VwGH 2008/09/0063

VwGH2008/09/006315.5.2008

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Rosenmayr, Dr. Bachler und Dr. Doblinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Gubesch, über die Beschwerde der Bürgermeisterin der Landeshauptstadt Innsbruck gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates in Tirol vom 11. Februar 2008, Zl. uvs-2007/30/0787-15, betreffend die Ausübung unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt, den Beschluss gefasst:

Normen

AVG §67b Z2;
AVG §67c Abs2;
AVG §8;
B-VG Art131 Abs1 Z1;
VwGG §28 Abs1 Z4;
VwGG §34 Abs1;
AVG §67b Z2;
AVG §67c Abs2;
AVG §8;
B-VG Art131 Abs1 Z1;
VwGG §28 Abs1 Z4;
VwGG §34 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid stellte die belangte Behörde die gegen M.W. am 20. März 2007 "zwischen ca. 04:00 Uhr bis längstens 04:30 Uhr" erfolgte Amtshandlung im Rahmen eines so genannten "Lärmeinsatzes" nach dem Tiroler Landes-Polizeigesetz (TLPG) im Stiegenhaus des Hauses Bstraße 10 in Innsbruck durch die Polizeibeamten RI P T und Insp. G H, deren Einschreiten der beschwerdeführenden Bürgermeisterin als belangter Behörde zuzurechnen sei, als rechtswidrig fest.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher die Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften sowie die Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides geltend gemacht werden.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die beschwerdeführende Bürgermeisterin erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid in ihrem Recht auf "bestimmte Formulierung des Spruches", in ihrem Recht auf eine "ordnungsgemäße Bescheidbegründung" und in ihrem Recht, dass "ihr der Akt der unmittelbaren verwaltungsbehördlichen Befehls- und Zwangsgewalt nicht zugerechnet wird", verletzt.

Die Beschwerdeführerin stützt ihre Beschwerde auf Art. 131 Abs. 1 Z. 1 B-VG.

Gemäß § 67b Z. 2 AVG ist Partei des Verfahrens vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat auch die belangte Behörde. Es ist ihr somit durch Gesetz eine Parteistellung im Verfahren vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat eingeräumt. Die Begründung einer Parteistellung durch Gesetz vermittelt aber nicht ohne weiteres die Beschwerdelegitimation vor dem Verwaltungsgerichtshof. Gemäß Art. 131 Abs. 1 Z. 1 B-VG kommt es darauf an, ob die Partei, im vorliegenden Fall die Organpartei, durch den Bescheid in einem subjektiven öffentlichen Recht verletzt sein kann. Während dies grundsätzlich nur bei einem Beschwerdeführer in Frage kommt, der sich auf eine eigene, gegen den Staat - als Träger der Hoheitsgewalt - gerichtete Interessensphäre zu berufen vermag, hat der Verwaltungsgerichtshof auch in Fällen, in denen einer Organpartei keine eigene, gegen den Staat gerichtete Interessensphäre zukam, zur Vertretung bestimmter, dem Staat zuzurechnender Interessen Beschwerdelegitimation zur Durchsetzung der aus der Parteistellung folgenden prozessualen Befugnisse eingeräumt. Die sich aus einer ausdrücklich eingeräumten Parteistellung ergebenden prozessualen Rechte stellen danach subjektive öffentliche Rechte der Organpartei dar, deren Verletzung die Organpartei in einer Beschwerde gemäß Art. 131 Abs. 1 Z. 1 B-VG unter dem Gesichtspunkt der Relevanz vor dem Verwaltungsgerichtshof geltend machen kann (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 23. März 1994, Zl. 93/01/0542, und vom 22. Dezember 2005, Zl. 2005/07/0162, m.w.N.). Durch die Einräumung der Parteistellung im Verfahren vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat lässt sich ableiten, dass damit der betroffenen Behörde die Möglichkeit im Rahmen der aus der Parteistellung erfließenden Verfahrensrechte gegeben werden sollte, die Gesetzmäßigkeit der Entscheidung zu verteidigen bzw. die Möglichkeit bieten, auf die objektive Rechtmäßigkeit der Entscheidung hinzuwirken (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 23. März 1994, Zl. 93/01/0542, m.w.N. und Thienel, Verwaltungsverfahrensrecht, 4. Auflage, 91). Zur Überprüfung der materiellen Richtigkeit der Entscheidung des unabhängigen Verwaltungssenates über die Frage der Rechtmäßigkeit der faktischen Amtshandlung ist ausschließlich der von der Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehlsgewalt und Zwangsgewalt betroffenen Person der Rechtszug eingeräumt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 8. Februar 1995, Zl. 93/03/0093, und zu allem Mayer, in Mayer - Stöberl, Die unabhängigen Verwaltungssenate im Rechtsschutzsystem, ÖJZ 1991, 262f).

Nach der im vorliegenden Fall für die Rechtsstellung der Beschwerdeführerin maßgebenden Bestimmung § 67b Z. 2 AVG war sie Partei des Verfahrens vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat und es waren ihr damit die im AVG angeführten prozessualen Rechte einer Partei (u.a. Recht auf Bescheiderlassung, auf Akteneinsicht, auf Berufungserhebung, auf Parteiengehör, auf Ladung zur öffentlichen Verhandlung) eingeräumt. Subjektiv öffentliche Rechte des materiellen Rechtes könnten demgegenüber der Beschwerdeführerin nur auf Grund einer Regelung des Materiengesetzgebers zustehen. Eine solche Regelung besteht im Beschwerdefall aber nicht.

Auf der Grundlage der angeführten Judikatur ist im vorliegenden Fall die Beschwerdelegitimation gemäß Art. 131 Abs. 1 Z. 1 B-VG zur Durchsetzung der sich aus der Parteistellung der Beschwerdeführerin ergebenden prozessualen Befugnisse zu verneinen. Die beschwerdeführende Bürgermeisterin behauptet nicht einmal, dass die ihr durch § 67b Z. 2 AVG als belangte Behörde im Verfahren vor dem unabhängigen Verwaltungssenat eingeräumten prozessualen Rechte nicht gewahrt worden seien. Bei der von der Beschwerdeführerin behaupteten Verletzung ihrer Rechte "auf bestimmte Formulierung des Spruches" und auf "ordnungsgemäße Bescheidbegründung" sowie in ihrem Recht, dass "ihr der Akt der unmittelbaren verwaltungsbehördlichen Befehls- und Zwangsgewalt nicht zuzurechnen sei", handelt es sich um Beschwerdegründe, die nur in Verbindung mit der Verletzung eines aus einer materiellrechtlichen Vorschrift ableitbaren subjektiven Rechtes zielführend vorgebracht hätten werden können (vgl. dazu u.a. das hg. Erkenntnis vom 12. September 2006, Zl. 2005/03/0226).

Die Beschwerdeführerin behauptet in ihrer Beschwerde, dass jene beschwerdegegenständlichen Maßnahmen der Beamten der Bundespolizeidirektion Innsbruck vom 20. März 2007 (Aufforderung zur Ausweisleistung, Androhung der Festnahme wegen aggressiven Verhaltens gegenüber einem Organ der öffentlichen Aufsicht) keine Deckung in den einschlägigen Bestimmungen des TLPG (hier betreffend Schutz vor Störungen durch Lärm) fänden und somit nicht ihr als der Bürgermeisterin, sondern richtigerweise der Bundespolizeidirektion Innsbruck zuzuordnen gewesen wären. Sie macht geltend, dass die belangte Behörde aus der Sicht ihrer meritorischen rechtlichen Beurteilung einen anderen Sachverhalt hätte feststellen und eine andere Rechtsnorm zur Anwendung hätte bringen müssen.

Dem ist entgegen zu halten, dass die Beschwerdeführerin mit dieser Behauptung in Wahrheit die rechtliche Würdigung der belangten Behörde rügt und damit die Verletzung von materiellen Rechten behauptet.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 15. November 2000, Zl. 99/01/0067, ausgesprochen hat ist die Frage, aus welcher Rechtsverletzung sich der angefochtene Verwaltungsakt als rechtswidrig darstellt, eine Frage der auf Grund vollständiger Sachverhaltsfeststellung beruhenden rechtlichen Beurteilung. Dies ergibt sich aus der den erforderlichen Inhalt einer an den unabhängigen Verwaltungssenat gerichteten Beschwerde regelnden Bestimmung des § 67c Abs. 2 AVG. Diese Bestimmung orientiert sich mit seinen Inhaltserfordernissen an § 28 VwGG und übernimmt die für Beschwerden an den Verwaltungsgerichtshof getroffene Regelung mit einer wesentlichen Ausnahme: Anders als bei Beschwerden an den diesen muss nicht ausdrücklich angegeben werden, in welchem Recht sich der Beschwerdeführer verletzt erachtet (Beschwerdepunkt). Daraus ist zu folgern, dass sich der unabhängige Verwaltungssenat bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Maßnahme nicht auf die allenfalls als verletzt bezeichneten einfach-gesetzlich oder verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte oder auf die vorgebrachten Gründe beschränken darf. Vielmehr obliegt ihm eine umfassende Prüfungsverpflichtung, sodass er den angefochtenen Verwaltungsakt ohne Bindung an die in der Beschwerde vorgebrachten Gründe nach jeder Richtung hin zu untersuchen hat (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. September 1996, 96/01/0286; das hg. Erkenntnis des verstärkten Senates vom 9. September 1997, 96/06/0096 = VwSlg 14729 A/1997, und Thienel, Verwaltungsverfahrensrecht, 4. Auflage, 282).

Der beschwerdeführenden Bürgermeisterin sind - wie oben dargelegt - im Verfahren vor dem unabhängigen Verwaltungssenat nur die ihr nach dem AVG zukommenden prozessualen Rechte der Partei eingeräumt (und nur in diesem Rahmen kann sie am Ermittlungsverfahren mitwirken). Warum die belangte Behörde den Sachverhalt, den sie auf Grund ihres Ermittlungsverfahrens als gegeben und entscheidungsrelevant ansieht, unter eine bestimmte Regelung subsumiert oder nicht bzw. auf Grund welcher Rechtsnorm der unabhängige Verwaltungssenat die faktische Amtshandlung als rechtswidrig oder als rechtmäßig - und damit auch welcher Behörde er diese Maßnahmen als im Verfahren vor dem unabhängigen Verwaltungssenat belangter Behörde zurechnet - erklärt, ist eine Frage der rechtlichen Beurteilung. Die Überprüfung der rechtlichen Beurteilung der belangten Behörde wäre somit auch selbst bei Zulässigkeit dieses Vorbringens zufolge der eingeschränkten Beschwerdelegitimation dem Verwaltungsgerichtshof verwehrt gewesen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat auch in verschiedenen Erkenntnissen betreffend den Kostenersatz im Maßnahmenverfahren gemäß § 79a AVG (wonach die Kostenersatzpflicht denjenigen Rechtsträger trifft, für den die Behörde eingeschritten ist, das heißt, für welchen Rechtsträger die Behörde funktionell gehandelt hat), ausgesprochen, dass dem durch eine Kostenentscheidung gemäß § 79a AVG verpflichteten Rechtsträger das Recht zur Erhebung einer Beschwerde gemäß Art. 131 Abs. 1 Z. 1 B-VG zusteht. Im vorliegenden Fall hat aber nicht dieser, sondern die Bürgermeisterin Beschwerde erhoben, sodass auch im Kostenspruch die Beschwerde zurückzuweisen war.

Die Beschwerde gegen die mit dem angefochtenen Bescheid getroffene Feststellung erweist sich daher als unzulässig und war aus diesem Grunde gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 15. Mai 2008

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