VwGH 2006/20/0176

VwGH2006/20/01769.9.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Händschke sowie die Hofrätin Dr. Pollak und den Hofrat Mag. Dr. Wurdinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hahnl, über die Beschwerde des G, vertreten durch Dr. Farhad Paya, Rechtsanwalt in 9020 Klagenfurt, Herrengasse 12/I, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 31. Mai 2006, Zl. 224.100/6-XII/05/06, betreffend § 68 Abs. 1 AVG und § 10 Asylgesetz 2005 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres),

Normen

AsylG 1997 §8 Abs2;
AsylG 2005 §10 Abs1 Z1;
AsylG 2005 §10 Abs1;
AsylG 2005 §10 Abs2 Z2;
EMRK Art8 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
AsylG 1997 §8 Abs2;
AsylG 2005 §10 Abs1 Z1;
AsylG 2005 §10 Abs1;
AsylG 2005 §10 Abs2 Z2;
EMRK Art8 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

I. zu Recht erkannt:

Der angefochtene Bescheid wird insoweit, als damit die Berufung des Beschwerdeführers gegen Spruchpunkt II. des erstinstanzlichen Bescheides (betreffend Ausweisung) gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 Asylgesetz 2005 abgewiesen wurde, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

II. den Beschluss gefasst:

Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

Begründung

Mit Spruchpunkt I. des erstinstanzlichen Bescheides des Bundesasylamtes vom 4. Mai 2006 wurde der Antrag des Beschwerdeführers, eines nigerianischen Staatsangehörigen, auf internationalen Schutz vom 18. April 2006 (richtig: 15. Februar 2006) gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Mit Spruchpunkt II. wurde der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Nigeria ausgewiesen.

Begründend führte das Bundesasylamt zur erstmals ausgesprochenen Ausweisung aus, es könne nicht festgestellt werden, ob der Beschwerdeführer in einer Lebensgemeinschaft lebe. In der Beweiswürdigung hielt es fest, möglicherweise bestehe eine Lebensgemeinschaft, jedoch - aus näher dargelegten Gründen - keine derartig innige und intensive Beziehung, welche "eine Interessenabwägung nach der EMRK" zu Gunsten des Beschwerdeführers ausfallen lasse. Der Beschwerdeführer verfüge über eine vom 21. Juli 2004 bis zum 20. Juli 2006 gültige Arbeitserlaubnis. Sein Aufenthaltstitel ("quotenfreie Erst-Niederlassungsbewilligung") sei "wegen Versagungsgründen nicht mehr verlängert bzw. von der zuständigen Fremdenbehörde der Antrag abgelehnt" worden. In der rechtlichen Beurteilung argumentierte das Bundesasylamt, der Beschwerdeführer sei geschieden, Angehörige seiner "Kernfamilie" würden nicht im Bundesgebiet leben und es liege kein Familienbezug "zu einem dauernd aufenthaltsberechtigten Fremden" in Österreich vor, sodass die Ausweisung "keinen Eingriff in Art. 8 EMRK" darstelle. Der Beschwerdeführer sei erwerbstätig gewesen. Die Ausweisung würde nicht "unzulässigerweise" in sein Privatleben eingreifen. Die Ausweisung sei geboten, weil "der Aufenthalt im Bundesgebiet als rechtswidrig und die Übertretung als von nicht unerheblicher Bedeutung zu werten" sei.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 68 Abs. 1 AVG und § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 ab. Die belangte Behörde schloss sich in der Begründung der Ausweisungsentscheidung der Beurteilung des Bundesasylamtes an.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

zu I.:

1. Bezüglich der Ausweisung rügt der Beschwerdeführer unterlassene Erhebungen und die fehlende Interessenabwägung gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK zu seinem Privat- und Familienleben und bringt - wie schon in der Berufung - vor, er habe seit längerer Zeit eine Beziehung zu einer namentlich genannten österreichischen Staatsbürgerin, mit der er seit zwei Monaten auch im gemeinsamen Haushalt lebe. Zudem halte er sich bereits seit fast fünf Jahren in Österreich auf, sei sowohl beruflich als auch privat integriert und unbescholten, verfüge über eine Arbeitserlaubnis, sei in einem Schlachthof beschäftigt und beherrsche die deutsche Sprache.

Diesem Vorbringen kommt jedenfalls hinsichtlich des Eingriffes in das Recht auf Privatleben im Ergebnis Berechtigung zu.

2. Zur Ausweisung des Beschwerdeführers gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005:

Gemäß § 10 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 sind Ausweisungen nach Abs. 1 leg. cit. unzulässig, wenn diese eine Verletzung von Art. 8 EMRK darstellen würden. Das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens erfordert gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffs und verlangt somit eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 20. Juni 2008, Zl. 2008/01/0060, mwN).

In dem - zu einer Ausweisung nach dem Asylgesetz 2005 - ergangenen Erkenntnis vom 29. September 2007, B 1150/07, führt der Verfassungsgerichtshof aus, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) habe fallbezogen unterschiedliche Kriterien herausgearbeitet, die bei einer solchen Interessenabwägung zu beachten sind und als Ergebnis einer Gesamtbetrachtung dazu führen können, dass Art. 8 EMRK einer Ausweisung entgegensteht. Hierbei nennt der Verfassungsgerichtshof - jeweils mit Hinweisen auf Rechtsprechung des EGMR - die Aufenthaltsdauer, die vom EGMR an keine fixen zeitlichen Vorgaben geknüpft werde, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens und dessen Intensität, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, den Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert, die Bindungen zum Heimatstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, aber auch Verstöße gegen das Einwanderungsrecht und Erfordernisse der öffentlichen Ordnung. Letztlich hebt der Verfassungsgerichtshof hervor, dass auch die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, bei der Abwägung in Betracht zu ziehen sei.

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich dieser Rechtsprechung angeschlossen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 23. September 2009, Zlen. 2006/01/0954 bis 0956, mit Hinweisen auf die Vorjudikatur, vom 21. Jänner 2010, Zl. 2008/01/0637, und zuletzt vom 21. Juni 2010, Zl. 2006/19/0451).

Im vorliegenden Fall hat die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid auf die Begründung des erstinstanzlichen Bescheides verwiesen und diese zum Inhalt des angefochtenen Bescheides erhoben. Im erstinstanzlichen Bescheid wurden zu den für die Frage der Ausweisung des Beschwerdeführers fallbezogen in Betracht kommenden Kriterien keine ausreichenden Feststellungen getroffen bzw. die erforderliche Interessenabwägung nicht vorgenommen. Die Annahme im erstinstanzlichen Bescheid, durch die Ausweisung werde nicht "unzulässigerweise" in das Privatleben des Beschwerdeführers eingegriffen, berücksichtigt weder die aufrechte - wenn auch befristete - Arbeitserlaubnis, die in der Beweiswürdigung erwähnt wird, noch die festgestellte Erwerbstätigkeit des Beschwerdeführers und lässt auch den knapp fünfjährigen Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich unberücksichtigt (vgl. dazu das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 3. September 2009, U 61/09; vgl. auch das hg. Erkenntnis vom 28. April 2010, Zl. 2008/19/0979). Zur Beurteilung der Integration des Beschwerdeführers, der am 26. Juni 2001 als Minderjähriger in das Bundesgebiet einreiste, fehlen ansonsten jegliche Feststellungen.

Auf Grund der von der belangten Behörde gewählten "Verweistechnik" schlägt diese Fehlerhaftigkeit auf den angefochtenen Bescheid durch, sodass sich die darauf gestützte Begründung der belangten Behörde insoweit einer nachprüfenden Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof entzieht (vgl. das bereits zitierte hg. Erkenntnis vom 21. Jänner 2008, Zl. 2008/01/0637, mwN).

Anzumerken ist, dass der Beschwerdeführer mittlerweile seine österreichische Lebensgefährtin geheiratet hat. Auf diesen - nach Erlassung des angefochtenen Bescheides eingetretenen - Umstand wird im fortzusetzenden Verfahren Bedacht zu nehmen sein.

Die belangte Behörde hat den angefochtenen Bescheid aus den vorstehend genannten Gründen in Bezug auf die bestätigte erstinstanzliche Ausweisungsentscheidung mit Begründungsmängeln behaftet, sodass er in diesem Umfang wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben war.

3. Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

zu II.:

Gemäß Art. 131 Abs. 3 B-VG und § 33a VwGG kann der Verwaltungsgerichtshof die Behandlung einer Beschwerde gegen einen Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates durch Beschluss ablehnen, wenn die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen wird, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die Beschwerde wirft - soweit sie sich auf den mit dem angefochtenen Bescheid bestätigten Spruchpunkt I. des erstinstanzlichen Bescheides bezieht - keine für die Entscheidung dieses Falles maßgeblichen Rechtsfragen auf, denen im Sinne der zitierten Bestimmungen grundsätzliche Bedeutung zukäme. Gesichtspunkte, die dessen ungeachtet gegen eine Ablehnung der Beschwerdebehandlung sprechen würden, liegen nicht vor.

Der Verwaltungsgerichtshof hat daher beschlossen, die Behandlung der Beschwerde im Übrigen abzulehnen.

Wien, am 9. September 2010

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