VwGH 2007/18/0494

VwGH2007/18/04942.9.2008

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger, die Hofräte Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Schmidl, über die Beschwerde des ISB, geboren am 9. Februar 1973, vertreten durch Mag. Dr. Ingrid Weber, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Rotenturmstraße 19, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 29. Juni 2007, Zl. UVS-FRG/4/522/2007- 14, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §60 Abs2 Z9;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
EMRK Art8;
VwGG §42 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z9;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
EMRK Art8;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien (der belangten Behörde) vom 29. Juni 2007 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen rumänischen Staatsangehörigen, gemäß § 87 iVm § 86 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

Dem Beschwerdeführer seien zwischen Oktober 2002 und Juni 2004 mehrmals auf bis zu zwei Monate befristete Beschäftigungsbewilligungen erteilt worden. Am 19. Juli 2004 habe er in Wien die österreichische Staatsangehörige P-M G. geheiratet. Frau G. habe sich über Vermittlung des Herrn Zoran K. bereit erklärt, den Beschwerdeführer zum Schein zu heiraten, wobei ihr für den Fall der Eheschließung EUR 5.000,-- versprochen worden seien. Der Beschwerdeführer habe Frau G. bei der Hochzeit EUR 1.000,-- für die Eheschließung gegeben. Er und Frau G. hätten nicht vorgehabt, eine eheliche Lebensgemeinschaft zu führen. Am 1. August 2005 habe Frau G. bei der Staatsanwaltschaft Wien Selbstanzeige wegen Eingehens einer Scheinehe erstattet. Ihre Interessen an der Eheschließung seien rein finanzieller Natur gewesen. Dieser Sachverhalt sei vom Bezirksgericht Josefstadt mit Urteil vom 16. Juni 2006 festgestellt worden, mit welchem die am 19. Juli 2004 zwischen Frau G. und dem Beschwerdeführer geschlossene Ehe für nichtig erklärt worden sei. Der dagegen erhobenen Berufung sei vom Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien mit Urteil vom 9. Jänner 2007 keine Folge gegeben worden. Die belangte Behörde schließe sich den im Urteil des Bezirksgerichts Josefstadt getroffenen und schlüssigen Sachverhaltsfeststellungen zur Gänze an. Bereits am 22. Juli 2004 habe der Beschwerdeführer unter ausdrücklicher Berufung auf die genannte Ehe einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels als begünstigter Drittstaatsangehöriger gestellt. Ebenfalls bereits ab 17. August 2004 habe der Beschwerdeführer - ohne im Besitz einer entsprechenden Beschäftigungsbewilligung zu sein und somit offenbar ebenfalls unter Berufung auf die Ehe mit einem österreichischen Staatsangehörigen - durchgehend bis 30. Dezember 2006 sowie ab 2. Jänner 2007 eine Beschäftigung ausgeübt.

Angesichts des hohen Stellenwertes, der der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung zukomme, sei die in § 86 Abs. 1 FPG umschriebene Annahme gerechtfertigt. § 60 Abs. 2 Z. 9 FPG sei verwirklicht und könne für die Beurteilung der Voraussetzungen des § 86 Abs. 1 FPG als "Orientierungsmaßstab" verwendet werden. Das persönliche Verhalten des Beschwerdeführers, das mit der Täuschung staatlicher Organe über den wahren Ehewillen begonnen und sich bis zum dadurch bewirkten Erschleichen staatlicher Berechtigungen und Befugnisse fortgesetzt habe, stelle jedenfalls eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr dar, die die Grundinteressen der Gesellschaft an der Aufrechterhaltung eines geordneten und geregelten Fremdenwesens, an einer gesetzlich gesteuerten Zuwanderung, an der Einhaltung der dafür maßgeblichen Rechtsvorschriften und am Recht auf wahrheitsgetreue Angaben gegenüber Staatsorganen berühre.

Bei der Interessenabwägung gemäß § 66 Abs. 1 und 2 FPG sei zu Gunsten des Beschwerdeführers zu berücksichtigen, dass er in der Zeit von Juni 2002 bis Juni 2004 mehrfach auf Grund von befristeten Beschäftigungsbewilligungen legal in Österreich aufhältig gewesen sei, wobei diese Aufenthalte nicht auf Dauer angelegt gewesen seien. Der Beschwerdeführer sei vom 17. August 2004 bis zum 30. Dezember 2006 sowie seit 2. Jänner 2007 beschäftigt gewesen. Die aus dieser Aufenthaltsdauer und den Beschäftigungen ableitbare soziale, private wie auch berufliche Integration des Beschwerdeführers würde jedoch in ihrer Bedeutung dadurch gemindert, dass dieser Aufenthalt sowie die Beschäftigung lediglich auf eine Aufenthaltsehe gestützt und möglich geworden seien. Daher seien diese Interessen des Beschwerdeführers am weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet zwar vorhanden, "aber noch nicht als sehr beträchtlich einzustufen". Diesen geringen Interessen stehe gegenüber, dass der Beschwerdeführer durch das rechtsmissbräuchliche Eingehen einer Ehe und die Berufung auf diese bei seinem Antrag auf Niederlassungsbewilligung maßgebliche Interessen im Sinn des Art. 8 EMRK beeinträchtigt habe. Daher sei das Aufenthaltsverbot zur Erreichung der im Art. 8 EMRK genannten Ziele dringend geboten. Die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers wögen keinesfalls schwerer als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes. Bei diesem Ergebnis sei auch bei Ausübung des der Behörde zuständigen Ermessens eine Abstandnahme von der Verhängung des Aufenthaltsverbotes nicht in Betracht gekommen.

Die vom Beschwerdeführer gesetzte Handlung beeinträchtige die öffentlichen Interessen an der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens in gravierendem Ausmaß. Es bedürfe daher eines geraumen, nicht zu gering anzusetzenden Zeitraums der Beobachtung des Wohlverhaltens des Beschwerdeführers um sicher zu stellen, dass er nicht neuerlich das von ihm gezeigte Verhalten im Bundesgebiet setzen werde, und gewährleistet sei, dass keine Gefährdung der öffentlichen Ordnung in Österreich mehr hervorgerufen werde. Erst nach Ablauf der für das Aufenthaltsverbot vorgesehenen Gültigkeitsdauer von fünf Jahren könne erwartet werden, dass der Beschwerdeführer wieder bereit sein werde, die für den Zuzug und Aufenthalt von Fremden in Österreich geltenden gesetzlichen Bestimmungen einzuhalten. Hinsichtlich der "Anmeldebescheinigung vom 6.2.2007" werde auf § 10 Abs. 1 NAG verwiesen.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, nahm jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Mit am 1. Jänner 2007 wirksam gewordenen Beitritt Rumäniens zur Europäischen Union (Vertrag zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union und der Republik Bulgarien und Rumänien über den Beitritt der Republik Bulgarien und Rumäniens zur Europäischen Union vom 25. April 2005, Amtsblatt Nr. L 157 vom 21. Juni 2005, BGBl. III Nr. 185/2006) ist der Beschwerdeführer freizügigkeitsberechtigter EWR-Bürger geworden. Gegen ihn ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gemäß § 86 Abs. 1 erster bis vierter Satz FPG nur zulässig, wenn auf Grund seines persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Bei der Beurteilung der genannten Gefährdung kann auf den Katalog des § 60 Abs. 2 FPG als "Orientierungsmaßstab" zurückgegriffen werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 29. November 2006, 2006/18/0275).

2. Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Beweiswürdigung der belangten Behörde betreffend die Feststellungen, aus denen die belangte Behörde das Vorliegen einer Aufenthaltsehe zwischen ihm und Frau G. im Sinn des § 60 Abs. 2 Z. 9 FPG festgestellt hat. Indes stand für die belangte Behörde mit Rechtskraft des Urteils des Bezirksgerichts Josefstadt vom 16. Juni 2006, in dem festgestellt wurde, dass die Ehe nur zu dem Zweck geschlossen worden war, dem Fremden einen Aufenthaltstitel und eine Arbeitserlaubnis zu verschaffen, ohne dass dabei eine eheliche Lebensgemeinschaft begründet wurde, bindend fest, dass der Beschwerdeführer, der sich für die Erlangung eines Aufenthaltstitels auf die Ehe berufen hatte, mit seiner Ehefrau ein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK nie geführt hat (vgl. das hg. Erkenntnis vom 31. August 2004, Zl. 2004/21/0182).

3. Bei der Beurteilung, ob die oben genannte Annahme iSd § 86 Abs. 1 erster bis vierter Satz FPG gerechtfertigt sei, dürfen Änderungen in den Lebensumständen des Fremden, die gegen den Fortbestand einer Gefährdungsprognose sprechen, nicht ausgeklammert werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 23. November 2001, Zl. 2001/19/0019). Vom Beschwerdeführer, der nach Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides als Unionsbürger freizügigkeitsberechtigt geworden ist, ist jedenfalls nicht mehr zu befürchten, dass er eine Ehe schließt, ohne ein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK zu führen, um sich für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung auf diese Ehe zu berufen (vgl. die unrichtige Angaben von begünstigten Drittstaatsangehörigen gegenüber einer österreichischen Behörde betreffenden hg. Erkenntnisse vom 21. September 2000, Zl. 98/18/0050, vom 24. Juli 2002, Zl. 99/18/0089, und vom 30. Juni 2005, Zl. 2004/18/0152). Da die belangte Behörde dies verkannt hat und ihre Entscheidung, auch was die Interessenabwägung iSd § 66 FPG betrifft, u.a. mit der Gefahr begründet hat, dass der Beschwerdeführer (wieder) eine Aufenthaltsehe zwecks Erlangung aufenthaltsrechtlicher Vorteile schließen könnte, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit.

Inwieweit beim Beschwerdeführer in Anbetracht der Bestimmungen, die für eine im genannten Vertrag vorgesehene Übergangszeit den Zugang rumänischer Staatsangehöriger zum österreichischen Arbeitsmarkt einer Sonderregelung unterwerfen, die ihm u.a. auch einen Vorrang vor drittstaatsangehörigen Arbeitnehmern einräumt (vgl. Anhang VI Nr. 14 der Beitrittsakte), die Annahme iSd § 86 Abs. 1 erster bis vierter Satz FPG hinsichtlich der Gefahr der unerlaubten Ausübung einer Beschäftigung noch gerechtfertigt ist, kann ohne nähere Begründung bzw. ohne Berücksichtigung der konkreten Möglichkeiten des Beschwerdeführers, eine selbstständige oder unselbstständige Beschäftigung in Österreich aufzunehmen, nicht beurteilt werden. Bei der Interessenabwägung nach § 66 FPG wird jedenfalls zu berücksichtigen sein, dass dem Beschwerdeführer - im Gegensatz zu seiner Situation vor dem genannten Beitritt Rumäniens zur Europäischen Union - nunmehr ein Aufenthaltsrecht in Österreich zukommen könnte (vgl. insbesondere § 51 Z. 2 NAG), das seine persönlichen Interessen an einem Verbleib im Bundesgebiet beträchtlich stärkt.

4. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben. Dabei kann auf sich beruhen, ob die belangte Behörde in Anbetracht dessen, dass die Niederlassungsbehörde - möglicherweise in Kenntnis des hier gegenständlichen Sachverhalts - dem Beschwerdeführer am 6. Februar 2007 eine Anmeldebescheinigung iSd § 53 Abs. 1 NAG ausgestellt hat, ohne ein Verfahren iSd § 55 Abs. 1 NAG einzuleiten, befugt war, nachträglich ein Aufenthaltsverbot mit der in § 10 Abs. 1 NAG vorgesehenen Rechtsfolge zu verhängen.

5. Der Zuspruch von Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003. Wien, am 2. September 2008

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