VwGH 2008/18/0422

VwGH2008/18/042224.1.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätinnen Mag. Merl und Mag. Dr. Maurer-Kober sowie den Hofrat Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerde des CCP in W, vertreten durch Dr. Wolfgang Rainer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schwedenplatz 2/74, gegen die Bescheide der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien je vom 4. Februar 2008,

  1. 1.) Zl. E1/485.403/2007 und 2.) Zl. E1/485.392/2007, betreffend
  2. 1.) Zurückweisung eines Antrages auf Aufhebung eines befristeten Aufenthaltsverbotes (hg. Zl. 2008/18/0422) und 2.) Ausweisung (hg. Zl. 2008/18/0425), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §66 Abs4;
AVG §68 Abs1;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §65;
FrPolG 2005 §66;
EMRK Art8;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
AVG §66 Abs4;
AVG §68 Abs1;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §65;
FrPolG 2005 §66;
EMRK Art8;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

 

Spruch:

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 2.572,80 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen, erstangefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers, eines nigerianischen Staatsangehörigen, das gegen ihn früher erlassene Aufenthaltsverbot nach § 65 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) aufzuheben, gemäß § 68 Abs. 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz (AVG) wegen entschiedener Sache zurück.

Begründend führte die belangte Behörde aus, gegen den Beschwerdeführer bestehe seit 8. November 2004 ein rechtskräftiges, auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot. Er habe bereits mit Schreiben vom 27. Februar 2006 beantragt, dieses Aufenthaltsverbot aufzuheben. Dieser Antrag sei rechtskräftig gemäß § 65 Abs. 1 FPG abgewiesen worden. (Nach Ausweis der Verwaltungsakten wurde der diesbezügliche Bescheid der Behörde erster Instanz vom 23. April 2007 dem Beschwerdeführer am 2. Mai 2007 zugestellt. Die dagegen erhobene Berufung wurde von der belangten Behörde mit Bescheid vom 29. Mai 2007, der dem Beschwerdeführer am 8. Juni 2007 zugestellt wurde, als verspätet zurückgewiesen.)

Der hier gegenständliche Antrag des Beschwerdeführers, mit dem er neuerlich einen Aufhebungsantrag gestellt habe, sei mit dem zuvor gestellten Antrag "beinahe wortident". Dieser Antrag sei am 9. Juli 2007, somit nicht einmal acht Wochen nach Rechtskraft der zuvor erfolgten Abweisung, eingebracht worden.

Die Prüfung, ob entschiedene Sache im Sinn des § 68 Abs. 1 AVG vorliege, dürfe ausschließlich anhand jener Gründe erfolgen, die von der Partei in erster Instanz zur Begründung ihres Begehrens geltend gemacht worden seien. In der Berufung könnten solche Gründe nicht "neu vorgelegt werden". Im Hinblick auf diese Rechtlage und "der beinahe vollständigen Wortidentität der beiden Anträge" habe die Behörde erster Instanz zutreffend festgestellt, dass der Zulässigkeit der nunmehrigen Antragstellung das Rechtsinstitut der entschiedenen Sache entgegenstehe. Es habe sich seit der letzten Entscheidung weder die Rechtlage noch der als maßgeblich anzusehende Sachverhalt derart geändert, dass eine anderslautende Entscheidung möglich wäre.

Wenn der Beschwerdeführer einwende, dass sein Wohlverhalten nunmehr mehrere Jahre andauere, sei ihm entgegenzuhalten, dass er immer noch unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig sei. Die von ihm geltend gemachte unselbständige Beschäftigung sei mangels eines Aufenthaltstitels und mangels Vorliegen einer Bewilligung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz "wohl unrechtmäßig". Somit seien keine zu Gunsten des Beschwerdeführers sprechenden Umstände eingetreten.

Mit dem zweitangefochtenen Bescheid erließ die belangte Behörde - ebenfalls als Berufungsbehörde gemäß § 66 Abs. 4 AVG - gegen den Beschwerdeführer eine auf § 53 Abs. 1 FPG gestützte Ausweisung.

Zur Begründung führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer sei am 29. Jänner 2002 unrechtmäßig in das Bundesgebiet eingereist und habe einen Asylantrag gestellt, der am 13. Juni 2007 rechtskräftig abgewiesen worden sei. Mit Bescheid vom 8. November 2004 sei bereits früher gegen den Beschwerdeführer ein für die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen worden. Dieses Aufenthaltsverbot habe sich maßgeblich auf eine Verurteilung des Beschwerdeführers nach dem Suchtmittelgesetz zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Monaten, wovon acht Monate bedingt nachgesehen worden seien, gestützt.

Am 9. Mai 2005 habe der Beschwerdeführer eine österreichische Staatsbürgerin geheiratet und die Aufhebung des gegen ihn bestehenden Aufenthaltsverbotes beantragt. Dieser Antrag sei rechtskräftig abgewiesen worden.

Der Beschwerdeführer verfüge weder über einen Einreise- noch einen Aufenthaltstitel für Österreich. Somit sei sein Aufenthalt - ungeachtet des als Rückkehrverbot weiter geltenden Aufenthaltsverbotes - unrechtmäßig. Es seien sohin die Voraussetzungen des § 53 Abs. 1 FPG zur Erlassung der Ausweisung erfüllt.

Der Beschwerdeführer sei verheiratet, Sorgepflichten oder sonstige familiäre Bindungen habe er im Bundesgebiet "offenbar" nicht. Angesichts "aller Umstände" sei von einem mit der Ausweisung verbundenen Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers auszugehen. Dieser Eingriff sei jedoch zulässig, weil er zur Aufrechterhaltung von im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen, hier konkret: zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens, dringend geboten sei. Den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften und deren Befolgung durch den Normadressaten komme aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ein besonders hoher Stellenwert zu. Gegen dieses öffentliche Interesse verstoße der Beschwerdeführer, weil er nach Abschluss seines Asylverfahrens unrechtmäßig im Bundesgebiet geblieben sei. Er sei unter den gegebenen Umständen rechtens nicht in der Lage, seinen Aufenthalt vom Inland aus zu legalisieren. Was die familiären Bindungen zu seiner Ehefrau betreffe, sei zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer die Ehe zu einem Zeitpunkt geschlossen habe, als er weder zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt gewesen sei noch mit einem ständigen Verbleib in Österreich habe rechnen dürfen.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diese Bescheide erhobene Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Zum erstangefochtenen Bescheid:

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Auffassung der belangten Behörde, er habe in seinem zweiten Antrag auf Aufhebung des - als Rückkehrverbot weiter geltenden (vgl. § 125 Abs. 3 FPG) -

Aufenthaltsverbotes keine neuen Gründe geltend gemacht. Dieses Vorbringen ist berechtigt.

Der belangten Behörde ist zwar darin beizupflichten, dass der hier gegenständliche Antrag in seiner Begründung des Aufhebungsbegehrens mit der des früher vom Beschwerdeführer gestellten Antrages fast wortident ist. Im Rahmen des Verwaltungsverfahrens wurde vom Beschwerdeführer aber in seiner Stellungnahme vom "4.9.2006" (gemeint: 2007) ergänzend vorgebracht, dass er bei einem "Leiharbeitgeber" angestellt sei und ihm auch von seinem Dienstgeber ein tadelloser Lebenswandel bescheinigt werde. Dies zeige sich darin, dass sein Dienstgeber "eine Empfehlung und die Auszeichnung durch den Betrieb, an den der Antragsteller verliehen ist, übermittelt" habe. Die belangte Behörde tätigte - wohl mit Blick auf dieses Vorbringen - auch Erhebungen zur Beschäftigung des Beschwerdeführers. Weiters wird im angefochtenen Bescheid auf die berufliche Tätigkeit des Beschwerdeführers Bezug genommen, allerdings die Meinung vertreten, dass infolge des im Rahmen der Erhebungen festgestellten Fehlens einer Berechtigung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz der Erwerbstätigkeit keine Bedeutung zukommen könnte und sohin auch keine Änderung der maßgeblichen Umstände eingetreten sei.

Identität der Sache als eine der Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des § 68 Abs. 1 AVG ist dann gegeben, wenn sich der für die Entscheidung maßgebende Sachverhalt, welcher dem formell rechtskräftigen Vorbescheid zu Grunde lag, nicht geändert hat. Bei der Beurteilung der Identität der Sache ist in primär rechtlicher Betrachtungsweise festzustellen, ob in den entscheidungsrelevanten Fakten eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Bei der Prüfung, ob sich der Sachverhalt maßgeblich geändert hat, ist vom rechtskräftigen Vorbescheid auszugehen. Wesentlich ist eine Änderung des Sachverhalts nur dann, wenn sie für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen den Schluss zulässt, dass nunmehr bei Bedachtnahme auf die damals als maßgebend erachteten Erwägungen eine andere Beurteilung jener Umstände, die der angefochtenen Entscheidung zu Grunde lagen, nicht von vornherein als ausgeschlossen gelten kann und daher die Erlassung eines inhaltlich anderslautenden Bescheides zumindest möglich ist (vgl. zum Ganzen Hengstschläger/Leeb AVG § 68, Rz 24 ff, sowie die dort angeführten Hinweise auf hg. Rechtsprechung).

Vor diesem Hintergrund erweist sich der erstangefochtene Bescheid mit Rechtswidrigkeit behaftet. Den Feststellungen des Vorbescheides ist zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer damals von den Einkünften seiner Ehefrau gelebt habe. Trotz der Eheschließung mit einer österreichischen Staatsbürgerin bestehe die Gefahr, der Beschwerdeführer könnte neuerlich in eine finanzielle Notlage geraten. Dies wiederum wurde als Argument dafür herangezogen, eine weiterhin bestehende Gefährdung als gegeben zu erachten, indem sich der Beschwerdeführer im Weg strafbarer Handlungen Unterhaltsmittel verschaffen könnte. Davon ausgehend kann nun aber nicht gesagt werden, das Vorbringen des Beschwerdeführers, wonach er mittlerweile erwerbstätig sei und im Rahmen dessen ein tadelloses Verhalten an den Tag lege, lasse es als von vornherein gänzlich ausgeschlossen erscheinen, dass ein anderslautender Bescheid zumindest möglich wäre, wenn darauf Bedacht genommen werden würde.

Entgegen der Ansicht der belangten Behörde führt auch nicht der Umstand, dass ihren Erhebungen zufolge - zu deren Ergebnis sie dem Beschwerdeführer aber nicht die Gelegenheit eingeräumt hat, Stellung zu nehmen - für seine Tätigkeit keine arbeitsmarktrechtliche Bewilligung vorgelegen sei, dazu, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers als für eine Neubeurteilung irrelevant anzusehen gewesen wäre. Vielmehr wären all diese Umstände einer inhaltlichen Bewertung zuzuführen gewesen, weshalb die belangte Behörde den die - eine inhaltliche Prüfung verweigernden und die - Zurückweisung aussprechenden Bescheid der erstinstanzlichen Behörde hätte beheben müssen, um so die inhaltliche Beurteilung über den Antrag des Beschwerdeführers zu ermöglichen.

Da dies die belangte Behörde in Verkennung der Rechtslage nicht getan hat, war der erstangefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Zum zweitangefochtenen Bescheid:

Vor dem Hintergrund der soeben getätigten Ausführungen kann dann aber auch der die Ausweisung aussprechende Bescheid keinen Bestand haben. Die belangte Behörde stützte sich im Rahmen ihrer Beurteilung nach § 66 FPG zentral auf die Ablehnung der Aufhebung des gegen ihn bestehenden Rückkehrverbotes. Soweit die belangte Behörde im Rahmen ihrer - bloß formelhaft getätigten - Interessenabwägung auch darauf hinweist, dass die Eheschließung zu einer Zeit erfolgt sei, in der bereits das Aufenthaltsverbot bestanden habe und sohin auf ein gemeinsames Familienleben im Bundesgebiet nie hätte vertraut werden dürfen, ist darauf hinzuweisen, dass dem Vorbringen des Beschwerdeführers und den Feststellungen im Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 23. April 2007 zufolge die Lebensgemeinschaft zwischen dem Beschwerdeführer und seiner nunmehrigen Ehefrau bereits seit dem Jahr 2003 bestand. Insoweit greift die Begründung der belangten Behörde, die bloß auf das Datum der Eheschließung zwischen diesen beiden Personen abstellt, zu kurz. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt der Bindung eines Fremden an einen österreichischen Ehepartner im Rahmen der Abwägung nach Art. 8 EMRK große Bedeutung zu (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. August 2010, Zl. 2009/21/0032, mwN). In einer solchen Konstellation darf sich die Fremdenpolizeibehörde nicht mit formelhaften Begründungen begnügen. Vielmehr muss sie sich mit den konkreten Auswirkungen einer Ausweisung auf die Situation des Fremden und seiner Familienangehörigen befassen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 20. Dezember 2011, Zl. 2011/23/0133, mwN). Angesichts dessen hätten im angefochtenen Bescheid auch nähere Feststellungen zu den Lebensverhältnissen des Beschwerdeführers und seiner Ehefrau, zur Art ihrer Beschäftigungen, zur Frage der Deutschkenntnisse sowie zu den Bindungen zum Heimatstaat getroffen werden müssen (vgl. dazu nochmals das soeben erwähnte Erkenntnis vom 20. Dezember 2011). Der bloße Hinweis auf den unsicheren Aufenthaltsstatus des Beschwerdeführers wird dem nicht gerecht. Dies gilt auch für die Ausführungen der belangten Behörde, dass zuletzt die Aufhebung des Rückkehrverbotes abgelehnt worden sei. Diese Entscheidung hat nämlich nach dem oben Gesagten nicht dem Gesetz entsprochen. Somit hätte es im Rahmen der hier gegenständlichen Interessenabwägung - nach Ergänzung des maßgeblichen Sachverhaltes hinsichtlich der sowohl zu Gunsten, aber auch zu Lasten des Beschwerdeführers sprechenden Umstände - einer umfassenden - auch eine allenfalls immer noch vom Beschwerdeführer ausgehende Gefährdung einbeziehenden - Betrachtung bedurft, aus welchen Gründen eine allfällige Trennung der Ehepartner im öffentlichen Interesse hingenommen werden müsste.

Da die belangte Behörde insoweit die Rechtslage verkannt hat, indem sie eine derartige Beurteilung als für nicht erforderlich erachtet hat und infolge dessen die zu dieser Beurteilung notwendigen umfassenden Feststellungen nicht getroffen hat, war der zweitangefochtene Bescheid ebenfalls wegen (vorrangig wahrzunehmender) Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Bei diesem Ergebnis musste auf das übrige - sich in weiten Bereichen auf das Unionsrecht beziehende - Beschwerdevorbringen nicht mehr eingegangen werden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 24. Jänner 2012

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