Normen
AsylG 1997 §24b Abs1;
AsylG 1997 §28;
AsylG 1997 §32 Abs1;
AsylG 1997 §5 Abs1;
AsylG 1997 §5a Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
AsylG 1997 §24b Abs1;
AsylG 1997 §28;
AsylG 1997 §32 Abs1;
AsylG 1997 §5 Abs1;
AsylG 1997 §5a Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Armeniens, gelangte am 11. Juli 2005 in das Bundesgebiet und beantragte Asyl. Nach seiner Einvernahme am 14. Juli 2005 und am 19. Juli 2005 wies das Bundesasylamt den Asylantrag mit Bescheid vom 20. Juli 2005 gemäß § 5 Abs. 1 des Asylgesetzes 1997 in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 101/2003 (AsylG) als unzulässig zurück. Es stellte fest, für die Prüfung des Asylantrages sei Schweden zuständig, und wies den Beschwerdeführer gemäß § 5a AsylG dorthin aus.
In seiner Berufung gegen diesen Bescheid machte der Beschwerdeführer geltend, die fluchtauslösenden Ereignisse hätten in seinem Fall eine entscheidende Rolle gespielt, weil im Falle ihrer Berücksichtigung das Verfahren jedenfalls zuzulassen gewesen wäre. Der Beschwerdeführer sei vor seiner Flucht mehrfach schwerst misshandelt worden. Er sei mit einer Flasche auf den Kopf geschlagen worden und auf seiner Haut seien Zigaretten ausgedrückt worden, was einer Folter gleichkomme. Ermittlungen in Richtung von Anzeichen einer Traumatisierung oder Folter seien in erster Instanz vollständig unterlassen worden. Da auch die Fragen an den Beschwerdeführer nicht geeignet gewesen seien, ihn zu einem entsprechenden Vorbringen zu manuduzieren, sei das Ermittlungsverfahren mangelhaft gewesen. Das Vorbringen in der Berufung sei daher gemäß § 32 Abs. 1 Z 2 AsylG zulässig.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 5 Abs. 1 in Verbindung mit § 5a Abs. 1 AsylG ab.
Sie stützte dies im Wesentlichen auf folgende Erwägungen:
"Das Bundesasylamt hat gleich zu Beginn der Einvernahme vom 14.7.2005 den Asylwerber ausdrücklich danach gefragt, ob er sich wohl fühle, sich körperlich und geistig in der Lage fühle, die Einvernahme zu absolvieren. Laut Protokoll vom 14.7.2005, welches vom Asylwerber unterschrieben wurde - und zwar jede Seite des Protokolls - erklärte der Asylwerber ausdrücklich, er sei in der Lage, sich auf die Vergangenheit zu konzentrieren und die gestellten Fragen wahrheitsgemäß zu beantworten.
Der Asylwerber wurde auch bei der niederschriftlichen Einvernahme am 19.7.2005 in Anwesenheit des Rechtsberaters ausdrücklich gefragt 'Fühlen Sie sich psychisch und physisch in der Lage, die Befragung zu absolvieren?' und antwortete ausdrücklich 'Ja'. Dem Asylwerber wurde auch am Ende der niederschriftlichen Einvernahme vom 19.7.2005 ausdrücklich die Gelegenheit eingeräumt, 'Korrekturen, Ergänzungen oder Richtigstellungen vorzunehmen, Einwendungen anzubringen oder gegebenenfalls rückzufragen.'
Mit keinem Wort erwähnte der Asylwerber eine in Richtung § 24b AsylG gehende Traumatisierung. Aufgrund der detaillierten Angaben des Asylwerbers in beiden Einvernahmen sowie der Angaben zu Beginn der jeweiligen Einvernahme, sich entsprechend wohl zu fühlen, hat das Bundesasylamt zu Recht keinerlei Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Traumatisierung iSd § 24b AsylG angenommen. Da die entsprechende Rüge in der Berufungsschrift also nicht der Aktenlage entspricht erweist sich das neue Berufungsvorbringen gemäß § 32 Abs. 1 AsylG als unzulässig.
Der Asylwerber wurde auch entgegen den Berufungsausführungen nach Befragung zum Reiseweg ausdrücklich zu seinen Ausreisegründen befragt: 'Nennen Sie kurz zusammengefasst die Gründe, warum Sie Ihr Heimatland verlassen und in Österreich um Asyl ansuchen?'
Da der entscheidungswesentliche Sachverhalt aus der Aktenlage im Zusammenhalt mit der Berufung geklärt war, war von der Durchführung einer Verhandlung Abstand zu nehmen. In diesem Sinne war die Berufung zu verwerfen und spruchgemäß zu entscheiden."
Am 21. September 2005 wurde der Beschwerdeführer - schon nach Bewilligung der Verfahrenshilfe für die vorliegende Beschwerde durch den Verwaltungsgerichtshof - nach Schweden überstellt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Die Zuständigkeit Schwedens nach der Dublin-Verordnung steht im Beschwerdefall außer Streit. Auch Gesichtspunkte des Art. 3 EMRK oder des Art. 8 EMRK werden nicht geltend gemacht.
Strittig ist nur, ob das Verfahren in Österreich - ungeachtet der Zuständigkeit Schwedens nach der Dublin-Verordnung - gemäß § 24b Abs. 1 AsylG zuzulassen gewesen wäre. Diese Bestimmung lautete, soweit hier wesentlich:
"Ergeben sich in der Ersteinvernahme oder einer weiteren Einvernahme im Zulassungsverfahren (§ 24a) medizinisch belegbare Tatsachen, die die Annahme rechtfertigen, dass der Asylwerber Opfer von Folter oder durch die Geschehnisse in Zusammenhang mit dem die Flucht auslösenden Ereignis traumatisiert sein könnte, ist das Verfahren zuzulassen und der Asylwerber kann einer Betreuungseinrichtung zugewiesen werden."
Die belangte Behörde hat die in der Berufung erhobenen Behauptungen über erlittene Folter (nicht, wie die belangte Behörde offenbar angenommen hat, Traumatisierung) keiner näheren Prüfung unterzogen. Entscheidend ist daher, ob sie sich über dieses Vorbringen in der zuvor beschriebenen Weise - nämlich mit dem Hinweis auf § 32 Abs. 1 AsylG - hinwegsetzen durfte.
Hiezu kann gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf das hg. Erkenntnis vom 27. September 2005, Zl. 2005/01/0313, und daran anknüpfend an die Erkenntnisse vom 17. Oktober 2006, Zl. 2005/20/0012, vom 27. Februar 2007, Zl. 2006/01/0919, und vom 26. März 2007, Zl. 2007/01/0074, verwiesen werden. Für die Heranziehung des Neuerungsverbotes gemäß § 32 Abs. 1 AsylG bedarf es danach bei verfassungskonformer Auslegung jeweils der Prüfung, ob es sich um Vorbringen handelt, mit dem der Asylwerber das Verfahren missbräuchlich zu verlängern versucht. Für die Geltendmachung von Voraussetzungen des § 24b Abs. 1 AsylG in der Berufung ist in diesem Zusammenhang - wenngleich mit Blickrichtung vor allem auf Fälle der Traumatisierung - auch auf die Erkenntnisse vom 17. April 2007, Zl. 2006/19/0675 und Zlen. 2006/19/0163 bis 0166, zu verweisen.
Dem gegenüber hat die belangte Behörde nur dem in der Berufung vorgebrachten Argument, das neue Vorbringen sei gemäß der ausdrücklichen Anordnung in § 32 Abs. 1 Z 2 AsylG wegen der Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens zulässig, Beachtung geschenkt. Zu ihren diesbezüglichen Ausführungen ist gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf die hg. Erkenntnisse vom 17. April 2007, Zl. 2006/19/0919, vom 30. Mai 2007, Zlen. 2006/19/0433 bis 0436, und vom 20. Juni 2007, Zl. 2006/19/0018, zu verweisen. Der das Asylverfahren beherrschende Grundsatz der Amtswegigkeit der Ermittlungen (§ 28 AsylG) findet danach auch im hier gegebenen Zusammenhang Anwendung. Gemäß § 28 AsylG hat die Behörde in allen Stadien des Verfahrens u.a. darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht und lückenhafte Angaben vervollständigt werden.
Davon ausgehend erweist sich die in der Berufung geübte Kritik am erstinstanzlichen Verfahren - entgegen der von der belangten Behörde vertretenen Auffassung - als berechtigt. Dem Beschwerdeführer wurde bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt vorgehalten, dass "am 1.5.2004 eine Novelle zum Asylgesetz in Kraft getreten ist und zehn neue Mitgliedstaaten der Europäischen Union beigetreten sind". "Wegen der Zuständigkeitsbestimmungen der Europäischen Union" werde "zunächst nur die Frage der Zuständigkeit Österreichs geprüft" Würde sich "die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union" ergeben, so würde dies für den Beschwerdeführer bedeuten, dass er "in diesen anderen Mitgliedstaat überstellt" werden würde, und seine "Fluchtgründe" würden "in Österreich vorerst nicht geprüft".
Dass die Einvernahme auch der Klärung der Frage diene, ob das Asylverfahren trotz Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates aus einem der in § 24b Abs. 1 AsylG genannten Gründe zuzulassen sei, sodass der Beschwerdeführer sich etwa dazu äußern sollte, auf welche Weise er vor seiner Flucht gegebenenfalls misshandelt wurde, konnte dem nicht entnommen werden. Daran änderte auch der Umstand nichts, dass er im weiteren Verlauf der Einvernahme um eine "kurz zusammengefasste" Angabe der Gründe für seinen Antrag ersucht wurde. Wenn er daraufhin in einer auf viereinhalb Zeilen beschränkten Äußerung von einer Entführung seiner Schwester, seiner eigenen Verwicklung in eine "Auseinandersetzung" und "diesem Totschlag" sprach, ohne dass dies zu klärenden Nachfragen führte, so bedeutete Letzteres in Bezug auf die Voraussetzungen des § 24b Abs. 1 AsylG eine Mangelhaftigkeit der in der Berufung geltend gemachten Art. Schließlich war auch der nachfolgenden Entscheidung des Bundesasylamtes an keiner Stelle entnehmbar, dass die Voraussetzungen der erwähnten Gesetzesstelle, unter denen der Asylantrag zuzulassen gewesen wäre, geprüft worden waren. Der Bescheid enthielt darüber keine Feststellungen und § 24b Abs. 1 AsylG kam in der Darstellung des anzuwendenden "nationalen Rechts" nicht vor.
Bei dieser Sachlage hätte die belangte Behörde auf das Berufungsvorbringen inhaltlich eingehen müssen. Da sie dies nicht erkannt hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 30. August 2007
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