VwGH 2008/09/0173

VwGH2008/09/01739.11.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Rosenmayr, Dr. Bachler, Dr. Strohmayer und Dr. Doblinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde des ÖG in I, vertreten durch Dr. Klaus Gstrein und Dr. Ulrich Gstrein, Rechtsanwälte in 6460 Imst, Kramergasse 7, gegen den Bescheid der Bundesberufungskommission für Sozialentschädigungs- u. Behindertenangelegenheiten vom 9. April 2008, Zl. 41.550/164-9/07, betreffend Anspruch nach dem Heeresversorgungsgesetz, zu Recht erkannt:

Normen

HVG §1 Abs1 idF 2002/I/150;
HVG §2 Abs1 idF 1993/110;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
HVG §1 Abs1 idF 2002/I/150;
HVG §2 Abs1 idF 1993/110;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer leistete vom 5. September 2005 bis zum 4. Mai 2006 seinen Präsenzdienst in Tirol. Ab dem 5. Jänner 2006 wurde er als Rekrut in dem auf Art. 79 Abs. 2 lit. b B-VG gegründeten Assistenzeinsatz des österreichischen Bundesheeres an der österreichisch-ungarischen Grenze verwendet.

In der Nacht vom 14. Februar auf den 15. Februar 2006 versah der Beschwerdeführer zusammen mit dem Rekruten G. Dienst am Posten Nr. XY, der sich im Bahnhofsbereich PE befand. Nach Ablöse um

5.45 Uhr gingen die beiden in Richtung Bahnhof (Anonymisierungen durch den Verwaltungsgerichtshof). Dabei nutzten sie einen zwischen den Gleisen verlaufenden Weg. Zu diesem Zeitpunkt fuhr der Personenzug von S kommend in Richtung W in den Bahnhof ein und gab routinemäßig das Einfahrsignal und das Achtungssignal ab. Trotz der mehrfachen Abgabe von akustischen Signalen durch den Zugsführer und der Zurufe seines Kameraden, der ca. drei Meter hinter dem Beschwerdeführer gegangen war, und der daraufhin das Gleis nach rechts verlassen hatte, setzte der Beschwerdeführer seinen Weg mit dem Rücken zum herannahenden Zug in Richtung Bahnsteig fort. Der Zug leitete daraufhin eine Schnellbremsung ein, konnte aber nicht mehr verhindern, dass der Beschwerdeführer von der Diesel-Lok gestreift und zur Seite geschleudert wurde. Er prallte in weiterer Folge gegen einen Stromverteiler einer Lichtanlage und erlitt dabei eine offene Oberschenkelfraktur links sowie eine Brustkorb- und eine Bauchprellung. Der Beschwerdeführer erlitt eine dauerhafte Peronäus-Lähmung.

Am 6. März 2006 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem Heeresversorgungsgesetz (HVG).

Mit Bescheid des Bundessozialamtes, Landesstelle Tirol, vom 28. Dezember 2006 wurde die geltend gemachte Gesundheitsschädigung nicht als Dienstbeschädigung im Sinne der §§ 1 und 2 des HVG anerkannt. Begründend führte die Erstbehörde aus, das Ermittlungsverfahren habe ergeben, dass der Beschwerdeführer nicht den vorgegebenen Ablöseweg am linken Rand des Bahndammes (rechts von den Gleisen) eingehalten habe und zwischen den Gleisen in Richtung Bahnsteig marschiert sei. Der Unfall habe sich somit auf einer befehlswidrig begangenen Strecke ereignet, weshalb nicht mehr davon ausgegangen werden könne, dass die unmittelbare Ursache des schädigenden Ereignisses der Präsenzdienst oder die der Dienstleistung eigentümlichen Verhältnisse gewesen wären.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die dagegen erhobene Berufung des Beschwerdeführers ab und bestätigte den Bescheid vom 28. Dezember 2006. Begründend führte sie nach Wiedergabe der maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen aus, dass sowohl die Aussage des Beschwerdeführers, als auch die des Lokführers die Unfallsituation als solche beschreiben würde, dass der Beschwerdeführer zwischen den Gleisen (eins und drei) in Richtung Bahnhofsgebäude unterwegs gewesen sein. Das durchgeführte Ermittlungsverfahren habe ergeben, dass der Beschwerdeführer von seinem Vorgesetzten den mündlichen Befehl erhalten habe, als Ablöseweg den linken Rand des Bahndammes, das sei rechts neben dem Gleiskörper, entlang in Richtung Bahnhof zu benützen. Für die Weitergabe derartiger Anordnungen sei grundsätzlich nicht die schriftliche, sondern die mündliche Formulierung vorgesehen. Sowohl der zuständige Kompaniekommandant, als auch die zuständigen Zugs- und Gruppenkommandanten hätten die Vorgangsweise und Inhalt des Befehls bestätigt. Die Annahme, dass der Befehl nie ernsthaft ausgesprochen worden sei, nur den Weg rechts neben dem Gleiskörper zu begehen, sei rein spekulativ, zumal der Beschwerdeführer eine Anordnung der Benützung des von ihm gewählten Weges nicht bestätigt habe. Der Einwand des Beschwerdeführers, der von ihm gewählte Weg sei sicherer gewesen und auch seine Vorgesetzten und andere Rekruten hätten aus diesem Grund den Weg zwischen den Gleisen gewählt, sei nicht relevant. Das Nichtbenützen des befohlenen Streifenweges sei aus rein eigenen Überlegungen erfolgt, die vom militärischen Vorgesetzten nicht angeordnet worden seien, zumal letzterer die Möglichkeit des Benützens eines anderen Weges vor der Befehlsausgabe in seine Überlegungen einfließen habe lassen. Dass auch andere militärische Personen den vom Beschwerdeführer ausgewählten Streifenweg benützt hätten, könne nicht in Zusammenhang mit der persönlichen Situation des Beschwerdeführers gebracht werden, zumal der ausgegebene Befehl diese Umstände nicht beinhaltet habe.

Ergänzend sei festzustellen, dass der Beschwerdeführer laut seiner eigenen Aussagen den hinter sich herankommenden Zug wahrgenommen habe und keine Handlung im Sinne des Verlassens des Gleiskörpers zwecks Vermeidung jeglicher Gefahrenquelle gesetzt habe. Das weisungswidrige Verhalten des Beschwerdeführers habe den Kausalzusammenhang zwischen der eingetretenen Gesundheitsschädigung und dem Militärdienst unterbrochen. Es sei zwar der zeitliche, nicht aber der örtliche und unmittelbar ursächliche Zusammenhang mit dem Präsenzdienst bzw. mit den der Dienstleistung eigentümlichen Verhältnissen gegeben.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der seine Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts beantragt wird.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Nach § 1 des Heeresversorgungsgesetzes (HVG), BGBl. Nr. 27/1964 in der Fassung BGBl. I Nr. 150/2002, ist eine Gesundheitsschädigung, die ein Soldat infolge des Präsenz- oder Ausbildungsdienstes, einschließlich einer beruflichen Bildung im freiwillig verlängerten Grundwehrdienst oder im Wehrdienst als Zeitsoldat, erlitten hat, nach Maßgabe dieses Bundesgesetzes als Dienstbeschädigung zu entschädigen.

Nach § 2 Abs. 1 leg. cit., in der Fassung BGBl. 110/1993, ist eine Gesundheitsschädigung als Dienstbeschädigung im Sinne des § 1 anzuerkennen, wenn und insoweit die festgestellte Gesundheitsschädigung zumindest mit Wahrscheinlichkeit auf das schädigende Ereignis oder die der Dienstleistung eigentümlichen Verhältnisse ursächlich zurückzuführen ist. Wenn dem schädigenden Ereignis oder den der Dienstleistung eigentümlichen Verhältnissen nur ein ursächlicher Anteil an einer Gesundheitsschädigung zugemessen werden kann, die mit Hilflosigkeit oder Blindheit (§§ 27, 28 HVG) verbunden ist, ist der die Hilflosigkeit oder Blindheit verursachende Leidenszustand zur Gänze als Dienstbeschädigung im Sinne des § 1 HVG anzuerkennen.

Hat der Beschädigte die Gesundheitsschädigung vorsätzlich herbeigeführt oder durch eine gerichtlich strafbare, mit Vorsatz begangene und mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedrohte Handlung veranlasst, derentwegen er mit rechtskräftigem Strafurteil schuldig erkannt worden ist, so ist gemäß § 3 Abs. 1 HVG keine Dienstbeschädigung anzuerkennen. Dies gilt jedoch nicht für einen Selbstmord, der mit der Dienstleistung im ursächlichen Zusammenhang (§ 2) steht. Ein Anspruch auf Anerkennung einer Dienstbeschädigung ist ferner dann nicht gegeben, wenn die Gesundheitsschädigung wesentliche Folge einer durch den Missbrauch von Alkohol oder Suchtgiften bewirkten Beeinträchtigung der Handlungsfähigkeit des Beschädigten ist. Das Erfordernis eines rechtskräftigen Strafurteiles entfällt gemäß Abs. 2 leg. cit., wenn ein solches wegen des Todes, der Abwesenheit oder eines anderen in der betreffenden Person liegenden Grundes nicht gefällt werden kann.

Der Beschwerdeführer bringt gegen die Entscheidung der belangten Behörde vor, dass ein unmittelbarer ursächlicher Zusammenhang zwischen seiner Verletzung und dem Präsenzdienst bestehe, da er sich die Verletzung auf dem Ablöseweg, also im Dienst, zugezogen habe. Er habe den Weg zwischen den Gleisen gewählt, weil auch seine Vorgesetzten diesen Weg genommen hätten und er angenommen habe, dass diese davon ausgehen würden, dass die Rekruten ebenfalls diesen Weg gehen würden. Auch sei die Befehlskette zwischen den Vorgesetzten Vizeleutnant R. und Wachmeister K. und von diesem an die Rekruten nicht erwiesen worden. Es könne kein befehlswidriges Verhalten und in weiterer Folge auch keine Unterbrechung des Kausalzusammenhanges vorgeworfen werden, da der Beschwerdeführer den Weg zwischen den Gleisen im Wissen gewählt habe, dass dieser Weg jener Weg sei, welcher als Dienstweg vorgesehen gewesen sei.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes macht das HVG die Gewährung von Versorgungsleistungen für Gesundheitsschädigungen davon abhängig, dass das schädigende Ereignis oder die mit den der Dienstleistung eigentümlichen Verhältnisse mit der Gesundheitsschädigung in ursächlichem Zusammenhang (Kausalzusammenhang) stehen. Die Zurechnung eines schädigenden Ereignisses oder der mit den der Dienstleistung eigentümlichen Verhältnisse hat (auch im Bereich der Heeresversorgung) daher nach der so genannten Kausalitätstheorie der wesentlichen Bedingung zu erfolgen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 29. April 2004, Zl. 2001/09/0007). Danach ist es für eine solche Bedingtheit - dann, wenn die festgestellte Gesundheitsschädigung auf mehrere Ursachen, darunter auch die von § 2 Abs. 1 HVG erfassten mit der Dienstleistung verbundenen eigentümlichen Verhältnisse des Präsenzdienstes zurückgeht - erforderlich, dass das in Betracht kommende schädigende Ereignis eine wesentliche Ursache der Schädigung ist. Wesentlich im Sinne des § 2 Abs. 1 HVG ist eine Ursache dann, wenn sie nicht im Hinblick auf andere mitwirkende Ursachen erheblich in den Hintergrund tritt. Nur jene Bedingung, ohne deren Mitwirkung der Erfolg überhaupt nicht oder nur zu einem erheblich anderen Zeitpunkt oder nur in geringerem Umfang eingetreten wäre, ist wesentliche Bedingung (vgl. das hg. Erkenntnis vom 23. November 2005, Zl. 2005/09/0081). Wo die Grenzen dieser Zurechnung liegen, kann nur im Einzelfall unter verständiger Würdigung aller maßgebenden Umstände gesagt werden (vgl. zum Ganzen das hg. Erkenntnis vom 15. Oktober 2009, Zl. 2008/09/0222).

Auch in Fällen, in denen die Gesundheitsschädigung unbestritten "im Dienst" erlitten wurde, muss regelmäßig zusätzlich zum Vorliegen des zeitlichen und örtlichen Zusammenhanges ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem schädigenden Ereignis und der Präsenzdienstleistung bestehen (siehe das bereits genannte hg. Erkenntnis vom 15. Oktober 2009).

Im vorliegenden Fall misst die belangte Behörde dem Umstand entscheidende Bedeutung zu, dass der Kompaniekommandant und der Zugskommandant des Beschwerdeführers den Befehl erteilt hätten, die Rekruten hätten entlang der Gleise einen anderen und nicht den vom Beschwerdeführer gewählten Weg zu benützen. Hätte sich der Beschwerdeführer an diesen Befehl gehalten, dann wäre die von ihm geltend gemachte Gesundheitsschädigung nicht erfolgt. Der Beschwerdeführer wendet dagegen ein, ein derartiger Befehl wäre schon vor dem Unfall dadurch in Frage gestellt gewesen, als seine unmittelbaren Vorgesetzten wie auch seine Kameraden den von ihm gewählten Weg zwischen den Gleisen gegangen seien, der im Übrigen kürzer und weniger gefährlich als der andere Weg gewesen sei.

Unbestritten hat der Beschwerdeführer die gegenständliche Gesundheitsschädigung zum Unfallzeitpunkt im Dienst während seines Präsenzdienstes erlitten. Unzweifelhaft befand er sich auch auf dem Weg von seinem Wacheinsatz zur Unterkunft. Entscheidend ist die Frage, ob jene Kausalität des militärischen Dienstes, die Voraussetzung für die Anerkennung der Gesundheitsschädigung als Dienstbeschädigung ist, durch das Vorliegen des inkriminierten Befehls und seine allfällige Missachtung durch den Beschwerdeführer derart unterbrochen ist, dass zwischen dem unbestritten im zeitlichen und örtlichen Zusammenhang zur Präsenzdienstleistung eingetretenen schädigenden Ereignis und der Dienstleistung kein kausaler Zusammenhang mehr besteht.

Zwar hat der Verwaltungsgerichtshof im Fall eines Rekruten, der gemeinsam mit einem anderen Präsenzdiener im Rahmen des Assistenzeinsatzes im Burgenland bei der ihnen aufgetragenen Patrouillentätigkeit vom vorgeschriebenen Streifenweg abgewichen war, sich befehlswidrig in einem Privathaushalt aufgehalten, dort trotz bestehenden Alkoholverbotes Alkohol zu sich genommen hatte und durch einen unbeabsichtigten Schuss aus der Waffe seines Kameraden verletzt worden war, das Vorliegen einer unmittelbaren Ursache aus dem Präsenzdienst oder in den der Dienstleistung eigentümlichen Verhältnissen verneint (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. Dezember 1996, Zl. 94/09/0117).

Mit diesem Fall lässt sich der vorliegende jedoch nicht vergleichen. Anders als in diesem Fall hat sich der Beschwerdeführer nämlich nicht vom Dienst entfernt, wodurch allenfalls der Kausalzusammenhang unterbrochen gewesen wäre, dies ist den Feststellungen der belangten Behörde nicht zu entnehmen. Die Präsenzdienstleistung des Beschwerdeführers war sohin conditio sine qua non dafür, dass sich der Beschwerdeführer im Nahebereich der Gleise befunden hat und dort vom Zug erfasst worden ist. Angesichts des Umstandes, dass der Beschwerdeführer den Befehl hatte, sich im unmittelbaren räumlichen Bereich einer Gleisanlage zu bewegen, stellte die Möglichkeit einer Verletzung durch einen Zug auch eine adäquate Folge seiner Dienstverrichtung dar. Der Kausalzusammenhang war daher - ungeachtet des Umstandes, dass der Beschwerdeführer den ihm vorgeschriebenen Weg nicht genau eingehalten hat - zu bejahen, die Gesundheitsschädigung ist "infolge des Präsenzdienstes" (§ 1 Abs. 1 HVG) eingetreten.

Die Gesundheitsschädigung wurde im vorliegenden Fall auch nicht durch ein vorsätzliches Verhalten des Beschwerdeführers im Sinne des § 3 Abs. 1 HVG - sei es auch nur in der Form des dolus eventualis - oder durch eine strafbare Handlung im Sinne dieser Bestimmung veranlasst (vgl. das hg. Erkenntnis vom 9. Juni 1978, VwSlg. 9588/A). Weder dafür, noch für das Vorliegen der Tatbestände anderer Bestimmungen des HVG, aus denen sich ein Ausschlussgrund ergäbe, sind im vorliegenden Fall irgendwelche Anhaltspunkte zu erkennen.

Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455/2008, insbesondere deren § 3 Abs. 2.

Wien, am 9. November 2010

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