VwGH 2008/21/0227

VwGH2008/21/022722.12.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Stelzl, über die Beschwerde des F, vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 27. Juni 2007, Zl. 144.952/2-III/4/06, betreffend Versagung eines humanitären Aufenthaltstitels, zu Recht erkannt:

Normen

FrG 1997 §10 Abs4;
EMRK Art8;
NAG 2005 §72;
NAG 2005 §74;
VwRallg;
FrG 1997 §10 Abs4;
EMRK Art8;
NAG 2005 §72;
NAG 2005 §74;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der aus Pakistan stammende Beschwerdeführer reiste am 3. Juli 2000 nach Österreich ein und stellte einen Asylantrag, der im Instanzenzug abgewiesen wurde. Unter einem wurde festgestellt, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Pakistan zulässig sei. Die Behandlung der gegen die zweitinstanzliche Entscheidung gerichteten Beschwerde wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 26. Juli 2005 abgelehnt.

Hierauf stellte der Beschwerdeführer durch seinen Rechtsvertreter am 8. September 2005 den gegenständlichen Antrag, ihm eine Niederlassungsbewilligung für jeglichen Aufenthaltszweck (§ 13 Abs. 2 Fremdengesetz 1997 - FrG) zu erteilen, wobei sich aus einem Zusatzantrag ergibt, dass der Beschwerdeführer die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung aus humanitären Gründen gemäß § 19 Abs. 2 Z 6 iVm Abs. 3 FrG anstrebte.

Diesen Antrag wies der Magistrat der Landeshauptstadt Linz mit Bescheid vom 14. Dezember 2005 ab, weil der Beschwerdeführer die Bedingungen für eine Inlandsantragstellung nach § 14 Abs. 2 iVm § 10 Abs. 4 FrG - Vorliegen "besonderer Schutzbedürftigkeit des Antragstellers" - nicht erfülle.

Die dagegen erhobene Berufung wies der Bundesminister für Inneres (die belangte Behörde) mit dem angefochtenen Bescheid vom 27. Juni 2007 gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit § 19 Abs. 1 und § 21 Abs. 1 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes - NAG ab.

Begründend führte die belangte Behörde aus, aufgrund der seit 1. Jänner 2006 geltenden und im vorliegenden Verfahren anzuwendenden Rechtslage sei der Antrag des Beschwerdeführers als Erstantrag auf Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" zu werten. Ein solcher Antrag sei gemäß § 19 Abs. 1 NAG bei der Behörde persönlich zu stellen sowie gemäß § 21 Abs. 1 NAG vor der Einreise im Ausland einzubringen und dessen Erledigung sei dort abzuwarten. Es stehe jedoch fest, dass der gegenständliche Antrag durch den rechtsfreundlichen Vertreter des Beschwerdeführers per Post eingebracht worden sei, während sich der Beschwerdeführer im Inland aufgehalten habe.

Gemäß § 74 NAG könne zwar die Inlandsantragstellung in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen aus humanitären Gründen (§ 72 NAG) von Amts wegen zugelassen werden. Die Zulassungsbefugnis sei "jedoch nicht als zwingend auszuübende" zu verstehen.

Besonders berücksichtigungswürdige Gründe iSd § 72 Abs. 1 NAG habe der Beschwerdeführer während des gesamten Verfahrens nicht releviert. Vielmehr sei seine bisher gewählte Vorgangsweise als Umgehung gesetzlicher Bestimmungen, besonders der Einwanderungsbestimmungen, zu sehen. Ein derartiges Verhalten sei "verwaltungsnotorisch und einfach durchschaubar". Der Beschwerdeführer sei unrechtmäßig in das österreichische Bundesgebiet eingereist und habe während des Asylverfahrens missbräuchlich das vorläufige Aufenthaltsrecht nach dem Asylgesetz "lukriert", was sich ex post betrachtet aus der negativen Erledigung des Asylantrages zweifelsfrei ergebe. Darüber hinaus habe der Beschwerdeführer den (rückblickend) unrechtmäßig gewesenen Aufenthalt durch den weiteren Verbleib über das erlaubte Maß hinaus prolongiert, um sich so im österreichischen Bundesgebiet festzusetzen, ohne zuvor die hiefür gesetzlich geforderten Voraussetzungen erfüllt haben zu müssen. So habe sich der Beschwerdeführer vermeintlich dauerhaft den Zugang zum Arbeitsmarkt sowie einen Anschein der vermeintlichen Rechtmäßigkeit seines Aufenthalts und vermeintlich fortgeschrittener Integration verschafft. Der verfahrensgegenständliche Antrag solle ihm nunmehr quotenfrei auch einen Aufenthaltstitel mit Zugangsberechtigung zum Arbeitsmarkt und eine Aufenthaltsverfestigung verschaffen. Seine Erkrankung sei seinem persönlichen Lebensrisiko zuzuschlagen.

Aus all dem seien - so die belangte Behörde zusammenfassend - ausschließlich wirtschaftliche Motive ersichtlich, die nicht besonders berücksichtigungswürdig iSd § 72 Abs. 1 NAG sein könnten. Eine Inlandsantragstellung bzw. die daraus resultierende Entgegennahme des Aufenthaltstitels im Inland werde daher gemäß § 74 NAG von Amts wegen nicht zugelassen. Da der Gesetzgeber bereits bei Erlassung des § 21 Abs. 1 NAG auf die persönlichen Verhältnisse der Antragsteller Rücksicht genommen habe, könne davon ausgegangen werden, dass ein weiteres Eingehen auf die persönlichen Verhältnisse, auch im Hinblick auf Art. 8 EMRK, entbehrlich sei.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der ihre Behandlung mit Beschluss vom 5. März 2008, B 1739/07-6, ablehnte und sie in der Folge dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die ergänzte Beschwerde nach Aktenvorlage erwogen:

Der Antrag des Beschwerdeführers wurde zwar noch im zeitlichen Geltungsbereich des (bis 31. Dezember 2005 in Kraft gestandenen) FrG gestellt. Dasselbe gilt für die erstinstanzliche Erledigung, die mit Bescheid vom 14. Dezember 2005 erfolgt war. Das bei Inkrafttreten des NAG (am 1. Jänner 2006) noch anhängige Verfahren war aber, wie die belangte Behörde zutreffend erkannte, gemäß § 81 Abs. 1 NAG nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes zu Ende zu führen. Der Antrag des Beschwerdeführers war demnach als solcher auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung aus humanitären Gründen - in Betracht kam eine "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" gemäß § 73 Abs. 2 NAG (in der bis zum 31. März 2009 geltenden Stammfassung) - zu qualifizieren.

In diesem Zusammenhang ist vorauszuschicken, dass eine unter den Prüfungsbeschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 11. Oktober 2007, B 215, 216/07, fallende Konstellation im Beschwerdefall nicht vorlag, weil die Behörde den Antrag nicht wegen Unzulässigkeit einer solchen Antragstellung zurückgewiesen hat (vgl. idS das hg. Erkenntnis vom 29. April 2008, Zl. 2006/21/0175).

Die belangte Behörde stützte ihre Entscheidung auch darauf, dass der gegenständliche Antrag entgegen der Anordnung im ersten Satz des § 19 Abs. 1 NAG nicht vom Beschwerdeführer persönlich bei der Behörde gestellt worden sei. Zu diesem - im Zeitpunkt der Antragstellung am 8. September 2005 noch nicht geltenden, erst mit dem NAG eingeführten - Formalerfordernis hat der Verwaltungsgerichtshof jedoch unter Bezugnahme auf die Gesetzesmaterialien (RV 952 BlgNR 22. GP 149) dargelegt, dass dessen Nichterfüllung im Falle eines - wie hier - vor Inkrafttreten des NAG gestellten Antrages nicht zur Antragszurückweisung führen dürfe (siehe das Erkenntnis vom 24. Oktober 2007, Zl. 2007/21/0040; vgl. daran anschließend etwa auch das Erkenntnis vom 27. Jänner 2009, Zl. 2008/22/0820, mwH). Damit ließ sich somit entgegen der Meinung der belangten Behörde die Abweisung der Berufung nicht begründen.

Gemäß § 21 Abs. 1 NAG sind Erstanträge vor der Einreise im Ausland einzubringen und deren Erledigung ist dort abzuwarten. Diese - auch schon im Regime des FrG nach § 14 Abs. 2 bestehende - "Erfolgsvoraussetzung" hat der Beschwerdeführer unstrittig nicht erfüllt. Es liegt auch keiner der im § 21 Abs. 2 NAG genannten Ausnahmefälle vor.

Die Behörde kann jedoch gemäß § 74 NAG von Amts wegen die Inlandsantragstellung auf Erteilung eines Aufenthaltstitels in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen aus humanitären Gründen (§ 72 Abs. 1 NAG) zulassen. Diese Bestimmung sieht somit - wie die Vorgängerregelung (§ 14 Abs. 2 letzter Satz iVm § 10 Abs. 4 FrG) - eine (weitere) Ausnahme vom Grundsatz der Auslandsantragstellung vor. Dazu hat der Verfassungsgerichtshof klargestellt, dass dann, wenn die Voraussetzungen des § 72 NAG vorliegen, die ausnahmsweise vorgesehene Antragstellung im Inland entgegen dem Wortlaut des Gesetzes ("kann") zuzulassen ist (siehe Punkt III.1.2.2. der Entscheidungsgründe des Erkenntnisses vom 11. Dezember 2007, B 1263, 1264/07). In diesem Sinn wurde auch vom Verwaltungsgerichtshof judiziert, dass die Behörde die Inlandsantragstellung von Amts wegen zuzulassen hat, wenn die genannten Voraussetzungen erfüllt werden (vgl. etwa das Erkenntnis vom 3. April 2009, Zl. 2008/22/0592, u.v.a.).

Demnach steht die im angefochtenen Bescheid vertretene Auffassung, die "Zulassungsbefugnis" nach § 74 NAG sei "nicht als zwingend auszuübende zu verstehen", nicht im Einklang mit der dargestellten Rechtslage.

§ 72 NAG stellt insbesondere - wie schon die Vorgängerbestimmung des § 10 Abs. 4 FrG - auf mit besonderen Gefährdungen bzw. Notlagen verbundene Lebensumstände eines Fremden ab, die dazu Anlass geben, diesem aus humanitären Gründen einen Aufenthaltstitel zu erteilen. Weiters liegt ein "besonders berücksichtigungswürdiger Fall" auch dann vor, wenn - ausnahmsweise - ein aus Art. 8 EMRK direkt abzuleitender Anspruch auf Verbleib in Österreich besteht, sodass sich deshalb auch eine Ausweisung als unzulässig erwiese (vgl. beispielsweise das Erkenntnis vom 29. April 2008, Zl. 2006/21/0175). Das gilt sinngemäß auch für die Frage der ausnahmsweisen Zulassung der Inlandsantragstellung nach § 74 NAG (idS etwa das schon genannte Erkenntnis vom 3. April 2009, Zl. 2008/22/0592).

Unter diesem Gesichtspunkt hatte der Beschwerdeführer schon im verfahrenseinleitenden (Zusatz-)Antrag, aber auch in der Stellungnahme vom 20. Oktober 2005 und in der Berufung mit näheren Ausführungen auf seinen Aufenthalt in Österreich seit Anfang Juli 2000, seine während dieser Zeit ausgeübte Berufstätigkeit, seine Unbescholtenheit, seine Deutschkenntnisse und auf die mittlerweile erreichte soziale Integration am Arbeitsplatz und in der Nachbarschaft sowie auf seine TBC-Erkrankung und auf die deshalb zu erwartenden Probleme bei einer Rückkehr in seine Heimatregion sowie auf die dort bestehenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten hingewiesen.

Die belangte Behörde hat es unterlassen, sich mit diesem Vorbringen ausreichend zu befassen. Soweit sie dazu die Meinung vertrat, ein Eingehen auf die persönlichen Verhältnisse sei entbehrlich, weil der Gesetzgeber darauf bereits bei Erlassung des § 21 Abs. 1 NAG Rücksicht genommen habe, geht das unter dem hier maßgeblichen Blickwinkel der Zulässigkeit der Inlandsantragstellung nach § 74 iVm § 72 Abs. 1 NAG schon vom Ansatz her ins Leere. Die diesbezüglich geäußerte Auffassung, der Beschwerdeführer habe "ausschließlich wirtschaftliche Motive" geltend gemacht, wird aber einerseits dem wiedergegebenen Vorbringen nicht gerecht und berücksichtigt andererseits nicht, dass von Art. 8 EMRK auch der Schutz des Privatlebens erfasst wird. Demzufolge hätte die belangte Behörde die vor allem unter dem Gesichtspunkt der genannten Konventionsbestimmung vorgetragenen Umstände einer Prüfung unterziehen und eine umfassende gewichtende Abwägung mit dem entgegenstehenden öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen vornehmen müssen (siehe auch dazu das schon zitierte Erkenntnis vom 3. April 2009, Zl. 2008/22/0592).

Diesem Begründungsmangel kommt aber im vorliegenden Fall keine Relevanz zu. Der Beschwerdeführer wurde nämlich mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 26. Juni 2008 aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen. In diesem Verfahren wurde eine entsprechende Interessenabwägung vorgenommen und deren Ergebnis vom Verwaltungsgerichtshof gebilligt (vgl. das die gegen den Ausweisungsbescheid erhobene Beschwerde abweisende Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2008/21/0462). Es wurde aber bereits oben dargelegt, dass in der gegenständlichen Konstellation ein "besonders berücksichtigungswürdiger Fall" iSd § 72 Abs. 1 NAG nur dann vorliegen könnte, wenn - ausnahmsweise - für den Beschwerdeführer ein aus Art. 8 EMRK direkt abzuleitender Anspruch auf Verbleib in Österreich bestünde, sodass sich deshalb auch eine Ausweisung als unzulässig erwiese. Dem liegt zugrunde, dass die Beurteilung der Zulässigkeit einer Ausweisung unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK und die Beurteilung des Vorliegens diesbezüglicher humanitärer Gründe im Hinblick auf den inhaltlich gleichen Prüfungsmaßstab zu einem konformen Ergebnis führen müssen. In diesem Sinn hat der Verwaltungsgerichtshof bereits mehrfach judiziert, aus dem engen Zusammenhang der Berücksichtigung humanitärer Gründe im Verfahren zur Aufenthaltsbeendigung und im Niederlassungsverfahren folge eine Verknüpfung, welche das Ergebnis der Interessenabwägung gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK im Ausweisungsverfahren auch für die auf Art. 8 EMRK gestützte Erteilung einer (humanitären) Niederlassungsbewilligung jedenfalls bei gleich gebliebenen Umständen als relevant erscheinen lasse (vgl. das Erkenntnis vom 17. September 2008, Zl. 2008/22/0264).

Da in dem - wie erwähnt: vom Verwaltungsgerichtshof "bestätigten" - Ausweisungsbescheid festgestellt wurde, dass der Beschwerdeführer durch die Ausweisung in seinem durch Art 8 EMRK gewährleisteten Rechten nicht verletzt wurde, kann der belangten Behörde somit - im Ergebnis - nicht entgegen getreten werden, dass sie davon ausgegangen ist, im vorliegenden Fall seien keine besonders berücksichtigungswürdigen Gründe iSd § 72 Abs. 1 NAG gegeben, welche die Zulässigkeit der ausnahmsweisen Inlandsantragstellung rechtfertigen könnten (vgl. das Erkenntnis vom 17. September 2008, Zl. 2008/22/0375).

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 22. Dezember 2009

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