VwGH 2008/18/0377

VwGH2008/18/037725.2.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger, den Hofrat Dr. Enzenhofer, die Hofrätin Mag. Merl und die Hofräte Dr. Lukasser und Mag. Haunold als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Marzi, über die Beschwerde des E in Wien, geboren am 1. März 1968, vertreten durch Dr. Wolfgang Rainer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schwedenplatz 2/74, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 14. Februar 2008, Zl. E1/481.407/2007, betreffend Ausweisung gemäß § 53 FPG, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
EMRK Art8;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
EMRK Art8;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 14. Februar 2008 wurde der Beschwerdeführer, ein marokkanischer Staatsangehöriger, gemäß § 53 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, ausgewiesen.

Der Beschwerdeführer sei mit einem vom 20. Juli bis 31. August 2003 gültigen Visum D nach Österreich eingereist und habe am 18. November 2005 eine österreichische Staatsbürgerin geheiratet. Am 15. Dezember 2005 habe er einen Antrag auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "begünstigter Drittstaatsangehöriger eines Österreichers, § 49 Abs. 1 FrG" eingebracht, der letztendlich im Instanzenzug mit Bescheid vom 22. Juni 2007 rechtskräftig abgewiesen worden sei.

Der Beschwerdeführer habe zu keiner Zeit über einen Aufenthaltstitel oder eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz verfügt. Nach Ablauf seines Visums sei er in Österreich verblieben und halte sich somit seither unrechtmäßig im Bundesgebiet auf, sodass die Voraussetzungen des § 53 Abs. 1 FPG vorlägen. In einem solchen Fall könnten Fremde mit Bescheid ausgewiesen werden, wenn dem nicht die Bestimmung des § 66 Abs. 1 FPG entgegenstehe.

Der Beschwerdeführer verfüge im Bundesgebiet über familiäre Bindungen zu seiner Ehefrau und zwei im gemeinsamen Haushalt lebenden Stiefkindern sowie zu einer Schwester. Er gehe überdies einer Beschäftigung nach. Daher sei davon auszugehen, dass mit der vorliegenden Maßnahme ein Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers verbunden sei. Dieser Eingriff erweise sich jedoch als dringend geboten, weil der Befolgung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften durch den Normadressaten aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein sehr hoher Stellenwert zukomme.

Diese Regelungen seien vom Beschwerdeführer angesichts der Tatsache, dass er sich zumindest (wieder) seit 1. Jänner 2006 unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte, in gravierender Weise missachtet worden. Dabei könne auch der Versuch, seinen Aufenthalt durch einen (Inlands-)Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung zu legalisieren, nicht positiv gewertet werden, weil Aufenthaltstitel gemäß § 21 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) nur vom Ausland aus erwirkt werden könnten. Diese Hinwegsetzung über eine maßgebliche fremdenrechtliche Norm bewirke eine Beeinträchtigung des hoch zu veranschlagenden maßgeblichen öffentlichen Interesses an der Wahrung eines geordneten Fremdenwesens und sei von solchem Gewicht, dass die gegenläufigen privaten und familiären Interessen jedenfalls nicht höher zu bewerten seien als das Interesse der Allgemeinheit an der Ausreise des Beschwerdeführers aus dem Bundesgebiet. Dem genannten öffentlichen Interesse laufe es grob zuwider, wenn ein Fremder bloß auf Grund von Tatsachen, die von ihm geschaffen worden seien (Nichtausreise trotz Ablauf des Visums), den tatsächlichen Aufenthalt im Bundesgebiet auf Dauer erzwingen könnte.

Im Hinblick auf das Fehlen besonderer zu Gunsten des Beschwerdeführers sprechender Umstände könne ein weiterer Aufenthalt des Beschwerdeführers auch nicht im Rahmen des der Behörde zustehenden Ermessens in Kauf genommen werden.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit, hilfsweise auch wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Zunächst ist festzuhalten, dass das Beschwerdevorbringen bezüglich der Anwendbarkeit der §§ 87 iVm 86 Abs. 1 FPG auf Grund der behaupteten Gleichstellung der Familienangehörigen "nicht freizügigkeitsberechtigter" Österreicher mit "freizügigkeitsberechtigten" Unionsbürgern und deren Familienangehörigen nicht zum Erfolg führt, weil weder aus dem Verwaltungsakt zu entnehmen ist noch in der Beschwerde vorgebracht wird, dass der Beschwerdeführer über eine Daueraufenthaltskarte gemäß § 54 NAG verfügt. Wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Zurückweisungsbeschluss vom 20. Juni 2009, G 125/08-6, ausgesprochen hat, hat die Fremdenpolizeibehörde bei der Beurteilung der Frage, ob die Voraussetzungen zur Erlassung einer Ausweisung gemäß § 53 Abs. 1 FPG vorliegen, ausschließlich zu prüfen, ob die Dokumentation (der in § 54 NAG geregelte Niederlassungsnachweis) des direkt im Gemeinschaftsrecht begründeten Niederlassungsrechtes vorliegt. Sie hat hingegen nicht zu prüfen, ob der Fremde gemäß § 54 iVm § 57 NAG tatsächlich zur Niederlassung in Österreich berechtigt ist. Mit Erkenntnis vom 16. Dezember 2009, G 244/09 u.a., hat der Verfassungsgerichtshof nochmals den Bedenken wegen einer vermeintlichen "Inländerdiskriminierung" eine Absage erteilt. Die diesbezüglichen Ausführungen in der Beschwerde einschließlich der Verweise auf die Judikatur des Europäischen Gerichtshofes gehen somit ins Leere.

2. Auf dem Boden der Feststellungen der belangten Behörde, dass der Beschwerdeführer nach Ablauf seines Visums weiterhin im Bundesgebiet verblieben ist, zu keiner Zeit über einen Aufenthaltstitel oder eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz verfügt hat und sich somit unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, begegnet ihre Beurteilung, dass die Tatbestandsvoraussetzung des § 53 Abs. 1 FPG erfüllt sei, keinem Einwand.

3. Die Beschwerde bekämpft den angefochtenen Bescheid auch im Grunde des § 66 FPG und bringt vor, der Beschwerdeführer sei mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet und lebe mit ihr und deren beiden Kindern, ebenfalls österreichischen Staatsbürgern, im gemeinsamen Haushalt. Unter Hinweis auf Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom 21. Dezember 2001, Nr. 31465/96 (Sen gegen die Niederlande), vom 2. August 2001, Nr. 54273/00 (Boultif gegen die Schweiz), und vom 31. Jänner 2006, Nr. 50435/99 (Rodrigues da Silva und Hoogkamer gegen die Niederlande), versucht die Beschwerde darzulegen, dass eine Ausweisung des Beschwerdeführers gegen Art. 8 EMRK verstoßen würde.

Dieses Vorbringen führt die Beschwerde jedoch nicht zum Erfolg.

Die ins Treffen geführten Urteile des EGMR sind mit dem dem vorliegenden Beschwerdefall zu Grunde liegenden Sachverhalt nicht vergleichbar. Im Fall "Sen" führten zwei der Beschwerdeführer seit vielen Jahren rechtmäßig ein Eheleben in den Niederlanden und zwei ihrer gemeinsamen Kinder hatten seit Geburt immer dort gelebt. Deshalb wurde der Nachzug ihres weiteren Kindes in die Niederlande als adäquates Mittel für die Etablierung eines gemeinsamen Familienlebens erachtet. Auch im Fall "Boultif" hielt sich der Fremde viele Jahre rechtmäßig auf Grund einer Aufenthaltsbewilligung in der Schweiz auf. Als die Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung verweigert wurde, dauerte die Ehe dieses Fremden bereits mehr als fünf Jahre, während im vorliegenden Fall die Ehe des Beschwerdeführers zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides gerade zwei Jahre und zwei Monate gedauert und der Beschwerdeführer nie über einen Aufenthaltstitel verfügt hat. Im Urteil betreffend "Rodrigues da Silva und Hoogkamer" hat der EGMR - in der in der Beschwerde auszugsweise wörtlich zitierten Rz 43 - ausgesprochen, dass Personen, die - ohne den geltenden Gesetzen zu entsprechen - die Behörden eines Vertragsstaates mit ihrer Anwesenheit in diesem Staat konfrontieren, im Allgemeinen nicht erwarten können, dass ihnen ein Aufenthaltsrecht zugesprochen wird.

Auch aus dem in der Beschwerde zitierten hg. Erkenntnis vom 22. November 2007, Zl. 2007/21/0317, ist für den Beschwerdeführer nichts zu gewinnen, weil die belangte Behörde im vorliegenden Fall den öffentlichen Interessen keinen absoluten Charakter zuerkannt hat, sondern eine Interessenabwägung zwischen den privaten Interessen des Beschwerdeführers und den öffentlichen Interessen vorgenommen hat.

Wie die Beschwerde zutreffend ausführt, hat der EGMR in seiner Judikatur zu Art. 8 EMRK ausgeführt, dass dieser Artikel keine generelle Pflicht für die Vertragsstaaten enthalte, die Wohnortwahl von Immigranten zu respektieren und auf ihrem Staatsgebiet Familienzusammenführungen zuzulassen. Der Gerichtshof stellte (u.a.) darauf ab, ob das Familienleben zu einem Zeitpunkt begründet wurde, in dem auf ein dauerhaftes Familienleben im Gastland vertraut werden durfte (vgl. das hg. Erkenntnis vom 15. Dezember 2009, Zl. 2008/18/0037, mwN).

Im vorliegenden Fall ist der Beschwerdeführer im August 2003 mit einem Visum in das Bundesgebiet eingereist, nach Ablauf des Visums weiter im Bundesgebiet verblieben und hält sich somit unrechtmäßig im Bundesgebiet auf. Dieser unrechtmäßige inländische Aufenthalt des Beschwerdeführers, der auch nach rechtskräftiger Abweisung seines Antrages auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung mit im Instanzenzug ergangenem Bescheid vom 22. Juni 2007 fortgesetzt wurde, stellt eine erhebliche Beeinträchtigung des großen öffentlichen Interesses an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften, dem aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zukommt, dar. Die angeführten persönlichen Bindungen des Beschwerdeführers zu seiner Ehefrau und deren Kindern - die zu einem Zeitpunkt entstanden sind, in dem der Beschwerdeführer nicht auf ein dauerhaftes Familienleben im Bundesgebiet vertrauen durfte - sowie seine Berufstätigkeit - die mangels eines Berufstätigkeit erlaubenden Aufenthaltstitels nicht rechtmäßig ist - stellen jedoch auch nach den Kriterien in der Judikatur des EGMR keine besonderen Umstände im Sinn des Art. 8 EMRK dar, die es dem Beschwerdeführer unzumutbar machen würden, auch nur für die Dauer eines ordnungsgemäß geführten Niederlassungsverfahrens in sein Heimatland zurückzukehren. Dass die belangte Behörde eine Übersiedlung der Ehefrau und deren Kinder nach Marokko für zumutbar erachtet, kann dem angefochtenen Bescheid nicht entnommen werden.

4. Entgegen der Beschwerdeansicht hat die belangte Behörde auch nicht allein aus dem in § 21 Abs. 1 NAG normierten Grundsatz der Erstantragstellung vom Ausland aus argumentativ die Zulässigkeit der Ausweisung abgeleitet, sondern hat im angefochtenen Bescheid eine entsprechende Interessenabwägung durchgeführt. Im Übrigen besteht - bei unverändertem Sachverhalt - eine Verknüpfung zwischen dem Niederlassungsverfahren und dem Verfahren zur Aufenthaltsbeendigung im Hinblick auf die Berücksichtigung humanitärer Gründe (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. November 2009, Zl. 2009/18/0414, mwN).

5. Nach dem Gesagten erweist sich die Beschwerde als unbegründet und war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

6. Die Zuerkennung von Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 25. Februar 2010

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