VwGH 2008/01/0382

VwGH2008/01/038220.9.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Kleiser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Stelzl, über die Beschwerde des J J in S, vertreten durch Dr. Martin Dellasega und Dr. Max Kapferer, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Schmerlingstraße 2/2, gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 31. März 2008, Zl. Ia- 24.605/10-2008, betreffend Staatsbürgerschaft, zu Recht erkannt:

Normen

StbG 1985 §10 Abs1 Z6 idF 2006/I/037;
StbG 1985 §11 idF 2006/I/037;
StbG 1985 §10 Abs1 Z6 idF 2006/I/037;
StbG 1985 §11 idF 2006/I/037;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Land Tirol Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 31. März 2008 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen von Kroatien, auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft vom 13. April 2007 gemäß § 10 Abs. 1 Z. 6 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985, BGBl. Nr. 311 in der Fassung der Staatsbürgerschaftsrechts-Novelle 2005, BGBl. I Nr. 37/2006 (StbG), ab.

Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer habe im Zeitraum von 2002 bis 2006 insgesamt 19 Verwaltungsübertretungen nach der Straßenverkehrsordnung, dem Kraftfahrgesetz, dem Tiroler Parkabgabegesetz und dem Führerscheingesetz begangen, wobei als entscheidungswesentlich für die Abweisung des Antrages die nachstehenden Bestrafungen genannt wurden:

"1. Strafverfügung der Bezirkshauptmannschaft

Kitzbühel vom 19.06.2002, VK-1918-2002, über EUR 43,00.

Dabei wurde am 05.03.2002 die erlaubte Höchstgeschwindigkeit

von 60 km/h um 15 km/h überschritten.

2. Strafverfügung der Bezirkshauptmannschaft

Kitzbühel vom 20.11.2002, VK-6163-2002, über EUR 95.00

Dabei wurde am 08.08.2002 die erlaubte Höchstgeschwindigkeit

im Ortsgebiet von 50 km/h um 25 km/h überschritten.

3. Strafverfügung der Bezirkshauptmannschaft

Kitzbühel vom 13.05.2003, VK-2551-2003, über EUR 350,00.

Dabei wurde am 19.04.2003 die zulässige Höchstgeschwindigkeit

von 80 km/h um 54 km/h überschritten.

(4.) Strafverfügung der Bezirkshauptmannschaft

Kitzbühel vom 05.08.2003, VK-5193-2003, über EUR 350,00.

Dabei wurde am 10.07.2003 die zulässige Höchstgeschwindigkeit

von 80 km/h um 49 km/h überschritten.

(5.) Strafverfügung der Bezirkshauptmannschaft

Kitzbühel vom 03.11.2003, VK-7417-2003, über EUR 290,00.

Dabei wurde am 11.10.2003 die zulässige Höchstgeschwindigkeit

von 60 km/h um 49 km/h überschritten.

(6.) Strafverfügung der Bezirkshauptmannschaft

Kitzbühel vom 09.01.2006, VK-277-2006, über EUR 360,00 und EUR 70,00.

Dabei wurde am 16.11.2005 die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h um 48 km/h überschritten sowie ein weiteres Mal die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h um 21 km/h überschritten.

(7.) Strafverfügung der Bezirkshauptmannschaft

Kitzbühel vom 18.01.2007, VK-1233-2007, über EUR 70,00.

Dabei wurde am 29.08.2006 die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um 19 km/h überschritten."

Im Rahmen der Bestimmung des § 10 Abs. 1 Z. 6 StbG habe die Behörde die Persönlichkeit des Antragstellers zu prüfen und im Hinblick auf sein Gesamtverhalten ein Charakterbild zu zeichnen. Bei der Bedachtnahme auf Vorstrafen sei es dabei unerheblich, ob die zugrunde liegenden Verstöße Bundes- oder Landesrecht berührt hätten, ob sie von Gerichten oder Verwaltungsbehörden geahndet worden seien oder ob es sich um Rechtsverletzungen gehandelt habe, die der allgemeinen Sicherheitspolizei oder dem Bereich einer besonderen Verwaltungspolizei zuzuordnen seien. Ausschlaggebend sei vielmehr, ob es sich bei den begangenen Rechtsverletzungen um solche handle, die den Schluss rechtfertigten, der Einbürgerungswerber werde auch in Zukunft wesentliche, zur Abwehr von Gefahren für das Leben und die Gesundheit von Menschen, für die allgemeine Sicherheit sowie die öffentliche Ruhe und Ordnung erlassene Rechtsvorschriften missachten. Dies gelte auch für Verstöße gegen Schutznormen, die der Ordnung und der Sicherheit des Straßenverkehrs dienten. Übertretungen der zulässigen Höchstgeschwindigkeit in erheblichem Ausmaß habe der Verwaltungsgerichtshof als schwerwiegende Verstöße gegen derartige Schutznormen gewertet.

Dem erkennbaren Argument des Beschwerdeführers (in seiner Stellungnahme vom 12. Dezember 2007), wonach länger zurückliegenden Taten ein geringeres Gewicht zukomme, sei zwar für sich genommen zu folgen, für den Beschwerdeführer sei daraus jedoch nichts zu gewinnen, weil sich die "ihm angelasteten" Handlungen vom Jahr 2002 bis in das Jahr 2006 erstreckten und das Gewicht länger zurückliegender Taten somit nicht durch mehrjähriges Wohlverhalten verringert werde. Hervorzuheben sei, dass der Beschwerdeführer die letzte Geschwindigkeitsübertretung am 29. August 2006 verwirklicht habe, sodass im Hinblick auf den bis zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung verstrichenen Zeitraum nicht gesagt werden könne, er habe sein Verhalten den rechtlich geschützten Werten gegenüber grundlegend geändert. Besonders gravierend wirke die Tatsache, dass er am 16. November 2005, sohin etwas mehr als zwei Jahre vor Bescheiderlassung, die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h gleich zweimal (um 48 bzw. 21 km/h) überschritten habe.

Aus dem Verhalten des Beschwerdeführers sei eine allgemeine Sorglosigkeit gegenüber Geschwindigkeitsbeschränkungen und somit gegenüber Geboten zur Gefahrenabwehr abzuleiten. Nach Ansicht der belangten Behörde könne zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung noch nicht davon ausgegangen werden, dass er sich künftig wohlverhalten und in Zukunft wesentliche, zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit erlassene Rechtsvorschriften nicht mehr missachten werde.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 6 StbG darf einem Fremden, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, die Staatsbürgerschaft nur verliehen werden, wenn er nach seinem bisherigen Verhalten Gewähr dafür bietet, dass er zur Republik bejahend eingestellt ist und weder eine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit darstellt noch andere in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannte öffentliche Interessen gefährdet.

Gemäß § 11 StbG ist bei Entscheidungen nach diesem Bundesgesetz das Gesamtverhalten des Fremden im Hinblick auf das allgemeine Wohl, die öffentlichen Interessen und das Ausmaß seiner Integration zu berücksichtigen. Zu dieser zählt insbesondere die Orientierung des Fremden am gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben in Österreich sowie an den Grundwerten eines europäischen demokratischen Staates und seiner Gesellschaft.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Prüfung der Verleihungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Z. 6 StbG auf das Gesamtverhalten des Verleihungswerbers, insbesondere auch von ihm begangene Straftaten, Bedacht zu nehmen. Maßgebend ist, ob es sich dabei um Rechtsbrüche handelt, die den Schluss rechtfertigen, der Verleihungswerber werde auch in Zukunft wesentliche, zum Schutz vor Gefahren für das Leben, die Gesundheit, die Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung - oder andere in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannter Rechtsgüter - erlassene Vorschriften missachten. In der Art, der Schwere und der Häufigkeit solcher Verstöße kommt die - allenfalls negative - Einstellung des Betreffenden gegenüber den zur Hintanhaltung solcher Gefahren erlassenen Gesetzen zum Ausdruck (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 18. Februar 2011, Zl. 2009/01/0029, und vom 18. November 2010, Zl. 2007/01/0578, mit Hinweisen auf die Vorjudikatur).

Die Beschwerde bringt gegenüber dem angefochtenen Bescheid vor, der Beschwerdeführer habe keinerlei strafrechtlich relevanten Gesetzesübertretungen begangen, sondern lediglich die Straßenverkehrsordnung übertreten. Dies rechtfertige nicht die Annahme der belangten Behörde, er werde auch in Zukunft wesentliche, zur Abwehr von Gefahren für das Leben und die Gesundheit von Menschen, für die allgemeine Sicherheit sowie für die öffentliche Ruhe und Ordnung erlassene Rechtsvorschriften missachten. Aus den festgestellten Übertretungen gehe hervor, dass der Beschwerdeführer in den Jahren 2002 und 2003 mehrmals auffällig geworden sei, seit damals sei jedoch eine markante Verbesserung seines Verhaltens im Straßenverkehr eingetreten. Seit dem Jahr 2004 lägen nur zwei Übertretungen der Straßenverkehrsordnung - davon eine nur geringe Übertretung - vor. Die letzte erhebliche Geschwindigkeitsübertretung habe der Beschwerdeführer 2005 begangen, im Jahr 2006 sei die erlaubte Geschwindigkeit um lediglich 19 km/h übertreten worden. Seit zwei Jahren nehme der Beschwerdeführer ohne jede Beanstandung am Straßenverkehr teil; insbesondere seit der Antragstellung (auf Verleihung der Staatsbürgerschaft) habe er keine Übertretung mehr begangen. Aufgrund dieses Verlaufes hätte die belangte Behörde eine grundlegende Änderung seines Verhaltens im Straßenverkehr feststellen und zu dem Ergebnis gelangen müssen, dass darin keine negative Einstellung gegenüber den zur Hintanhaltung von Gefahren für das Leben, die Gesundheit und die Sicherheit der Allgemeinheit erlassenen Gesetze zum Ausdruck komme.

Der Beschwerdeführer halte sich seit seinem elften Lebensjahr in Österreich auf, spreche perfekt Deutsch und sei "vollkommen integriert". Auch seine Familie lebe in Österreich. Er habe hier die Schule besucht, eine Lehre als Fliesenleger absolviert und sein gesamtes berufliches Leben hier verbracht. Derzeit arbeite er in der Gastronomie und bereite sich daneben auf die Unternehmer- und Meisterprüfung vor, um sich in weiterer Folge als Fliesenleger selbständig zu machen. Hätte die belangte Behörde Feststellungen zum Ausmaß seiner Integration getroffen, wäre sie im Rahmen ihres gemäß § 11 StbG eingeräumten Ermessens zu dem Ergebnis gelangt, dass dem Beschwerdeführer trotz der begangenen Verwaltungsübertretungen die Staatsbürgerschaft zu verleihen sei.

Damit gelingt es der Beschwerde nicht, eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides aufzuzeigen.

Der belangten Behörde kann im Beschwerdefall nicht entgegengetreten werden, wenn sie die wiederholten und massiven Geschwindigkeitsübertretungen durch den Beschwerdeführer als gravierende Verstöße ansieht, die einer positiven Prognose im Hinblick auf die Verbundenheit des Beschwerdeführers mit den die öffentliche Ordnung und Sicherheit (hier: im Straßenverkehr) regelnden Bestimmungen entgegenstehen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 18. Februar 2011, Zl. 2009/01/0029, und vom 4. September 2008, Zl. 2006/01/0740, jeweils mwN).

Auch die von der Beschwerde behauptete "grundlegende Änderung" des Verhaltens des Beschwerdeführers im Straßenverkehr ist nicht ersichtlich. Der belangten Behörde ist nämlich auch zuzustimmen, wenn sie ausgehend von den (entgegen der Beschwerdebehauptungen nicht zwei, sondern drei) Übertretungen (zwei davon am selben Tag) von November 2005 und August 2006 ein längeres Wohlverhalten des Beschwerdeführers im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides (im März 2008) verneint (vgl. wiederum das hg. Erkenntnis vom 4. September 2008, Zl. 2006/01/0740, sowie das hg. Erkenntnis vom 25. Juni 2009, Zl. 2006/01/0032, jeweils mwN).

Soweit die Beschwerde vorbringt, die belangte Behörde hätte im Rahmen ihres gemäß § 11 StbG eingeräumten Ermessens zur Verleihung der Staatsbürgerschaft an den Beschwerdeführer gelangen müssen, ist ihr zu entgegnen, dass die in § 11 StbG (in der durch die Staatsbürgerschaftsrechts-Novelle 2005 geänderten Fassung) normierte Orientierung des Fremden am gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben in Österreich sowie an den Grundwerten eines europäischen demokratischen Staates und seiner Gesellschaft im Fall des Vorliegens eines Verleihungshindernisses nach § 10 Abs. 1 Z. 6 StbG zu verneinen ist (vgl. das bereits zitierte hg. Erkenntnis vom 18. Februar 2011, Zl. 2009/01/0029).

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 20. September 2011

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte