VwGH 2008/05/0010

VwGH2008/05/001016.12.2008

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Pallitsch, Dr. Handstanger, Dr. Hinterwirth und Dr. Moritz als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Crnja, über die Beschwerde der E GmbH in W, vertreten durch Dr. Johannes Patzak, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Johannesgasse 16, gegen den Bescheid der Bauoberbehörde für Wien vom 3. Dezember 2007, Zl. BOB - 322/07, betreffend Zurückweisung eines Devolutionsantrages in einer Bauangelegenheit zu Recht erkannt:

Normen

AVG §45 Abs2;
AVG §73 Abs1;
AVG §73 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
AVG §45 Abs2;
AVG §73 Abs1;
AVG §73 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Die Bundeshauptstadt Wien hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Schriftsatz vom 3. Juli 2007, bei der belangten Behörde eingelangt am 4. Juli 2007, beantragte die Beschwerdeführerin den Übergang der Zuständigkeit zur Entscheidung über ihren Antrag vom 2. Oktober 2006 betreffend die "Bewilligung für die Anbringung von Werbe-Spannmasttafeln im Hochformat 80 x 120" an vier näher genannten Standorten in Wien gemäß § 73 AVG. Diesem Antrag waren ein an den Magistrat der Stadt Wien, MA 33 - öffentliche Beleuchtung, gerichteter Schriftsatz, datiert mit 2. Oktober 2006, in welchem die genannte Bewilligung für die Anbringung von Werbetafeln beantragt wird, sowie Standortfotos beigeschlossen.

Über Aufforderung der belangten Behörde teilte die MA 33 der belangten Behörde mit Schreiben vom 19. Juli 2007 mit, dass ein Antrag der Beschwerdeführerin vom 2. Oktober 2006 nicht eingegangen sei und daher auch keine Bearbeitung eines solchen Ansuchen erfolgen habe können.

Hiezu äußerte sich die Beschwerdeführerin mit Stellungnahme vom 8. August 2007 dahingehend, dass die Information der MA 33 offensichtlich unzutreffend sei, weil diese Behörde die Beschwerdeführerin selbst mit e-mail am 5. Oktober 2006 davon verständigt habe, dass die "Anfrage" an die "Firma Gewista" gerichtet werden möge. Mit "Beweisantrag" vom 10. September 2007 beantragte die Beschwerdeführerin die Einvernahme des dieses email absendenden Organes der MA 33 W. R. als Zeugen zum Beweis der "Empfangnahme" des Antrages vom 2. Oktober 2006.

Die MA 33 sendete der belangten Behörde am 28. September 2007 ein e-mail, mit welchem eine Liste aus dem Protokollierungssystem der Stadt Wien "ELAK" über die Eingangsstücke im Zeitraum vom

2. bis 6. Oktober 2006 zum Beweis dafür übermittelt wurde, dass kein Antrag der Beschwerdeführerin bei ihr eingegangen sei. Der Zeuge W. R. habe nur eine mündliche bzw. telefonische Anfrage der Beschwerdeführerin mit dem e-mail vom 5. Oktober 2006 an diese beantwortet.

Auf diese ihr von der belangten Behörde mitgeteilten Ermittlungsergebnisse reagierte die Beschwerdeführerin mit einer Stellungnahme vom 23. Oktober 2007, in welcher sie darauf beharrte, dass sie den Antrag vom 2. Oktober 2006 per Post abgesendet habe und das Einlangen dieses Antrages bei der MA 33 auch fest stehe, weil der den Antrag für die Beschwerdeführerin unterfertigende Ing. J. D. mit dem Zeugen W. R. ein Telefongespräche geführt habe, in dem dieser Zeuge das Einlangen des Antrages ausdrücklich bestätigt habe. Die Beschwerdeführerin beantragte in diesem Schriftsatz die Einvernahme des Ing. J. D. als Zeugen zum Beweis dafür, dass er im Telefongespräch vom 5. Oktober 2006 W. R. ausdrücklich davon gesprochen habe, dass ihr Antrag vom 2. Oktober 2006 bei der MA 33 eingelangt sei.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde der Devolutionsantrag der Beschwerdeführerin vom 3. Juli 2007 als unzulässig zurückgewiesen. Begründend führte die belangte Behörde aus, der Antrag der Beschwerdeführerin vom 2. Oktober 2006 auf Bewilligung für die Anbringung von Werbetafeln sei nicht bei der MA 33 eingelangt. Gestützt wurde diese Feststellung auf die Stellungnahme der MA 33 vom 28. September 2007. In den den relevanten Zeitraum betreffenden Protokollauszügen der MA 33 scheine der Antrag der Beschwerdeführerin vom 2. Oktober 2006 nicht auf. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin stehe im Widerspruch zu diesen Protokollauszügen. Die Gefahr des Verlustes einer zur Post gegebenen Eingabe an eine Behörde trage der Absender. Die Eingabe gelte nur dann als eingebracht, wenn sie bei der Behörde auch tatsächlich eingelangt sei. Hiefür sei die Partei beweispflichtig. Die Beschwerdeführerin habe diesen Beweis nicht erbringen können.

Die von der Beschwerdeführerin beantragte Einvernahme des Zeugen W. R. habe im Hinblick auf die Stellungnahme der MA 33 vom 28. September 2007 unterbleiben können, in der die Aussage dieses Zeugen zur Frage, ob das am 5. Oktober 2006 versendete e-mail eine Reaktion auf einen schriftlichen Antrag der Beschwerdeführerin gewesen sei, verwertet worden sei. Von der Einvernahme dieses Zeugen sei daher keine weitere Klärung des Sachverhaltes zu erwarten gewesen. Von der Einvernahme des Ing. J. D. habe Abstand genommen werden können, weil laut Ausführungen der Beschwerdeführerin dieser Zeuge nur über ein Telefongespräch mit einem Mitarbeiter der MA 33 Angaben machen könne, dessen Inhalt von diesem jedoch nicht bestätigt worden sei. Angaben darüber, ob der Antrag tatsächlich bei der Behörde eingelangt sei, könne dieser Zeuge nicht machen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, in eventu Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend gemacht werden. Die Beschwerdeführerin rügt, dass die von ihr geltend gemachten Beweismittel von der Behörde nicht aufgenommen worden seien. Es liege eine vorgreifende Beweiswürdigung vor.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der hier maßgebliche § 73 AVG hat folgenden Wortlaut:

§ 73. (1) Die Behörden sind verpflichtet, wenn in den Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist, über Anträge von Parteien (§ 8) und Berufungen ohne unnötigen Aufschub, spätestens aber sechs Monate nach deren Einlangen den Bescheid zu erlassen. Sofern sich in verbundenen Verfahren (§ 39 Abs. 2a) aus den anzuwendenden Rechtsvorschriften unterschiedliche Entscheidungsfristen ergeben, ist die zuletzt ablaufende maßgeblich.

(2) Wird der Bescheid nicht innerhalb der Entscheidungsfrist erlassen, so geht auf schriftlichen Antrag der Partei die Zuständigkeit zur Entscheidung auf die sachlich in Betracht kommende Oberbehörde, wenn aber gegen den Bescheid Berufung an den unabhängigen Verwaltungssenat erhoben werden könnte, auf diesen über (Devolutionsantrag). Der Devolutionsantrag ist bei der Oberbehörde (beim unabhängigen Verwaltungssenat) einzubringen. Er ist abzuweisen, wenn die Verzögerung nicht auf ein überwiegendes Verschulden der Behörde zurückzuführen ist.

(3) Für die Oberbehörde (den unabhängigen Verwaltungssenat) beginnt die Entscheidungsfrist mit dem Tag des Einlangens des Devolutionsantrages zu laufen."

Die im § 73 Abs. 1 AVG normierte Entscheidungspflicht sowie deren Verletzung durch die Behörde setzt einen Antrag einer Partei voraus, der durch Bescheid zu erledigen ist. Nicht von Bedeutung ist, ob eine (stattgebende oder ablehnende) Sachentscheidung oder eine verfahrensrechtliche Entscheidung (z.B. Zurückweisung) zu ergehen hat.

Wird daher ein Devolutionsantrag gemäß § 73 Abs. 2 AVG eingebracht, hat die zuständige Oberbehörde zu prüfen, ob ein Antrag im Sinne des Abs. 1 dieses Paragraphen vorliegt. Die Prüfung dieser Frage ist in einem den Grundsätzen des AVG entsprechenden Ermittlungsverfahren zu klären.

Zur Feststellung des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes (hier: Vorliegen eines Antrages im Sinne des § 73 Abs. 1 AVG) hatte die belangte Behörde Beweis aufzunehmen. Als Beweismittel kam hiefür alles in Betracht, was zur Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes geeignet und nach Lage des Falles zweckdienlich war (Grundsatz der Unbeschränktheit der Beweismittel).

Nach § 45 Abs. 2 AVG hat die Behörde unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht. Die freie Beweiswürdigung darf die Behörde aber erst nach vollständiger Beweiserhebung vornehmen. Eine vorgreifende (antizipierende) Beweiswürdigung, die darin besteht, dass der Wert eines Beweises abstrakt im Vorhinein beurteilt wird, ist unzulässig.

Die Wertung eines Beweises auf seine Glaubwürdigkeit setzt die Aufnahme dieses Beweises voraus. Es darf somit nicht von vornherein im Hinblick auf ein Beweismittel anderen Beweismitteln die Bedeutsamkeit abgesprochen werden. Beweismittel dürfen nur dann abgelehnt werden, wenn die Beweistatsachen als wahr unterstellt werden, es auf sie nicht ankommt oder das Beweismittel - ohne unzulässige Vorwegnahme der Beweiswürdigung - untauglich bzw. ungeeignet ist (vgl. die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, bei § 45 AVG, 13. Unzulässigkeit antizipierender Beweiswürdigung, wiedergegebene hg. Rechtsprechung).

Der von der Beschwerdeführerin zur entscheidungswesentlichen Sachverhaltsfrage, ob ihr Antrag vom 2. Oktober 2006 tatsächlich am 5. Oktober 2006 bei der MA 33 eingelangt ist, namhaft gemachte Zeuge W. R. wurde im Ermittlungsverfahren nicht als Zeuge einvernommen, weil die belangte Behörde die Auffassung vertreten

hat, dass von dessen "zeugenschaftlicher ... Einvernahme keine

weitere Klärung des Sachverhaltes zu erwarten war". Ein vermutetes Ergebnis noch nicht aufgenommener Beweise darf jedoch, wie oben dargelegt, nicht vorweggenommen werden. Die in der Stellungnahme der MA 33 vom 28. September 2007 erwähnte Aussage des W. R. fußt nicht auf einer nach Belehrung über die Wahrheitspflicht durchgeführten Zeugenvernehmung im Sinnes des § 50 AVG.

Der Zeuge Ing. J. D. wurde ebenfalls zum Beweis dafür namhaft gemacht, dass der Antrag der Beschwerdeführerin vom 2. Oktober 2006 bei der Behörde eingelangt ist. Auch wenn dieser Zeuge auf Grund des Antrages der Beschwerdeführerin nur Auskunft darüber geben könnte, ob der Zeuge W. R. das Einlagen des Antrages bei der Behörde telefonisch bestätigt hat, kann daraus keineswegs abgeleitet werden, dass dieser Zeuge zu der entscheidungswesentlichen Frage keine Aussage machen kann. Ein indirekter Beweis (Indizienbeweis) ist auch im Verwaltungsverfahren zulässig (vgl. das hg. Erkenntnis vom 23. Jänner 2001, Zl. 2000/11/0263). Nach der Beweisaufnahme obliegt es der Behörde, im Rahmen der freien Beweiswürdigung allenfalls widersprüchliche Aussagen der Zeugen einer Wertung auf ihre Glaubwürdigkeit zu unterziehen.

Da die belangte Behörde die von der Beschwerdeführerin angebotenen Beweise nicht aufgenommen hat, belastete sie ihren Bescheid mit einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am 16. Dezember 2008

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