VwGH 2008/06/0190

VwGH2008/06/019017.12.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kail und die Hofräte Dr. Bernegger, Dr. Waldstätten, Dr. Rosenmayr und Dr. Bayjones als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Zykan, über die Beschwerde des Dr. X in Wien, vertreten durch Dr. Michaela Iro, Rechtsanwältin in 1030 Wien, Invalidenstraße 13/1/15, gegen den Bescheid des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien (Plenum) vom 15. Juli 2008, Zl. 06/01 2007/5316, betreffend Verfahren betreffend Berufsunfähigkeitsrente nach der Rechtsanwaltsordnung, zu Recht erkannt:

Normen

ASVG §255 Abs3;
RAO 1868 §5;
RAO 1868 §50;
VwGG §42 Abs2 Z1;
ASVG §255 Abs3;
RAO 1868 §5;
RAO 1868 §50;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Rechtsanwaltskammer Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.211,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien vom 5. Februar 2002 wurde dem Antrag des Beschwerdeführers vom 4. November 1999 auf Zuerkennung einer Berufsunfähigkeitsrente nach Einholung eines vertrauensärztlichen Gutachtens des Dr. S vom 20. Juli 2001 (wonach der Beschwerdeführer keineswegs dauernd zur Ausübung des Rechtsanwaltsberufes unfähig gewesen sei) keine Folge gegeben. Seine dagegen erhobene Vorstellung wurde mit Bescheid der belangten Behörde vom 30. April 2002 abgewiesen. Dagegen erhob der Beschwerdeführer Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof, welcher den Bescheid vom 30. April 2002 mit dem hg. Erkenntnis vom 20. Oktober 2005, Zl. 2002/06/0092, aufhob. Der Verwaltungsgerichtshof begründete dies damit, dass sich die belangte Behörde auf nähere Weise zunächst mit den Anforderungen an die Ausübung des Berufes des Rechtsanwaltes durch berufskundliche Feststellungen - allenfalls auf Grund eines entsprechenden Gutachtens - befassen hätte müssen und aufbauend auf die derart festgestellten näheren Anforderungen an die Ausübung des Berufes des Rechtsanwaltes durch Einholung eines entsprechenden fachärztlichen Gutachtens feststellen hätte müssen, ob angesichts seiner Krankheit eine dauernde Berufsunfähigkeit des Beschwerdeführers hinsichtlich der Ausübung dieses Berufes tatsächlich vorlag.

Der Beschwerdeführer legte dem Ausschuss der Rechtsanwaltskammer Wien mit Schreiben vom 30. März 2006 ein Gutachten des Dr. B, Facharzt für Psychiatrie und Neurologie vom 8. März 2006 vor, in welchem dieser zu dem Ergebnis gelangte, dass beim Beschwerdeführer weiterhin Symptome des pathologischen Spielens bestehen, und dass er weiter nicht in der Lage sei, den Beruf des Rechtsanwalts auszuüben. Der Beschwerdeführer beantragte, die ihm zustehende Berufsunfähigkeitsrente ab dem Zeitpunkt seines Verzichts auf die Ausübung des Rechtsanwaltsberufes aus gesundheitlichen Gründen per 25. Jänner 1999 zuzuerkennen.

Mit Säumnisbeschwerde an den Verwaltungsgerichtshof vom 14. Juni 2006 machte der Beschwerdeführer geltend, dass seit seinem Antrag vom 4. November 1999 noch immer nicht über die beantragte Berufsunfähigkeitsrente entschieden sei.

In einem berufskundlichen Sachverständigengutachten des Dr. E vom 15. Oktober 2007 beschrieb dieser Sachverständige ein "Berufsanforderungsprofil (unter besonderer Beachtung der geistigpsychischen Berufsanforderungen) zur Ausübung des Rechtsanwaltsberufes".

In einem von der Rechtsanwaltskammer Wien in Auftrag gegebenen Gutachten vom 25. Jänner 2008 kam der Sachverständige, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. Hans H, zu dem Ergebnis, dass der Beschwerdeführer nicht "dauernd berufsunfähig" sei, dass ihm aber auch in Hinkunft jegliche unkontrollierte größere finanzielle Transaktion nicht zugemutet werden könne. Unter entsprechender Observanz sachkundiger Juristen sei er aber in der Lage, in Rechtsfragen tätig zu sein. Mit Schreiben vom 11. Februar 2008 ergänzte der Gutachter seine Beurteilung mit Rücksicht auf die berufskundliche Beurteilung vom 15. Oktober 2007.

Mit Bescheid vom 8. April 2008 hat der Ausschuss der Rechtsanwaltskammer Wien den Antrag des Beschwerdeführers auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitsrente abgewiesen. Dies wurde zusammengefasst damit begründet, dass der Beschwerdeführer in der Lage sei, den Rechtsanwaltsberuf auszuüben, wie auch aus den Gutachten hervorgehe. Lediglich eine Tätigkeit als Vermögensverwalter, Treuhänder oder Zwangsverwalter im engeren Sinne sei dem Beschwerdeführer entsprechend den Sachverständigengutachten nicht zumutbar. Es bestünden Einsatzmöglichkeiten im selbstständigen Rechtsanwaltsberuf ohne eine Tätigkeit als Vermögensverwalter, Treuhänder oder Zwangsverwalter auszuüben. Der Beschwerdeführer könne auch als angestellter Rechtsanwalt mit entsprechend abgegrenztem Aufgabenbereich tätig werden. Im Übrigen habe die konstatierte Spielsucht des Beschwerdeführers bereits von Jugend an und somit schon bei Berufseintritt bestanden.

Der Beschwerdeführer erhob gegen diesen Bescheid Vorstellung. Mit dem angefochtenen Bescheid verwies die belangte Behörde die Rechtssache an die Behörde erster Instanz zurück. Begründet wurde dies zusammengefasst damit, dass die im Verfahren erster Instanz eingeholten Sachverständigengutachten hinsichtlich der Frage widersprüchlich seien, ob das dem Antrag auf Berufsunfähigkeitspension zu Grunde liegende Krankheitsbild zum Zeitpunkt des Eintritts des Beschwerdeführers in das Berufsleben schon bestanden habe. Es sei im Sinne einer erschöpfenden Erörterung der Sach- und Rechtslage die Begutachtung durch einen zusätzlich zu beauftragenden Sachverständigen notwendig.

Im Hinblick auf die Erlassung des angefochtenen Bescheides hat der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 26. Juni 2008, Zl. 2007/06/0164, die im Beschwerdefall erhobene Säumnisbeschwerde vom 14. Juni 2006 für gegenstandslos erklärt und das Verfahren eingestellt.

Gegen den angefochtenen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der sich der Beschwerdeführer "in meinem Recht auf den Anspruch auf eine Berufsunfähigkeitsrente als verletzt" erachtet und inhaltliche Rechtswidrigkeit geltend macht.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, erstattete eine Gegenäußerung und beantragte die Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Behörde erster Instanz war zur Erlassung ihres Bescheides vom 8. April 2008 nicht zuständig, weil die Rechtssache nach der Aufhebung des Vorstellungsbescheides vom 30. April 2002 mit dem hg. Erkenntnis vom 20. Oktober 2005 bei der belangten Behörde anhängig war. Dies hat die belangte Behörde verkannt, sie hätte den Bescheid der Behörde erster Instanz vom 8. April 2008 ersatzlos beheben müssen.

Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid unter Heranziehung von Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zu § 255 Abs. 3 ASVG auch die Auffassung vertreten, ein Anspruch auf Berufsunfähigkeitsrente bestünde dann nicht, "wenn schon vor Beginn des Versicherungs- bzw. Dienstverhältnisses die Intensität des Krankheitsbildes eine Berufsunfähigkeit verwirklicht hat". Daher sei zur Klärung dieser Frage im Verfahren vor der Behörde erster Instanz "im Sinne einer erschöpfenden Erörterung der Sach- und Rechtslage die Begutachtung durch einen zusätzlich zu beauftragenden Sachverständigen" erforderlich.

Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Zwar trifft es zu, dass der Oberste Gerichtshof etwa in dem von der belangten Behörde zitierten Erkenntnis vom 12. Juni 2001, 10 ObS 141/01k, zu § 255 Abs. 3 ASVG die Auffassung vertreten hat, dass wer trotz bestehender Behinderung, die ihn von Vornherein vom allgemeinen Arbeitsmarkt ausschließen würde, Versicherungszeiten erwirbt, sich nach Erreichen der allgemeinen Anspruchsvoraussetzungen für eine Invaliditätspension oder Berufsunfähigkeitspension nicht darauf berufen könne, dass sich sein Gesundheitszustand verschlechtert habe, sodass er nunmehr als invalid im Sinne der Bestimmung des § 255 Abs. 3 ASVG anzusehen sei. Diese Rechtsprechung kann jedoch nicht auf den Fall der Berufsunfähigkeitsrente eines Rechtsanwalts im Fall der Unfähigkeit zur Ausübung des Rechtsanwaltsberufes wegen körperlicher oder geistiger Gebrechen übertragen werden.

Das Versorgungsverhältnis der Rechtsanwälte unterscheidet sich von dem in § 255 ASVG geregelten typischen Versorgungsverhältnis nämlich dadurch, dass es durch den Rechtsakt der Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte gemäß § 5 RAO (im Fall des Beschwerdeführers idF BGBl. Nr. 156/1959) begründet wird. Im Fall des Beschwerdeführers setzte diese Eintragung gemäß § 1 Abs. 2 RAO in der damaligen Fassung u.a. die Zurücklegung der rechts- und staatswissenschaftlichen Studien, die Erlangung eines akademischen Grades eines Doktors der Rechte, die praktische Verwendung in der Dauer von fünf Jahren sowie die mit Erfolg zurückgelegte Rechtsanwaltsprüfung voraus. Im Fall des Beschwerdeführers hatte der Ausschuss der Rechtsanwaltskammer gemäß § 5 Abs. 2 RAO nach Pflegung der notwendigen Erhebungen weiters auch die Vertrauenswürdigkeit des Beschwerdeführers zu prüfen. Der Beschwerdeführer hat all diese Prüfungen absolviert und diese Erfordernisse erfüllt. Er wurde durch den Rechtsakt der Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte in den Stand der Rechtsanwälte aufgenommen. Damit wurde auch auf rechtliche Weise zum Ausdruck gebracht, dass der Beschwerdeführer nicht nur die Befugnis sondern auch die Eignung zur Ausübung des Berufes eines Rechtsanwaltes besitzt. Unbestritten hat der Beschwerdeführer auch über Jahrzehnte die Tätigkeit als Rechtsanwalt ausgeübt.

Bei dieser Sachlage bestand für die belangte Behörde kein ausreichender rechtlicher Grund dafür, es dürfe oder könne angenommen werden, dass der Beschwerdeführer bereits bei Antritt seines Berufes als Rechtsanwalt die dafür erforderliche geistige Eignung nicht aufgewiesen hätte.

Der Beschwerdeführer hat unbestritten auch während seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt Beiträge zur Versorgung der Rechtsanwälte geleistet.

Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde - die in ihrem Verfahren ungeachtet der Nichtgeltung des AVG die Grundsätze eines geordneten rechtsstaatlichen Verfahrens zu beachten hat (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 30. März 2004, Zl. 2002/06/0160, mwN), wozu auch das Recht auf ein Verfahren in angemessener Frist gemäß Art. 6 Abs. 1 EMRK gehört - den Bescheid der Behörde erster Instanz vom 8. April 2008 ersatzlos zu beheben und über die Vorstellung gegen den Bescheid vom 5. Februar 2002 in der Sache selbst zu befinden haben.

Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 17. Dezember 2009

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