VwGH 2006/18/0150

VwGH2006/18/01509.11.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger und die Hofräte Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Schmidl, über die Beschwerde der C M P R in L, geboren am 18. August 1968, vertreten durch Mag. Dr. Martin Enthofer, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Promenade 16/II, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 27. April 2006, Zl. St 25/05, betreffend Ausweisung nach § 54 FPG, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §13 Abs3;
FrPolG 2005 §2 Abs1;
FrPolG 2005 §20 Abs1 Z5;
FrPolG 2005 §24;
FrPolG 2005 §54 Abs1 Z2;
NAG 2005 §19 Abs2;
NAG 2005 §2 Abs1 Z11;
NAG 2005 §23 Abs1;
NAG 2005 §24 Abs1;
NAG 2005 §24 Abs3;
NAG 2005 §8;
NAGDV 2005 §10 Abs1 litB Z10;
VwGG §42 Abs2 Z1;
AVG §13 Abs3;
FrPolG 2005 §2 Abs1;
FrPolG 2005 §20 Abs1 Z5;
FrPolG 2005 §24;
FrPolG 2005 §54 Abs1 Z2;
NAG 2005 §19 Abs2;
NAG 2005 §2 Abs1 Z11;
NAG 2005 §23 Abs1;
NAG 2005 §24 Abs1;
NAG 2005 §24 Abs3;
NAG 2005 §8;
NAGDV 2005 §10 Abs1 litB Z10;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich (der belangten Behörde) vom 27. April 2006 wurde die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige der Dominikanischen Republik, gemäß § 54 Abs. 1 Z. 2 und § 21 Abs. 5 Z. 4 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, ausgewiesen.

Ab März 2000 sei der Beschwerdeführerin erstmals eine Aufenthaltserlaubnis für selbständige Erwerbstätigkeit ohne Niederlassung erteilt worden, die mehrmals verlängert worden sei. Mit Antrag vom 30. September 2003 (eingelangt am 16. Oktober 2003) sei "bei der Bundespolizeidirektion Linz" ein weiterer Verlängerungsantrag für den Aufenthaltszweck "Selbständig, § 7 Abs. 4 Z. 4 Fremdengesetz 1997" gestellt worden.

Die Beschwerdeführerin sei seit 15. März 2001 mit Hauptwohnsitz in L gemeldet, sie habe mit dem Österreicher C.M. eine OEG gegründet. Auf Grund von familiären Problemen lebe die Beschwerdeführerin seit 1999 getrennt vom Vater der gemeinsamen Tochter Y. und versuche seitdem alleine, den Lebensunterhalt zu bestreiten. Der genaue Aufenthaltsort des Vaters ihrer Tochter sei nicht bekannt. Auch die Schwester und die Mutter der Beschwerdeführerin lebten in Österreich. Es sei ihr unmöglich, in der Dominikanischen Republik zu überleben und den Unterhalt für ihre Tochter zu bestreiten. Ihre Tochter, geboren am 17. Februar 1991, sei im Juli 2003 über Deutschland sichtvermerksfrei als Touristin nach Österreich eingereist. Mit Antrag vom 8. Jänner 2004 habe die Beschwerdeführerin für ihre Tochter um die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für den Aufenthaltszweck "Ausbildung, § 7 Abs. 4 Z. 1 FrG" angesucht, da diese die Hauptschule in L besuche.

Die Behörde erster Instanz habe unter Hinweis auf die §§ 34 Abs. 1 Z. 2 und 10 Abs. 2 Z. 3 FrG ausgeführt, dass sich die Beschwerdeführerin seit mehr als fünf Jahren in Österreich aufhalte und seit zumindest März 2001 mit Hauptwohnsitz in L gemeldet sei. Überdies halte sich seit Juli 2003 ihre Tochter in Österreich auf, wobei diese seit 4. September 2003 ebenfalls mit Hauptwohnsitz in L gemeldet sei. Die Beschwerdeführerin habe selbst ausgeführt, dass es ihr unmöglich sei, in ihrer Heimat zu überleben und für den Unterhalt für sich und ihre Tochter zu sorgen. Der Aufenthaltsort des Vaters ihrer Tochter sei unbekannt, sie müsse den gesamten Lebensunterhalt allein finanzieren. Auch die Schwester und Mutter der Beschwerdeführerin lebten in Österreich. Letztlich würde die Beschwerdeführerin "ziemlich alleine dastehen".

Daraus sei - so die Behörde erster Instanz weiters - abzuleiten, dass die Beschwerdeführerin offensichtlich den Willen habe, sich in Österreich niederzulassen. Diesbezüglich könne es nicht auf die förmlichen Angaben in einem Antrag ankommen, sondern müsse in einer gesamten Betrachtungsweise des bisherigen Aufenthaltes des Fremden beurteilt werden, ob dieser offensichtlich den Willen habe, sich in Österreich niederzulassen. Dabei sei dem Umstand auch erhebliche Bedeutung beizumessen, ob und wenn, seit wie lange, der Fremde mit Hauptwohnsitz in Österreich gemeldet sei.

In Anbetracht der Gesamtheit dieser Umstände, insbesondere der Tatsache, dass sich nunmehr auch die Tochter der Beschwerdeführerin sowie ihre Schwester und ihre Mutter in Österreich aufhielten, sie offensichtlich ihr gesamtes Vermögen in Österreich und somit keine weiteren familiären oder wirtschaftlichen Beziehungen zu ihrem Heimatland mehr habe, sei davon auszugehen, dass der Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen ausschließlich in Österreich liege und es für sie, anders formuliert, "kein anderes Zuhause mehr" gebe.

Aus diesen Gründen stehe nach Ansicht der Behörde erster Instanz der Erteilung einer weiteren Aufenthaltserlaubnis für den Aufenthaltszweck "selbständig ohne Niederlassung" der Versagungsgrund des § 10 Abs. 2 Z. 3 FrG entgegen, zumal es massiven öffentlichen Interessen zuwiderliefe, wenn einem Fremden für einen Aufenthaltszweck, welchen er nicht nachzuweisen vermöge, eine Aufenthaltserlaubnis erteilt würde. Die öffentliche Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens wäre dadurch nicht unwesentlich beeinträchtigt.

Durch die Ausweisung werde zwar in das Privat- bzw. Familienleben der Beschwerdeführerin eingegriffen, jedoch sei die Behörde erster Instanz bei Vornahme der gebotenen Interessenabwägung im Sinn des § 37 FrG zur Ansicht gekommen, dass es nicht hingenommen werden könne, dass sich Fremde unter Außerachtlassung der für den Aufenthaltszweck geltenden Bestimmungen weiterhin im Bundesgebiet aufhielten und diese die Behörde somit vor vollendete Tatsachen zu stellen versuchten.

In der Berufungsschrift habe die Beschwerdeführerin den Verlängerungsantrag für den Aufenthaltszweck "Selbständig, § 7 Abs. 4 Z. 4 Fremdengesetz 1997" damit begründet, dass sie mit C.M. eine Firma gründet habe, um die Übernahme und den Weiterbestand eines speziellen dominikanischen Lokals in Wien aufrecht zu erhalten. Der Bescheid des Arbeitsmarktservices stelle fest, dass sie als selbständige Erwerbstätige im Sinn des § 2 Abs. 2 AuslBG anzusehen sei. Durch die Mitarbeit im Betrieb sei es ihr möglich, den Lebensunterhalt für sich und ihre Tochter zu bestreiten. Ihre Tochter sei im Juli 2003 auf Einladung von Herrn M. als Touristin nach Österreich eingereist. Am 8. Jänner 2004 habe sie für ihre Tochter um Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zweck "Ausbildung, § 7 Abs. 4 Z. 1 Fremdengesetz" angesucht.

Der Aufenthaltszweck der Beschwerdeführerin - so die Berufung weiter - sei durch die Firma bestätigt, gegenteiligen Ausführungen im erstinstanzlichen Bescheid trete sie entschieden entgegen. Sie habe auch nie falsche oder unrichtige Angaben getätigt und zahle Abgaben, Steuern und Schulkosten ohne jegliche Unterstützung irgendeiner Institution. Die Beschwerdeführerin habe auch nie die Behörde vor vollendete Tatsachen gestellt, sondern den Sachverhalt von Anfang an immer korrekt und ehrlich angegeben. Sie bitte daher um Berücksichtigung aller Gründe und Interessen bei der Beurteilung um eine Entscheidung für die Aufenthaltserlaubnis.

Unter Hinweis auf die §§ 54 Abs. 1 und 21 Abs. 5 Z. 4 FPG führte die belangte Behörde in ihrer rechtlichen Beurteilung aus, sie schließe sich den Ausführungen der Erstbehörde insofern an, als aus dem Vorbringen der Beschwerdeführerin ersichtlich sei, dass sie nicht beabsichtige, sich nur mehr kurzfristig in Österreich aufzuhalten, sondern ihr Wille klar in Richtung Niederlassung gehe. Der von ihr beantragte Aufenthaltstitel reiche für diese Absicht nicht aus. Sie werde daher vom Ausland aus einen entsprechenden Antrag nach dem NAG einbringen müssen. Daran könnten auch die im Akt ersichtlichen persönlichen und familiären Umstände nichts ändern.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes oder wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, nahm jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Nach der Übergangsbestimmung des § 125 Abs. 1 FPG sind Verfahren zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes oder einer Ausweisung, die bei Inkrafttreten des FPG (am 1. Jänner 2006) anhängig sind, nach dessen Bestimmungen weiter zu führen. Dementsprechend hat die belangte Behörde im vorliegenden Fall zutreffend die Bestimmungen des FPG angewendet.

2. Nach den unbestrittenen Feststellungen im angefochtenen Bescheid lebt die Beschwerdeführerin seit März 2000 in Österreich und verfügte über eine Aufenthaltserlaubnis für den Aufenthaltszweck "Selbständig, § 7 Abs. 4 Z. 4 FrG", die mehrmals verlängert wurde. Am 30. September 2003 brachte sie fristgerecht einen Antrag auf Erteilung einer weiteren Aufenthaltserlaubnis ein. Sie ist persönlich haftende Gesellschafterin einer offenen Erwerbsgesellschaft und Mitbetreiberin eines karibischdominikanischen Lokals.

Auf Grund des Verlängerungsantrages hat die belangte Behörde geprüft, ob die Beschwerdeführerin weiterhin beabsichtige, sich nur kurzfristig in Österreich aufzuhalten, oder ob ein Wille für eine Niederlassung gegeben sei, und ist zu dem Ergebnis gelangt, dass ihr "Wille sehr klar in Richtung Niederlassung" gehe. Der von der Beschwerdeführerin beantragte Aufenthaltstitel reiche für diese Absicht nicht aus, sie werde daher vom Ausland aus einen entsprechenden Antrag nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) einbringen müssen.

Gemäß § 2 Abs. 1 Z 11 NAG ist ein Verlängerungsantrag der Antrag auf Verlängerung des gleichen oder Erteilung eines anderen Aufenthaltstitels (§ 24 NAG). Somit setzt ein Verlängerungsantrag voraus, dass der betreffende Fremde bereits über einen Aufenthaltstitel verfügt hat.

Im vorliegenden Fall war zur Beurteilung, ob dies vorliegt, auch auf die Übergangsbestimmung des § 81 Abs. 2 erster Satz NAG Bedacht zu nehmen, wonach vor dem In-Kraft-Treten des NAG (also vor dem 1. Jänner 2006) erteilte Aufenthalts- und Niederlassungsberechtigungen innerhalb ihrer Gültigkeitsdauer und ihres Gültigkeitszweckes insoweit weiter gelten, als sie nach dem Zweck des Aufenthaltes den Bestimmungen des NAG entsprechen. Im dritten Satz der zuletzt genannten Norm wird der Bundesminister für Inneres ermächtigt, durch Verordnung festzulegen, welche vor dem In-Kraft-Treten des NAG erteilten Aufenthalts- und Niederlassungsberechtigungen nach ihrem Aufenthaltszweck als entsprechende Aufenthalts- und Niederlassungsberechtigungen nach dem NAG und dem FPG weiter gelten. Die (u.a.) auf Grund dieser Ermächtigung erlassene NAG-DV ordnet in § 11 Abs. 1 Tabelle B Z. 10 an, dass eine nach dem FrG erteilte Aufenthaltserlaubnis "Selbständig, § 7 Abs. 4 Z. 4 FrG" als "Aufenthalts-Reisevisum (Visum D+C, § 2 FPG)" weiter gilt. Bei diesem Visum (§ 20 Abs. 1 Z 5 FPG) handelt es sich aber um keinen der in § 8 NAG genannten Aufenthaltstitel, sondern um einen Einreisetitel im Sinne des § 2 Abs. 1 FPG. Die der Beschwerdeführerin erteilte, bis September 2003 gültige Aufenthaltserlaubnis stellt somit keinen Aufenthaltstitel im Sinn des NAG dar, sodass es sich bei dem gegenständlichen Antrag schon deshalb - entgegen der vom Beschwerdeführer vertretenen Auffassung - nicht um einen Verlängerungsantrag im Sinn des § 2 Abs. 1 Z 11 NAG handelt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 18. Februar 2009, 2007/21/0480).

Die belangte Behörde wäre im Übrigen auch nicht berechtigt gewesen, den Antrag der Beschwerdeführerin auf Erteilung einer weiteren Aufenthaltserlaubnis als solchen auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung, der grundsätzlich verlängert werden könnte, zu werten. Zum Verfahrensgegenstand eines Antrages im Anwendungsbereich des NAG hat der Verwaltungsgerichtshof bereits ausgeführt, dass nach dessen Bestimmungen eine amtswegige Umdeutung eines Antrages nicht in Betracht kommt. Dies ergibt sich nicht nur aus der aus § 19 Abs. 2 NAG hervorgehenden strengen Antragsbindung, sondern auch aus § 23 Abs. 1 NAG, wonach die Behörde den Antragsteller zu belehren hat, wenn sich ergibt, dass der Fremde einen anderen als den beantragten Aufenthaltstitel benötigt. Die Richtigstellung (Änderung) des Antrages - innerhalb einer von der Behörde gemäß § 13 Abs. 3 AVG zu setzenden Frist - ist Sache des Antragstellers (vgl. das hg. Erkenntnis vom 14. Mai 2009, 2008/22/0075). Den Verwaltungsakten ist nicht zu entnehmen, dass die belangte Behörde eine Belehrung durchgeführt und einen entsprechenden Mängelbehebungsauftrag erlassen hat. Darüber hinaus hat die Beschwerdeführerin wiederholt zum Ausdruck gebracht, dass sie keinen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung gestellt habe, weil ihr Aufenthalt in Österreich nicht auf Dauer ausgerichtet sei.

Die Beschwerdeführerin verfügte somit noch nie über einen Aufenthaltstitel im Sinn des NAG, daher findet § 54 FPG, der die Ausweisung von Fremden mit Aufenthaltstiteln regelt, im vorliegenden Fall keine Anwendung.

3. Da die belangte Behörde die Ausweisung der Beschwerdeführerin auf eine Bestimmung gestützt hat, die auf sie keine Anwendung findet, war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008. Wien, am 9. November 2009

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte