VwGH 2008/08/0018

VwGH2008/08/001826.1.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Moritz, Dr. Lehofer und Dr. Doblinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde der GP in I, vertreten durch Dr. Thomas Praxmarer, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Bürgerstraße 19/I, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Tirol vom 18. Oktober 2007, Zl. LGSTi/V/0553/4054 01 02 53-702/2007, betreffend Verlust des Anspruches auf Arbeitslosengeld und auf Notstandshilfe gemäß §§ 9 und 10 AlVG, zu Recht erkannt:

Normen

AlVG 1977 §10 Abs3 idF 2004/I/077;
AlVG 1977 §9 Abs2 idF 2004/I/077;
AlVG 1977 §9 Abs3;
AVG §39 Abs2;
AlVG 1977 §10 Abs3 idF 2004/I/077;
AlVG 1977 §9 Abs2 idF 2004/I/077;
AlVG 1977 §9 Abs3;
AVG §39 Abs2;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Am 17. September 2007 wurde von der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Innsbruck mit der Beschwerdeführerin eine Niederschrift aufgenommen. Darin wurde festgehalten, dass der Beschwerdeführerin am 17. August 2007 vom Arbeitsmarktservice eine Beschäftigung als Büroangestellte beim Dienstgeber K. mit einer "Entlohnung von brutto laut Kollektivvertrag" und möglichem Arbeitsantritt am 1. September 2007 zugewiesen worden sei. Einer Stellungnahme des potentiellen Dienstgebers zufolge habe sich die Beschwerdeführerin auf das Stellenangebot nicht beworben. Die Beschwerdeführerin gab in der Niederschrift weder zur Darstellung des potentiellen Dienstgebers etwas an, noch gab sie berücksichtigungswürdige Gründe zu Protokoll. Sie führte nur aus, dass sie sich für andere Stellen selbständig beworben habe.

Mit Bescheid der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Innsbruck vom 19. September 2007 wurde ausgesprochen, dass die Beschwerdeführerin den Anspruch auf Arbeitslosengeld für die Zeit vom 1. September 2007 bis 19. September 2007 verloren hat. Mit weiterem Bescheid der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Innsbruck vom 19. September 2007 wurde ausgesprochen, dass die Beschwerdeführerin den Anspruch auf Notstandshilfe vom 20. September 2007 bis 12. Oktober 2007 verloren hat. Eine Nachsicht wurde in beiden Bescheiden nicht erteilt. Begründend wurde jeweils ausgeführt, die Beschwerdeführerin habe eine zugewiesene Beschäftigung beim Dienstgeber K. nicht angenommen. Berücksichtigungswürdige Gründe für eine Nachsicht lägen nicht vor.

Gegen diese Bescheide erhob die Beschwerdeführerin Berufung. Darin führte sie im Wesentlichen aus, sie mache berücksichtigungswürdige Gründe für eine Nachsicht geltend. Sie habe von ihrem Berater beim Arbeitsmarktservice am Freitag, dem 17. August 2007, ein Stellenangebot für den Dienstgeber K. für die Tätigkeit als Büroangestellte im Kundendienstbüro erhalten. Die Tage vor ihrem Beratungsgespräch bei ihrem Berater des Arbeitsmarktservice sei sie im Krankenstand gewesen und habe starkes Fieber gehabt. Dieser Freitag sei der erste Tag gewesen, an dem es ihr gesundheitlich wieder etwas besser gegangen sei. Auf Grund des Krankenstandes und ihrer persönlichen Gesamtsituation sei sie psychisch beeinträchtigt gewesen. Sie legte dazu eine Bescheinigung ihres Arztes vor. Es sei ihr auch die darauffolgenden Tage psychisch nicht besser gegangen, daher habe sie es verabsäumt, sich bei K. zu bewerben.

Nach dem genannten ärztlichen Attest vom 26. September 2007 sei die Beschwerdeführerin Mitte August 2007 bei ihm wegen eines ausgeprägten protrahierten katharrhalischen Infektes in Therapie gewesen. Im Anschluss an diese Zeit eines schlechten Allgemeinzustandes sei es nach Angaben der Beschwerdeführerin zu einem deutlichen depressiven Zustandsbild mit entsprechenden Symptomen (Antriebs-, Appetit- und Schlaflosigkeit) gekommen. Sie habe sich daraufhin zu Hause "eingeigelt" und sei nicht imstande gewesen, ihren normalen Tätigkeiten nachzugehen. Eine Therapie sei in dieser Zeit nicht durchgeführt worden (es hätten auch keine Kontakte mit der Patientin stattgefunden). Inzwischen habe die Beschwerdeführerin ihren Tiefpunkt anscheinend selbständig überwunden und sei seit ca. zehn Tagen wieder in der Lage, allen ihren Alltagsbeschäftigungen nachzukommen.

Mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid wurde die Berufung der Beschwerdeführerin abgewiesen. Nach Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens und von Rechtsvorschriften legte die belangte Behörde in der Bescheidbegründung im Wesentlichen dar, eine Kontaktaufnahme der Beschwerdeführerin mit K. (und ebenso mit vier weiteren potentiellen Dienstgebern) sei nicht erfolgt. Die Beschwerdeführerin habe sich in der Zeit vom 10. August 2007 bis 17. August 2007 im Krankenstand befunden. Am 17. August 2007 habe sie sich vom Krankenstand zurückgemeldet. Im Zuge ihres Beratungsgespräches habe sie keine Angaben über gesundheitliche Vermittlungseinschränkungen gemacht. Stellenangebote betreffend K. (und S.) seien im Einvernehmen mit der Beschwerdeführerin gemacht worden. Die Vermittlungsaufträge mit dem Hinweis, umgehend mit den Betrieben Kontakt aufzunehmen, seien der Beschwerdeführerin persönlich ausgehändigt worden. Eine telefonische Rücksprache mit K. am 7. September 2007 habe ergeben, dass sich die Beschwerdeführerin dort nicht gemeldet habe. Im Zuge der Aufnahme der Niederschrift am 17. September 2007 habe die Beschwerdeführerin nach wie vor keine gesundheitlichen Gründe für die "Unterlassung der Vorstellungen" angegeben. Zu den Angaben des Hausarztes betreffend eine depressive Verstimmung sei festzuhalten, dass diese seitens der Beschwerdeführerin nicht thematisiert worden sei und dass nach Ablauf des Krankenstandes wegen eines katharrhalischen Infektes keine ärztliche Hilfe wegen etwaiger psychischer Probleme in Anspruch genommen worden sei. Es seien auch keine Angaben betreffend Vermittlungseinschränkungen gegenüber dem Berater des Arbeitsmarktservice gemacht worden. Die geltend gemachte psychologische Symptomatik basiere laut ärztlichem Attest ausschließlich auf den Angaben der Beschwerdeführerin und nicht auf einer definitiven ärztlichen Diagnosestellung. Die gesundheitlichen Einwände erschienen dementsprechend nicht genügend stichhaltig und seien im Nachhinein auch nicht mehr medizinisch verifizierbar. Der Berufungsausschuss habe keinen berücksichtigungswürdigen Umstand im Sinne des § 10 Abs. 3 AlVG angenommen. Den Ausführungen der Beschwerdeführerin sei entgegenzuhalten, dass sie als Bezieherin von Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe hätte bereit sein müssen, sich wenigstens bei den vom Arbeitsmarktservice Innsbruck vermittelten Stellen zu bewerben. Erst anlässlich des Berufungsverfahrens habe die Beschwerdeführerin die ärztliche Bestätigung vom 26. September 2007 vorgelegt, in der jedoch lediglich darauf verwiesen werde, dass die Beschwerdeführerin im Anschluss an ihre Krankheit nach ihren eigenen Angaben an einem deutlich depressiven Zustand mit entsprechenden Symptomen gelitten und sich zu Hause "eingeigelt" habe. Es sei davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin weder krank gemeldet gewesen, noch zu diesem Zeitpunkt in entsprechender ärztlicher Behandlung gestanden sei. Die Berufungsausführungen seien somit nicht geeignet um anzunehmen, dass ein berücksichtigungswürdiger Umstand gemäß § 10 Abs. 3 AlVG gegeben gewesen sei. Außerdem hätte die Beschwerdeführerin ihren Berater beim Arbeitsmarktservice Innsbruck entsprechend rechtzeitig kontaktieren können, um eine allfällige Verschiebung des Vorstellungstermins zu erreichen. Da die Beschwerdeführerin das unterlassen und sich nicht vorgestellt habe, sei die Berufung abzuweisen gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig als unbegründet abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 9 AlVG in der hier zeitraumbezogen maßgebenden Fassung BGBl. I Nr. 77/2004 hat auszugsweise folgenden Wortlaut:

"Arbeitswilligkeit

§ 9. (1) Arbeitswillig ist, wer bereit ist, eine durch die regionale Geschäftsstelle vermittelte zumutbare Beschäftigung anzunehmen, sich zum Zwecke beruflicher Ausbildung nach- oder umschulen zu lassen, an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt teilzunehmen, von einer sonst sich bietenden Arbeitsmöglichkeit Gebrauch zu machen und von sich aus alle gebotenen Anstrengungen zur Erlangung einer Beschäftigung zu unternehmen, soweit dies entsprechend den persönlichen Fähigkeiten zumutbar ist.

(2) Eine Beschäftigung ist zumutbar, wenn sie den körperlichen Fähigkeiten der arbeitslosen Person angemessen ist, ihre Gesundheit und Sittlichkeit nicht gefährdet, angemessen entlohnt ist, in einem nicht von Streik oder Aussperrung betroffenen Betrieb erfolgen soll, in angemessener Zeit erreichbar ist oder eine entsprechende Unterkunft am Arbeitsort zur Verfügung steht sowie gesetzliche Betreuungsverpflichtungen eingehalten werden können. ...

..."

§ 10 AlVG in der hier zeitraumbezogen maßgebenden Fassung

BGBl. I Nr. 77/2004 lautet auszugsweise:

"§ 10. (1) Wenn die arbeitslose Person

1. sich weigert, eine ihr von der regionalen Geschäftsstelle zugewiesene zumutbare Beschäftigung anzunehmen oder die Annahme einer solchen Beschäftigung vereitelt, oder

...

so verliert sie für die Dauer der Weigerung, mindestens jedoch für die Dauer der auf die Pflichtverletzung gemäß Z 1 bis 4 folgenden sechs Wochen, den Anspruch auf Arbeitslosengeld. ...

...

(3) Der Verlaust des Anspruches gemäß Abs. 1 ist in berücksichtigungswürdigen Fällen wie zB bei Aufnahme einer anderen Beschäftigung nach Anhörung des Regionalbeirates ganz oder teilweise nachzusehen."

Gemäß § 38 AlVG sind die genannten Bestimmungen auf die Notstandshilfe sinngemäß anzuwenden.

Dadurch, dass sich die Beschwerdeführerin unbestritten für die ihr zugewiesene Stelle nicht beworben hat, ist der Tatbestand des § 10 Abs. 1 Z. 1 AlVG jedenfalls erfüllt. Die Beschwerdeführerin macht auch nicht geltend, dass ihr wegen ihrer Krankheit diese Stelle nicht hätte zugewiesen werden dürfen bzw. dass auf Grund ihrer Erkrankung ihr diese Beschäftigung unzumutbar gewesen wäre (vgl. das hg. Erkenntnis vom 4. April 2002, Zl. 2002/08/0051). Auch bringt sie nicht vor, dass sie infolge Krankheit nach der Stellenzuweisung arbeitsunfähig gewesen wäre und daher nicht verhalten gewesen wäre, sich zu bewerben (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. September 2007, Zl. 2006/08/0189, sowie das hg. Erkenntnis vom 20. Februar 2008, Zl. 2005/08/0216).

Fraglich ist, ob im vorliegenden Fall ein berücksichtigungswürdiger Nachsichtsgrund im Sinne des § 10 Abs. 3 AlVG vorgelegen ist. Die grundsätzlich gebotene amtswegige Prüfung des Sachverhaltes unter dem Gesichtspunkt des § 10 Abs. 3 AlVG hat sich auf die Gründe zu beziehen, die der Arbeitslose bekannt gibt oder für die es sonstige Hinweise in den Akten gibt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 7. Mai 2008, Zl. 2007/08/0237). Dabei spielt es keine Rolle, ob diese Angaben des Arbeitslosen im erstinstanzlichen oder erst im zweitinstanzlichen Verfahren gemacht wurden bzw. wann im Verwaltungsverfahren entsprechende Anhaltspunkte hervorgekommen sind.

Berücksichtigungswürdig im Sinne des § 10 Abs. 3 AlVG sind Gründe, die dazu führen, dass der Ausschluss vom Bezug der Leistung den Arbeitslosen aus bestimmten Gründen unverhältnismäßig härter träfe als dies sonst ganz allgemein der Fall ist (vgl. das zitierte hg. Erkenntnis vom 7. Mai 2008, mwN).

Ein berücksichtigungswürdiger Fall im Sinne des § 10 Abs. 3 AlVG kann nur dann vorliegen, wenn der Arbeitslose in der Folge entweder selbst ein Verhalten gesetzt hat, welches den potentiellen Schaden, der durch seine Nichteinstellung entstanden ist, ganz oder teilweise wieder beseitigt (also insbesondere durch alsbaldige tatsächliche Aufnahme einer anderen Beschäftigung), oder wenn ihm sein Verhalten ausnahmsweise aus besonderen (jedenfalls nicht auf Dauer vorliegenden und auch die Verfügbarkeit oder die Arbeitsfähigkeit nicht ausschließenden) Gründen im Einzelfall nicht vorgeworfen werden kann (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 26. November 2008, Zl. 2006/08/0242).

Es kommt dabei aber nicht auf persönliche finanzielle Umstände an; ebensowenig können auf Grund der Systematik des Gesetzes jene Umstände zur Annahme eines berücksichtigungswürdigen Falles im Sinne des § 10 Abs. 3 AlVG führen, die schon im Zusammenhang mit der Zumutbarkeit der Beschäftigung im Sinne des § 9 Abs. 2 und 3 AlVG von Bedeutung sind und deren Prüfung ergeben hat, dass sie diese Zumutbarkeit nicht ausschließen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 2. April 2008, Zl. 2007/08/0234).

Im vorliegenden Fall kommt es also darauf an, ob der Beschwerdeführerin die Nichtwahrnehmung eines Vorstellungstermines aus besonderen Gründen, die von ihr darzulegen wären, nicht vorgeworfen werden kann. Die Beschwerdeführerin hat in ihrer Berufung einen (vorübergehenden) Zustand einer Gesundheitsbeeinträchtigung geltend gemacht. Allerdings hat die Beschwerdeführerin diesen Zustand dem Arbeitsmarktservice nicht gemeldet und hat diesem dadurch auch die Möglichkeit einer zeitnahen Überprüfung desselben genommen. Der belangten Behörde kann nicht entgegengetreten werden, wenn sie angesichts der Unmöglichkeit, die Depression im Nachhinein festzustellen, auf der Grundlage des von der Beschwerdeführerin vorgelegten ärztlichen Attestes, das nur auf den Angaben der Beschwerdeführerin gegenüber ihrem Hausarzt beruht und in dem nicht einmal dieser selbst aus medizinischer Sicht das Vorliegen der Erkrankung bestätigt, sondern nur die Erzählung der Beschwerdeführerin wiedergibt und bewertet, zu dem Ergebnis gelangt ist, dass der Tatbestand des § 10 Abs. 3 AlVG nicht erfüllt ist.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Kostenersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 26. Jänner 2010

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