VwGH 2009/21/0032

VwGH2009/21/003226.8.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Henk, über die Beschwerde des J, vertreten durch Dr. Andreas Waldhof, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Reichsratsstraße 13, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 18. April 2007, Zl. BMI-1008745/0002-II/3/2007, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs3;
EMRK Art8;
NAG 2005 §21 Abs1;
NAG 2005 §21 Abs3 idF 2009/I/029;
NAG 2005 §72;
NAG 2005 §74;
VwGG §42 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs3;
EMRK Art8;
NAG 2005 §21 Abs1;
NAG 2005 §21 Abs3 idF 2009/I/029;
NAG 2005 §72;
NAG 2005 §74;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird in seinem Spruchpunkt 2. im Umfang der Anfechtung, soweit gegen den Beschwerdeführer eine Ausweisung erlassen wurde, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom 13. März 2006 erließ die Bundespolizeidirektion Leoben gegen den Beschwerdeführer, einen indischen Staatsangehörigen, eine auf § 53 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) gestützte Ausweisung.

Begründend führte diese Behörde aus, der Beschwerdeführer sei im Oktober 2001 von der Slowakei kommend unrechtmäßig in Österreich eingereist. In der Folge habe er einen Asylantrag (nach dem Asylgesetz 1997 - AsylG) gestellt. Das Asylverfahren sei vom Bundesasylamt mit Bescheid vom 21. Mai 2002 "gemäß §§ 7, 8 AsylG erstinstanzlich rechtskräftig negativ abgeschlossen" worden. Der Beschwerdeführer verfüge somit nicht mehr über eine Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG.

Seit 23. Februar 2004 sei der Beschwerdeführer mit der österreichischen Staatsbürgerin M verheiratet. Sorgepflichten bestünden nicht. Die sonstige Familie des Beschwerdeführers lebe in Indien. Der Beschwerdeführer sei derzeit - so die Bundespolizeidirektion Leoben bezugnehmend auf den Zeitpunkt der Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides - als Küchengehilfe beschäftigt.

Am 15. Juni 2004 habe der Beschwerdeführer bei der Bundespolizeidirektion Leoben einen Erstantrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "begünstigter Drittsta. - Ö, § 49 Abs. 1 FrG" eingebracht. Über diesen Antrag habe vor In-Kraft-Treten des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes - NAG (1. Jänner 2006) mangels Vorlage aller erforderlichen Urkunden nicht entschieden werden können. Nach § 21 Abs. 1 NAG seien Erstanträge vor der Einreise in das Bundesgebiet bei der örtlich zuständigen Berufsvertretungsbehörde im Ausland einzubringen. Die Entscheidung sei im Ausland abzuwarten. Die Ausnahmebestimmung des § 21 Abs. 2 NAG sei im Falle des Beschwerdeführers nicht anwendbar, weil er nicht rechtmäßig in das Bundesgebiet eingereist sei.

Da der Beschwerdeführer unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig sei, sei er gemäß § 53 Abs. 1 FPG auszuweisen.

Im Rahmen der nach § 66 FPG durchzuführenden Interessenabwägung verkenne die Behörde - so die Bundespolizeidirektion Leoben in ihrer Begründung weiter - nicht, dass die Ausweisung unter Berücksichtigung der durch die Aufenthaltsdauer gegebene Integration sowie des Umstandes, dass der Beschwerdeführer seit "15. Juni 2004" mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet sei, einen Eingriff in sein Privat- und Familienleben darstelle. Jedoch messe die Rechtsordnung der Beachtung der fremdenrechtlichen Vorschriften ein solches Gewicht bei, dass der unrechtmäßige Aufenthalt einen schwerwiegenden Verstoß darstelle und die Erlassung der Ausweisung zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele sohin dringend geboten sei.

Auch das der Behörde zur Verfügung stehende Ermessen habe nicht zu Gunsten des Beschwerdeführers geübt werden können, wobei sowohl auf die Dauer seines Aufenthalts als auch auf seine Integration und die familiären und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet Bedacht genommen worden sei.

Mit dem nunmehr beim Verwaltungsgerichtshof in Beschwerde gezogenen Bescheid vom 18. April 2007 hob der Bundesminister für Inneres (die belangte Behörde) gemäß § 68 Abs. 4 AVG jenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom 28. Dezember 2006, mit dem über die vom Beschwerdeführer gegen den Bescheid der Bundespolizeidirektion Leoben erhobene Berufung abgesprochen worden war, wegen deren Unzuständigkeit auf (Spruchpunkt 1.) und gab einem vom Beschwerdeführer eingebrachten Devolutionsantrag statt. Unter einem wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid der Bundespolizeidirektion Leoben vom 13. März 2006 gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab (Spruchpunkt 2.).

Begründend führte die belangte Behörde aus, sie schließe sich den Ausführungen im Bescheid der Bundespolizeidirektion Leoben "vollinhaltlich an" und erhebe diese zum Inhalt des Berufungsbescheides.

Darüber hinaus sei - so die belangte Behörde weiter - auszuführen, dass der Beschwerdeführer den für den Zweck seines Aufenthalts, nämlich der Niederlassung im Bundesgebiet, erforderlichen Aufenthaltstitel nicht besitze und sich daher rechtswidrig im Bundesgebiet aufhalte. Daran könnten auch die Berufungsausführungen, der Beschwerdeführer hätte allein auf Grund der Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin und seiner aufrechten Erwerbstätigkeit ein Aufenthaltsrecht in Österreich, nichts ändern.

Der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften komme aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ein hoher Stellenwert zu. Dieses maßgebliche öffentliche Interesse werde durch die persönlichen Interessen des Beschwerdeführers nicht aufgewogen, weil der Integration angesichts des unrechtmäßigen Aufenthalts und des Fehlens der Möglichkeit, den Aufenthalt vom Inland aus zu legalisieren, kein entscheidendes Gewicht zukomme. Auch der Umstand, dass der Beschwerdeführer mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet sei, sei nicht geeignet, eine Stärkung der persönlichen Interessen am Verbleib in Österreich bzw. eine Schwächung des die Ausweisung gebietenden öffentlichen Interesses an der Einhaltung der fremdenrechtlichen Bestimmungen nach sich zu ziehen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen Spruchpunkt 2. dieses Bescheides - soweit der Ausweisungsbescheid bestätigt wurde - gerichtete Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:

Unter der Überschrift "Ausweisung Fremder ohne Aufenthaltstitel" ordnet § 53 Abs. 1 FPG an, dass Fremde mit Bescheid ausgewiesen werden können, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten.

Der Beschwerdeführer bringt vor, er habe nach seiner unrechtmäßigen Einreise über ein vorläufiges Aufenthaltsrecht nach asylrechtlichen Bestimmungen verfügt. Nach den im Jahr 2004 geltenden Bestimmungen sei ihm anschließend auf Grund der Eheschließung mit einer österreichischen Staatsbürgerin von Gesetzes wegen ein Aufenthaltsrecht zugekommen. Somit habe er sich schon im Jahr 2004 rechtmäßig in Österreich aufgehalten. Weiters macht er geltend, es stünden ihm als Ehemann einer österreichischen Staatsbürgerin zumindest jene Rechte zu, wie sie auch den Ehegatten zukämen, die mit freizügigkeitsberechtigten EWR-Bürgern in Österreich lebten.

Der Beschwerdeführer behauptet nicht, seine die österreichische Staatsbürgerschaft besitzende Ehefrau hätte das ihr nach unionsrechtlichen Bestimmungen zustehende Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat im Zusammenhang mit Niederlassungsbewilligungen nach dem (am 31. Dezember 2005 außer Kraft getretenen) Fremdengesetz 1997 (FrG) für begünstigte Drittstaatsangehörige bereits festgehalten, dass nach der (damaligen) Rechtslage des FrG außerhalb des Anwendungsbereiches des Gemeinschaftsrechts (nunmehr: Unionsrechts) dem begünstigten Drittstaatsangehörigen nicht schon bereits auf Grund seiner Eigenschaft als Angehöriger eines Österreichers ein Aufenthaltsrecht zukam. Er bedurfte nach dem FrG für die Rechtmäßigkeit seiner Niederlassung einer (rechtsbegründenden) Niederlassungsbewilligung, wenn sich das Aufenthaltsrecht nicht schon unmittelbar aus gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften ergab. Nur in letzterem Fall war die Erteilung des Aufenthaltstitels nicht als rechtsbegründende Handlung, sondern bloß als deklaratorisch wirkende Urkunde zu betrachten (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 22. September 2009, Zl. 2008/22/0064, mwN).

Dafür, dass im gegenständlichen Fall das Gemeinschaftsrecht unmittelbar ein Aufenthaltsrecht des Beschwerdeführers begründet hätte, gibt es jedoch keine Hinweise. Somit unterlag er gemäß § 49 Abs. 1 iVm § 47 Abs. 1 FrG der Sichtvermerkspflicht. Da dem Beschwerdeführer unstrittig nie ein Aufenthaltstitel erteilt wurde, kam ihm nach seiner Eheschließung auch schon vor dem 1. Jänner 2006 kein Aufenthaltsrecht zu.

Es kann aber auch mit Blick darauf, dass die Ehefrau des Beschwerdeführers das ihr zustehende Freizügigkeitsrecht nicht in Anspruch genommen hat, nicht davon ausgegangen werden, der Beschwerdeführer verfüge nach den Bestimmungen des seit 1. Jänner 2006 geltenden NAG über ein bloß zu beurkundendes Aufenthaltsrecht (vgl. § 57 NAG in der hier maßgeblichen Stammfassung). In diesem Zusammenhang bestehende gleichheitsrechtliche Bedenken hat der Verfassungsgerichtshof nicht geteilt (vgl. das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 16. Dezember 2009, Zlen. G 244/09 ua.).

Sohin erweist sich die behördliche Annahme, der Beschwerdeführer halte sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet auf und der Tatbestand des § 53 Abs. 1 FPG sei erfüllt, als zutreffend, zumal das Vorliegen sonstiger Gründe im Sinn des § 31 Abs. 1 FPG (in der Stammfassung), aus denen sich ein rechtmäßiger Aufenthalt ergeben würde, vom Beschwerdeführer weder behauptet wurde noch ersichtlich ist.

Der Beschwerdeführer wendet sich des Weiteren gegen die von der Behörde vorgenommene Interessenabwägung nach § 66 FPG. Dazu wird von ihm der seit 2001 zum Teil auf Grund einer vorläufigen Aufenthaltsberechtigung rechtmäßige durchgehende Aufenthalt im Bundesgebiet, seine (bezogen auf den Bescheiderlassungszeitpunkt) seit drei Jahren andauernde durchgehende Beschäftigung und die seit 23. Februar 2004 bestehende Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin ins Treffen geführt.

Die belangte Behörde ging davon aus, dass dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften Vorrang einzuräumen sei, weil es dem Beschwerdeführer an der Möglichkeit gefehlt habe, seinen Aufenthalt im Inland zu legalisieren. Daher komme auch seiner Integration kein entscheidendes Gewicht zu. Diese Ansicht erweist sich insofern als nicht der Rechtslage entsprechend, als die (mit Blick auf den Entscheidungszeitpunkt hier relevanten) Bestimmungen des NAG (vgl. §§ 72 und 74 NAG in der Stammfassung; vgl. aber auch den nunmehr geltenden § 21 Abs. 3 NAG) die Möglichkeit einräumen, in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen vom Erfordernis der Auslandsantragstellung Abstand zu nehmen. Dabei handelt es sich nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes um eine von der Niederlassungsbehörde wahrzunehmende Pflicht, die auch im Rechtsweg durchgesetzt werden kann (vgl. statt vieler etwa das hg. Erkenntnis vom 18. März 2010, Zl. 2008/22/0635, mwN).

Weiters verkannte die belangte Behörde mit ihren Ausführungen, der Umstand, dass der Beschwerdeführer mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet sei, sei nicht geeignet, eine Stärkung seiner persönlichen Interessen am Verbleib in Österreich nach sich zu ziehen, die Rechtslage. Entgegen dieser von der belangten Behörde vertretenen Ansicht kommt der familiären Bindung eines Fremden an seinen österreichischen Ehepartner im Rahmen der Abwägung nach Art. 8 EMRK große Bedeutung zu (vgl. dazu das - zur Abwägung nach Art. 8 EMRK in einer Rechtsache betreffend Aufenthaltstitel ergangene, aber insoweit auch für Ausweisungen relevante - hg. Erkenntnis vom 25. März 2010, Zl. 2008/21/0323, sowie jenes vom 26. Jänner 2010, Zl. 2008/22/0287, mit Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 5. November 1999, Zl. 99/21/0156; vgl. auch die nunmehrige Fassung des § 66 Abs. 3 FPG).

Der angefochtene Bescheid war sohin gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 26. August 2010

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