VwGH 2007/11/0009

VwGH2007/11/000914.5.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Gall, Dr. Schick, Dr. Grünstäudl und Mag. Samm als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerde des P V in S, vertreten durch Winkler - Heinzle Rechtsanwaltspartnerschaft in 6900 Bregenz, Gerberstraße 4, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Vorarlberg vom 27. November 2006, Zl. UVS-411-028/E3-2006, betreffend Entziehung der Lenkberechtigung, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §64 Abs2;
AVG §66 Abs4;
FSG 1997 §24 Abs1 Z1;
FSG 1997 §25 Abs1;
FSG 1997 §25 Abs3;
VwGG §42 Abs2 Z1;
AVG §64 Abs2;
AVG §66 Abs4;
FSG 1997 §24 Abs1 Z1;
FSG 1997 §25 Abs1;
FSG 1997 §25 Abs3;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Bregenz vom 3. Februar 2006 wurde die Lenkberechtigung des Beschwerdeführers für die Dauer von drei Monaten, "gerechnet ab der Zustellung dieses Bescheides", entzogen. Als Rechtsgrundlage wurden § 24 Abs. 1 Z. 1, § 7 Abs. 1 und Abs. 3 Z. 5 sowie § 25 Abs. 3 FSG angeführt (Spruchpunkt I.). Unter Spruchpunkt II. wurde ausgesprochen, dass der Beschwerdeführer gemäß § 29 Abs. 3 FSG den Führerschein unverzüglich bei der Behörde abzuliefern habe. In der Begründung stellte die Erstbehörde fest, dass der Beschwerdeführer am 26. Mai 2005 ein bestimmtes Kraftfahrzeug an einem näher bezeichneten Ort gelenkt und dabei mit einem entgegenkommenden Pkw zusammengestoßen sei, wobei der gegnerische Lenker verletzt worden sei. Der Beschwerdeführer habe es sodann unterlassen, die erforderliche Hilfe zu leisten oder herbeizuholen, und sei von der Unfallstelle geflüchtet. Er habe sich erst drei Tage später bei der Behörde gemeldet. Nach dem Gutachten des Amtsarztes sei der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt des Unfalls diskretions- und dispositionsfähig gewesen. Durch sein Verhalten, konkret durch das Unterlassen der Hilfeleistung bzw. Nichtherbeiholung der erforderlichen Hilfe, habe der Beschwerdeführer eine Tatsache iSd § 7 Abs. 3 Z. 5 FSG verwirklicht. Dieses Verhalten sei verwerflich und begründe nach Auffassung der Erstbehörde die Verkehrsunzuverlässigkeit des Beschwerdeführers für die Dauer von drei Monaten. Gemäß § 29 Abs. 3 FSG habe der Beschwerdeführer daher nach Eintritt der Vollstreckbarkeit des Entziehungsbescheides den über die entzogene Lenkberechtigung ausgestellten Führerschein unverzüglich bei der Behörde abzuliefern. Dazu hielt die Erstbehörde in der Begründung fest, dass der in Rede stehende Bescheid vom 3. Februar 2006 "mit seiner Zustellung vollstreckbar" werde, weil dieser Bescheid unter Anwendung des § 57 AVG erlassen werde. In der Rechtsmittelbelehrung wies die Erstbehörde sodann auf die Möglichkeit hin, eine Berufung gegen den Bescheid zu erheben.

Der dagegen erhobenen Berufung des Beschwerdeführers gab die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid keine Folge und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid. In der Begründung stellte sie unter Hinweis auf die Ermittlungsergebnisse in der mündlichen Verhandlung fest, dass der Beschwerdeführer am 26. Mai 2005 in einem ursächlichen Zusammenhang mit einem Verkehrsunfall mit Personenschaden gestanden sei, aber weder die erforderliche Hilfe geleistet oder herbeigeholt habe, sondern die Unfallstelle vor dem Eintreffen der Gendarmeriebeamten verlassen habe. Der Beschwerdeführer sei deshalb mit Straferkenntnis der belangten Behörde vom 20. November 2006 (die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit hg. Erkenntnis vom 26. Jänner 2007, Zl. 2007/02/0013, abgewiesen) bestraft worden, wobei in diesem Straferkenntnis die Dispositions- bzw. Diskretionsfähigkeit des Beschwerdeführers zum Unfallzeitpunkt näher begründet worden sei.

In der rechtlichen Beurteilung gab die belangte Behörde die maßgebenden Rechtsvorschriften des FSG wieder und verwies auf § 25 Abs. 3 FSG, wonach bei der Entziehung wegen mangelnder Verkehrszuverlässigkeit eine Entziehungsdauer von mindestens drei Monaten festzusetzen sei. Im gegenständlichen Fall habe der Beschwerdeführer aufgrund des festgestellten Verhaltens eine bestimmte Tatsache im Sinne des § 7 Abs. 3 Z. 5 FSG verwirklicht. Es sei "sohin spruchgemäß zu entscheiden" gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, zu der die belangte Behörde die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet hat.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die im Beschwerdefall maßgebenden Bestimmungen des FSG lauten:

"Verkehrszuverlässigkeit

§ 7. (1) Als verkehrszuverlässig gilt eine Person, wenn nicht auf Grund erwiesener bestimmter Tatsachen (Abs. 3) und ihrer Wertung (Abs. 4) angenommen werden muss, dass sie wegen ihrer Sinnesart beim Lenken von Kraftfahrzeugen

1. die Verkehrssicherheit insbesondere durch rücksichtsloses Verhalten im Straßenverkehr oder durch Trunkenheit oder einen durch Suchtmittel oder durch Medikamente beeinträchtigten Zustand gefährden wird, oder

2. ...

(3) Als bestimmte Tatsache im Sinn des Abs. 1 hat insbesondere zu gelten, wenn jemand:

  1. 1. ...
  2. 5. es unterlassen hat, nach einem durch das Lenken eines Kraftfahrzeuges selbst verursachten Verkehrsunfall, bei dem eine Person verletzt wurde, sofort anzuhalten oder erforderliche Hilfe zu leisten oder herbeizuholen;

    ...

(4) Für die Wertung der in Abs. 1 genannten und in Abs. 3 beispielsweise angeführten Tatsachen sind deren Verwerflichkeit, die Gefährlichkeit der Verhältnisse, unter denen sie begangen wurden, die seither verstrichene Zeit und das Verhalten während dieser Zeit maßgebend, wobei bei den in Abs. 3 Z 14 und 15 genannten bestimmten Tatsachen die seither verstrichene Zeit und das Verhalten während dieser Zeit nicht zu berücksichtigen ist.

Allgemeines

§ 24. (1) Besitzern einer Lenkberechtigung, bei denen die Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkberechtigung (§ 3 Abs. 1 Z 2 bis 4) nicht mehr gegeben sind, ist von der Behörde entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit

  1. 1. die Lenkberechtigung zu entziehen oder
  2. 2. die Gültigkeit der Lenkberechtigung durch Auflagen, Befristungen oder zeitliche, örtliche oder sachliche Beschränkungen einzuschränken. Diesfalls ist gemäß §13 Abs.5 ein neuer Führerschein auszustellen.

    ...

    Dauer der Entziehung

§ 25. (1) Bei der Entziehung ist auch auszusprechen, für welchen Zeitraum die Lenkberechtigung entzogen wird. Dieser ist auf Grund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens festzusetzen. ...

(3) Bei einer Entziehung wegen mangelnder Verkehrszuverlässigkeit (§ 7) ist eine Entziehungsdauer von mindestens 3 Monaten festzusetzen. ...

Besondere Verfahrensbestimmungen für die Entziehung

§ 29. (1) ...

(3) Nach Eintritt der Vollstreckbarkeit des Entziehungsbescheides ist der über die entzogene Lenkberechtigung ausgestellte Führerschein, sofern er nicht bereits abgenommen wurde, unverzüglich der Behörde abzuliefern. ..."

Zunächst ist, was die Verwirklichung einer bestimmten Tatsache im Sinne des § 7 Abs. 3 FSG betrifft, darauf hinzuweisen, dass die belangte Behörde an das oben erwähnte, gegenüber dem Beschwerdeführer rechtskräftig erlassene Straferkenntnis vom 20. November 2006 wegen Übertretung des § 4 Abs. 2 StVO 1960 (dieser Tatbestand entspricht im Wesentlichen dem § 7 Abs. 3 Z 5 FSG) gebunden war. Daran vermag auch nichts zu ändern, dass, wie die Beschwerde einwendet, ein gerichtliches Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer wegen § 94 Abs. 1 StGB (Imstichlassen eines Verletzten) vom öffentlichen Ankläger nicht weiter verfolgt wurde.

Dennoch erweist sich der angefochtene Bescheid als inhaltlich rechtswidrig:

Wie dargestellt, hat die belangte Behörde - ohne eine Wertung des Verhaltens des Beschwerdeführers im Sinne des § 7 Abs. 4 FSG vorzunehmen (und ohne daher beispielsweise auf die seit der Tat am 26. Mai 2005 verstrichene Zeit Bedacht zu nehmen) - erkennbar die Auffassung vertreten, im gegenständlichen Fall sei auf Grund des § 25 Abs. 3 FSG eine Entziehung der Lenkberechtigung für die Dauer von zumindest drei Monaten anzuordnen. Damit verkennt die belangte Behörde den Inhalt der zuletzt genannten Bestimmung (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. März 2007, Zl. 2006/11/0273, auf dessen Entscheidungsgründe gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird).

Abgesehen davon ist im vorliegenden Fall aufgrund nachstehender Umstände der Beginn und damit auch das Ende der dreimonatigen Entziehungsdauer nicht mit hinreichender Deutlichkeit bestimmt (§ 25 Abs. 1 FSG), sodass dem Verwaltungsgerichtshof eine Überprüfung der von der Behörde angenommenen Dauer der Verkehrsunzuverlässigkeit des Beschwerdeführers (also der Dauer zwischen dem strafbaren Verhalten und dem Ende der Entziehung der Lenkberechtigung) nicht möglich ist:

Zwar hat die Erstbehörde im Spruch ihres (durch den angefochtenen Bescheid bestätigten) Bescheides vom 3. Februar 2006 den Beginn der dreimonatigen Entziehung der Lenkberechtigung mit der "Zustellung dieses Bescheides" bestimmt und in der Begründung zur Vollstreckbarkeit dieses Bescheides auf § 57 AVG verwiesen. Abgesehen von diesem Hinweis finden sich aber keine Anhaltspunkte dafür, dass der Erstbescheid tatsächlich als Mandatsbescheid erlassen worden wäre und ein dagegen erhobenes Rechtsmittel daher gemäß § 57 Abs. 2 AVG keine aufschiebende Wirkung hätte. Vielmehr ist im Hinblick auf die Umstände, dass dem erstinstanzlichen Bescheid nach der Aktenlage ein Ermittlungsverfahren vorangegangen ist, in seiner Begründung Ausführungen zum Vorliegen der Voraussetzungen für die Erlassung eines Mandatsbescheides im gegenständlichen Fall fehlen und schließlich in der Rechtsmittelbelehrung auf die Möglichkeit einer "Berufung" hingewiesen wurde, jedenfalls nicht unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass der Erstbescheid gemäß § 57 Abs. 1 AVG erlassen wurde (vgl. zum Ganzen das hg. Erkenntnis vom 17. Oktober 2006, Zl. 2006/11/0071). Daher ist, wie die Beschwerde zutreffend einwendet, nach diesem Erkenntnis und der dort zitierten Judikatur im Zweifel davon auszugehen, dass der Bescheid vom 3. Februar 2006 nicht als Bescheid im Sinne des § 57 AVG mit den daran geknüpften Konsequenzen erlassen worden ist.

Da die Behörde erster Instanz einer gegen den Bescheid vom 3. Februar 2006 erhobenen Berufung im Übrigen die aufschiebende Wirkung gemäß § 64 Abs. 2 AVG nicht aberkannt hat, kam der Berufung des Beschwerdeführers aufschiebende Wirkung zu. Obwohl daher im Spruch des erstinstanzlichen Bescheides die Entziehung der Lenkberechtigung "ab der Zustellung dieses Bescheides" für die Dauer von drei Monaten angeordnet wurde, war der Beginn der Entziehung durch die Berufung aufgeschoben. Die belangte Behörde hätte diese Unklarheit daher gemäß § 66 Abs. 4 AVG durch eine entsprechende Abänderung des erstinstanzlichen Spruches beseitigen müssen, um den Vorgaben des § 25 Abs. 1 erster Satz FSG zu entsprechen (vgl. in diesem Zusammenhang auch das hg. Erkenntnis vom 16. April 2009, Zl. 2009/11/0020). Aber selbst wenn mit dem angefochtenen Bescheid vom 27. November 2006 eine Entziehung der Lenkberechtigung ab dem Zeitpunkt der Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides (das war der 6. Februar 2006) für die Dauer von drei Monaten angeordnet werden sollte, so wäre dies rechtswidrig, weil damit die Entziehung im Hinblick auf das vorhin Gesagte für einen in der Vergangenheit liegenden Zeitraum ausgesprochen worden wäre (vgl. zur rückwirkenden Entziehung das hg. Erkenntnis vom 20. Februar 2001, Zl. 2000/11/0167).

Der angefochtene Bescheid erweist sich somit als inhaltlich rechtswidrig und war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Der Zuspruch der Kosten betrifft den Schriftsatzaufwand und beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 14. Mai 2009

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