VwGH 2006/19/0393

VwGH2006/19/039325.4.2006

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Nowakowski und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Trefil, über die Beschwerden der Bundesministerin für Inneres gegen die Bescheide des unabhängigen Bundesasylsenates vom 10. März 2005, 1. Zl. 258.319/1-X/24/05, 2. Zl. 258.277/1-X/24/05 und 3. Zl. 258.278/1-X/24/05, jeweils betreffend Aufhebung eines einen Wiedereinsetzungsantrag in einer Asylsache abweisenden Bescheides gemäß § 66 Abs. 2 AVG (mitbeteiligte Parteien: 1. S, geboren 1987, 2. S, geboren 1989, 3. M, geboren 1968, alle in S), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §37;
AVG §45 Abs2;
AVG §45 Abs3;
AVG §47;
AVG §66 Abs2;
AVG §66 Abs4;
AVG §37;
AVG §45 Abs2;
AVG §45 Abs3;
AVG §47;
AVG §66 Abs2;
AVG §66 Abs4;

 

Spruch:

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Die Drittmitbeteiligte, eine russische Staatsangehörige aus Tschetschenien, und ihre Söhne, der Erst- und der Zweitmitbeteiligte, reisten im Juli 2003 in das Bundesgebiet ein und beantragten Asyl.

Mit Bescheid vom 5. November 2004 wies das Bundesasylamt den Asylantrag der Drittmitbeteiligten gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab, erklärte ihre Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Russland gemäß § 8 Abs. 1 AsylG für zulässig und wies sie gemäß § 8 Abs. 2 AsylG "aus dem österreichischen Bundesgebiet" aus. Mit zwei weiteren Bescheiden vom selben Tag wurden die Erstreckungsanträge des Erst- und des Zweitmitbeteiligten gemäß §§ 10 und 11 AsylG abgewiesen.

Alle drei Bescheide wurden - mit Rücksicht darauf, dass beide Söhne der Drittmitbeteiligten zu diesem Zeitpunkt noch minderjährig waren - in einem gemeinsamen, an die Drittmitbeteiligte adressierten RSa-Brief abgefertigt. Nach dem Inhalt des über die Zustellung dieses Briefes vorliegenden Rückscheins fanden am 9. und 10. November 2004 jeweils Zustellversuche an der Wohnadresse der Mitbeteiligten statt, wobei beim ersten Zustellversuch die Ankündigung des zweiten Zustellversuches "in den Briefkasten eingelegt" und beim zweiten Zustellversuch die Verständigung über die Hinterlegung "in den Briefeinwurf eingelegt" worden sei (Ankreuzung unterschiedlicher Felder im Rückschein). Danach sei die Sendung mit Beginn der Abholfrist am 11. November 2004 beim Postamt 3100 (St. Pölten) hinterlegt worden. Am 7. Dezember 2004 langte sie unbehoben wieder beim Bundesasylamt ein.

Mit Schriftsatz vom 26. Jänner 2005 stellte die Drittmitbeteiligte im eigenen und im Namen ihrer beiden Söhne "I.) einen Antrag auf ordnungsgemäße Zustellung" sowie "in eventu II.)" einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, den sie "III.) in weiterer Folge" mit einer Berufung verband. In getrennten Begründungen der zu I.) und II.) gestellten Anträge legte sie zunächst näher dar, dass die Hinterlegung nicht wirksam erfolgt sei, wozu sie ihre eigene und die Einvernahme des zuständigen Postbeamten beantragte ("Ad I."). Zum Wiedereinsetzungsantrag führte sie im Wesentlichen aus, der Inhalt der Bescheide sei ihr bisher nicht bekannt gewesen ("in eventu: Ad II."). Schließlich erstattete sie ein mit Berufungsanträgen verbundenes Berufungsvorbringen ("Ad III."). Das Berufungsvorbringen ergänzte sie noch in einem weiteren Schriftsatz vom 1. Februar 2005.

Mit drei Bescheiden vom 7. und 10. Februar 2005 wies das Bundesasylamt jeweils in Spruchpunkt I. den Antrag auf Wiedereinsetzung gemäß § 71 Abs. 1 Z 1 AVG ab. In Spruchpunkt II. wurde dem Wiedereinsetzungsantrag jeweils die aufschiebende Wirkung zuerkannt. Diese Bescheide wurden in getrennten RSa-Briefen abgefertigt und am 14. Februar 2005 von der Drittmitbeteiligten (für sich selbst und den Zweitmitbeteiligten) sowie vom Erstmitbeteiligten, der gerade das 18. Lebensjahr vollendet hatte, an der gemeinsamen Abgabestelle übernommen. Ihren im Wesentlichen gleich lautenden Begründungen war in der Darstellung des Sachverhaltes gemeinsam, dass "mit Eingabe vom 26.01.2005" ein "Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand"

gestellt und dieser u.a. mit den wörtlich wiedergegebenen Ausführungen "Ad I." (die sich in Wahrheit auf den Antrag auf Zustellung bezogen) begründet worden sei.

Mit den angefochtenen Bescheiden behob die belangte Behörde in Erledigung der Berufungen jeweils gegen den den Wiedereinsetzungsantrag abweisenden Spruchpunkt diese Spruchpunkte gemäß § 66 Abs. 2 AVG und verwies die Angelegenheit jeweils zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurück. Die belangte Behörde begründete dies im Wesentlichen damit, dass die die Zustellung der Bescheide vom 5. November 2004 betreffenden Behauptungen der mitbeteiligten Parteien auch für die Entscheidung über die Wiedereinsetzung von Bedeutung seien und das Bundesasylamt ungeachtet der dazu beantragten Beweise keinerlei Ermittlungsschritte gesetzt habe.

Dagegen richten sich die vorliegenden Amtsbeschwerden der Bundesministerin für Inneres, in denen jeweils geltend gemacht wird, das Vorbringen der mitbeteiligten Parteien habe "sinngemäß die Anschuldigung eines Amtsmissbrauch(es) bzw. der Fälschung einer öffentlichen Urkunde durch das Zustellorgan beinhaltet". Wenn die belangte Behörde meine, das Bundesasylamt hätte "eine mündliche Verhandlung durchzuführen gehabt und dabei das Zustellorgan den Fragen und Anschuldigungen der (Drittmitbeteiligten) auszusetzen gehabt", so beachte sie zu wenig "die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur Beweiskraft öffentlicher Urkunden. Es ist zudem ausschließlich Aufgabe der Gerichtsbarkeit, strafrechtlichen Beschuldigungen gegen einzelne nachzugehen, diese abzuklären und gegebenenfalls zu ahnden."

Darüber hinaus enthalten die Amtsbeschwerden - ohne Auseinandersetzung mit dem hg. Erkenntnis vom 21. November 2002, Zl. 2002/20/0315, auf das sich die belangte Behörde in den angefochtenen Bescheiden stützte - noch Ausführungen über Gesichtspunkte der Verfahrensökonomie, die trotz der Wohnadresse der mitbeteiligten Parteien in St. Pölten für eine Verhandlung vor der belangten Behörde in Wien gesprochen hätten.

Nach Einbringung der Amtsbeschwerden, Einleitung der Vorverfahren und Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde legte diese mit Schreiben vom 19. Mai 2005 eine ihr vom Bundesasylamt übermittelte "Stellungnahme betreffend Zustellung seitens der Zustellerin" vom 12. Mai 2005 vor. In dieser Stellungnahme der Zustellerin wird ausgeführt, die Drittmitbeteiligte sei sowohl am 9. als auch am 10. November 2004 nicht angetroffen worden. Sowohl die Ankündigung des zweiten Zustellversuchs als auch die Verständigung über die Hinterlegung seien "in den Briefkasten von Frau B. eingeworfen" worden.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die - zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen - Beschwerden in einem gemäß § 12 Abs.1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Die Ausführungen in den Amtsbeschwerden - die zum Großteil aus einer diesbezüglichen Anregung des Bundesasylamtes stammen - lassen außer Acht, dass der Nachweis der Unrichtigkeit von Eintragungen in einem Rückschein im Verwaltungsverfahren zulässig ist. Dies war schon vor der Privatisierung der Post der Fall (vgl. nur beispielsweise die Nachweise bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2 (1998) E 9 und 10 zu § 47 AVG), weshalb die "wenig sorgfältige Vorgangsweise", die dem Gesetzgeber in diesem Zusammenhang zuletzt vorgeworfen wurde (vgl. Stumvoll in Fasching/Konecny, Kommentar zu den Zivilprozeßgesetzen2 II/2 (2003), Anh § 87 ZPO, Rz 6 zu § 22 ZustG), hier keiner Erörterung bedarf. Im vorliegenden Fall steht außer Frage, dass die Inkonsistenz der Angaben im Rückschein - und nunmehr auch deren teilweiser Widerspruch zu den Behauptungen in der "Stellungnahme" - vor dem Hintergrund der detaillierten Darlegungen der mitbeteiligten Parteien, insbesondere über die Möglichkeit einer Verwechslung von Brieffächern an der mehrheitlich von ausländischen Parteien bewohnten Wohnadresse der mitbeteiligten Parteien, einer Aufklärung bedarf. Eine Übergehung der dazu gestellten Beweisanträge kam daher nicht in Frage, wobei der Klarheit halber festzuhalten ist, dass die vom Bundesasylamt eingeholte "Stellungnahme" des Zustellorgans dessen Vernehmung nicht erübrigt und auch der Drittmitbeteiligten im Sinne ihres Antrages Gelegenheit zu geben ist, die Glaubwürdigkeit ihrer Angaben im Rahmen einer persönlichen Einvernahme unter Beweis zu stellen.

Die in den Amtsbeschwerden darüber hinaus behandelte Frage, ob die belangte Behörde allenfalls notwendige Beweisaufnahmen selbst durchzuführen gehabt hätte, statt im Sinne der von ihr zitierten Judikatur von § 66 Abs. 2 AVG Gebrauch zu machen, stellt sich aber nicht. Vor der Erledigung des Hauptantrages "auf ordnungsgemäße Zustellung" war das Bundesasylamt nämlich nicht zuständig, über den nur in eventu gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung zu entscheiden. Die belangte Behörde, deren Verfahren sich auf die mit den bekämpften Spruchpunkten erledigten "Sachen" im Sinne des § 66 Abs. 4 AVG beschränkte und die den Antrag auf Zustellung daher nicht in Behandlung nehmen konnte, hätte die in der Überschreitung der Zuständigkeit durch primäre Erledigung des Eventualantrages liegende Rechtswidrigkeit im Vorgehen des Bundesasylamtes vorrangig wahrnehmen und die bekämpften Spruchpunkte aus diesem Grund gemäß § 66 Abs. 4 AVG beheben müssen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 4. Februar 2000, Zlen. 96/19/2626, 2627).

Der Umstand, dass dies unterblieb, belastet die angefochtenen Bescheide mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben waren.

Wien, am 25. April 2006

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