VwGH 2008/08/0108

VwGH2008/08/010822.12.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer und MMag. Maislinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde des E L in Wien, vertreten durch Dr. Wolfgang Reinold, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Köstlergasse 11, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 5. März 2008, Zl. 2008-0566-9-000547, betreffend Verlust des Anspruches auf Notstandshilfe, zu Recht erkannt:

Normen

AlVG 1977 §10 Abs1 Z1;
AlVG 1977 §38;
AlVG 1977 §9 Abs1;
AlVG 1977 §9 Abs2;
AlVG 1977 §10 Abs1 Z1;
AlVG 1977 §38;
AlVG 1977 §9 Abs1;
AlVG 1977 §9 Abs2;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Am 8. Jänner 2008 wurde von der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien G mit dem Beschwerdeführer eine Niederschrift aufgenommen. Darin wurde festgehalten, dass dem Beschwerdeführer am 4. November 2007 eine Beschäftigung als Textilarbeiter beim Dienstgeber B mit einer "Entlohnung von brutto laut Kollektivvertrag" und möglichem Arbeitsantritt am 5. Dezember 2007 zugewiesen worden sei. Einer Stellungnahme des potentiellen Dienstgebers zufolge habe sich der Beschwerdeführer nicht beworben. Der Beschwerdeführer gab in der Niederschrift hiezu an, die "firma hat nicht abgehoben".

Mit Bescheid der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien G vom 29. Jänner 2008 wurde ausgesprochen, dass der Beschwerdeführer den Anspruch auf Notstandshilfe für die Zeit vom 5. Dezember 2007 bis 29. Jänner 2008 verloren habe. Begründend wurde ausgeführt, der Beschwerdeführer habe durch sein Verhalten das Zustandekommen einer vom Arbeitsmarktservice zugewiesenen, zumutbaren Beschäftigung bei B vereitelt. Berücksichtigungswürdige Gründe für eine Nachsicht lägen nicht vor.

In der Berufung wandte der Beschwerdeführer ein, er habe innerhalb der Bürozeiten von 7.30 Uhr bis 12 Uhr und von 13 bis 17 Uhr viele Male bei B angerufen, doch habe er jedes Mal nur das Band mit der Auskunft über die Bürozeiten erreicht. Diese - auch niederschriftlich festgehaltene - Aussage sei von der erstinstanzlichen Behörde ignoriert worden. Offenbar sei die Telefonnummer aus firmeninternen Gründen nicht erreichbar gewesen. Es wäre der Behörde oblegen, Ermittlungen zu diesen Aussagen anzustellen.

Die belangte Behörde hielt in einem Aktenvermerk vom 27. Februar 2008 fest, ein Mitarbeiter von B (Herr L) gebe an, am Telefon laufe das Band mit den Bürozeiten nur außerhalb der Bürozeiten, weil es den Zweck habe, eben diese Zeiten bekannt zu geben. In der letzten Zeit habe es keine Telefonstörungen gegeben, eine derartige wäre registriert worden. Eine Stelle, für die ebenfalls telefonisch ein Vorstellungstermin vereinbart worden sei, sei am 12. Dezember 2007 besetzt worden.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers ab. Sie stellte fest, dem Beschwerdeführer sei am 4. November 2007 eine Beschäftigung als Textilarbeiter bei B mit einem möglichen Arbeitsantritt am 5. Dezember 2007 zugewiesen worden. Obwohl der Beschwerdeführer den Betreuungsplan vom 23. Oktober 2007, in dem mit ihm vereinbart worden sei, dass er das Ergebnis der Bewerbungen innerhalb von 14 Tagen dem Arbeitsmarktservice bekannt geben müsse, mit Unterschrift zur Kenntnis genommen habe, sei eine Rückmeldung nicht erfolgt. Ein Anruf bei B habe ergeben, dass einer der Bediensteten (Herr L) nach dem ersten Läuten abgehoben und eine Störung des Telefons ausgeschlossen habe. Dafür spreche auch, dass eine andere Person, die am 4. Dezember 2007 für dieselbe Firma einen Stellenvorschlag erhalten habe, dort am 12. Dezember 2007 eine Beschäftigung aufgenommen habe. Die stellvertretende Abteilungsleitern des Arbeitsmarktservice G habe zudem bekannt gegeben, dass der Beschwerdeführer am 7. September 2007 angegeben habe, er habe keine Zeit zum Arbeiten, er sei mehr als 60 Stunden in der Woche beschäftigt. Im Jahr 2007 seien drei Sanktionen gemäß § 10 AlVG gegen den Beschwerdeführer verhängt worden. Der Beschwerdeführer habe keinen Nachweis einer Bewerbung erbringen können. Die Verantwortung des Beschwerdeführers, es sei immer nur ein Band mit den Bürozeiten gelaufen, sei nicht zu berücksichtigen gewesen, weil der Beschwerdeführer den Zeitpunkt des Anrufes nicht nennen habe können; auch sei eine Person, die sich auch telefonisch beworben habe, eingestellt worden. Sinn des Bandes sei es auch, die Bürozeiten den außerhalb der Bürozeiten Anrufenden zur Kenntnis zu bringen. Das Interesse an der Beschäftigung sei so gering gewesen, dass der Beschwerdeführer nicht persönlich vorgesprochen habe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Gemäß § 9 Abs. 1 AlVG ist arbeitswillig, wer (u.a.) bereit ist, eine durch die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice vermittelte, zumutbare Beschäftigung anzunehmen oder von einer sonst sich bietenden Arbeitsmöglichkeit Gebrauch zu machen. Eine Beschäftigung ist zumutbar, wenn sie den körperlichen Fähigkeiten des Arbeitslosen angemessen ist, seine Gesundheit und Sittlichkeit nicht gefährdet und angemessen entlohnt ist; als angemessene Entlohnung gilt grundsätzlich eine zumindest den jeweils anzuwendenden Normen der kollektiven Rechtsgestaltung entsprechende Entlohnung (§ 9 Abs. 2 AlVG).

Nach § 10 Abs. 1 Z 1 AlVG verliert ein Arbeitsloser, der sich weigert, eine ihm von der regionalen Geschäftsstelle zugewiesene zumutbare Beschäftigung anzunehmen oder die Annahme einer solchen Beschäftigung vereitelt, für die Dauer der Weigerung, mindestens aber für die Dauer der auf die Weigerung folgenden sechs Wochen, den Anspruch auf Arbeitslosengeld. Die Mindestdauer des Anspruchsverlustes erhöht sich mit jeder weiteren Pflichtverletzung gemäß Z 1 bis 4 um weitere zwei Wochen auf acht Wochen.

Gemäß § 38 AlVG sind diese Regelungen auf die Notstandshilfe sinngemäß anzuwenden.

Diese Bestimmungen sind Ausdruck des dem gesamten Arbeitslosenversicherungsrecht zu Grunde liegenden Gesetzeszweckes, den arbeitslos gewordenen Versicherten, der trotz Arbeitsfähigkeit und Arbeitswilligkeit nach Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses keine neue Beschäftigung gefunden hat, möglichst wieder durch Vermittlung einer ihm zumutbaren Beschäftigung in den Arbeitsmarkt einzugliedern und ihn so in die Lage zu versetzen, seinen Lebensunterhalt ohne Zuhilfenahme öffentlicher Mittel zu bestreiten. Wer eine Leistung der Versichertengemeinschaft der Arbeitslosenversicherung in Anspruch nimmt, muss sich daher darauf einstellen, eine ihm angebotene zumutbare Beschäftigung auch anzunehmen, d.h. bezogen auf eben diesen Arbeitsplatz arbeitswillig zu sein (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 2. April 2008, Zl. 2007/08/0008).

Um sich in Bezug auf eine von der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice vermittelte zumutbare Beschäftigung arbeitswillig zu zeigen, bedarf es grundsätzlich einerseits eines auf die Erlangung dieses Arbeitsplatzes ausgerichteten (und daher unverzüglich zu entfaltenden) aktiven Handelns des Arbeitslosen, andererseits auch der Unterlassung jedes Verhaltens, welches objektiv geeignet ist, das Zustandekommen des konkret angebotenen Beschäftigungsverhältnisses zu verhindern. Das Nichtzustandekommen eines die Arbeitslosigkeit beendenden zumutbaren Beschäftigungsverhältnisses kann vom Arbeitslosen - abgesehen vom Fall der ausdrücklichen Weigerung, eine angebotene Beschäftigung anzunehmen -, somit auf zwei Wege verschuldet, die Annahme der Beschäftigung also auf zwei Wege vereitelt werden: Nämlich dadurch, dass der Arbeitslose ein auf die Erlangung des Arbeitsplatzes ausgerichtetes Handeln erst gar nicht entfaltet (etwa durch Unterlassung der Vereinbarung eines Vorstellungstermines oder Nichtantritt der Arbeit), oder dadurch, dass er den Erfolg seiner (nach außen zu Tage getretenen) Bemühungen durch ein Verhalten, welches nach allgemeiner Erfahrung geeignet ist, den potenziellen Dienstgeber von der Einstellung des Arbeitslosen abzubringen, zunichte macht (vgl. z.B. das Erkenntnis vom 17. Februar 2010, Zl. 2008/08/0151).

Im vorliegenden Fall ist strittig, ob der Beschwerdeführer mit dem ihm von der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice bekannt gegebenen möglichen Dienstgeber telefonisch Kontakt aufgenommen hat.

Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 45 Abs. 2 AVG) bedeutet nicht, dass der in der Begründung des Bescheides niederzulegende Denkvorgang der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle nicht unterliegt. Die Bestimmung des § 45 Abs. 2 AVG hat nur zur Folge, dass die Würdigung der Beweise keinen gesetzlichen Regeln unterworfen ist. Dies schließt aber eine verwaltungsgerichtliche Kontrolle in der Richtung nicht aus, ob der Sachverhalt genügend erhoben ist und ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind, also nicht den Denkgesetzen und dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut widersprechen. Unter Beachtung dieser Grundsätze hat der Verwaltungsgerichtshof auch zu prüfen, ob die Behörde im Rahmen ihrer Beweiswürdigung alle in Betracht kommenden Umstände vollständig berücksichtigt hat. Hingegen ist der Verwaltungsgerichtshof nicht berechtigt, eine Beweiswürdigung der belangten Behörde, die einer Überprüfung unter den genannten Gesichtspunkten standhält, auf ihre Richtigkeit hin zu beurteilen, d.h. sie mit der Begründung zu verwerfen, dass auch ein anderer Ablauf der Ereignisse bzw. ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre (vgl. z.B. das Erkenntnis vom 26. Jänner 2010, Zl. 2008/08/0063).

Zur telefonischen Kontaktaufnahme mit dem möglichen Dienstgeber hatte der Beschwerdeführer in der Berufung ohne nähere Konkretisierung angegeben, er habe mehrmals innerhalb der Bürozeiten bei B angerufen und nur das Band mit der Auskunft über die Bürozeiten erreicht. Diesen Angaben des Beschwerdeführers hält die belangte Behörde entgegen, dass laut Auskunft eines Mitarbeiters dieses möglichen Dienstgebers dieses Tonband nur außerhalb der Bürozeiten laufe und eben den Zweck habe, auf die Bürozeiten zu verweisen. Auch habe dieser Mitarbeiter - bei einem Anruf durch einen Mitarbeiter der belangten Behörde - nach dem ersten Läuten abgehoben; er habe auch angegeben, dass eine Störung des Telefons nicht vorgelegen sei. Schließlich verwies die belangte Behörde auch darauf, dass eine andere Person ebenfalls einen Stellenvorschlag für dieses Unternehmen erhalten habe und am 12. Dezember 2007 die Beschäftigung aufgenommen habe. Dass der Beschwerdeführer - entgegen dem Betreuungsplan vom 23. Oktober 2007, wonach er sich auf Stellenangebote, die ihm vom AMS übermittelt werden, bewerbe und innerhalb von 14 Tagen Rückmeldung über die Bewerbung gebe - keine Rückmeldung über die behaupteten Bewerbungsversuche gemacht hat, wird in der Beschwerde nicht bestritten. Wenn die belangte Behörde vor diesem Hintergrund zum Ergebnis gekommen ist, dass die Verantwortung des Beschwerdeführers nicht zutreffe, ist dies nach den oben angeführten Maßstäben für die verwaltungsgerichtliche Kontrolle der Beweiswürdigung nicht zu beanstanden.

Ausgehend von diesen (für die rechtliche Beurteilung ausreichenden) Feststellungen ist aber davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer ein auf die Erlangung dieses Arbeitsplatzes ausgerichtetes aktives Handeln nicht entfaltet hat und demnach die Annahme einer zumutbaren Beschäftigung vereitelt hat.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Kostenersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 22. Dezember 2010

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