VwGH 2008/18/0509

VwGH2008/18/050922.9.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch und den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl sowie die Hofräte Mag. Haunold und Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerde der TK in W, vertreten durch Dr. Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Schottenfeldgasse 2-4/2/23, gegen die Bescheide der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien je vom 16. April 2008, 1. Zl. E1/99.620/2008 (hg. Zl. 2008/18/0509) und 2. Zl. E1/99.635/2008 (hg. Zl. 2008/18/0510), betreffend

1. Zurückweisung einer Berufung und 2. Abweisung eines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §71 Abs1 Z1;
AVG §71 Abs1;
AVG §71 Abs2;
VwGG §46 Abs1;
AVG §71 Abs1 Z1;
AVG §71 Abs1;
AVG §71 Abs2;
VwGG §46 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

Mit Bescheid vom 9. November 2007 erließ die Bundespolizeidirektion Wien gegen die Beschwerdeführerin, eine türkische Staatsangehörige, eine auf § 54 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) gestützte Ausweisung.

Den Eintragungen des im Verwaltungsakt erliegenden Rückscheins zufolge wurde am 22. November 2007 erstmals versucht, diesen Bescheid der Beschwerdeführerin an einer näher genannten Adresse in 1140 Wien zuzustellen. Da dieser Zustellversuch erfolglos blieb, wurde am selben Tag die Ankündigung über die Vornahme eines zweiten Zustellversuches in das zur Wohnung gehörende Hausbrieffach eingelegt. Der zweite Zustellversuch fand am 23. November 2007 statt. Da eine Zustellung dieses Bescheides durch persönliche Übergabe an die Beschwerdeführerin an diesem Tag wieder nicht möglich war, wurde vom Zusteller noch am 23. November 2007 in das Hausbrieffach eine Verständigung über die Hinterlegung des zuzustellenden Schriftstückes beim Postamt 1140 Wien eingelegt. Der Beginn der Abholfrist wurde mit 26. November 2007 festgelegt.

Mit dem am 19. Dezember 2007 zur Post gegebenen Schriftsatz vom selben Tag beantragte die Beschwerdeführerin, ihr die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist gemäß § 71 AVG zu bewilligen; unter einem erhob sie Berufung gegen den Ausweisungsbescheid.

Den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand begründete die Beschwerdeführerin damit, dass der Ausweisungsbescheid am 23. November 2007 hinterlegt worden sei. Sie sei zu dieser Zeit krank gewesen, weshalb sie den Bescheid "nicht gleich von der Post abholen" habe können. Als sich ihr gesundheitlicher Zustand noch verschlimmert habe, sei sie "beim Arzt" gewesen. Von diesem sei sie in der Zeit von 3. Dezember 2007 bis 19. Dezember 2007 "krank geschrieben" worden. Als es ihr "etwas besser" gegangen sei, habe sie den Ausweisungsbescheid "mit Unterstützung meiner Tochter" am 7. Dezember 2007 "von der Post abgeholt". Dabei habe es sich aber um den letzten Tag der Berufungsfrist gehandelt. Ihr Krankenstand habe noch angedauert. Deswegen habe sie das Rechtsmittel "nicht sofort in Anspruch nehmen" können.

Mit dem zur hg. Zl. 2008/18/0510 angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist gemäß § 71 Abs. 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz (AVG) ab. Nach Wiedergabe der Ausführungen der Behörde erster Instanz, die die belangte Behörde auch für die Berufungsentscheidung als maßgeblich ansah, des Berufungsvorbringens und der Bestimmung des § 71 Abs. 1 Z 1 AVG führte die belangte Behörde aus, die Rechtsmittelfrist gegen den erstinstanzlichen Ausweisungsbescheid habe am 26. November 2007 - dem Beginn der Abholfrist - zu laufen begonnen. Daher habe diese mit Ablauf des 10. Dezember 2007, und nicht schon am 7. Dezember 2007 - jenem Tag, an dem die Beschwerdeführerin den Bescheid abgeholt habe - geendet. Aber abgesehen davon, dass die Rechtsmittelfrist erst am 10. Dezember 2007 geendet habe, bleibe es der Behörde verborgen, welche Gründe der rechtzeitigen Erhebung eines Rechtsmittels im Weg gestanden seien. Ein etwaiges Rechtsmittel hätte auch rechtzeitig durch eine andere Person der Post zur Beförderung übergeben werden können. Eine Krankheit könne nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht von vornherein als Wiedereinsetzungsgrund gewertet werden. Nach dieser Rechtsprechung sei lediglich eine die Dispositionsfähigkeit ausschließende Erkrankung Grund für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Derart sei ein Wiedereinsetzungsgrund etwa dann gegeben, wenn die Krankheit einen Zustand der Dispositionsunfähigkeit zur Folge habe und so plötzlich und so schwer auftrete, dass der Erkrankte nicht mehr in der Lage sei, die nach der Sachlage gebotenen Maßnahmen zu treffen. Die bloße Behauptung einer Erkrankung und die Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbestätigung könne daher für sich allein kein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis begründen. Zu keiner Zeit habe die Beschwerdeführerin im Verfahren vorgebracht, an einer die Dispositionsfähigkeit ausschließenden Erkrankung gelitten zu haben. Zudem habe die Beschwerdeführerin den Ausweisungsbescheid "fristgerecht übernommen" und dennoch kein Rechtsmittel erhoben.

Nach Ansicht der belangten Behörde sei sohin weder glaubhaft gemacht worden, dass die Beschwerdeführerin durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis an der Einhaltung der Frist zur Erhebung einer Berufung gegen den erstinstanzlichen Ausweisungsbescheid gehindert gewesen wäre, noch dass ihr - selbst wenn ein solches Ereignis vorgelegen wäre - lediglich nur ein minderer Grad des Versehens zuzubilligen wäre.

Mit dem zu zur hg. Zl. 2008/18/0509 angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die gegen den Ausweisungsbescheid erhobene Berufung als verspätet zurück. Dies begründete sie damit, dass die Rechtsmittelfrist mit 26. November 2007 zu laufen begonnen und mit Ablauf des 10. Dezember 2007 geendet habe. Die Berufung sei aber erst am 19. Dezember 2007 zur Post gegeben worden, weshalb sie sich als verspätet erweise.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diese Bescheide erhobene Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

§ 71 Abs. 1 Z 1 und Abs. 2 AVG samt Überschrift lautet:

"Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

§ 71. (1) Gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung ist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn:

1. die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft, oder

2. ...

(2) Der Antrag auf Wiedereinsetzung muss binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses oder nach dem Zeitpunkt, in dem die Partei von der Zulässigkeit der Berufung Kenntnis erlangt hat, gestellt werden.

..."

Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ergibt sich aus § 71 AVG, dass der Wiedereinsetzungsantrag ein Vorbringen über seine Rechtzeitigkeit zu enthalten hat und dass anzugeben ist, aus welchem Grund der Antragsteller den Tatbestand des § 71 Abs. 1 AVG als erfüllt ansieht. Dabei trifft den Antragsteller die Obliegenheit, im Antrag konkret jenes unvorhergesehene oder unabwendbare Ereignis zu beschreiben, das ihn an der Einhaltung der Frist gehindert hat, und diesen behaupteten Wiedereinsetzungsgrund glaubhaft zu machen, was aber als Grundlage ein entsprechend begründetes Antragsvorbringen voraussetzt (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 17. Februar 2011, Zl. 2009/07/0082, mwN).

In Anbetracht der in § 71 Abs. 2 AVG normierten Befristung des Wiedereinsetzungsantrages ist es jedenfalls unzulässig, die nach § 71 AVG erforderlichen Angaben erst nach Ablauf dieser Frist nachzutragen. Erstmals im Berufungsverfahren vorgebrachte Behauptungen vermögen somit einen Wiedereinsetzungsantrag nicht mehr zu begründen. Die belangte Behörde ist daher zu Recht auf dieses Vorbringen nicht eingegangen (vgl. zum Ganzen wiederum das hg. Erkenntnis Zl. 2009/07/0082, mwN).

Nach der hg. Rechtsprechung erfüllt eine krankheitsbedingte Säumnis die Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur dann, wenn die Krankheit zu einer Dispositionsunfähigkeit des Betroffenen geführt hat oder die Dispositionsfähigkeit so stark beeinträchtigt hat, dass das Unterbleiben der fristwahrenden Handlung in einem milderen Licht - nämlich als bloß minderer Grad des Versehens - zu beurteilen ist. Es wurde auch bereits erkannt, dass es für die Wiedereinsetzung nicht ausreicht, wenn die Partei gehindert war, die fristwahrende Handlung selbst zu setzen. Ein Wiedereinsetzungsgrund liegt nur vor, wenn die Partei auch gehindert war, der Fristversäumung durch andere geeignete Dispositionen - im Besonderen durch Beauftragung eines Vertreters - entgegenzuwirken bzw. ihr auch insofern nur ein leicht fahrlässiges Fehlverhalten vorgeworfen werden könnte (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. Jänner 2011, Zlen. 2009/03/0163 bis 0165, mwN).

Vor dem Hintergrund der geschilderten Rechtslage ist es nicht als rechtswidrig zu erkennen, wenn die belangte Behörde mit Blick auf das oben wiedergegebene Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag das Vorliegen der Voraussetzungen zur Bewilligung der begehrten Wiedereinsetzung als nicht gegeben erachtete. Dies wird in der Beschwerde letztlich auch nicht substantiiert in Abrede gestellt.

Dem Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag ist - was die belangte Behörde zutreffend erkannt hat - keinerlei Hinweis dafür zu entnehmen, dass die Dispositionsfähigkeit der Beschwerdeführerin derart beeinträchtigt gewesen wäre, sodass sie nicht in der Lage gewesen wäre, der Fristversäumung, sei es auch anders als durch eigene fristwahrende Handlungen, wobei insbesondere die Beauftragung eines Vertreters, hier konkret etwa der Tochter, deren Hilfe sie sich letztlich auch - deutlich vor Ablauf der Berufungsfrist - bedient hat, in Betracht gekommen wäre, entgegenzuwirken.

Soweit in der Beschwerde aber zur Stützung der begehrten Wiedereinsetzung nunmehr neue Tatsachen ins Treffen geführt werden, steht der Berücksichtigung derselben das im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltende Neuerungsverbot entgegen (§ 41 Abs. 1 VwGG).

Anders als die Beschwerdeführerin meint, ist die belangte Behörde aber auch im Rahmen der ihr obliegenden Manuduktionspflicht nicht verpflichtet gewesen, sie im Verfahren über ihren Wiedereinsetzungsantrag dahingehend anzuleiten, ihr inhaltliches Vorbringen derart zu gestalten, dass es auch zur Bewilligung ihres Antrages führen werde (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 27. Mai 2011, Zl. 2008/02/0049, mwN).

Vor dem Hintergrund des Gesagten gehen aber auch die in der Beschwerde enthaltenen weiteren Verfahrensrügen ins Leere. Insbesondere ist auch in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass die Beschwerdeführerin verpflichtet gewesen wäre, alle für die Bewilligung der Wiedereinsetzung relevanten Umstände bereits in ihrem Antrag näher darzulegen.

Dass die Berufung erst nach Ablauf der Berufungsfrist - sohin verspätet - erhoben wurde, wurde von der Beschwerdeführerin nicht bestritten. Sie behauptet die Rechtswidrigkeit des zweitangefochtenen Bescheides allein mit dem Argument, die Zurückweisung ihrer Berufung stelle sich als rechtswidrig dar, weil ihr Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht hätte abgewiesen werden dürfen. Diesem Vorbringen ist aber schon auf Grund des zuvor Gesagten zur Rechtmäßigkeit der Abweisung des Wiedereinsetzungsantrages der Boden entzogen. Auch sonst sind keine Hinweise dafür ersichtlich, dass der belangten Behörde bei der Beurteilung, ob die Berufung als verspätet anzusehen sei, ein Fehler unterlaufen wäre.

Da somit hinsichtlich beider Bescheide die behaupteten Rechtsverletzungen nicht vorliegen, erweist sich die Beschwerde insgesamt als unbegründet. Sie war daher aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Von der Durchführung der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 22. September 2011

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