, dass Österreich die Leute nicht als Gefangene betrachte, sondern demonstriere, dass auch moralische Werte, wie der Beistand eines Angehörigen bei Krankheit, hochgehalten würden. Gerade die "Repräsentation Österreichs im Ausland" als Land, das gesetzestreue und arbeitswillige Personen ausländischer Herkunft als Menschen respektiere und ihnen daher auch bei Vorliegen der Voraussetzungen die Möglichkeit gebe, auszureisen und wiederzukommen, stelle auch ein Interesse der Republik an der Ausstellung eines Fremdenpasses im gegenständlichen Fall dar.

Mit Schreiben der belangten Behörde vom 8. November 2007 sei der Beschwerdeführer verständigt worden, dass die Behörde zur Ansicht gekommen sei, es lägen keine Hinderungsgründe für die Ausstellung eines Reisepasses durch den Herkunftsstaat des Beschwerdeführers vor. Der Beschwerdeführer habe die Möglichkeit, bei der afghanischen Botschaft in Wien die Ausstellung eines Reisepasses zu beantragen und einen solchen auch ausgestellt zu erhalten. Mit Stellungnahme vom 10. Dezember 2007 habe der Beschwerdeführer im Wesentlichen ausgeführt, er habe bereits zweimal wegen seines Antrages auf Ausstellung eines Reisepasses bei der Islamischen Republik Afghanistan urgiert, er habe jedoch weder eine positive noch eine negative Bestätigung (über die Antragstellung) erhalten; ihm sei schlichtweg jegliche Rückäußerung verweigert worden. Nunmehr versuche sein ausgewiesener Vertreter, eine derartige Bestätigung zu bekommen. Dazu - so die belangte Behörde weiter - habe der Beschwerdeführer einen Antrag (Schreiben) an die Botschaft der Islamischen Republik Afghanistan vorgelegt und ersucht, die gesetzliche Frist um weitere zwei Wochen zu verlängern.

Unter Hinweis auf § 88 FPG führte die belangte Behörde weiter aus, ein Interesse der Republik Österreich an der Ausstellung eines Fremdenpasses sei etwa dann anzunehmen, wenn die Republik Österreich eine gemeinschaftsrechtliche Verpflichtung treffe und keiner der in § 92 FPG normierten Versagungsgründe vorliege. Art. 25 Abs. 2 der EU-Status-Richtlinie erfordere, dass Mitgliedsstaaten Personen, denen der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt worden sei und die keinen nationalen Pass erhalten könnten, Dokumente auszustellen hätten, mit denen sie reisen könnten, zumindest wenn schwerwiegende humanitäre Gründe ihre Anwesenheit in einem anderen Staat erforderten.

Die Identität des Beschwerdeführers sei ungeklärt; im Zuge des Asylverfahrens sei er unter zwei verschiedenen Identitäten aufgetreten. Auch wenn humanitäre Gründe für seinen Aufenthalt in einem anderen Staat vorlägen, liege es jedoch in seiner eigenen Sphäre, die Ausstellung eines Reisedokumentes durch den Herkunftsstaat zu beantragen. Der Beschwerdeführer behaupte zwar, einen entsprechenden Antrag bei der Botschaft der Islamischen Republik Afghanistan eingebracht zu haben, habe darüber aber keinen Nachweis erbracht und auch nicht bekannt gegeben, warum ihm eine Ausstellung verweigert worden sein solle. In diesem Zusammenhang werde angemerkt, dass dem Einreiseantrag für seine Ehegattin und seinen Sohn mangels Nachweises einer aufrechten Ehe (die vorgelegte Heiratsurkunde sei als Falsifikat erkannt worden und Überprüfungen über einen Vertrauensanwalt der Österreichischen Botschaft Islamabad zur Identität des Beschwerdeführers und seiner Ehegattin seien negativ verlaufen) nicht stattgegeben worden sei.

Auf Grund des vom Beschwerdeführer vorgebrachten Ausstellungsbegehrens und der Ermittlungsergebnisse habe jedenfalls lediglich ein Interesse seinerseits an der Ausstellung erkannt werden können; ein positives Interesse der Republik Österreich an der Ausstellung eines Fremdenpasses an den Beschwerdeführer sei nicht ersichtlich.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, in eventu wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte in ihrer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die mit "Ausstellung von Fremdenpässen" überschriebene Bestimmung des § 88 Abs. 1 FPG hat in der Stammfassung folgenden

Wortlaut:

"§ 88. (1) Fremdenpässe können, sofern dies im Hinblick auf die Person des Betroffenen im Interesse der Republik gelegen ist, auf Antrag ausgestellt werden für

1. Staatenlose oder Personen ungeklärter Staatsangehörigkeit, die kein gültiges Reisedokument besitzen;

2. ausländische Staatsangehörige, die zum unbefristeten Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt und nicht in der Lage sind, sich ein gültiges Reisedokument ihres Heimatstaates zu beschaffen;

3. ausländische Staatsangehörige, die nicht in der Lage sind, sich ein gültiges Reisedokument ihres Heimatstaates zu beschaffen und bei denen im Übrigen die Voraussetzungen für die Erteilung eines unbefristeten Aufenthaltstitels gegeben sind;

4. ausländische Staatsangehörige, die nicht in der Lage sind, sich das für die Auswanderung aus dem Bundesgebiet erforderliche Reisedokument ihres Heimatstaates zu beschaffen;

5. ausländische Staatsangehörige, die seit mindestens vier Jahren ununterbrochen ihren Hauptwohnsitz im Bundesgebiet haben, sofern der zuständige Bundesminister oder die Landesregierung bestätigt, dass die Ausstellung des Fremdenpasses wegen der vom Fremden erbrachten oder zu erwartenden Leistungen im Interesse des Bundes oder des Landes liegt oder

6. Fremde, denen der Status des subsidiär Schutzberechtigten zukommt, wenn humanitäre Gründe deren Anwesenheit in einem anderen Staat erfordern, es sei denn, dies wäre aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit nicht geboten."

2. Unstrittig ergibt sich aus der Aktenlage sowie aus dem Umstand, dass die belangte Behörde zur Beurteilung, ob für den Beschwerdeführer ein Fremdenpass ausgestellt werden könne, erkennbar die Z. 6 des § 88 Abs. 1 FPG heranzog, dass dem Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zukam.

Die belangte Behörde stützt die Abweisung des gegenständlichen Antrages ausschließlich darauf, dass ein positives Interesse der Republik Österreich an der Ausstellung eines Fremdenpasses an den Beschwerdeführer nicht ersichtlich sei.

Zu § 88 Abs. 1 Z. 6 FPG hat der Verwaltungsgerichtshof bereits ausgesprochen, dass die einleitende (auch) auf die Z. 6 zu beziehende Einschränkung des § 88 Abs. 1 FPG, den Fremdenpass nur auszustellen, sofern dies im Hinblick auf die Person des Betroffenen im Interesse der Republik gelegen ist, in Ansehung des hinreichend bestimmten und ein subjektives Recht einräumenden Art. 25 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG , der eine derartige Einschränkung nicht vorsieht und bereits bis zum 10. Oktober 2006 umzusetzen war, gemeinschaftswidrig ist und daher in den Fällen des § 88 Abs. 1 Z. 6 FPG unangewendet zu bleiben hat (vgl. das hg. Erkenntnis vom 29. Jänner 2008, Zl. 2007/18/0601).

Dies hat die belangte Behörde verkannt und daher nicht geprüft, ob die im Verwaltungsverfahren vorgebrachten Umstände (Erkrankung der Mutter des Beschwerdeführers) als humanitäre Gründe anzusehen sind, die die (vorübergehende) Anwesenheit des Beschwerdeführers in einem anderen Staat erfordern, und ob die Ausstellung eines Fremdenpasses aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit nicht geboten ist.

Soweit die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift vorbringt, die Ausstellung des beantragten Fremdenpasses sei aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit nicht geboten, ist dem entgegenzuhalten, dass eine solche Begründung dem angefochtenen Bescheid nicht zu entnehmen ist; nach ständiger hg. Judikatur kann der Mangel einer Bescheidbegründung nicht durch entsprechende Ausführungen in der Gegenschrift beseitigt werden (vgl. dazu die in Mayer, B-VG4 (2007) § 36 VwGG I zitierte Judikatur).

3. Den weiteren Ausführungen der belangten Behörde, es liege in der Sphäre des Beschwerdeführers, die Ausstellung eines Reisepasses durch sein Herkunftsland zu beantragen, er habe keinen Nachweis über die Verweigerung der Ausstellung eines Reisepasses oder einer diesbezüglichen Bestätigung erbracht, ist zu entgegnen, dass es darauf nach der hier anzuwendenden Bestimmung des § 88 Abs. 1 Z. 6 FPG nicht ankommt.

4. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.

5. Gemäß § 39 Abs. 2 Z. 4 VwGG konnte von der beantragten Verhandlung Abstand genommen werden.

6. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008. Das auf Ersatz von Umsatzsteuer gerichtete Mehrbegehren war abzuweisen, weil diese in dem Pauschalsatz bereits enthalten ist.

Wien, am 15. September 2010

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