VwGH 2007/18/0901

VwGH2007/18/090125.11.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok, den Hofrat Dr. Enzenhofer, die Hofrätin Mag. Merl und die Hofräte Dr. Lukasser und Mag. Haunold als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde des J in W, geboren 1985 (auch: 1980), vertreten durch Dr. Michael Drexler, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Hörlgasse 4/5, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 23. Oktober 2007, Zl. E1/449.733/2007, betreffend Ausweisung gemäß § 53 FPG, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §50 Abs1;
FrPolG 2005 §50 Abs2;
FrPolG 2005 §51;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66;
EMRK Art8 Abs2;
NAG 2005 §72;
NAG 2005 §73;
NAG 2005 §74;
FrPolG 2005 §50 Abs1;
FrPolG 2005 §50 Abs2;
FrPolG 2005 §51;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66;
EMRK Art8 Abs2;
NAG 2005 §72;
NAG 2005 §73;
NAG 2005 §74;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 23. Oktober 2007 wurde der vom Beschwerdeführer, einem indischen Staatsangehörigen, gegen den erstinstanzlichen Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 19. September 2007 erhobenen Berufung keine Folge gegeben und der Beschwerdeführer gemäß § 53 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, ausgewiesen.

Nach Darlegungen zum rechtskräftig negativ beendeten Asylverfahren des Beschwerdeführers hatte die erstinstanzliche Behörde begründend unter anderem ausgeführt, der Beschwerdeführer habe angegeben, als Asylwerber eingereist zu sein, zu seinem Heimatland über keine Bindungen mehr zu verfügen, ledig und kinderlos zu sein, als Zeitungszusteller auf Werkvertragsbasis monatlich rund EUR 800,-- zu verdienen und über die Caritas krankenversichert zu sein. Ferner habe er ausgeführt, in seinem Heimatland politisch verfolgt zu werden, und eine eidesstaatliche Erklärung vorgelegt, in der Nachfluchtgründe angegeben worden seien. Der Beschwerdeführer habe keine familiären Bindungen zu Österreich und halte sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet auf. Nach Abwägung aller Interessen habe eine Ermessensentscheidung zu seinem Nachteil getroffen werden müssen. Über seinen Antrag auf Unzulässigkeit der Abschiebung werde gesondert entschieden.

Die Gründe des erstinstanzlichen Bescheides - so die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid - seien im Ergebnis auch für die Berufungsentscheidung maßgebend. Zu den Ausführungen in der Berufung werde festgestellt, dass der Beschwerdeführer am 6. Juli 2002 illegal nach Österreich gelangt sei und am 8. Juli 2002 einen Asylantrag gestellt habe, der am 20. April 2007 im Instanzenzug vom unabhängigen Bundesasylsenat rechtskräftig abgewiesen worden sei. Die Behandlung einer gegen diese Entscheidung eingebrachten Beschwerde sei vom Verwaltungsgerichtshof am 23. Juli 2007 abgelehnt worden. Während seines Asylverfahrens habe der Beschwerdeführer über eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz verfügt.

Der unter Umgehung der Grenzkontrolle eingereiste Beschwerdeführer habe zu keiner Zeit über einen Aufenthaltstitel verfügt und sei nach rechtskräftigem Abschluss seines Asylverfahrens im Bundesgebiet verblieben. Er halte sich somit unrechtmäßig im Bundesgebiet auf, sodass die Voraussetzungen des § 53 Abs. 1 FPG vorlägen. In einem solchen Fall könnten Fremde mit Bescheid ausgewiesen werden, wenn dem nicht die Bestimmung des § 66 Abs. 1 FPG entgegenstehe.

Der Beschwerdeführer sei seit etwas mehr als fünf Jahren im Bundesgebiet aufhältig. Es sei daher von einem mit der vorliegenden Maßnahme verbundenen Eingriff in sein Privatleben auszugehen, der sich jedoch als dringend geboten erweise.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes komme nämlich der Befolgung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften durch den Normadressaten aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein sehr hoher Stellenwert zu. Eine Legalisierung seines Aufenthaltes könne der Beschwerdeführer gemäß § 21 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG jedoch nur vom Ausland aus erwirken. Gegen diese Regelung habe der Beschwerdeführer, der seinen Aufenthalt trotz rechtskräftiger Abweisung seines Asylantrages fortgesetzt habe, in gravierender Weise verstoßen. Die damit bewirkte Beeinträchtigung des hoch zu veranschlagenden maßgeblichen öffentlichen Interesses an der Wahrung eines geordneten Fremdenwesens sei von solchem Gewicht, dass die gegenläufigen privaten Interessen jedenfalls nicht höher zu bewerten seien als das Interesse der Allgemeinheit an der Ausreise des Beschwerdeführers aus dem Bundesgebiet.

Vor diesem Hintergrund und im Hinblick auf das Fehlen besonderer, zugunsten des Beschwerdeführers sprechender Umstände könne ein weiterer Aufenthalt seiner Person auch nicht im Rahmen des der Behörde zustehenden Ermessens in Kauf genommen werden.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrenvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragt in ihrer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Auf dem Boden der im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen, dass der Asylantrag des Beschwerdeführers rechtskräftig abgewiesen worden sei, wobei vom Beschwerdeführer nicht behauptet wird, dass ihm ein Aufenthaltstitel erteilt worden sei, begegnet die Ansicht der belangten Behörde, dass der Tatbestand des § 53 Abs. 1 FPG erfüllt sei, keinen Bedenken.

Das Beschwerdevorbringen, die Feststellung des rechtswidrigen Aufenthaltes des Beschwerdeführers treffe nicht zu, zumal dieser nach wie vor die Möglichkeit habe, eine Aufenthaltslegalisierung im Rahmen der §§ 72 ff NAG zu erreichen, steht der genannten Beurteilung nicht entgegen. Der Aufenthalt des Beschwerdeführers wäre erst mit der Erteilung eines Aufenthaltstitels und nicht schon nach der Stellung eines darauf abzielenden Antrages rechtmäßig. Auch die Möglichkeit eines Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus humanitären Gründen (§§ 72 bis 74 NAG idF vor der Novelle BGBl. I Nr. 29/2009) kann den Aufenthalt des Fremden nicht legalisieren. Selbst die Anhängigkeit eines solchen Verfahrens führte zu keiner Einschränkung der behördlichen Ermächtigung zur Erlassung einer Ausweisung (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 26. November 2009, Zl. 2009/18/0414, mwN).

2.1. Die Beschwerde bekämpft den angefochtenen Bescheid auch unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK bzw. des § 66 FPG und bringt vor, dass bei der Entscheidungsfindung eine Berücksichtigung des Art. 8 Abs. 2 EMRK vollkommen unterblieben sei. Die Behörde müsse konkret und möglichst umfassend darlegen, worin das Fehlverhalten und die dadurch hervorgerufene Gefährdung der öffentlichen Ordnung bestehe. Generalpräventive Gründe, wie sie der belangten Behörde offenbar vorschwebten, seien dabei ohne Belang. Es sei unzulässig, ein solches Verhalten der Maßnahme zugrunde zu legen, das unter Berücksichtigung des bisher verstrichenen Zeitraumes nicht mehr geeignet sei, eine relevante Vergrößerung der von einem Fremden ausgehenden Gefährdung der maßgeblichen öffentlichen Interessen herbeizuführen.

Auch ein nicht rechtmäßiger Aufenthalt bzw. ein Aufenthalt auf Grund von Abschiebungsaufschüben könne integrationsbegründend sein. Der Beschwerdeführer sei vollständig und legal in den Arbeitsprozess integriert, das Einkommen stelle seine Lebensgrundlage dar. Da der Beschwerdeführer im Falle seiner Ausweisung nach Indien seine in Österreich erlangte wirtschaftliche Sicherheit verlöre, stehe ein relevanter Eingriff in sein Privatleben fest. Er sei seit über fünf Jahren nicht mehr in seinem Herkunftsstaat gewesen und habe dort keine Chance, wirtschaftlich Fuß zu fassen. Daneben habe er auch Nachfluchtgründe geltend gemacht; es gelte daher als nicht gesichert, dass ihm im Herkunftsstaat keine Verfolgung drohe.

Gemessen an der Gesamtdauer seines Aufenthaltes von rund fünf Jahren stelle der unrechtmäßige Aufenthalt des Beschwerdeführers von rund drei Monaten (ab 23. Juli 2007) keine derart schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Ordnung dar, dass deshalb (jedenfalls) dessen private Interessen an einem weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet nicht höher zu bewerten seien als das für seine Ausweisung sprechende maßgebliche öffentliche Interesse.

Laut ständiger Judikatur des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) sei der Begriff der öffentlichen Ordnung eng auszulegen; durch die Handlungsweise des betroffenen Ausländers müsse ein elementares Grundinteresse der Gemeinschaft betroffen sein. Dies sei im gegenständlichen Fall klar zu verneinen. Generalpräventive Überlegungen hätten nicht Platz zu greifen. Der angefochtene Bescheid erweise sich vor dem Hintergrund der sozialen, gesellschaftlichen und beschäftigungsrechtlichen Situation des Beschwerdeführers als rechtswidrig.

2.2. Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerde keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf.

Bei der Prüfung der Zulässigkeit der Ausweisung im Grunde des § 66 FPG und des Art. 8 Abs. 2 EMRK hat die belangte Behörde den etwas mehr als fünfjährigen Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet und - im Wege des Verweises auf die begründenden Ausführungen des erstinstanzlichen Bescheides - unter anderem seine Erwerbstätigkeit als Zeitungszusteller auf Werksvertragsbasis berücksichtigt. Zutreffend hat sie einen mit der Ausweisung verbundenen Eingriff in das Privatleben des Beschwerdeführers angenommen.

Die aus der Dauer des inländischen Aufenthaltes des Beschwerdeführers im Bundesgebiet ableitbare Integration wird in ihrem Gewicht jedoch dadurch entscheidend gemindert, dass sein Aufenthalt nach seiner illegalen Einreise im Juli 2002 nur auf Grund des von ihm gestellten Asylantrages vorläufig berechtigt war und seit der rechtskräftigen negativen Beendigung des Asylverfahrens unberechtigt ist. Der Beschwerdeführer stellt nicht in Abrede, ledig und kinderlos zu sein. Insgesamt kommt somit den persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet - trotz der etwas mehr als fünfjährigen Dauer seines inländischen Aufenthaltes und der auf der Grundlage eines Werkvertrages erfolgenden Erwerbstätigkeit - kein allzu großes Gewicht zu.

Zu Recht hat die belangte Behörde darauf hingewiesen, dass dem öffentlichen Interesse an der Befolgung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zukommt (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 8. Juni 2010, Zl. 2007/18/0028, mwN). Der Beschwerdeführer hat dieses große öffentliche Interesse durch seinen unrechtmäßigen Aufenthalt maßgeblich beeinträchtigt.

Die Beurteilung der belangten Behörde, dass die privaten Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Bundesgebiet nicht höher zu bewerten seien als das Interesse der Allgemeinheit an seiner Ausreise, begegnet daher keinem Einwand.

Das Beschwerdevorbringen legt keine besonderen Umstände im Sinn des Art. 8 EMRK dar, die es dem Beschwerdeführer unzumutbar machen würden, für die Dauer eines ordnungsgemäß geführten Niederlassungsverfahrens auszureisen.

Soweit die Beschwerde unter Zitierung von Entscheidungen des EuGH (Von Duyn, Rs 41-74; Bonsignore, Rs 67-74; Bouchereau, Rs 30- 77) vorbringt, dass der Begriff der öffentlichen Ordnung eng auszulegen sei und generalpräventive Überlegungen nicht Platz zu greifen hätten, ist ihr zum einen zu entgegnen, dass nicht ersichtlich ist und auch in der Beschwerde nicht begründend dargelegt wird, inwiefern der Beschwerdeführer - ein indischer Staatsangehöriger - durch die gegenständliche Ausweisung in einem aus dem Gemeinschaftsrecht abgeleiteten Recht verletzt werden könnte. Zum anderen hat die belangte Behörde ihrer Interessenabwägung den konkreten, mit einem letztlich abgewiesenen Asylantrag begonnenen und später unrechtmäßig fortgesetzten Aufenthalt des Beschwerdeführers zugrunde gelegt und im Einklang mit der hg. Judikatur dem Schutz der öffentlichen Ordnung einen entsprechend hohen Stellenwert zugemessen.

Die Ansicht der belangten Behörde, dass § 66 FPG der Erlassung der vorliegenden Ausweisung des Beschwerdeführers nicht entgegensteht, begegnet daher keinen Bedenken.

3. Wenn der Beschwerdeführer auf die von ihm im Verwaltungsverfahren geltend gemachten Nachfluchtgründe verweist und ausführt, es gelte nicht als gesichert, dass ihm im Herkunftsstaat keine Verfolgung drohe, übersieht er, dass die Frage des allfälligen Vorliegens von Gründen im Sinn des § 50 Abs. 1 oder 2 FPG nicht im Verfahren zur Erlassung einer Ausweisung, sondern in einem gesonderten Verfahren, so etwa in einem Verfahren gemäß § 51 FPG oder in einem asylrechtlichen Verfahren, zu beurteilen ist (vgl. etwa das bereits zitierte hg. Erkenntnis, Zl. 2007/18/0028, mwN).

4.1. Zum Beschwerdevorbringen, im Verwaltungsverfahren habe "keine detaillierte Einvernahme" des Beschwerdeführers stattgefunden, ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer sowohl im erstinstanzlichen Verfahren als auch in der Berufung ausreichend Gelegenheit hatte, sich Parteiengehör zu verschaffen. Überdies besteht im fremdenrechtlichen Administrativverfahren vor der Sicherheitsdirektion kein Recht darauf, von der Behörde mündlich gehört zu werden (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 15. September 2010, Zl. 2007/18/0966, mwN).

4.2. Auf dem Boden des Gesagten liegt auch der von der Beschwerde behauptete, in einer tatsachenwidrigen Erhebung des Sachverhaltes liegende Verfahrensmangel nicht vor.

5. Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

6. Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 25. November 2010

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