VwGH 2007/01/1272

VwGH2007/01/127226.4.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Kleiser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Jäger, über die Beschwerde des A K I (geboren 1979) in Salzburg, vertreten durch Dr. Walter Eisl, Rechtsanwalt in 3300 Amstetten, Ardaggerstraße 14, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 14. November 2007, Zl. 230.831/0/14E-XV/54/02, betreffend §§ 7, 8 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres),

Normen

AsylG 1997 §8;
EMRK Art3;
AsylG 1997 §8;
EMRK Art3;

 

Spruch:

I. zu Recht erkannt:

Der angefochtene Bescheid wird insoweit, als damit die Refoulemententscheidung im Bescheid des Bundesasylamtes vom 6. August 2002 gemäß § 8 Asylgesetz 1997 bestätigt wurde, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

II. den Beschluss gefasst:

Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

Begründung

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Ghana und stellte am 8. Mai 2002 einen Antrag auf Gewährung von Asyl.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes (BAA) vom 6. August 2002 wurde dieser Asylantrag gemäß § 7 Asylgesetz 1997, BGBl. I Nr. 76 in der Fassung BGBl. I Nr. 126/2002 (AsylG), abgewiesen und gemäß § 8 AsylG festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Ghana zulässig ist.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde die Berufung des Beschwerdeführers gegen den genannten Bescheid des BAA gemäß den §§ 7, 8 AsylG abgewiesen.

Begründend stellte die belangte Behörde unter anderem fest, mit Befund des Landesklinikum Salzburg vom 1. August 2002 sei festgestellt worden, dass der Beschwerdeführer HIV-positiv sei. Weiters stellte die belangte Behörde (unter anderem) fest, im Rahmen der medizinischen Versorgung bestimme in Ghana weiterhin ganz überwiegend das sogenannte "cash and carry system" die Realität, was bedeute, dass Patienten in der Regel nur dann behandelt würden, wenn sie die medizinischen Leistungen - im Regelfall im Voraus - bezahlten. Der weitläufige gute Familienzusammenhalt gewähre in der Regel finanzielle und soziale Absicherung im Falle von Krankheit oder Notlagen. Aids-Ausbreitung wie auch das Auseinanderbrechen der Großfamilien in den Metropolen hebelten dieses traditionelle Sicherungssystem zunehmend aus. Internationale Schätzungen gingen von einer in Westafrika vergleichsweise geringen HIV-Infektionsrate von 4,6 % der Erwachsenen aus. Allerdings würden HIV-Tests nur selten und in der Regel nur dann durchgeführt, wenn bereits ein verdächtiges Krankheitsbild vorliege. HIV-Infizierte und Aids-Kranke seien innerhalb der ghanaischen Gesellschaft stigmatisiert und würden stark diskriminiert. Aids könne in Ghana mit einer Dreifachtherapie oder variabel behandelt werden. Die hiezu erforderlichen Medikamente seien in Ghana erhältlich. Seit 2003 nehme Ghana an dem Programm der WHO teil, das den verbilligten Bezug von HIV-Medikamenten ermögliche. In verschiedenen Projekten werde versucht, die Ausbreitung der Epidemie mit Schaffung der Ghana AIDS Commission und Einrichtung des National AIDS Control Programms sowie der begonnenen Einrichtung von 19 speziellen Gesundheitszentren landesweit Einhalt zu gebieten und Ansprechpartner für die Betroffenen sowie eine Zugangsmöglichkeit zu den antiretroviralen Medikamenten zu schaffen.

Sodann führte die belangte Behörde zur Refoulemententscheidung nach § 8 AsylG fallbezogen aus, es stehe zweifelsfrei fest, dass der Beschwerdeführer an AIDS leide und deshalb in Österreich medikamentös behandelt und in regelmäßigen Abständen untersucht werde. Sodann wiederholte die belangte Behörde die Feststellungen zu den Behandlungsmöglichkeiten von AIDS in Ghana und verwies auf näher bezeichnete Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR), wonach außergewöhnliche Umstände, welche nach Art. 3 EMRK einer Außerlandesschaffung eines Fremden entgegenstünden, lediglich bei einer tödlichen Krankheit im Endstadium (AIDS) ohne Aussicht auf medizinische Behandlung oder familiäre Unterstützung im Herkunftsstaat bejaht werde (insbesondere Verweis auf das Urteil des EGMR vom 2. Mai 1997, D gegen Vereinigtes Königreich). An dieser Beurteilung vermöge auch die "Stellungnahme" des Landesklinikums Salzburg vom 8. November 2007 nichts zu ändern, in welcher festgestellt werde, dass eine Abschiebung nach Ghana abzulehnen sei, da der Beschwerdeführer in Ghana nicht Zugang zu allen notwendigen Medikamenten hätte und eine Unterbrechung oder Änderung der derzeitigen antiretroviralen Therapie zu einer deutlichen Verschlechterung der derzeitigen Prognose führen würde. In diesem Zusammenhang hielt die belangte Behörde ausdrücklich fest, die Beurteilung der Zulässigkeit der Abschiebung unter dem Blickwinkel des Art. 3 EMRK stelle in erster Linie keine medizinische Frage dar und sollte daher auch nicht von einem Arzt beurteilt werden. Vielmehr ergebe sich auf Grund der aktuellen medizinischen Befunde kein Hinweis auf das Vorliegen von derart außergewöhnlichen Umständen, welche die Außerlandesbringung des Beschwerdeführers mit Art. 3 EMRK als unvereinbar erschienen ließen. Der Beschwerdeführer habe keinen Anspruch auf Verbleib in einem Vertragsstaat zur Inanspruchnahme oder Fortsetzung medizinischer Betreuung mittels staatlicher Unterstützung. Es werde auch darauf hingewiesen, dass es für die genannte Erkrankung in Ghana landesweit 19 Gesundheitszentren gebe, die auf die Behandlung von AIDS spezialisiert seien und auch über die entsprechenden Medikamente verfügten. Auf die Frage der Leistbarkeit komme es nach der Rechtsprechung des EGMR nicht an. Die belangte Behörde erachte daher die Frage der Behandlung AIDS-Kranker in Ghana auf Grundlage der näher bezeichneten unbedenklichen Quellen als ausreichend geklärt, sodass dem Antrag des Rechtsvertreters auf Einholung eines Sachverständigengutachtens keine Folge zu geben gewesen war.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der im Wesentlichen auf die der belangten Behörde vorliegenden medizinischen Unterlagen verwiesen und vorgebracht wird, dass "selbstredend" ein Arzt zu beurteilen habe, ob der Beschwerdeführer auf Grund einer Erkrankung an Aids in Ghana zumindest eine minimale reale Chance habe behandelt zu werden bzw. zu überleben oder nicht. Diese Frage sei wohl in erster Linie keine juristische, sondern eine medizinische.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt, jedoch keine Gegenschrift vorgelegt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Zu I.:

1. Zur Frage der Vereinbarung der Abschiebung kranker Personen in einen anderen Staat mit Art. 3 EMRK wird gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf die Entscheidungsgründe des hg. Erkenntnisses vom 23. September 2009, Zl. 2007/01/0515, verwiesen, in dem sich der Verwaltungsgerichtshof mit der insoweit maßgeblichen Rechtsprechung des EGMR auseinander gesetzt hat.

Wie der Verwaltungsgerichtshof im hg. Erkenntnis vom 31. März 2010, Zlen. 2008/01/0312 bis 0313, mit Verweis auf die hg. Erkenntnisse vom 10. Dezember 2009, Zl. 2008/19/0809, sowie vom 16. Dezember 2009, Zl. 2007/01/0918, ausgeführt hat, ist es eine von der belangten Behörde zu beurteilende Rechtsfrage, ob derartige nach Art. 3 EMRK zu berücksichtigende sehr außergewöhnliche Umstände ("very exceptional circumstances") vorliegen. Diese Beurteilung setzt aber nachvollziehbare Feststellungen über die Art der Erkrankung des Betroffenen und die zu erwartenden Auswirkungen auf den Gesundheitszustand im Falle einer (allenfalls medizinisch unterstützten) Abschiebung voraus.

2. Fallbezogen ist entscheidend, dass nach den der belangten Behörde vorliegenden - und vom Beschwerdeführer dem Verwaltungsgerichtshof nochmals vorgelegten - Ambulanzberichten beim Beschwerdeführer eine HIV-Infektion im Stadium C 3 nach CDC-Klassifikation, also bereits eine Erkrankung an AIDS vorliegt, was von der belangten Behörde auch festgestellt wird, wenn sie davon spricht, der Beschwerdeführer leide zweifelsfrei an AIDS. In den Ambulanzberichten wird von "massiv erniedrigten CD4 Helferzellzahlen" gesprochen, die "regelmäßige Einnahme der antiretroviralen Therapie" sei für den Beschwerdeführer "lebensnotwendig".

Der Fall D gegen Vereinigtes Königreich (vgl. das Urteil des EGMR vom 2. Mai 1997, Beschwerde Nr. 146/1996/767/964) war dadurch gekennzeichnet, dass der dortige Betroffene an einem "fortgeschrittenen Stadium einer HIV Infektion" ("advanced stage of HIV infection" - Randnr. 20) litt und seine Krankheit in einem Endstadium war ("the applicant's life was drawing to a close" - Randnr. 21 bzw "advanced stages of a terminal and incurable illness" - Randnr. 51). Andererseits sah der EGMR in einem Fall der Abschiebung eines zwar mit HIV infizierten, aber noch nicht an Aids erkrankten Betroffenen keine Verletzung des Art. 3 EMRK (vgl. das Urteil des EGMR vom 22. Juni 2004, Beschwerde Nr. 17.868/03, Ndangoya, auf welches auch der Verfassungsgerichtshof (VfGH) in seinem Erkenntnis vom 6. März 2008, B 2400/07, verweist).

Ausgehend von diesen besonderen Fallumständen fehlen im angefochtenen Bescheid nachvollziehbare, auf entsprechende sachverständige Ausführungen gestützte Feststellungen darüber, ob beim Beschwerdeführer von einer "Erkrankung im Endstadium" ausgegangen werden muss. Erst ausgehend von derartigen Feststellungen wird beurteilt werden können, ob in der obzitierten Rechtsprechung des EGMR angesprochene, very exceptional circumstances" vorliegen (vgl. auch hiezu das zitierte hg. Erkenntnis vom 31. März 2010, Zlen. 2008/01/0312 bis 0313).

3. Aus diesem Grund war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG in dem im Spruch angeführten Umfang wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil die begehrte Umsatzsteuer im zuerkannten Pauschalbetrag bereits enthalten ist.

Zu II.:

Gemäß Art. 131 Abs. 3 B-VG und § 33a VwGG kann der Verwaltungsgerichtshof die Behandlung einer Beschwerde gegen einen Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates durch Beschluss ablehnen, wenn die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen wird, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die Beschwerde wirft - soweit sie sich auf die Bestätigung der Abweisung des Asylantrages des Beschwerdeführers im angefochtenen Bescheid bezieht - keine für die Entscheidung dieses Falles maßgeblichen Rechtsfragen auf, denen im Sinne der zitierten Bestimmungen grundsätzliche Bedeutung zukäme. Gesichtspunkte, die dessen ungeachtet gegen eine Ablehnung der Beschwerdebehandlung in diesem Umfang sprechen würden, liegen nicht vor.

Der Verwaltungsgerichtshof hat daher beschlossen, die Behandlung der Beschwerde in diesem Umfang abzulehnen.

Wien, am 26. April 2010

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte