VwGH 96/19/2626

VwGH96/19/26264.2.2000

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Zens und Dr. Bayjones als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hanslik, über die Beschwerde des am 15. März 1956 geborenen S S in Wien, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in Wien, gegen die Bescheide des Bundesministers für Inneres vom 9. April 1996,

1.) Zl. 115.023/4-III/11/95, und 2.) Zl. 115.023/3-III/11/95, betreffend 1.) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und

2.) Zurückweisung einer Berufung i.A. einer Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §63 Abs5;
AVG §71;
AVG §63 Abs5;
AVG §71;

 

Spruch:

Der erstangefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der zweitangefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem erstangefochtenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 9. April 1996 wurde der Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 12. Jänner 1995 - mit dem die Behörde erster Instanz den vom Beschwerdeführer hilfsweise erhobenen Wiedereinsetzungsantrag wegen Versäumung der Berufungsfrist abgewiesen hatte - keine Folge gegeben und der erstinstanzlichen Bescheid bestätigt. Begründend führte die belangte Behörde aus, der erstinstanzliche Bescheid mit dem der Antrag des Beschwerdeführers vom 22. April 1994 auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung negativ "finalisiert" worden sei, sei am 9. Juni 1994 durch Hinterlegung zugestellt worden. Der Beschwerdeführer habe mit Schreiben vom 24. Oktober 1994 das Rechtsmittel der Berufung und gleichzeitig einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 71 AVG eingebracht. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist sei vom "Amt der Wiener Landesregierung" mit Bescheid vom 12. Jänner 1995 gemäß § 71 AVG abgewiesen worden. Zu der dagegen vom Beschwerdeführer eingebrachten Berufung sei auszuführen, dass Kernpunkt und Sinn der Norm des § 71 AVG die nachträgliche Sanierung einer Fristversäumung in einem Verwaltungsverfahren sei. Ein materielles Vorbringen zu dem gegenständlichen Verfahren werde durch dieses vom Beschwerdeführer beantragte Rechtsmittel in keiner Weise erfasst. Für die belangte Behörde bestehe die Verpflichtung zu überprüfen, ob der Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren eine formelle Fristversäumung, ohne auch nur ursächlich diese bewirkt zu haben, glaubhaft machen könne. Der vom Beschwerdeführer angeführte Grund der Fristversäumung sei nach der ständigen Judikatur der beiden Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts keine ausreichende Grundlage für eine positive Entscheidung der belangten Behörde. Die Argumentation ziele nicht auf eine Glaubhaftmachung eines unvorhergesehenen oder unabwendbaren Ereignisses, sondern stelle auf die Problematik bei einer Zustellung durch Hinterlegung ab. Dies sei umso mehr zu erkennen, da sich der Beschwerdeführer auf eine Unkenntnis bezüglich des Zustelldatums berufe. Seiner Angabe nach sei ihm die Hinterlegungsanzeige über die Zustellung nicht zugekommen. Hiezu sei auszuführen, dass nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshof die Beseitigung oder Beschädigung der Hinterlegungsverständigung die Gültigkeit einer allfälligen Hinterlegung nicht hindere. Demnach sei somit die vorgenommene Zustellung am 9. Juni1994 als gültig anzusehen.

Mit dem zweitangefochtenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 9. April 1996 wurde die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 3. Juni 1994 - mit dem die Behörde erster Instanz den Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung einer Bewilligung gemäß § 13 Abs. 1 AufG mangels eines alle Risiken abdeckenden Krankenversicherungsschutzes gemäß § 5 Abs. 1 AufG

iVm § 10 Abs. 1 Z. 2 FrG abgewiesen hatte - zurückgewiesen. Begründend führte die belangte Behörde aus, dass Berufungen gemäß § 63 Abs. 5 AVG binnen zwei Wochen nach erfolgter Zustellung einzubringen seien. Die Zustellung (des erstinstanzlichen Bescheide) sei rechtswirksam am 9. Juni 1994 und daher verspätet eingebracht worden.

Gegen diese Bescheide erhob der Beschwerdeführer vorerst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der ihre Behandlung mit Beschluss vom 11. Juni 1996, B 1697 und 1698/96, ablehnte und sie antragsgemäß dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die ergänzte Beschwerde in dem gemäß § 12 Abs. 1 Z.2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Zum erstangefochtenen Bescheid:

Wie sich aus der Formulierung des Antrages des Beschwerdeführers vom 24. Oktober 1994 ergibt, beantragte dieser, mangels ordnungsgemäßer Zustellung möge ihm die erstinstanzliche Behörde ihren Bescheid vom 3. Juni 1994 zu Handen seines ausgewiesenen Vertreters zustellen, in eventu beantrage er, ihm die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung der Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid zu bewilligen.

Ein solcher Eventualantrag ist im Verwaltungsverfahren zulässig. Die Besonderheit eines solchen Antrages liegt darin, dass er unter der aufschiebenden Bedingung gestellt wird, dass der Primärantrag erfolglos bleibt. Wird bereits dem Primärantrag stattgegeben, so wird der Eventualantrag gegenstandslos. Wird hingegen ein Eventualantrag vor dem Eintritt des Eventualfalles erledigt, belastet dies die Erledigung mit Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit (vgl. das hg. Erkenntnis vom 12. Dezember 1997, Zl. 96/19/2048).

Die Behörde erster Instanz hatte daher im vorliegenden Fall zunächst über den Primärantrag des Beschwerdeführers auf Zustellung des erstinstanzlichen Bescheide abzusprechen. Erst im Falle der rechtskräftigen Nichtstattgebung hätte sie über den als Eventualantrag gestellten Wiedereinsetzungsantrag zu erkennen gehabt. Da die belangte Behörde (in Erledigung der gegen die erstinstanzliche Abweisung des Wiedereinsetzungsantrages erhobenen Berufung) mit dem erstangefochtenen Bescheid über den Eventualantrag des Beschwerdeführers entschieden hat, obwohl der Eventualfall nicht eingetreten ist, hat sie ihre Entscheidung mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. August 1994, Zl. 94/19/0302).

Der erstangefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Zum zweitangefochtenen Bescheid:

Gemäß §§ 60, 67 AVG sind in der Begründung eines Bescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfragen klar und übersichtlich zusammenzufassen. Der zweitangefochtene Bescheid beschränkt sich auf die Rechtsbehauptung, die Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides vom 3. Juni 1994 sei rechtswirksam am 9. Juni 1994 erfolgt.

Gerade gegen die Rechtswirksamkeit dieser Zustellung hat der Beschwerdeführer in seiner am 25. Oktober 1994 bei der erstinstanzlichen Behörde eingelangten Eingaben konkrete sachverhaltsbezogene Umstände ins Treffen geführt. Er hat dargelegt, keine Hinterlegungsanzeige vorgefunden zu haben und die Möglichkeit aufgezeigt, dass dies auch deshalb der Fall gewesen sein könnte, weil es im Zusammenhang mit der Zustellung einer Vielzahl behördlicher Schriftstücke an seiner Wohnadresse, an der hauptsächlich Ausländer wohnhaft seien, immer wieder zu Nachlässigkeiten der Postzusteller gekommen sei. Der Beschwerdeführer hat als Bescheinigungsmittel für dieses Vorbringen seine Einvernahme, allenfalls die Befragung des zuständigen Postzustellers angeboten. Zu der für die Rechtmäßigkeit des zweitangefochtenen Bescheides erheblichen Frage, ob der Postzusteller die in Rede stehende Hinterlegungsanzeige in die Hausbrieffachanlage eingelegt hatte oder nicht, gibt es nach der Aktenlage keine Verfahrensergebnisse.

Aus diesen Erwägungen fällt der belangten Behörde in Ansehung des zweitangefochtenen Bescheides ein Begründungsmangel zur Last, welcher den Verwaltungsgerichtshof an der inhaltlichen Überprüfung dieses Bescheides hindert. Der zweitangefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 4. Februar 2000

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