VwGH 2008/01/0637

VwGH2008/01/063721.1.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Kleiser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Jäger, über die Beschwerden der 1. H X, geboren 1970, 2. mj. J auch J R X, geboren 2004, beide in W, beide vertreten durch Dr. Romana Zeh-Gindl, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Franz Josefs-Kai 5/10, gegen die Bescheide des unabhängigen Bundesasylsenates vom 1.) 1. Februar 2007, Zl. 307.891-C1/3E-XIV/39/06, 2.) 2. Februar 2007, Zl. 307.892-C1/2E-XIV/39/06, betreffend §§ 7, 8 Abs. 1 und 2 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres),

Normen

AsylG 1997 §8 Abs2;
EMRK Art8 Abs2;
AsylG 1997 §8 Abs2;
EMRK Art8 Abs2;

 

Spruch:

I. zu Recht erkannt:

Die angefochtenen Bescheide werden in dem Umfang, als damit die Berufung gegen die Ausweisung der Erstbeschwerdeführerin "aus dem österreichischen Bundesgebiet nach VR China" bzw. die Ausweisung der Zweitbeschwerdeführerin "aus dem österreichischen Bundesgebiet" (jeweils Spruchpunkt III. der erstinstanzlichen Bescheide) abgewiesen wurden, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat den Beschwerdeführerinnen Aufwendungen in der Höhe von je EUR 1.106,40, sohin insgesamt EUR 2.212,80, binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

II. den Beschluss gefasst:

Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerden abgelehnt.

Begründung

Die Beschwerdeführerinnen sind Staatsangehörige der Volksrepublik China. Die Erstbeschwerdeführerin reiste (zu einem nicht näher feststehenden Zeitpunkt) im Jahr 1999 in das Bundesgebiet ein. Am 12. Jänner 2004 wurde ihre Tochter, die Zweitbeschwerdeführerin, in Österreich geboren. Am 5. Juli 2005 beantragte die Erstbeschwerdeführerin für sich und für die Zweitbeschwerdeführerin Asyl.

Mit Bescheiden des Bundesasylamtes je vom 16. November 2006 wurden die Asylanträge der Beschwerdeführerinnen gemäß § 7 Asylgesetz 1997 idF der Novelle BGBl. I Nr. 101/2003 (AsylG) abgewiesen (Spruchpunkt I.), gemäß § 8 Abs. 1 AsylG festgestellt, dass ihre Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung "nach VR China" zulässig ist (Spruchpunkt II.) und gemäß § 8 Abs. 2 AsylG die Erstbeschwerdeführerin "aus dem österreichischen Bundesgebiet nach VR China" bzw. die Zweitbeschwerdeführerin "aus dem österreichischen Bundesgebiet" ausgewiesen (Spruchpunkt III.).

Mit den angefochtenen Bescheiden der belangten Behörde wurden die dagegen erhobenen Berufungen der Beschwerdeführerinnen "gemäß §§ 7, 8 AsylG" abgewiesen.

Gegen diese Bescheide richten sich die vorliegenden

Beschwerden, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Zu I.:

1. Ausgehend von den im hg. Erkenntnis vom 26. Juni 2007, Zl. 2007/01/0479, mit Hinweis auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes (VfGH) vom 17. März 2005, G 78/04 ua. = VfSlg. 17.516, dargestellten Rechtsgrundsätzen haben die Asylbehörden gemäß § 8 Abs. 2 AsylG ihre den Asylantrag abweisende und Refoulementschutz verneinende Entscheidung im Regelfall mit einer Ausweisung des Asylwerbers in den Herkunftsstaat zu verbinden.

Eine Ausweisung hat jedoch nicht zu erfolgen, wenn dadurch in unzulässiger Weise in die grundrechtliche Position des Asylwerbers eingegriffen wird. Dabei ist auf das Recht auf Achtung seines Privat- und Familienlebens nach Art. 8 EMRK Bedacht zu nehmen. In diesem Zusammenhang erfordert Art. 8 Abs. 2 EMRK eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffs und verlangt somit eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen (vgl. auch hiezu das zitierte hg. Erkenntnis vom 26. Juni 2007, Zl. 2007/01/0479, mwN).

In dem - zu einer Ausweisung nach dem Asylgesetz 2005 - ergangenen Erkenntnis vom 29. September 2007, B 1150/07 = VfSlg. 18.224, führte der VfGH aus, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) habe fallbezogen unterschiedliche Kriterien herausgearbeitet, die bei einer solchen Interessenabwägung zu beachten sind und als Ergebnis einer Gesamtbetrachtung dazu führen können, dass Art. 8 EMRK einer Ausweisung entgegensteht. Hiebei nennt der VfGH - jeweils mit Hinweisen auf Rechtsprechung des EGMR - die Aufenthaltsdauer, die vom EGMR an keine fixen zeitlichen Vorgaben geknüpft werde, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens und dessen Intensität, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, den Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert, die Bindungen zum Heimatstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, aber auch Verstöße gegen das Einwanderungsrecht und Erfordernisse der öffentlichen Ordnung. Letztlich hebt der VfGH hervor, dass auch die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, bei der Abwägung in Betracht zu ziehen sei.

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich dieser Rechtsprechung angeschlossen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 23. September 2009, Zlen. 2006/01/0954 bis 0956, mit Hinweisen auf die Vorjudikatur).

In den vorliegenden Fällen hat die belangte Behörde zu den für die Frage der Ausweisung der Beschwerdeführerinnen fallbezogen in Betracht kommenden Kriterien keine eigenständigen Feststellungen getroffen bzw. die erforderlichen Interessenabwägungen nicht vorgenommen.

Die im erstangefochtenen Bescheid zum Ausdruck gebrachte Annahme, es hätten sich keine "konkreten und substanziierten" Anhaltspunkte ergeben, die gegen die Ausweisung sprechen würden, erweist sich schon angesichts des im Zeitpunkt der Bescheiderlassung mehr als siebenjährigen Aufenthalts der Erstbeschwerdeführerin in Österreich - davon die letzten drei Jahre im Familienverband mit der Zweitbeschwerdeführerin - als unberechtigt.

Im Übrigen hat die belangte Behörde im erstangefochtenen Bescheid lediglich auf die "Ausführungen" des erstinstanzlichen Bescheides verwiesen und diese zum Inhalt des erstangefochtenen Bescheides erhoben. Dem erstinstanzlichen Bescheid mangelt es jedoch zur Frage der Ausweisung der Erstbeschwerdeführerin ebenso an den erforderlichen Feststellungen.

Auf Grund der von der belangten Behörde gewählten "Verweistechnik" schlägt diese Fehlerhaftigkeit auf den erstangefochtenen Bescheid durch (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 11. November 2008, Zl. 2008/23/1253), sodass sich die darauf gestützte Begründung der belangten Behörde insoweit einer nachprüfenden Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof entzieht (vgl. das hg. Erkenntnis vom 3. Dezember 2008, Zl. 2008/19/0990).

In der Begründung des zweitangefochtenen Bescheides finden sich zur Ausweisung der Zweitbeschwerdeführerin keine gesonderten Erwägungen.

2. Die angefochtenen Bescheide sind demnach im angeführten Umfang einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof nicht zugänglich.

Die belangte Behörde hat die angefochtenen Bescheide insofern mit Begründungsmängeln behaftet, sodass sie in diesem Umfang wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben waren.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455, insbesondere deren § 3 Abs. 2.

Zu II.:

Gemäß Art. 131 Abs. 3 B-VG und § 33a VwGG kann der Verwaltungsgerichtshof die Behandlung einer Beschwerde gegen einen Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates durch Beschluss ablehnen, wenn die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen wird, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die Beschwerden werfen - soweit sie sich auf die Abweisung der gegen die erstinstanzlichen Bescheide erhobenen Berufung zum Asyl- und Refoulementteil (Spruchpunkte I. und II.) beziehen - keine für die Entscheidung dieser Fälle maßgeblichen Rechtsfragen auf, denen im Sinne der zitierten Bestimmungen grundsätzliche Bedeutung zukäme. Gesichtspunkte, die dessen ungeachtet gegen eine Ablehnung der Beschwerden sprechen würden, liegen nicht vor.

Der Verwaltungsgerichtshof hat daher beschlossen, die Behandlung der Beschwerden in diesem Umfang abzulehnen.

Wien, am 21. Jänner 2010

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